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Der in zweiter Auflage vorliegende erste Band der Feuerbach-Werkausgabe enthält die Frühschriften des Philosophen: die lateinisch verfasste Habilitation "De ratione, una, universali infinita" von 1828 mit deutscher Übersetzung im Paralleldruck und mit den Textabweichungen der handschriftlich eingereichten Schrift sowie die "Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" von 1830 mit einem auf das Handexemplar Feuerbachs bezogenen Textvergleich, den Vorabdruck aus dem 51. Kapitel "Darstellung des Ursprungs des Bösen nach Jakob Böhme" aus der "Geschichte der neuern Philosophie" (Band 2 dieser Edition)…mehr

Produktbeschreibung
Der in zweiter Auflage vorliegende erste Band der Feuerbach-Werkausgabe enthält die Frühschriften des Philosophen: die lateinisch verfasste Habilitation "De ratione, una, universali infinita" von 1828 mit deutscher Übersetzung im Paralleldruck und mit den Textabweichungen der handschriftlich eingereichten Schrift sowie die "Gedanken über Tod und Unsterblichkeit" von 1830 mit einem auf das Handexemplar Feuerbachs bezogenen Textvergleich, den Vorabdruck aus dem 51. Kapitel "Darstellung des Ursprungs des Bösen nach Jakob Böhme" aus der "Geschichte der neuern Philosophie" (Band 2 dieser Edition) und die Schrift "Abälard und Héloise oder Der Schriftsteller und der Mensch" von 1834. Das aus Anlass dieser Auflage neu gefasstes Vorwort von Werner Schuffenhauer zur Gesamtausgabe wurde vor allem im Hinblick auf neuere Aufschlüsse zu Feuerbachs Leben und Wirken überarbeitet und erweitert.
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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Philosophie ist unpopulär
Moralischer Materialismus nach Ludwig Feuerbach
Mehr als fünfzig Jahre lang galt der Nachlass Ludwig Feuerbachs als verschollen. Der Letzte, der die unveröffentlichten Schriften, Briefe, Exzerpte gesehen hatte, war der finnische Philosoph Wilhelm Bolin, der gemeinsam mit dem Prager Dozenten Friedrich Jodl zwischen 1903 und 1911 „Ludwig Feuerbachs Sämtliche Werke” herausgab. Darin wurden einige bedeutende, bis dato unbekannte Texte aufgenommen, aber von einer systematischen Aufarbeitung des Nachlasses konnte nicht die Rede sein wie überhaupt der Vergleich mit den Handschriften zu wünschen übrig ließ. Woher Bolin die neuen Texte hatte, wurde nicht übermittelt.
1956 entdeckte der Berliner Philosophiehistoriker Werner Schuffenhauer die schriftlichen Hinterlassenschaften Feuerbachs in der Universitätsbibliothek München. Sie lagen, teils zu Faszikeln gebündelt oder in Kapseln gesteckt, in einem schweinsledernen Koffer, den Feuerbachs Tochter Eleonore kurz vor ihrem Tod nach München übereignet hatte. Schuffenhauer kam zugute, dass just zum Zeitpunkt seiner Suchaktion kriegsbedingt ausgelagerte Bestände an die Universität zurückgebracht worden waren, darunter jener mysteriöse Koffer. Dieser nachlässige Umgang mit diesem Erbteil der klassischen deutschen Philosophie war wohl dem Umstand geschuldet, dass das Interesse an dem zwischen Hegel und Marx stehenden Gelehrten, nachdem die „Werke” vorlagen, erst einmal befriedigt war. Abträglich wirkten wohl auch eine Reihe von Klischees, die Feuerbach von der Nachwelt angedichtet wurde. Zum Beispiel galt er im Osten als bloßer Vorläufer des historischen Materialismus und war gerade deswegen im Westen nicht gefragt. Niemand kam auf die Idee, dem Religionskritiker neue Seiten abzugewinnen.
Urspung des Bösen
Dann regte der erwähnte Fund den Berliner Akademie Verlag zu einer Neuedition der „Gesammelten Werke” an: möglichst vollständig und textgenau. Seit den sechziger Jahren wird an der Ausgabe gearbeitet. Jetzt liegen zwei von geplanten vier Nachlassbänden vor. Sie umfassen die erste Phase (1829–1832) von Feuerbachs Wirken an der Universität Erlangen. Er war gerade 24 Jahre alt, als er zum Privatdozenten berufen wurde. Schon im ersten Semester las er über Descartes und Spinoza, dann über Logik und Metaphysik. Ein glanzvoller Start. Trotzdem waren die Erlanger Jahre für den jungen Feuerbach eine schwierige Zeit. Er hatte sich mit seiner 1830 in Nürnberg anonym gedruckten Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit” verdächtig gemacht, gottes- und pfaffenlästerliche Ansichten zu verbreiten. In Berlin war er deswegen von der preußischen Geheimpolizei verhört worden. Und in Erlangen, wo sich eine gegenaufklärerische Tendenz breit gemacht hatte, setzte sich die Bedrängnis fort. 1836, während seiner zweiten Schaffensphase an der dortigen Universität, verbot die Theologische Fakultät ihren Studenten, die Kollegien des widerborstigen Philosophen zu besuchen.
