Im ersten Band dieser Edition begegnet ein vielfach unbekannter Martin Buber. Neben bisher unveröffentlichten Schriften des Jugendlichen finden sich hier alle kulturkritischen und philosophischen Arbeiten Bubers aus seiner Studienzeit und der Zeit vor der Publikation von Ich und Du 1923. Zugleich werden in Einleitung und Kommentar Exkurse in die zionistischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Schriften sowie in Bubers Dichtungen unternommen. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes Bild der Textentstehungen und ihrer Wirkungen sowie der intellektuellen Suchbewegungen des jungen Martin Buber. Der Band wirkt damit nicht nur vielen gängigen Idealisierungen entgegen, er bietet zugleich erhellende Einblicke in die Wirklichkeit des Judentums im deutschsprachigen Kulturraum vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2002Kriegstaumel
Der Held ist das Maß der Dinge:
Die Werke Martin Bubers
Martin Treml, der Martin Bubers frühe kulturkritische Schriften herausgegeben und ausführlich eingeleitet hat, versteht Nietzsches Wort von der monumentalischen Historie wörtlich. Auch Buber nimmt in den Frühschriften eine beinahe unerträgliche Nietzsche-Pose ein, die jeden nüchternen Betrachter überfordert. Buber taumelt damals wie betäubt von einem jugend- und lebensbewegten Kreis religiöser Sinnsucher zum anderen. Er polemisiert gegen das „Modephänomen” Nietzsche und ist dabei doch das beste Beispiel für die Nietzsche-Mode um 1900. Im Prophetenton predigt er von einem „aristokratischen Radikalismus”, spricht einer ästhetischen Weltanschauung das Wort und schraubt sich dabei in immer schrillere Höhen, bis der ganze Kitsch zerspringt und sich in haltlose Kriegsbegeisterung ergießt.
Das ist die Gegendeutung zu Tremls Sicht. Aber es ist die einzig mögliche, wenn man den Band gelesen hat, der vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Texte (sowie kurze Nachzügler bis zum Jahr 1924) enthält. Kaum sind die deutschen Truppen losmarschiert, bleibt erst einmal nichts übrig von der elitären Internationalität der esoterischen Intellektuellenzirkel, denen Buber angehört. Den Einmarsch in Belgien verteidigt er, auch wenn darüber Freundschaften zerbrechen.
Die Unterschiede von „Kultur” und „Zivilisation” hat er schon viel früher ausgespielt. An der Front oder auch nur beim Militär hat er nie gedient — darum schwärmt er vom „schönen Tod in letzter Anspannung des Lebens”, erkennt im „Blut” die „tiefste Machtschicht der Seele” und im Judentum einen „Blutstamm” mit „Volksseele”, träumt von der deutsch-jüdischen Kampfgemeinschaft und kondoliert den Eltern eines Gefallenen: „Mit ihrem (der Gefallenen) Schicksal ist das Schicksal des Vaterlands unlöslich verwoben, das neue, große Deutschland entsteht aus diesem Blut und diesen Tränen”. Darauf musste die Ernüchterung folgen — spätestens seit der berüchtigten „Judenzählung” 1916.
Zu Bubers meistgelesenen Schriften zählte „Daniel. Gespräche von der Verwirklichung” von 1913. Gershom Scholem verspottete den „Mystizismus” Bubers — er „scheint das Schweigen nicht ertragen zu können: es muss alles aufgesetzt werden, glossiert, verdanielt, verwirklicht. Ist er wirklich nicht mehr zu retten?”
Unter dem ganzen Schutt einer schwülstigen Nietzsche-Imitation, an gereichert mit religiösen Motiven, zwischen dem „Reich der Gefahr und des Wagnisses” und einer selbstsicheren Geschwätzigkeit aber tritt für Augen blicke eine zarte Schönheit hervor, die ahnen lässt, warum einst der frühe Buber gelesen wurde.
