Ein alter Mann beschließt am ersten Todestag seiner Frau, ein Porträt von ihr malen zu lassen. Doch welchem Künstler soll er den Auftrag erteilen? Unentschieden vergibt er den Auftrag gleich mehrmals. Die Begegnungen konfrontieren ihn mit sich selbst und seinem Leben. Hat er seine Frau überhaupt gekannt? Ein hinreißender Liebesroman, voller Wärme und Poesie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.1999Abwehrzauber mit Picasso
Witwer in Not: Agnès Desarthes "Fünf Bilder meiner Frau"
An einem Werk zwischen Himmel und Erde, schwärmte das "Magazin Littéraire", baue die junge Französin Agnès Desarthe. Ihr neuer Roman hat, dem Himmel sei Dank, mehr Erdkontakt als sein Vorgänger, in dem Tote zu leibhaftigen Engeln mutierten und das lebende Personal merkwürdig konturenlos umherflatterte. In der Geschichte des Monsieur Opass, der seine verstorbene Frau porträtieren lässt und dabei zu erstaunlichen Einsichten über seine Ehe gelangt, sind Diesseits und Jenseits, Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und Gegenwart klar voneinander geschieden. Im hellen Licht eindeutiger Verhältnisse bewegt sich die Autorin, die nebenbei sehr realitätsnahe Jugendbücher schreibt, sicherer und ungezwungener als im Nebel gekünstelter Grenzüberschreitungen.
Methusalem Opass, genannt Max, ist ein munterer Pensionär aus dem Kreis ostjüdischer Einwanderer in Paris, in dem Agnès Desarthe auch ihr letztes Buch spielen ließ. Vor Jahresfrist hat der alte Herr seine Gattin Telma beerdigt, aber ihre Seele scheint im Haus noch gegenwärtig: "Als ihm eines Tages beim Geschirrspülen ihre Lieblingstasse zerbrach, hielt er die Hände schützend über den Kopf, wie Kinder es machen, wenn sie Angst vor einer Ohrfeige haben." Er beschließt, "zum Gegenangriff überzugehen" und nach Fotos ein Porträt von Telma anfertigen zu lassen - aus der diffusen Vorstellung heraus, dass ihr unruhiger Geist ihn in Frieden lassen werde, wenn er auf die Leinwand gebannt sei.
Weil er keinen Künstler findet, dem er uneingeschränkt vertraut, erteilt Monsieur Opass den Auftrag gleich mehrmals und macht dabei anregende Bekanntschaften. Angus, einen irischen Vertreter der "concept art", sucht er sich aus dem Telefonbuch; ein Zettel am Anzeigenbrett des Schreibwarenladens führt ihn zu der problembeladenen Sonntagsmalerin Virginie. Im Hof der École des Beaux Arts begegnet er dem Studentenpärchen Frédéric und Marion, das er ebenfalls für sein Projekt anheuert, und schließlich entpuppt sich seine alte Freundin Nina als passionierte Zeichnerin, die eine eigenwillige Version beisteuert.
Alle Bildnisse misslingen, jedes auf seine Weise, und doch hat sich der untote Quälgeist am Ende verflüchtigt: In Erinnerungen und Träumen, ausgelöst durch die Konfrontation mit fremden Lebensgeschichten, ist Max seiner Beziehung zu Telma auf den Grund gegangen und hat festgestellt, dass ihn außer ihrem Duft nichts an sie fesselte. Kein Geringerer als Picasso, auch als Traumgespinst noch an seinen Sprüchen zu erkennen ("Wenn ich bereits malen könnte, warum sollte ich dann malen?"), leitet ihn im Schlaf dazu an, seine Angetraute selbst zu porträtieren, sie zu einem Scheinleben zu erwecken für ein klärendes Gespräch. Nachdem man sich wechselseitig die Meinung gesagt hat, streichelt Telma, "flüchtig wie ein Lufthauch", ein letztes Mal sein Ohr und wird hinfort nicht mehr gesehen.