Einer der Bände beinhaltet Manuskripte, die Feuerbach für seine Vorlesungen „Einleitung in die Logik und Metaphysik” und „Geschichte der Philosophie in bezug auf Logik und Metaphysik” angefertigt hat, sowie die Opponentenrede „Über das Böse und seinen Ursprung”. Feuerbach hat dem Themenkomplex Gut – Böse in seiner leider nur fragmentarisch ausgearbeiteten Ethik große Aufmerksamkeit gewidmet. Heute, vor dem Hintergrund der Terroranschläge auf die USA, erscheint die damalige Debatte plötzlich in einem sehr gegenwärtigen Licht.
1828 hatte der Theologe Adolph von Harleß Feuerbach gebeten, bei der Verteidigung seiner Dissertation zu opponieren. Der sonst eher zurückhaltende, selten polemische Feuerbach widerlegt in dieser brillanten Rede mit einem Feuerwerk streng logischer Schlüsse die Ansicht von Harleß‘, das Böse trete „von außen in die Menschenseelen ein”, quasi als das Unverstehbare, Teuflische, und sei „dem Guten entgegengesetzt”. Feuerbachs Antwort: Das Böse ist „die Einheit von Wille und Natur, das Gute die Differenz, ja sogar auf gewisse Weise der Widerstreit”. Adolph von Harleß hält er entgegen: „Wenn du nun behauptest, daß das Gute sich zum Schlechten hin verändern könne, dann bleibt dir nichts übrig, als zuzugeben, daß den Teufel keine Schuld daran trifft, daß sich das Gute verändert. Denn was immer sich verändert, verändert sich nur durch sich selbst.” Folglich sei das Böse durch das Gute verursacht. Weil das Gute unterscheidet, ist es „Quell und Ursprung von Streit und Krieg”.
Ein Jahr nach der Opponentenrede scheint die Thematik in den Vorlesungen über Logik und Metaphysik wieder auf. Dort beklagt sich Feuerbach, in der bisherigen Betrachtungsweise werde das Böse „herausgerissen aus allem Zusammenhange”. Es sei, wie das Gute und wie der Mensch überhaupt, in der Theologie nur eine abstrakte Vorstellung. Dadurch sei es wahrlich unbegreiflich. Denn „der vorgestellte Mensch ist ja nicht; er widerspricht der konkreten Natur des Menschen und der Wirklichkeit”. Feuerbach pocht auf die Realität und macht den Menschen als sinnliches Wesen zum Gegenstand der Philosophie: „Der wirkliche Mensch ist der, in dem das Gute nicht vom Bösen, der Kampf, der Schmerz nicht von Lust und Freude getrennt ist; und nur ein solcher Mensch kann wirklich sein.” Gut oder böse oder beides in einem – ein immerwährend aktueller Streit. Ein „Reich des Bösen”, beispielsweise, gibt es in Feuerbachs Diktion nicht; sich ein solches vorzustellen ist seiner Logik gemäß reine Theologie.
Bereits in diesen frühen Äußerungen liegen die Keime dessen, woran sich Feuerbachs anthropologischer Materialismus der späteren Jahre auskristallisiert. Die Kontroversen über Wesen und Ursprung des Bösen beflügeln ihn, den christlichen Idealismus hinter sich zu lassen, letztlich die Theologie in Natur- und Menschenlehre aufzulösen, und es ist interessant zu verfolgen, wie er seine Gedanken entwickelt, erweitert, sich allmählich von Hegel lossagt.
Gleiches gilt für die Philosophiegeschichte. Feuerbach ist der Ansicht, dass die Beschäftigung mit Philosophiegeschichte selbst schon Philosophie ist. Das sagt Hegel auch, aber Feuerbach nimmt es ernst. Während Hegel Philosophiegeschichte betreibt, um sein Kategoriensystem zu begründen, das er für den Gipfelpunkt des Denkens hält und als Maßstab an die Offenbarungen der Vordenker anlegt, ist Feuerbach, obwohl noch Hegelianer, ein Suchender. Für ihn ist der Weg der Philosophie offen. In der „Vorlesung über Logik und Metaphysik” betont er, dass er Hegels Logik „in freier Art und Manier vortrage...nicht in der Bedeutung der letzten und obersten Wissenschaft”.