TIM B. MÜLLER
MARTIN BUBER: Werkausgabe. Band 1: Frühe kulturkritische und philoso phische Schriften 1891—1924, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 396 Seiten, 84 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Der Held ist das Maß der Dinge:
Die Werke Martin Bubers
Martin Treml, der Martin Bubers frühe kulturkritische Schriften herausgegeben und ausführlich eingeleitet hat, versteht Nietzsches Wort von der monumentalischen Historie wörtlich. Auch Buber nimmt in den Frühschriften eine beinahe unerträgliche Nietzsche-Pose ein, die jeden nüchternen Betrachter überfordert. Buber taumelt damals wie betäubt von einem jugend- und lebensbewegten Kreis religiöser Sinnsucher zum anderen. Er polemisiert gegen das „Modephänomen” Nietzsche und ist dabei doch das beste Beispiel für die Nietzsche-Mode um 1900. Im Prophetenton predigt er von einem „aristokratischen Radikalismus”, spricht einer ästhetischen Weltanschauung das Wort und schraubt sich dabei in immer schrillere Höhen, bis der ganze Kitsch zerspringt und sich in haltlose Kriegsbegeisterung ergießt.
Das ist die Gegendeutung zu Tremls Sicht. Aber es ist die einzig mögliche, wenn man den Band gelesen hat, der vor dem Ersten Weltkrieg entstandene Texte (sowie kurze Nachzügler bis zum Jahr 1924) enthält. Kaum sind die deutschen Truppen losmarschiert, bleibt erst einmal nichts übrig von der elitären Internationalität der esoterischen Intellektuellenzirkel, denen Buber angehört. Den Einmarsch in Belgien verteidigt er, auch wenn darüber Freundschaften zerbrechen.
Die Unterschiede von „Kultur” und „Zivilisation” hat er schon viel früher ausgespielt. An der Front oder auch nur beim Militär hat er nie gedient — darum schwärmt er vom „schönen Tod in letzter Anspannung des Lebens”, erkennt im „Blut” die „tiefste Machtschicht der Seele” und im Judentum einen „Blutstamm” mit „Volksseele”, träumt von der deutsch-jüdischen Kampfgemeinschaft und kondoliert den Eltern eines Gefallenen: „Mit ihrem (der Gefallenen) Schicksal ist das Schicksal des Vaterlands unlöslich verwoben, das neue, große Deutschland entsteht aus diesem Blut und diesen Tränen”. Darauf musste die Ernüchterung folgen — spätestens seit der berüchtigten „Judenzählung” 1916.
Zu Bubers meistgelesenen Schriften zählte „Daniel. Gespräche von der Verwirklichung” von 1913. Gershom Scholem verspottete den „Mystizismus” Bubers — er „scheint das Schweigen nicht ertragen zu können: es muss alles aufgesetzt werden, glossiert, verdanielt, verwirklicht. Ist er wirklich nicht mehr zu retten?”
Unter dem ganzen Schutt einer schwülstigen Nietzsche-Imitation, an gereichert mit religiösen Motiven, zwischen dem „Reich der Gefahr und des Wagnisses” und einer selbstsicheren Geschwätzigkeit aber tritt für Augen blicke eine zarte Schönheit hervor, die ahnen lässt, warum einst der frühe Buber gelesen wurde.
TIM B. MÜLLER
MARTIN BUBER: Werkausgabe. Band 1: Frühe kulturkritische und philoso phische Schriften 1891—1924, bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 396 Seiten, 84 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2002Ein schöner Opfertod, das wär's
Zionisten als Herrenmenschen: Der erste Band der Werkausgabe zeigt Martin Buber im Sinnrausch
"Für wen Zarathustra ein Lebens-Ereignis sein kann? Meine Antwort - eine stolze, hochmütige, aristokratische Antwort: ,Die Sensitiven'. Sie, welche die Welt nicht ,idealisirten', sondern selbst idealisirt in alle Dinge etwas von ihrer zweiten Welt einlegten, die Menschen der verfeinertsten Sinne und der zersetzbarsten Nerven, die dionysischen Lust- und Weh-Verknüpfer, ... die Psychologen par excellence, die das große, unbekannte, überreiche Psyche-Leben erforschen, welches von der dünnen, für die große Menge allzustarren, Lavaschicht unseres Bewußtseins bedeckt, sich den Blicken aller nur flüchtig und verschwindend leicht in unseren Reflex-Bewegungen manifestiert, wie der rauchende Vulkan. Für sie ist Zarathustra gedichtet; für diese Menschen des Rausches und der Betäubung." Seit 1895 stilisiert sich der junge Martin Buber zum jüdischen Zarathustra-Nietzsche, der zionistische Freunde zu "Herrenmenschen" formen will.
