Unterm Novembermond auf dem Kirchhof, zwischen zwei Toten, zwei Opfern der Furcht vor Schande - bei diesem erstickenden Ende bleibt es in Wedekins »Frühlings Erwachen« nicht: es erscheint der "Vermummte Herr", der den Melchior zum Leben verführen will, und es gelingt ihm. Er ist das Leben mit all seinen abenteuerlichen Möglichkeiten, er sagt zu Melchior: "Du lernst micht nicht kennen, ohne dich mir anzuvertrauen", und er zieht Melchior von den Gräbern fort: wenigstens für Melchior erwacht der Lebensfrühling dann doch noch, wenn auch zwischen Toten, in einer Novembernacht. Text in neuer…mehr
Unterm Novembermond auf dem Kirchhof, zwischen zwei Toten, zwei Opfern der Furcht vor Schande - bei diesem erstickenden Ende bleibt es in Wedekins »Frühlings Erwachen« nicht: es erscheint der "Vermummte Herr", der den Melchior zum Leben verführen will, und es gelingt ihm. Er ist das Leben mit all seinen abenteuerlichen Möglichkeiten, er sagt zu Melchior: "Du lernst micht nicht kennen, ohne dich mir anzuvertrauen", und er zieht Melchior von den Gräbern fort: wenigstens für Melchior erwacht der Lebensfrühling dann doch noch, wenn auch zwischen Toten, in einer Novembernacht.
Text in neuer Rechtschreibung. Zu diesem Text gibt es eine Ausgabe in der Reihe Reclam XL - Text und Kontext: XL 19043 Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen.
Frank Wedekind (24.7.1864 Hannover - 9.3.1918 München) arbeitete nach einem angebrochenen Jurastudium als freier Schriftsteller und Schauspieler in Berlin, München und Paris. Als Dramatiker wandte er sich vom naturalistischen und klassizistischen Drama ab, verwendete stattdessen Reihungen von kurzen Szenen, eine expressive lyrische Sprache, groteske Satire und knüpfte so viel mehr an den Sturm und Drang an. Thematischer Schwerpunkt ist die Befürwortung der menschlichen Natur, eines emphatischen Lebens und die Kritik einer gesellschaftlichen Scheinmoral.
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein zeitloses Thema habe Frank Wedekind in seinem Erstlingswerk gewählt, findet Volker Ullrich: die Pubertät. Das um die Jahrhundertwende entstandene Schauspiel klage schonungslos die Folgen von tabubeladenem Umgang mit Sexualität und dem unfreien Aufwachsen in den "Dressuranstalten" der repressiven wilhelminischen Zeit an. Es sterben zwei verzweifelte Jugendliche - die eine an den Folgen einer Abtreibung, der andere begeht Selbstmord, weil er sitzen geblieben ist. Wedekind lässt laut Ullrich keinen Zweifel aufkommen, dass dies als scharfe Anklage gegen die Repressionen jener Zeit zu lesen sei. Die von Wedekind eingeführten Gegenentwürfe in Form einer jungen Muse und einem "vermummten Herrn" seien dann auch das einzig menschliche an dieser von Zwängen und Prüderie verbohrten Gesellschaft, so der Ullrich fasziniert. Eine schonungslose Enthüllung dieser teilweise in "grotesker Überzeichnung" dargestellten, "verknöcherten" Erwachsenenwelt werde hier eindrucksvoll beschrieben, resümiert Ullrich begeistert. Unbedingt lesenswert und wärmstens empfohlen also für die Zeit-Schülerbibliothek.