Verblüffend ist, wie mühelos die im Jahre 1966 geborene Agnès Desarthe sich in die Innenwelt eines Vierundachtzigjährigen versetzt, in seine Abgeklärtheit und Schlitzohrigkeit, in seine Lebensbilanz, in der hartnäckige Selbsttäuschungen und hellsichtige Momente einander die Waage halten. Die Briefe, die Max an seine weit entfernt wohnenden Kinder schreibt, müssen all jene entzücken, die sich schon für Susanna Tamaros Großmutter und ihren Beitrag zur Verständigung zwischen den Generationen erwärmten. Seniorenweisheit, von einfühlsamen Enkelinnen literarisch aufbereitet, scheint im Trend zu liegen. Die französische Autorin legt eine gewinnend unsentimentale Variante vor, denn ihr Max hat noch freches "Feuer in den Adern" und ist zudem ein Ungläubiger mit pechschwarzem Humor: Seinen Sohn schockiert er damit, dass er über Mamas Einäscherung Scherze macht, und für die an seinem Volk begangenen Verbrechen benutzt er Formulierungen wie "zu Seife verarbeitet", die ein deutsches Lesergemüt irritieren können.
"Welchen Weg man auch einschlägt, der letzte Bahnhof ist für alle derselbe", schreibt Max nach Bolivien. Manchmal liegt vor dem Bahnhof noch der Flughafen. Nachdem der lustige Witwer seine Lebensversicherung in klingende Münze verwandelt hat, bucht er eine Weltreise über La Paz nach Tokio, um endlich Sohn und Tochter zu besuchen. "Eine Rückkehr, die würde es vielleicht nie geben", lautet der Schlusssatz, aber defätistische Deutungen wären hier unangebracht. Der Held, der mit richtigem Namen Methusalem heißt, mithin auf ein langes Leben hoffen darf, trinkt seinen Champagner zwischen Himmel und Erde, und Agnès Desarthe hat ihrem Werk wieder ein charmantes Stückchen Erbauungsliteratur hinzugefügt.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Agnès Desarthe: "Fünf Bilder meiner Frau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ingeborg Schmutte. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 208 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Witwer in Not: Agnès Desarthes "Fünf Bilder meiner Frau"
An einem Werk zwischen Himmel und Erde, schwärmte das "Magazin Littéraire", baue die junge Französin Agnès Desarthe. Ihr neuer Roman hat, dem Himmel sei Dank, mehr Erdkontakt als sein Vorgänger, in dem Tote zu leibhaftigen Engeln mutierten und das lebende Personal merkwürdig konturenlos umherflatterte. In der Geschichte des Monsieur Opass, der seine verstorbene Frau porträtieren lässt und dabei zu erstaunlichen Einsichten über seine Ehe gelangt, sind Diesseits und Jenseits, Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und Gegenwart klar voneinander geschieden. Im hellen Licht eindeutiger Verhältnisse bewegt sich die Autorin, die nebenbei sehr realitätsnahe Jugendbücher schreibt, sicherer und ungezwungener als im Nebel gekünstelter Grenzüberschreitungen.
Methusalem Opass, genannt Max, ist ein munterer Pensionär aus dem Kreis ostjüdischer Einwanderer in Paris, in dem Agnès Desarthe auch ihr letztes Buch spielen ließ. Vor Jahresfrist hat der alte Herr seine Gattin Telma beerdigt, aber ihre Seele scheint im Haus noch gegenwärtig: "Als ihm eines Tages beim Geschirrspülen ihre Lieblingstasse zerbrach, hielt er die Hände schützend über den Kopf, wie Kinder es machen, wenn sie Angst vor einer Ohrfeige haben." Er beschließt, "zum Gegenangriff überzugehen" und nach Fotos ein Porträt von Telma anfertigen zu lassen - aus der diffusen Vorstellung heraus, dass ihr unruhiger Geist ihn in Frieden lassen werde, wenn er auf die Leinwand gebannt sei.