Um kultureller Vertiefung des Zionismus willen proklamiert er 1900 eine "Jüdische Renaissance". Auf der Suche nach jüdischer Identität liest der Schüler Georg Simmels und Wilhelm Diltheys die avantgardistischen Religionsintellektuellen des Fin de siècle. Seine "Ekstatischen Konfessionen" aus Quellen des Chassidismus veröffentlicht er bei Eugen Diederichs, dem neoromantischen Verlag für modernitätskranke Lebenssinnproduzenten aller Couleur. Gern greift der junge Buber Topoi von der seelenlosen Moderne und dem Verlust wahrer Individualität durch Vermassung auf. Unerlösten jungen Juden wird er zum Seelenführer nach Zion. Er predigt ihnen die Selbsterlösung viriler Tatmenschen. Alles Weichliche verachtet er. Seine Kulturzionisten sind gebildete Muskelmänner, die gegenüber skeptisch-schwachen Abendländern den heroischen "Menschentypus" des Orientalen repräsentieren.
Der erste Band der neuen Buber-Werkausgabe zeigt einen orientierungslosen Jungintellektuellen aus dem Habsburgerreich, der von Kind an die Ausgrenzung der Juden erlitt. Ediert werden 27 Texte von der Bar-Mizwah-Rede im Februar 1891 bis zum 1924 veröffentlichten Essay "Geheimnis einer Einheit". Neben den damals viel gelesenen "Daniel"-"Gesprächen von der Verwirklichung" aus dem Jahre 1913 und den 1913 bis 1917 geschriebenen "Ereignissen und Begegnungen" finden sich Skizzen und Fragmente aus dem Nachlaß. Der Student schreibt über die "Literatengruppe Jung Wien" und dramatisiert in Avenarius' "Kunstwart" den Gegensatz zwischen "Kultur und Zivilisation". Trotz der Teilnahme am pazifistischen Forte-Kreis fordert er 1914 die Selbsthingabe für den deutschen Kulturstaat.
Einige Texte schreibt er für jüdische Organe, andere für protestantisch geprägte Kulturzeitschriften. In der "ständigen Kultur-Kommission" des Zionistischen Weltkongresses plant er die "ästhetische Erziehung des Volkes". Zugleich engagiert er sich für eine Ökumene antibürgerlicher Erlöser aus allen Konfessionen. Mit katholischen Modernisten und protestantischen Religionsreformern will er durch "Mystik" die Entzweiungen von Leben, Fühlen und Denken überwinden. Die Einheit von Gott und Seele, Transzendenz und Innerlichkeit wird zum Symbol allumfassender Gemeinschaft. Mystische Introspektion dient als Gegenpol zu dem als kalt und sinnlos erlittenen okzidentalen Rationalismus.
Die Werkausgabe wird die Texte in 21 thematisch komponierten Bänden präsentieren, die jeweils chronologisch gegliedert sind. Die inhaltlichen Kriterien des Aufbaus der Ausgabe bleiben unklar. Weshalb sind Bubers Bar-Mizwah-Rede und eine 1892 gehaltene Rede zur Bar-Mizwah eines Freundes in den "Frühen kulturkritischen und philosophischen Schriften" dokumentiert? Gehören sie nicht zu den "Frühen jüdischen Schriften", also in Band drei?
Auch Martin Tremls ausführliche Kommentare bieten Anlaß zur Kritik. Der Editor überfrachtet die Quellen mit seinen Deutungsangeboten und Spekulationen über Werkphasen. Seine Einleitung bleibt hinter dem Forschungsstand zurück. Treml folgt Paul R. Mendes-Flohrs grundlegender Monographie "Von der Mystik zum Dialog" von 1979, ignoriert aber wichtige neue Arbeiten von Michael Berkowitz, Philip Blom, Gilya G. Schmidt und Avraham Shapira. Er malt sich seinen jungen Buber in verklärenden Pastelltönen. Zwar sieht er die Selbststilisierungen des machtfixierten Intellektuellen, der durch zahllose Briefe seine Wirkung auf Jüngere steuern wollte. Die biologistische Sprache von Blut, heiliger Volksgemeinschaft und Rasse wird jedoch verharmlost. Treml erklärt Bubers Blut-und-Boden-Semantik zur bloß "metaphorischen Redeweise".