Insofern sind die Erlanger Vorlesungen Schreitübungen in die Selbständigkeit Feuerbachschen Philosophierens. Man kann daran die schöpferische Aufarbeitung eines genialen, aber als ungenügend empfundenen Erbes lernen. Feuerbach sagt im Vorwort zur ersten Gesamtausgabe (1845), er habe in den historischen Schriften unter fremden Namen eigene Gedanken ausgesprochen. So kommt es, dass die scheinbar nur reflexiven Betrachtungen Elemente des Aufbrechens der Hegelschen Metaphorik enthalten. Die materialistischen Anschauungen, noch unter dem Deckmantel des Pantheismus formuliert, sind ebenso immanent wie die atheistischen und ethischen Konsequenzen, die daraus gezogen werden.
Dass Feuerbach in seinem Bemühen, das Allgemeingültige zu erkennen (worin er die Aufgabe der Philosophie sieht), gegen mannigfache Vorurteile angehen musste, liegt in der Natur der Sache. Dabei erschließen sich interessante Parallelen zur noch gegenwärtigen „Beliebigkeitsdebatte”, die zwischen postmodernen Geisteswissenschaftlern und Naturforschern geführt wurde und sich um die Frage dreht, ob Wahrheit erkennbar sei, ja ob es überhaupt feststehende Wahrheiten gebe.
Auch zum „kritischen Standpunkt” der Vernunftszweifler hat Feuerbach sich geäußert. Er antwortet mit einem logischen Argument: Eine Kritik an der Erkennbarkeit der Wahrheit ist unsinnig, weil eine Einschätzung des Weges zur Erkenntnis die Kenntnis der Wahrheit voraussetzt. Feuerbach konstatiert, es sei eines der größten Missverständnisse des Geistes und der Vernunft, „wenn man ihm bestimmte Fähigkeiten und ein bestimmtes Maß derselben zuschreibe”. Zwar könne sich der Mensch durch die (falsche) Vorstellung von einer Sache unfähig machen, das Wahre zu erkennen, „aber er ist es nicht”. Denn der Geist ist „die unerschöpfliche Fähigkeit von Fähigkeiten”.
Und das empirische Argument: „Allerdings ist die Wahrheit für uns unerkennbar, wenn wir glauben, daß sie es ist.” Ein Künstler stelle gewiss auch nicht, bevor er ein Werk beginnt, eine Untersuchung seiner Fähigkeiten und Kräfte an. Wer den Trieb nach Wahrheit „und dem Denken als seinem Organ” hat, habe die Frage nach dem Vermögen schon beantwortet.
Beispiele aus dem Alltag
Feuerbachs Schriften zeigen bereits Ansätze einer Literarisierung von Philosophie, die mit Kierkegaard und Nietzsche ihren Höhepunkt fand. Dann wieder gibt es Passagen äußerster Gedankendichte, insbesondere in den „Vorlesungen über Logik und Metaphysik” (Band 14). Das muss man sehr konzentriert lesen. In den hier erstmals veröffentlichten „Vorbemerkungen” gesteht denn Feuerbach auch: „Philosophie ist unpopulär.” Er hat sich in öffentlichen Vorträgen, so im Heidelberger Rathaussaal, und durch Betrachtung von Beispielen aus dem Alltagsleben bemüht, philosophische Zusammenhänge verständlich zu vermitteln, von seinen Studenten jedoch fordert er „denkende unbedingte Hingebung, nicht eitles, außer der Sache sich ihr gegenüberstehendes Urteil”. Die Vorlesungstexte sind also auch von methodischem Interesse.
Der originäre Gewinn gegenüber der Hegelschen Logik besteht darin, dass Feuerbach stärker als der verehrte Lehrer die Logik als eine Seinslehre interpretiert. Im letzten, neu aufgenommenen Text – „Qualität, Wesen, intensive Größe, Sein” – finden sich dazu wunderbare, an Feuerbachs Neigung zum Aphorismus erinnernde Sätze: „Das bloße Sein ist ein bedeutungsloses Sein, Bedeutung hat es erst in der Schranke.” – „Der Begriff der Schranke, der Beraubung des Seins ist in Wahrheit der Begriff der Qualität.” – „ Lust ist Gefühl der Schranke in der Aufhebung der Schranke; ohne Schranke kein Gefühl.” Feuerbach ist mehr als das, was wir bisher von ihm hielten.
GERT LANGE
LUDWIG FEUERBACH: Gesammelte Werke. – Band 13, Nachlaß I. Erlanger Vorlesungen, Einleitung in die Logik und Metaphysik sowie zur Geschichte der Philosophie. – Band 14, Nachlaß II. Erlanger Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Akademie Verlag, Berlin 2001. 379 und 558 Seiten, 97,40 und 126,74 Mark.
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