Eigentlich führt Raquel ein recht durchschnittliches Mädchenleben. An ihrem zwölften Geburtstag wird sie zum ersten Mal richtig geküsst. Mit dreizehn hat sie ihren ersten Freund. Mit vierzehn lernt sie den drei Jahre älteren Noa kennen.
Doch dann trennen sich die beiden nach zweieinhalb Jahren plötzlich und für Raquel beginnt ein Reigen der sexuellen Abenteuer. Sie verführt den besten Freund ihres Ex und den Freund einer Freundin.
In einem Club schleppt sie einen kolumbianischen Musiker ab, der sie zu Tode langweilt. Im Urlaub schläft sie mit einem griechischen Barbesitzer. Sie verliebt sich in Julian, ihren Nachbarn, doch verbirgt erst einmal ihre Gefühle vor ihm.
Sie lässt sich von einem 28-Jährigen nach Strich und Faden ausnutzen. Sie sucht sich Männer, von denen sie weiß, dass diese sie nicht lieben werden
Doch insgeheim denkt Raquel über den Mann ihrer Träume nach: Ob er gerade die Spinnen an der Decke zählt oder wie sie auf dem Balkon sitzt, eine Zigarette nach der anderenraucht und mit überdimensionalen Kopfhörern sentimentale Indie-Musik hört?
Ein einfühlsamer und erfrischend offener Erstlingsroman einer jungen Berliner Autorin.
Doch dann trennen sich die beiden nach zweieinhalb Jahren plötzlich und für Raquel beginnt ein Reigen der sexuellen Abenteuer. Sie verführt den besten Freund ihres Ex und den Freund einer Freundin.
In einem Club schleppt sie einen kolumbianischen Musiker ab, der sie zu Tode langweilt. Im Urlaub schläft sie mit einem griechischen Barbesitzer. Sie verliebt sich in Julian, ihren Nachbarn, doch verbirgt erst einmal ihre Gefühle vor ihm.
Sie lässt sich von einem 28-Jährigen nach Strich und Faden ausnutzen. Sie sucht sich Männer, von denen sie weiß, dass diese sie nicht lieben werden
Doch insgeheim denkt Raquel über den Mann ihrer Träume nach: Ob er gerade die Spinnen an der Decke zählt oder wie sie auf dem Balkon sitzt, eine Zigarette nach der anderenraucht und mit überdimensionalen Kopfhörern sentimentale Indie-Musik hört?
Ein einfühlsamer und erfrischend offener Erstlingsroman einer jungen Berliner Autorin.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.01.2009Hier ist das Fleisch nicht Wort geworden
Hintern im Mondlicht: Seit „Feuchtgebiete” sind Mädchensexbücher so erfolgreich, dass es jetzt sogar eine extra Verlagsreihe dafür gibt
Es sind die Frauen, die lesen, das ist bekannt. Allerdings bekommen die Frauen nicht immer das, was sie lesen wollen. Junge Frauen zum Beispiel lesen gerne Romane über Sex aus der Sicht von jungen Frauen, sagt zumindest Jennifer Hirte vom Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Davon gebe es allerdings viel zu wenige, und schon gar keine guten. Schwarzkopf & Schwarzkopf will diese Lücke nun mit einer eigenen Reihe schließen. Sie trägt den etwas hausbackenen Namen Anais und wird bestückt von Frauen zwischen 18 und Mitte 30, die über Sex und Erotik schreiben. Vier Romane sind gerade herausgekommen, zwei von deutschen Autorinnen, zwei Lizenzen. Weitere acht Bücher folgen im Frühjahr.
Die Bücher handeln von jungen Frauen, die Adele, Julia oder Raquel heißen und Sex mit dem Handwerker, einem Transsexuellen, dem besten Kumpel, der Nachbarin, einer Domina oder allen zusammen haben. Es kommen Peitschen, Wachskerzen, Schlagsahne, Wäscheklammern, Seidenschals, Intimpiercings und schwarze Riesendildos vor, und es geht zum Beispiel darum, dass Lippen aussehen „wie pralle, reife Beeren” oder „sein Schwanz im Takt mit ihrer viel zu lange schon vernachlässigten Muschi pochte”.