Das ist naive Apologetik. Bubers Konstruktion jüdischer Volksgemeinschaft folgt den üblichen Mustern des modernen Nationalismus. Mit den Studien zum Chassidismus will er ein überzeitliches Wesen des Judentums identifizieren, das sich trotz aller Zerstreuung in der Diaspora durch neue unbedingte Tathandlungen aktualisieren läßt. "Das Blut" wird zur "tiefsten Machtschicht der Seele" hypostasiert, um letzte Seinsbindungen zu erschließen, die dem reflektierend sich vereinzelnden Ich immer schon vorgegeben sind. Zum nationalistischen Ideologen wird Buber keineswegs erst im August 1914, als er Deutschlands Kulturkrieg pathetisch als Anbruch der ersehnten "Weltenwende" feiert. Schon seit 1904 beschwört er eine Sinnstiftung durch Leid und Selbstopfer. Seine jungjüdischen Helden ziehen "einen schönen Opfertod in letzter Anspannung des Lebens" bürgerlicher Behaglichkeit und schneller Triebbefriedigung vor.
Die existentialistische Aufladung des Begriffs "jüdischer Einheit" ähnelt vielen anderen Mobilisierungstheologien um 1900, in denen sich sinnhungrige Intellektuelle zu Unheilspropheten über die Gegenwart und messianischen Kündern eines nachbürgerlichen Reiches Gottes stilisieren. Der junge Buber nimmt für sich esoterisches Spezialwissen über den von Gott gefügten Gang der Geschichte in Anspruch und berauscht sich an Erlebnissen unbedingter Transzendenz. Seine "Melancholie menschlicher Endlichkeit" zeugt von der Einsamkeit des Intellektuellen. Die frühen Texte spiegeln neben elementarer Verunsicherung eine verzweifelte Suche nach seelischer Gemeinschaft. Angesichts der "transzendentalen Obdachlosigkeit" (Georg von Lukacs) des modernen Menschen will Buber eine entzauberte Welt wieder mit metaphysischem Gehalt erfüllen. Ist auch die Ich-Du-Philosophie der frühen zwanziger Jahre nur ein Reflex der Traumata des jungen Juden, trotz rastloser Bildung ein Außenseiter zu bleiben?
Nach der erzwungenen Emigration diskutierte Buber mit Werner Kraft 1959 über Nietzsches Rede vom Tode Gottes. Den Zarathustra beurteilte er nun skeptisch. "Ich wies auf Nietzsches Einsamkeit hin, in welcher ein Mensch sich wohl überschreien könne", berichtet Werner Kraft. "Er sagte, alle großen Philosophen von Plato bis Kant seien einsam gewesen, aber still." Der junge Buber konnte nicht still bleiben. Tief verletzt schrie er laut nach Sinn, um sich aus seiner Einsamkeit zu erlösen. Doch statt messianischer Hoffnung fand er nur kulturreligiösen Erlebnisrausch und nationalistische Betäubung.
FRIEDRICH WILHELM GRAF.
Martin Buber: "Werkausgabe". Band 1: Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1898-1924. Bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 396 S., geb., 84,-, bei Bezug des Gesamtwerks 76,- .
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zionisten als Herrenmenschen: Der erste Band der Werkausgabe zeigt Martin Buber im Sinnrausch
"Für wen Zarathustra ein Lebens-Ereignis sein kann? Meine Antwort - eine stolze, hochmütige, aristokratische Antwort: ,Die Sensitiven'. Sie, welche die Welt nicht ,idealisirten', sondern selbst idealisirt in alle Dinge etwas von ihrer zweiten Welt einlegten, die Menschen der verfeinertsten Sinne und der zersetzbarsten Nerven, die dionysischen Lust- und Weh-Verknüpfer, ... die Psychologen par excellence, die das große, unbekannte, überreiche Psyche-Leben erforschen, welches von der dünnen, für die große Menge allzustarren, Lavaschicht unseres Bewußtseins bedeckt, sich den Blicken aller nur flüchtig und verschwindend leicht in unseren Reflex-Bewegungen manifestiert, wie der rauchende Vulkan. Für sie ist Zarathustra gedichtet; für diese Menschen des Rausches und der Betäubung." Seit 1895 stilisiert sich der junge Martin Buber zum jüdischen Zarathustra-Nietzsche, der zionistische Freunde zu "Herrenmenschen" formen will.