Weil er keinen Künstler findet, dem er uneingeschränkt vertraut, erteilt Monsieur Opass den Auftrag gleich mehrmals und macht dabei anregende Bekanntschaften. Angus, einen irischen Vertreter der "concept art", sucht er sich aus dem Telefonbuch; ein Zettel am Anzeigenbrett des Schreibwarenladens führt ihn zu der problembeladenen Sonntagsmalerin Virginie. Im Hof der École des Beaux Arts begegnet er dem Studentenpärchen Frédéric und Marion, das er ebenfalls für sein Projekt anheuert, und schließlich entpuppt sich seine alte Freundin Nina als passionierte Zeichnerin, die eine eigenwillige Version beisteuert.
Alle Bildnisse misslingen, jedes auf seine Weise, und doch hat sich der untote Quälgeist am Ende verflüchtigt: In Erinnerungen und Träumen, ausgelöst durch die Konfrontation mit fremden Lebensgeschichten, ist Max seiner Beziehung zu Telma auf den Grund gegangen und hat festgestellt, dass ihn außer ihrem Duft nichts an sie fesselte. Kein Geringerer als Picasso, auch als Traumgespinst noch an seinen Sprüchen zu erkennen ("Wenn ich bereits malen könnte, warum sollte ich dann malen?"), leitet ihn im Schlaf dazu an, seine Angetraute selbst zu porträtieren, sie zu einem Scheinleben zu erwecken für ein klärendes Gespräch. Nachdem man sich wechselseitig die Meinung gesagt hat, streichelt Telma, "flüchtig wie ein Lufthauch", ein letztes Mal sein Ohr und wird hinfort nicht mehr gesehen.
Verblüffend ist, wie mühelos die im Jahre 1966 geborene Agnès Desarthe sich in die Innenwelt eines Vierundachtzigjährigen versetzt, in seine Abgeklärtheit und Schlitzohrigkeit, in seine Lebensbilanz, in der hartnäckige Selbsttäuschungen und hellsichtige Momente einander die Waage halten. Die Briefe, die Max an seine weit entfernt wohnenden Kinder schreibt, müssen all jene entzücken, die sich schon für Susanna Tamaros Großmutter und ihren Beitrag zur Verständigung zwischen den Generationen erwärmten. Seniorenweisheit, von einfühlsamen Enkelinnen literarisch aufbereitet, scheint im Trend zu liegen. Die französische Autorin legt eine gewinnend unsentimentale Variante vor, denn ihr Max hat noch freches "Feuer in den Adern" und ist zudem ein Ungläubiger mit pechschwarzem Humor: Seinen Sohn schockiert er damit, dass er über Mamas Einäscherung Scherze macht, und für die an seinem Volk begangenen Verbrechen benutzt er Formulierungen wie "zu Seife verarbeitet", die ein deutsches Lesergemüt irritieren können.
"Welchen Weg man auch einschlägt, der letzte Bahnhof ist für alle derselbe", schreibt Max nach Bolivien. Manchmal liegt vor dem Bahnhof noch der Flughafen. Nachdem der lustige Witwer seine Lebensversicherung in klingende Münze verwandelt hat, bucht er eine Weltreise über La Paz nach Tokio, um endlich Sohn und Tochter zu besuchen. "Eine Rückkehr, die würde es vielleicht nie geben", lautet der Schlusssatz, aber defätistische Deutungen wären hier unangebracht. Der Held, der mit richtigem Namen Methusalem heißt, mithin auf ein langes Leben hoffen darf, trinkt seinen Champagner zwischen Himmel und Erde, und Agnès Desarthe hat ihrem Werk wieder ein charmantes Stückchen Erbauungsliteratur hinzugefügt.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
Agnès Desarthe: "Fünf Bilder meiner Frau". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ingeborg Schmutte. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 208 S., geb., 36,- DM.
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"Agnes Desarthe baut an einem Werk zwischen Himmel und Erde." (magazine litteraire)