Nicht, dass das uninteressant wäre. Im Roman „Spieler wie wir” von Cornelia Jönsson, in dem sich eine junge Frau namens Pauline in der Sado-Maso-Szene umtut, erfahren wir zum Beispiel, dass Sadomasochisten kaum One-Night-Stands haben. In der kurzen Zeit eines One-Night-Stands könnten sich nämlich nicht die für S/M-Spiele erforderlichen Machtverhältnisse ausbilden. In Rebecca Martins „Frühling und so” begleiten wir eine 18-Jährige, die den besten Freund ihres Ex-Freundes verführt, außerdem den Freund ihrer Freundin, einen griechischen Barbesitzer, und einen kolumbianischen Musiker. Eine Köchin, die nichts anbrennen lässt, ist wiederum die Hauptfigur von Anna Clares Roman „Adele hat den schönsten Mund”. Und in der Geschichtensammlung „Lara, Jill & Lea” von Jaci Burton, Shannon Stacey und Ann Wesley Hardin nimmt jemand an einer Benefizveranstaltung teil, „bei der es darum ging, wie viele Stunden man masturbiert”.
Verantwortlich für das Programm von Anais ist Jennifer Hirte. Sie hat eine Magisterarbeit über Frauen und Selbstbefriedigung geschrieben und war bei Schwarzkopf & Schwarzkopf für die Lizenzen zuständig, ehe sie die Erotik-Schiene übernahm. Ihr Büro befindet sich in der Berliner Kastanienallee, die wegen des sich hier darbietenden Kreativprekariats auch Castingallee genannt wird. Auch sonst hat Jennifer Hirte einiges zu erzählen. Erotische Literatur sei seit etwa 2005 ein Wachstumsmarkt. In Großbritannien betreibt ein Verlag wie Virgin Books drei Imprints für erotische Romane, darunter eines, das sich speziell an junge Leute richtet. In Amerika, einem Land der Vielleserinnen und -schreiberinnen erotischer Romane, würden die Bücher überhaupt gleich im Supermarkt verkauft. Vor allem Frauen bestreiten dieses Genre, die paar männlichen Autoren, die es gibt, legen sich stets ein weibliches Pseudonym zu.
Inhaltlich dominierten die längste Zeit historische Geschichten im Gothic-Gewand, Werwölfe und Aliens, „vermutlich weil Aliens mehr Schwänze haben und man als Werwolf länger kann”, sagt Hirte. Wenn es ein wenig hipper zugehe, handle es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben, „und auf den Covern dieser Bücher sind immer Silhouetten von einem Hintern im Mondlicht”. Den Hintern im Mondlicht will Anais nun etwas „Jüngeres und Cooleres” entgegensetzen. „Aufregende Storys, komplexe Charaktere und vielfältige Neigungen” verspricht der Verlagsprospekt (auf dessen Cover eine nackte Schulter auf einer Blumenwiese zu sehen ist).
Wie man das Genre erfolgreich sprengt, hat Charlotte Roche mit „Feuchtgebiete” bewiesen, dem bestverkauften Buch des Jahres 2008. Junge Frau plus Sex plus schmutzige Dinge – das gilt auf dem Literaturmarkt seither als eine Art Zauberformel, die man sich nur zunutze machen muss. In welches Verlagsprogramm man blickt, es findet sich immer eine junge Frau, die aus ihrem Sexleben erzählt. Bei Ullstein ist das Buch „Fucking Berlin – Studentin und Teilzeithure” erschienen, Kiepenheuer und Witsch (das ist der Verlag, der „Feuchtgebiete” einst ablehnte) bringt jetzt den Titel „Bitterfotze” heraus. Neues Sexspiel, neues Glück.