Um kultureller Vertiefung des Zionismus willen proklamiert er 1900 eine "Jüdische Renaissance". Auf der Suche nach jüdischer Identität liest der Schüler Georg Simmels und Wilhelm Diltheys die avantgardistischen Religionsintellektuellen des Fin de siècle. Seine "Ekstatischen Konfessionen" aus Quellen des Chassidismus veröffentlicht er bei Eugen Diederichs, dem neoromantischen Verlag für modernitätskranke Lebenssinnproduzenten aller Couleur. Gern greift der junge Buber Topoi von der seelenlosen Moderne und dem Verlust wahrer Individualität durch Vermassung auf. Unerlösten jungen Juden wird er zum Seelenführer nach Zion. Er predigt ihnen die Selbsterlösung viriler Tatmenschen. Alles Weichliche verachtet er. Seine Kulturzionisten sind gebildete Muskelmänner, die gegenüber skeptisch-schwachen Abendländern den heroischen "Menschentypus" des Orientalen repräsentieren.
Der erste Band der neuen Buber-Werkausgabe zeigt einen orientierungslosen Jungintellektuellen aus dem Habsburgerreich, der von Kind an die Ausgrenzung der Juden erlitt. Ediert werden 27 Texte von der Bar-Mizwah-Rede im Februar 1891 bis zum 1924 veröffentlichten Essay "Geheimnis einer Einheit". Neben den damals viel gelesenen "Daniel"-"Gesprächen von der Verwirklichung" aus dem Jahre 1913 und den 1913 bis 1917 geschriebenen "Ereignissen und Begegnungen" finden sich Skizzen und Fragmente aus dem Nachlaß. Der Student schreibt über die "Literatengruppe Jung Wien" und dramatisiert in Avenarius' "Kunstwart" den Gegensatz zwischen "Kultur und Zivilisation". Trotz der Teilnahme am pazifistischen Forte-Kreis fordert er 1914 die Selbsthingabe für den deutschen Kulturstaat.
Einige Texte schreibt er für jüdische Organe, andere für protestantisch geprägte Kulturzeitschriften. In der "ständigen Kultur-Kommission" des Zionistischen Weltkongresses plant er die "ästhetische Erziehung des Volkes". Zugleich engagiert er sich für eine Ökumene antibürgerlicher Erlöser aus allen Konfessionen. Mit katholischen Modernisten und protestantischen Religionsreformern will er durch "Mystik" die Entzweiungen von Leben, Fühlen und Denken überwinden. Die Einheit von Gott und Seele, Transzendenz und Innerlichkeit wird zum Symbol allumfassender Gemeinschaft. Mystische Introspektion dient als Gegenpol zu dem als kalt und sinnlos erlittenen okzidentalen Rationalismus.
Die Werkausgabe wird die Texte in 21 thematisch komponierten Bänden präsentieren, die jeweils chronologisch gegliedert sind. Die inhaltlichen Kriterien des Aufbaus der Ausgabe bleiben unklar. Weshalb sind Bubers Bar-Mizwah-Rede und eine 1892 gehaltene Rede zur Bar-Mizwah eines Freundes in den "Frühen kulturkritischen und philosophischen Schriften" dokumentiert? Gehören sie nicht zu den "Frühen jüdischen Schriften", also in Band drei?
Auch Martin Tremls ausführliche Kommentare bieten Anlaß zur Kritik. Der Editor überfrachtet die Quellen mit seinen Deutungsangeboten und Spekulationen über Werkphasen. Seine Einleitung bleibt hinter dem Forschungsstand zurück. Treml folgt Paul R. Mendes-Flohrs grundlegender Monographie "Von der Mystik zum Dialog" von 1979, ignoriert aber wichtige neue Arbeiten von Michael Berkowitz, Philip Blom, Gilya G. Schmidt und Avraham Shapira. Er malt sich seinen jungen Buber in verklärenden Pastelltönen. Zwar sieht er die Selbststilisierungen des machtfixierten Intellektuellen, der durch zahllose Briefe seine Wirkung auf Jüngere steuern wollte. Die biologistische Sprache von Blut, heiliger Volksgemeinschaft und Rasse wird jedoch verharmlost. Treml erklärt Bubers Blut-und-Boden-Semantik zur bloß "metaphorischen Redeweise".
