Die Ich-Erzählerin der Geschichte - Lotte Hohenfeld - zieht den Lesenden in die bizarre Welt der Influencer in den sozialen Medien. Die Geschichte startet mit einem wirklich drastischen Prolog - die gescheiterte (?) Protagonistin wird in einer billigen Kneipe von einer Gruppe junger Menschen
gedemütigt und später fotografiert, wie sie in einer Lache Erbrochenem auf der Straße liegt. Danach wird…mehrDie Ich-Erzählerin der Geschichte - Lotte Hohenfeld - zieht den Lesenden in die bizarre Welt der Influencer in den sozialen Medien. Die Geschichte startet mit einem wirklich drastischen Prolog - die gescheiterte (?) Protagonistin wird in einer billigen Kneipe von einer Gruppe junger Menschen gedemütigt und später fotografiert, wie sie in einer Lache Erbrochenem auf der Straße liegt. Danach wird der Leser in die Vergangenheit mitgenommen und wir erfahren, wie es soweit gekommen ist. Leider wird auf diese (für mich wirklich gut gemachte Szene) im weiteren Verlauf nur noch einmal am Rand eingegangen - ich hatte eigentlich erwartet, dass hier das Ende bereits vorweg genommen wird. Ich muss auch sagen, für mich wäre diese Szene eindeutig der bessere Schluss gewesen als der, den die Autorin uns dann vorsetzt. Zunächst mal muss ich sagen, dass ich das Buch wirklich schnell gelesen habe. Der Stil ist - abgesehen von ein paar Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehlern, die hoffentlich noch redigiert werden - gut lesbar und modern.
Die Geschichte selbst lässt mich nach dem Lesen leider ein bisschen ratlos zurück. Die Beziehungen der Protagonistin, die im Buch skizziert werden, sind praktisch alle problematisch. Da gibt es 2 Freundinnen, die, wenn sie sich zu dritt treffen, nichts anderes tun als die anderen zu verunsichern und manchmal nicht mal besonders subtil unterschwellig zu beleidigen. Eine andere Freundin beneidet Lotte, was dieser zu gefallen scheint, aber auch hier finde ich keine wirkliche Basis oder auch nur das Bemühen, einander nahe sein zu wollen. Die einzige "echte" Freundin, die uns vorgesetzt wird, ist Tessa, eine Schlüsselfigur des Romans. Wir erfahren über sie wenig, sie sieht aus wie Carrie-Anne Moss, ist recht wohlhabend und eine erfolgreiche Hackerin. Sie nimmt sich Lottes an und verwöhnt diese, nennt sie Lottchen, kauft ihr eine teure Decke, damit sie immer bei ihr schlafen kann usw. Lotte nimmt diese Aufmerksamkeit als absolut selbstverständlich an und Ich-bezogen wie sie ist, versucht sie nicht einmal in dem ganzen Roman, Tessa wirklich kennenzulernen. Sie lässt Tessa, die vermutlich wie ich einfach keinen Nerv mehr auf ihr permanentes Gejammer hat, ihr Leben "umkrempeln". Im Jahr 2024 ist das nicht mehr wie in den Teenie Komödien meiner Jugend ein Umstyling, jedenfalls nicht nur, sondern hauptsächlich die Kontrolle über alle Social Media Accounts, das Einstellen einer Content Managerin und das Ankaufen von Followern, Schreiben von Wikipedia Einträgen und Pushen der öffentlichen Person Lotte Hohenfeld. Sehr lange irritierte mich beim Lesen der Untertitel - "wie ich zu einer Million Followern kam und dabei unendlichen Spaß hatte". Also, die Million Follower bekommt die Protagonistin nicht (ganz), nur fast. Aber unendlichen Spaß? Lotte ist fast die ganze Zeit eine absolute Anti-Heldin. Zuerst ist sie wahnsinnig passiv, lässt andere Menschen über alles in ihrem Leben bestimmen und macht einfach nur mit. Das hat mich so sehr genervt, dass ich das Buch erstmal fassungslos zur Seite gelegt habe.
Dann, als sie endlich mal anfängt, selbst Ideen zu haben und nicht nur die ganze Zeit zu lamentieren wie ein kleines, verwöhntes Kind (manche Kapitel sind wirklich sehr schwer zu ertragen), kommt sie nur bedingt weiter damit. Sie gibt vor, eine eigenständige Frau zu sein, aber im Grunde sehnt sie sich die ganze Zeit nach einer anderen Person, die sie an die Hand nimmt und ihr alles abnimmt.
Zudem ist sie auch oft sehr unangenehm - sie beleidigt einen Gastgeber einer Party recht obszön, in dem sie unterstellt, er habe einen "krummen Schwanz". Ein bisschen wird der Tod der Mutter als eine Art Schlüssel zu Lottes schwierigem Charakter präsentiert, eine weitere anscheinend prägende Erfahrung war der Umzug und Kontaktverlust ihrer Grundschulfreundin, in die sie irgendwie verliebt zu sein schien. Beide "Traumata" wirken aber wieder sehr narzisstisch. Es wird NICHT beschrieben, wie schlimm die Mutter gelitten hat (immerhin stirbt sie in einem Hospiz an einer Krebserkrankung), nein, im Vordergrund steht die zu diesem Zeitpunkt immerhin schon 36jährige Lotte, die nun "ohne Mutter sein muss". Die Sache mit der Grundschulfreundin wirkt etwas unausgereift. Wieder - und wie ein roter Faden im ganzen Text - ging es nur um sie. Hin und wieder wirkt es, als sei sie vielleicht lesbisch oder zumindest unglücklich in eine Frau verliebt. Nachdem sie sich von ihrer "Mentorin" beleidigt abwendet - eine sehr unglaubwürdige und nervige Szene - steht sie praktisch ohne Geld und Job da und was ist die Lösung? Die "Beziehung" zu einem einflussreichen Mann, den sie - wieder absolut seltsam - permanent beleidigt und auf keinen Fall als ihren Freund oder Lebensgefährten ansehen will.
Das Ende des Romans wird etwas rasanter. Der Schluss dann aber ist komplett seltsam. Ich fühle mich nach der Lektüre ein bisschen schuldbewusst, als hätte ich zu viel sinnlosen Medienkonsum hinter mir und nicht ein Buch gelesen.