Und was macht einen guten erotischen Roman aus? Jennifer Hirte nennt drei Dinge: „eine interessante Protagonistin, einen nachvollziehbaren männlichen Charakter und eine eigene Sprache.” Interessante Protagonistin, nun ja, da wäre Lara aus der gleichnamigen Erzählung von Jaci Burton: „Himmel, wie schön sie war. Die Bluse offen, die Brüste bloß . . . und der Rock war weit aus der Bluse gerutscht.” Die männlichen Charaktere sind allerdings extrem nachvollziehbar. „Allein beim Gedanken, wie sich sein Schwanz in ihre enge, heiße Höhle bohrte, wurden seine Eier hart und waren kurz vorm Explodieren.” Die eigene Sprache, die Hirte einfordert, ist dagegen ein echtes Problem der Reihe. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt. Spätestens beim fünften „hämmernden Schwanz”, der in eine „schmatzende Muschi fährt”, wird einem klar, warum das Medium der Pornographie nun mal das Bild ist. Bei Anais ist das Fleisch jedenfalls nicht Wort geworden.
Ganz gut hat das noch Cornelia Jönsson in „Spieler wie wir” hingekriegt. Ob sich da eine Frau bei einer Freundin ausheult, weil ihr Lebensgefährte eine andere Frau „begurkt” hat („Aber ich will auch eine begurkte Möse haben!”) oder die Wohnung vor dem Besuch der Mutter „entsext” werden muss („Gut, Peitschen und Handschellen müssen weg. Aber was ist beispielsweise mit Kochlöffeln?”) – Jönssons Sado-Maso-Welt entbehrt nicht der sprachlichen Komik. Und die Zeit zwischen den ermüdend langen Sexszenen nützt Jönsson, um sich dem Milieu Kreuzberger Akademiker in der Midlife-Crisis zu widmen. Jönsson beschreibt die depressiven Erben der sexuellen Revolution, die nicht wissen, ob sie nun ausgepeitscht werden wollen oder doch lieber zum Yoga.
Ansonsten kann man schwer sagen, was die Anais-Romane erzählen wollen. Anders als in den „Feuchtgebieten”, deren urwüchsige Sexualpraktiken in eine Art Zurück-zur-Natur-Diskurs eingebettet waren, steht Sexualität in den Anais-Romanen für nichts. Sie ist kein Spiegel von Machtverhältnissen, dazu sind die Romane zu harmlos. Es geht auch nicht um die Emanzipation weiblichen Begehrens, die Protagonistinnen sind allesamt erotische Alphamädchen, die sich nehmen oder sich nehmen lassen. Sex hat man, weil es sich gerade ergibt. Vielleicht ist das ja die Botschaft des neo-erotischen Romans: Dass weibliche Sexualität gar nichts transportieren muss, sondern für sich selbst stehen kann.
Das geht dann so: Junge Frau trifft einen Busfahrer und hat Sex; junge Köchin schnappt sich einen Bisexuellen in der Restaurantküche und wird fast erwischt; junge Frau hat Sex auf einem Autositz und klemmt dabei fest. Sex ist für jede dieser jungen Frauen eine Art Abenteuer, das es zu bestehen gilt. Am Ende geht sie (sexuell) gestärkt daraus hervor, vielleicht wird eines Tages auch geheiratet. Und mit einem Mal wird einem klar, warum sich dieses Genre an junge Frauen richtet. Die Geschichten erinnern einen an die naive Fröhlichkeit von Pony-Romanen. Nur dass das Mädchen nicht mit seinem Pferd durch Dick und Dünn geht, sondern mit dem Klempner oder Busfahrer durch Peitschensex und Gruppenorgasmen. Schon die Titel klingen wie die Fortsetzung von Wendy- und Conny-Büchern: „Anna und ihre Männer”, „Lucy früh am Morgen”, „Charlottes heißer Sommer”.
„Ich lauere Ida vor der Badezimmertür auf und mein Leben ist ein rosa-silber Barbieglitzer-Pony”, heißt es in Rebecca Martins Roman „Frühling und so.” Rebecca Martin ist eine 18-jährige Abiturientin aus Berlin-Kreuzberg und hat noch das interessanteste Mädchensexbuch geschrieben. Es geht um junge Leute in Berlin, die von Party zu Party ziehen, ständig miteinander telefonieren und sämtliche Codes des Großstadtlebens kennen. So sicher sich diese Jugendlichen durch die unterschiedlichsten Subkulturen bewegen, so verloren wirken sie auf der anderen Seite. Sex ist etwas, das sich ergibt oder auch nicht, so wie man eine Einladung zu einem Casting bekommt oder sich auf einer Party betrinkt. „Dann tanze ich mit Tobias. Vielleicht flirte ich mit Tobias, so genau weiß ich das nicht. Jedenfalls sagt er irgendwann: ‚Das geht nicht, ich habe eine Freundin‘ . . . und ich antworte irgendetwas Blödes wie: ‚Okay dann tanzen wir halt‘, weil ich einerseits enttäuscht bin, andererseits sowieso nicht existiere.”
Anders als es in den meist lüsternen Porträts der jungen Autorin zu lesen war, stellt Rebecca Martin Sexualität nicht in den Vordergrund. „Frühling und so” ist das Porträt einer Jugend, die von ihren Eltern alle Freiheiten bekommen hat und trotzdem nicht aus ihrer Haut kann. Sex ist nur eine von vielen verschiedenen Möglichkeiten, sich dem behüteten Leben für einen Moment zu entziehen. Der Schlüsselsatz lautet: „Wenn ich dagegen Dinge unternehme, die aus dem Alltag herausfallen, einen Film drehen zum Beispiel, an einem Workshop teilnehmen, eine Reise machen, mit einem Mann schlafen – ja, mit Männern schlafen gehört auch dazu –, bilde ich mir ein, glücklich zu sein.” Rebecca Martins Debüt wird ihre weibliche Zielgruppe finden. Und wenn es nur Mütter sind, die wissen wollen, wie ihre jugendlichen Töchter ticken. VERENA MAYER
Wenn es hipper zugeht, handelt es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben.
Die eigene Sprache ist ein echtes Problem. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt.
Die Soziologie war in den sechziger Jahren eines der beliebtesten Studienfächer und auch der Schulabbrecher Jerry Berndt war fasziniert. Statt ein Studium zu absolvieren, wurde er Fotograf. In den Kaschemmen des Rotlichtviertels von Boston entstand der Kern einer Arbeit, die das Fotozentrum C/O Berlin nun als erste eigene Buchpublikation herausgab (JERRY BERNDT: „Insight”, Steidl Verlag, Göttingen 2008, 248 Seiten, 42 Euro, die gleichnamige Ausstellung läuft bis 15.2., Info: www.co-berlin.info). Berndts Blicke in die Nacht sind heftig und schließen die Lücke zwischen Robert Franks „Americans” und Larry Clarks „Tulsa”. eye
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Hintern im Mondlicht: Seit „Feuchtgebiete” sind Mädchensexbücher so erfolgreich, dass es jetzt sogar eine extra Verlagsreihe dafür gibt
Es sind die Frauen, die lesen, das ist bekannt. Allerdings bekommen die Frauen nicht immer das, was sie lesen wollen. Junge Frauen zum Beispiel lesen gerne Romane über Sex aus der Sicht von jungen Frauen, sagt zumindest Jennifer Hirte vom Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Davon gebe es allerdings viel zu wenige, und schon gar keine guten. Schwarzkopf & Schwarzkopf will diese Lücke nun mit einer eigenen Reihe schließen. Sie trägt den etwas hausbackenen Namen Anais und wird bestückt von Frauen zwischen 18 und Mitte 30, die über Sex und Erotik schreiben. Vier Romane sind gerade herausgekommen, zwei von deutschen Autorinnen, zwei Lizenzen. Weitere acht Bücher folgen im Frühjahr.
Die Bücher handeln von jungen Frauen, die Adele, Julia oder Raquel heißen und Sex mit dem Handwerker, einem Transsexuellen, dem besten Kumpel, der Nachbarin, einer Domina oder allen zusammen haben. Es kommen Peitschen, Wachskerzen, Schlagsahne, Wäscheklammern, Seidenschals, Intimpiercings und schwarze Riesendildos vor, und es geht zum Beispiel darum, dass Lippen aussehen „wie pralle, reife Beeren” oder „sein Schwanz im Takt mit ihrer viel zu lange schon vernachlässigten Muschi pochte”.
Nicht, dass das uninteressant wäre. Im Roman „Spieler wie wir” von Cornelia Jönsson, in dem sich eine junge Frau namens Pauline in der Sado-Maso-Szene umtut, erfahren wir zum Beispiel, dass Sadomasochisten kaum One-Night-Stands haben. In der kurzen Zeit eines One-Night-Stands könnten sich nämlich nicht die für S/M-Spiele erforderlichen Machtverhältnisse ausbilden. In Rebecca Martins „Frühling und so” begleiten wir eine 18-Jährige, die den besten Freund ihres Ex-Freundes verführt, außerdem den Freund ihrer Freundin, einen griechischen Barbesitzer, und einen kolumbianischen Musiker. Eine Köchin, die nichts anbrennen lässt, ist wiederum die Hauptfigur von Anna Clares Roman „Adele hat den schönsten Mund”. Und in der Geschichtensammlung „Lara, Jill & Lea” von Jaci Burton, Shannon Stacey und Ann Wesley Hardin nimmt jemand an einer Benefizveranstaltung teil, „bei der es darum ging, wie viele Stunden man masturbiert”.
Verantwortlich für das Programm von Anais ist Jennifer Hirte. Sie hat eine Magisterarbeit über Frauen und Selbstbefriedigung geschrieben und war bei Schwarzkopf & Schwarzkopf für die Lizenzen zuständig, ehe sie die Erotik-Schiene übernahm. Ihr Büro befindet sich in der Berliner Kastanienallee, die wegen des sich hier darbietenden Kreativprekariats auch Castingallee genannt wird. Auch sonst hat Jennifer Hirte einiges zu erzählen. Erotische Literatur sei seit etwa 2005 ein Wachstumsmarkt. In Großbritannien betreibt ein Verlag wie Virgin Books drei Imprints für erotische Romane, darunter eines, das sich speziell an junge Leute richtet. In Amerika, einem Land der Vielleserinnen und -schreiberinnen erotischer Romane, würden die Bücher überhaupt gleich im Supermarkt verkauft. Vor allem Frauen bestreiten dieses Genre, die paar männlichen Autoren, die es gibt, legen sich stets ein weibliches Pseudonym zu.
Inhaltlich dominierten die längste Zeit historische Geschichten im Gothic-Gewand, Werwölfe und Aliens, „vermutlich weil Aliens mehr Schwänze haben und man als Werwolf länger kann”, sagt Hirte. Wenn es ein wenig hipper zugehe, handle es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben, „und auf den Covern dieser Bücher sind immer Silhouetten von einem Hintern im Mondlicht”. Den Hintern im Mondlicht will Anais nun etwas „Jüngeres und Cooleres” entgegensetzen. „Aufregende Storys, komplexe Charaktere und vielfältige Neigungen” verspricht der Verlagsprospekt (auf dessen Cover eine nackte Schulter auf einer Blumenwiese zu sehen ist).
Wie man das Genre erfolgreich sprengt, hat Charlotte Roche mit „Feuchtgebiete” bewiesen, dem bestverkauften Buch des Jahres 2008. Junge Frau plus Sex plus schmutzige Dinge – das gilt auf dem Literaturmarkt seither als eine Art Zauberformel, die man sich nur zunutze machen muss. In welches Verlagsprogramm man blickt, es findet sich immer eine junge Frau, die aus ihrem Sexleben erzählt. Bei Ullstein ist das Buch „Fucking Berlin – Studentin und Teilzeithure” erschienen, Kiepenheuer und Witsch (das ist der Verlag, der „Feuchtgebiete” einst ablehnte) bringt jetzt den Titel „Bitterfotze” heraus. Neues Sexspiel, neues Glück.
Und was macht einen guten erotischen Roman aus? Jennifer Hirte nennt drei Dinge: „eine interessante Protagonistin, einen nachvollziehbaren männlichen Charakter und eine eigene Sprache.” Interessante Protagonistin, nun ja, da wäre Lara aus der gleichnamigen Erzählung von Jaci Burton: „Himmel, wie schön sie war. Die Bluse offen, die Brüste bloß . . . und der Rock war weit aus der Bluse gerutscht.” Die männlichen Charaktere sind allerdings extrem nachvollziehbar. „Allein beim Gedanken, wie sich sein Schwanz in ihre enge, heiße Höhle bohrte, wurden seine Eier hart und waren kurz vorm Explodieren.” Die eigene Sprache, die Hirte einfordert, ist dagegen ein echtes Problem der Reihe. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt. Spätestens beim fünften „hämmernden Schwanz”, der in eine „schmatzende Muschi fährt”, wird einem klar, warum das Medium der Pornographie nun mal das Bild ist. Bei Anais ist das Fleisch jedenfalls nicht Wort geworden.
Ganz gut hat das noch Cornelia Jönsson in „Spieler wie wir” hingekriegt. Ob sich da eine Frau bei einer Freundin ausheult, weil ihr Lebensgefährte eine andere Frau „begurkt” hat („Aber ich will auch eine begurkte Möse haben!”) oder die Wohnung vor dem Besuch der Mutter „entsext” werden muss („Gut, Peitschen und Handschellen müssen weg. Aber was ist beispielsweise mit Kochlöffeln?”) – Jönssons Sado-Maso-Welt entbehrt nicht der sprachlichen Komik. Und die Zeit zwischen den ermüdend langen Sexszenen nützt Jönsson, um sich dem Milieu Kreuzberger Akademiker in der Midlife-Crisis zu widmen. Jönsson beschreibt die depressiven Erben der sexuellen Revolution, die nicht wissen, ob sie nun ausgepeitscht werden wollen oder doch lieber zum Yoga.
Ansonsten kann man schwer sagen, was die Anais-Romane erzählen wollen. Anders als in den „Feuchtgebieten”, deren urwüchsige Sexualpraktiken in eine Art Zurück-zur-Natur-Diskurs eingebettet waren, steht Sexualität in den Anais-Romanen für nichts. Sie ist kein Spiegel von Machtverhältnissen, dazu sind die Romane zu harmlos. Es geht auch nicht um die Emanzipation weiblichen Begehrens, die Protagonistinnen sind allesamt erotische Alphamädchen, die sich nehmen oder sich nehmen lassen. Sex hat man, weil es sich gerade ergibt. Vielleicht ist das ja die Botschaft des neo-erotischen Romans: Dass weibliche Sexualität gar nichts transportieren muss, sondern für sich selbst stehen kann.
Das geht dann so: Junge Frau trifft einen Busfahrer und hat Sex; junge Köchin schnappt sich einen Bisexuellen in der Restaurantküche und wird fast erwischt; junge Frau hat Sex auf einem Autositz und klemmt dabei fest. Sex ist für jede dieser jungen Frauen eine Art Abenteuer, das es zu bestehen gilt. Am Ende geht sie (sexuell) gestärkt daraus hervor, vielleicht wird eines Tages auch geheiratet. Und mit einem Mal wird einem klar, warum sich dieses Genre an junge Frauen richtet. Die Geschichten erinnern einen an die naive Fröhlichkeit von Pony-Romanen. Nur dass das Mädchen nicht mit seinem Pferd durch Dick und Dünn geht, sondern mit dem Klempner oder Busfahrer durch Peitschensex und Gruppenorgasmen. Schon die Titel klingen wie die Fortsetzung von Wendy- und Conny-Büchern: „Anna und ihre Männer”, „Lucy früh am Morgen”, „Charlottes heißer Sommer”.
„Ich lauere Ida vor der Badezimmertür auf und mein Leben ist ein rosa-silber Barbieglitzer-Pony”, heißt es in Rebecca Martins Roman „Frühling und so.” Rebecca Martin ist eine 18-jährige Abiturientin aus Berlin-Kreuzberg und hat noch das interessanteste Mädchensexbuch geschrieben. Es geht um junge Leute in Berlin, die von Party zu Party ziehen, ständig miteinander telefonieren und sämtliche Codes des Großstadtlebens kennen. So sicher sich diese Jugendlichen durch die unterschiedlichsten Subkulturen bewegen, so verloren wirken sie auf der anderen Seite. Sex ist etwas, das sich ergibt oder auch nicht, so wie man eine Einladung zu einem Casting bekommt oder sich auf einer Party betrinkt. „Dann tanze ich mit Tobias. Vielleicht flirte ich mit Tobias, so genau weiß ich das nicht. Jedenfalls sagt er irgendwann: ‚Das geht nicht, ich habe eine Freundin‘ . . . und ich antworte irgendetwas Blödes wie: ‚Okay dann tanzen wir halt‘, weil ich einerseits enttäuscht bin, andererseits sowieso nicht existiere.”
Anders als es in den meist lüsternen Porträts der jungen Autorin zu lesen war, stellt Rebecca Martin Sexualität nicht in den Vordergrund. „Frühling und so” ist das Porträt einer Jugend, die von ihren Eltern alle Freiheiten bekommen hat und trotzdem nicht aus ihrer Haut kann. Sex ist nur eine von vielen verschiedenen Möglichkeiten, sich dem behüteten Leben für einen Moment zu entziehen. Der Schlüsselsatz lautet: „Wenn ich dagegen Dinge unternehme, die aus dem Alltag herausfallen, einen Film drehen zum Beispiel, an einem Workshop teilnehmen, eine Reise machen, mit einem Mann schlafen – ja, mit Männern schlafen gehört auch dazu –, bilde ich mir ein, glücklich zu sein.” Rebecca Martins Debüt wird ihre weibliche Zielgruppe finden. Und wenn es nur Mütter sind, die wissen wollen, wie ihre jugendlichen Töchter ticken. VERENA MAYER
Wenn es hipper zugeht, handelt es sich meistens um Galeristinnen, die sich in einen Künstler verlieben.
Die eigene Sprache ist ein echtes Problem. Das beginnt schon damit, wie man das Ding nennt.
Die Soziologie war in den sechziger Jahren eines der beliebtesten Studienfächer und auch der Schulabbrecher Jerry Berndt war fasziniert. Statt ein Studium zu absolvieren, wurde er Fotograf. In den Kaschemmen des Rotlichtviertels von Boston entstand der Kern einer Arbeit, die das Fotozentrum C/O Berlin nun als erste eigene Buchpublikation herausgab (JERRY BERNDT: „Insight”, Steidl Verlag, Göttingen 2008, 248 Seiten, 42 Euro, die gleichnamige Ausstellung läuft bis 15.2., Info: www.co-berlin.info). Berndts Blicke in die Nacht sind heftig und schließen die Lücke zwischen Robert Franks „Americans” und Larry Clarks „Tulsa”. eye
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