Das ist naive Apologetik. Bubers Konstruktion jüdischer Volksgemeinschaft folgt den üblichen Mustern des modernen Nationalismus. Mit den Studien zum Chassidismus will er ein überzeitliches Wesen des Judentums identifizieren, das sich trotz aller Zerstreuung in der Diaspora durch neue unbedingte Tathandlungen aktualisieren läßt. "Das Blut" wird zur "tiefsten Machtschicht der Seele" hypostasiert, um letzte Seinsbindungen zu erschließen, die dem reflektierend sich vereinzelnden Ich immer schon vorgegeben sind. Zum nationalistischen Ideologen wird Buber keineswegs erst im August 1914, als er Deutschlands Kulturkrieg pathetisch als Anbruch der ersehnten "Weltenwende" feiert. Schon seit 1904 beschwört er eine Sinnstiftung durch Leid und Selbstopfer. Seine jungjüdischen Helden ziehen "einen schönen Opfertod in letzter Anspannung des Lebens" bürgerlicher Behaglichkeit und schneller Triebbefriedigung vor.
Die existentialistische Aufladung des Begriffs "jüdischer Einheit" ähnelt vielen anderen Mobilisierungstheologien um 1900, in denen sich sinnhungrige Intellektuelle zu Unheilspropheten über die Gegenwart und messianischen Kündern eines nachbürgerlichen Reiches Gottes stilisieren. Der junge Buber nimmt für sich esoterisches Spezialwissen über den von Gott gefügten Gang der Geschichte in Anspruch und berauscht sich an Erlebnissen unbedingter Transzendenz. Seine "Melancholie menschlicher Endlichkeit" zeugt von der Einsamkeit des Intellektuellen. Die frühen Texte spiegeln neben elementarer Verunsicherung eine verzweifelte Suche nach seelischer Gemeinschaft. Angesichts der "transzendentalen Obdachlosigkeit" (Georg von Lukacs) des modernen Menschen will Buber eine entzauberte Welt wieder mit metaphysischem Gehalt erfüllen. Ist auch die Ich-Du-Philosophie der frühen zwanziger Jahre nur ein Reflex der Traumata des jungen Juden, trotz rastloser Bildung ein Außenseiter zu bleiben?
Nach der erzwungenen Emigration diskutierte Buber mit Werner Kraft 1959 über Nietzsches Rede vom Tode Gottes. Den Zarathustra beurteilte er nun skeptisch. "Ich wies auf Nietzsches Einsamkeit hin, in welcher ein Mensch sich wohl überschreien könne", berichtet Werner Kraft. "Er sagte, alle großen Philosophen von Plato bis Kant seien einsam gewesen, aber still." Der junge Buber konnte nicht still bleiben. Tief verletzt schrie er laut nach Sinn, um sich aus seiner Einsamkeit zu erlösen. Doch statt messianischer Hoffnung fand er nur kulturreligiösen Erlebnisrausch und nationalistische Betäubung.
FRIEDRICH WILHELM GRAF.
Martin Buber: "Werkausgabe". Band 1: Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1898-1924. Bearbeitet, eingeleitet und kommentiert von Martin Treml. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 396 S., geb., 84,-
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tim B. Müller hält die von Martin Treml herausgegebenen und ausführlich eingeleiteten frühen kulturkritischen Schriften Martin Bubers schlicht für ungenießbar. Zu schwülstig, pathetisch, geschwätzig und kitschig kommen ihm Bubers Texte daher. Obwohl Buber heftig gegen das "Modephänomen" Nietzsche polemisierte, sieht Müller in ihm das beste Beispiel für die Nietzsche-Mode um 1900. Buber nehme in den Frühschriften eine beinahe unerträgliche Nietzsche-Pose ein, die jeden nüchternen Betrachter überfordere. Müller zeigt in seiner Besprechung einen Buber, der - ständig auf religiöser Sinnsuche - von einem jugend- und lebensbewegten Kreis in den nächsten taumelt, im Prophetenton einen "aristokratischen Radikalismus" predigt, eine ästhetische Weltanschauung propagiert, um sich schließlich ganz zu einer heillosen Kriegsbegeisterung zu versteigen. Nur manchmal, "unter dem ganzen Schutt einer schwülstigen Nietzsche-Imitation", tritt für Augenblicke eine "zarte Schönheit" hervor, so Müller abschließend, "die ahnen lässt, warum einst der frühe Buber gelesen wurde".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH