Fünf Löcher im Himmel von Rocko Schamoni - Aus der Redaktion
Das Leben ist nur eine kurze Pause vor dem Tod
Der Verlag bewirbt "Fünf Löcher im Himmel" als "knallharte Roadnovel" - erstmal beginnt der Roman aber in Hamburg. Dort sitzt Paul mit einer Dose Bier auf einer Bank, pafft Ernte 23 und sieht zu, wie Arbeiter seine noch halbwegs bürgerliche Existenz in einen Container knallen. Zwangsräumung. "Maschinen ... nichts als Maschinen, ausführende, stumpfe Automaten", flüstert er, rettet noch schnell eine kleine Zigarrenkiste aus dem Müll seiner ehemaligen Wohnung und schmeißt eine Metallkugel in die Wohnzimmerscheibe.
Paul als 17-Jähriger: "Ich möchte etwas machen, was noch keiner gemacht hat."
Dann trottet er weg, findet am Stadtrand in einer Schrebergartensiedlung einen Unterschlupf für die Nacht und öffnet die Zigarrenkiste. Alte Aufnahmen, ein Klassenfoto - er, in der letzten Reihe, mit "merkwürdigem Blick". Zu seinen besten Freunden von damals hat er keinen Kontakt mehr, nicht zu Katharina Himmelfahrt, die damals, als er 17 war, in seine Klasse kam. Auch in der Kiste: Pauls Tagebuch von 1966:
Ich heiße Paul.
Ich bin siebzehn.
Ich bin ziemlich dünn und groß und habe dunkelbraune lange
Haare mit Locken.
Ich bin schüchtern, glaub ich.
Ich interessiere mich für Beat, für Kunst und für Mädchen. Auch
für Politik natürlich.
Von da an begleiten wir den 17-jährigen Paul beim Erwachsenwerden und den erwachsenen Paul von heute, abgestürzt und wohnungslos, lesend in seinem Tagebuch. Gefühle von damals, Begegnungen mit Mädchen und Frauen, Wut, Angst, Traurigkeit, Hoffnung. Paul schreibt: Ich möchte etwas machen, was noch keiner gemacht hat.
Frau Zucker, die Mädchen und die Wirklichkeit
Der schüchterne Kerl meldet sich bei der Schultheatergruppe an, weil die Lehrerin scharf ist; Frau Zucker (!) will den Werther einstudieren und Paul spielt Lottes Mann Albert. Der Werther-Darsteller, ein großspuriger Schönling, der aussieht wie Alain Delon in Blond. Und Lotte ... ja, die spielt Katharina Himmelfahrt. Ein seltsames Mädchen, in der Klasse fast schon autistisch, null Kontakte, auf der Bühne aber verwandelt sie sich, wird lebendig. Paul findet Katharina immer faszinierender, rätselt aber ständig, was an ihren Gefühlen nun echt und was gespielt ist. Eine Frage, die er sein ganzes Leben mit sich herumträgt ... was ist Schein und was nicht oder und was überhaupt ist die Wirklichkeit?
Pocke: "Weißt du, dieses Land ist zerbrochen, es will seine Schwachen nicht mehr."
Ziemlich real ist da die Kneipe, in welcher der erwachsene Paul strandet. "Bei Pocke", letzter Abend, denn Pocke muss dichtmachen, Freigetränke für alle. Pocke war mal zweiter Chefkoch im Hotel Atlantik, hatte ein Haus auf Sylt. Nachdem der Job weg war, fiel auch alles andere langsam weg, Geld, Häuser, Frauen. Das Rauchergesetz gibt seiner Kneipe nun den Rest. Weißt du, diesesLand ist zerbrochen, es will seine Schwachen nicht mehr, sagt Pocke zu Paul. Paul trinkt Rumgrog und denkt an Katharina.
Wer den Datsun 240 Z nimmt, muss auch den Vogel nehmen: Der Wellensittich heißt Wolfgang
Am nächsten Morgen wacht Paul in Pockes Wohnung auf - und der vermacht ihm das Auto, das "Fünf Löcher im Himmel" auch zur Roadnovel macht: einen Nissan Datsun 240 Z von 1973 in Dunkelviolett. Schicker Sportwagen, aber auf seine Weltreise kann Pocke ihn nicht mitnehmen. Nun gehört er Paul - es sei denn, Pocke kommt doch wieder zurück, weil irgendetwas schiefgelaufen ist. Bedingung Nummer zwei: Wer den Wagen nimmt, muss auch den Vogel nehmen. Er heißt Wolfgang und ist ein Wellensittich.
Für Paul wird der Wagen seine neue Wohnung, seine und die von Wolfgang. Und er will ans Meer, dorthin, wo er herkommt. Er will Wolfgang seine Heimat zeigen, seine Jugendfreundin Katharina besuchen. Vielleicht wird es ja wieder gut, alles wieder gut. Vielleicht ist das Leben nicht das, wofür er es hält: nur eine kurze Pause vor dem Tod ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2015Literarischer
Verkehrsunfall
Rocko Schamonis Road-Novel
„Fünf Löcher im Himmel“
Alle glücklichen Romanhelden sind einander ähnlich, jeder unglückliche Romanheld ist unglücklich auf seine Weise. Paul hat es besonders hart erwischt. Die Mutter ist mit einem fremden Mann durchgebrannt, was der Vater mit Trunksucht quittierte. Später führte die erste Liebe zunächst zu Problemen und dann geradewegs in eine Katastrophe. Nun ist Paul aus seiner Wohnung geflogen und muss improvisieren. Bewaffnet mit einer Pistole und dem Tagebuch, das er als Jugendlicher führte, begibt sich der inzwischen 67-jährige Protagonist von Rocko Schamonis neuem, diesmal überhaupt nicht lustigem Roman „Fünf Löcher im Himmel“ auf eine Reise ins Ungewisse. Schlecht für ihn, schlecht für den Leser.
Pauls Unglück, so merken wir bald, ist zu verkraften, gemessen am Unglück der Schilderung seines Unglücks. Die Erzählökonomie gerät fortwährend aus den Fugen, etwa wenn die immer gleiche Mimik immer neu beschrieben wird, ohne, dass irgendetwas daraus folgt: „Sein Blick war leer“ – „Sein Gesichtsausdruck blieb regungslos“ – „Er (. . .) ließ die Fotos durch seine Finger gleiten und betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene“. Genauso seltsam mutet an, dass Charaktere aufgebaut und sofort wieder fallen gelassen werden, dass wir Details erfahren, die im Weiteren funktionslos bleiben. Wirklich prekär wird es, sobald Reflexionen ins Spiel kommen. Denn da ist zum einen die in der dritten Person erzählte Reise des alten Paul, und da sind zum anderen die in der ersten Person dargebotenen Journaleinträge seiner Teenagerausgabe. Merkwürdig, dass sich beide in puncto Empfindungshaushalt und Gedankenreichweite kaum unterscheiden – obwohl ein halbes Jahrhundert zwischen ihnen liegt.
So ist im Tagebuch kritisch vermerkt, die meisten Menschen seien zufrieden mit „Beruf, Familie, Geld, Karriere und dann Rente“. Sinn- und selbstsuchend grübelt der jugendliche Paul: „Gibt es noch etwas zu entdecken in dieser Welt? Und wer werde ich sein, wenn ich endlich weiß, wer ich bin?“ Vergleichbare Adoleszenz-Meditationen stellt der alte Paul an, während er den Frühverkehr betrachtet. Da seien Leute „auf dem Weg zu Räumen und Betätigungen, die ihren Leben einen vermeintlichen Sinn zu geben versprachen und in Wahrheit nur für Brot und das sogenannte Dach über dem Kopf sorgten“. Ähnlich gedrechselt dann die Frage nach Ich und Welt: „Gibt es irgendjemanden, der sich meiner erinnert?“
Solche stilistischen Unfälle sind keine Ausnahme. Autos werden als „Blechkammern“ bezeichnet, Figuren mit „Alterchen“ angeredet, Dialoge durch Interjektionen („Tja“, „Na ja“, „He“) zerhackt oder kraft affirmativer Einlassungen („Genau so ist es“) abgewürgt. Hinzu kommen etliche Klischees, die so abgegriffen sind, dass sie beinahe wie Parodien wirken: eine Kneipenszene mit Schlägerei; eine blonde Geschäftsfrau, die Porsche fährt, kratzbürstig ist und über Pferde redet; zwei gelangweilte und deswegen gewaltbereite Rechte auf dem Land; ein alter Mann, der sein Spiegelbild betrachtet und nicht fassen kann, was er sieht. Obendrein wird im Duktus von Ratgeberliteratur über das „ewige Sichfallenlassen in den Strom des Seins“ schwadroniert und besonders unelegant über Frauen gelästert, die zur Belastung gerieten „mit ihren Unklarheiten, mit ihren permanenten Versuchen, beständige Strukturen und Sicherheitsmodelle zu entwickeln“.
Und der Plot? Ist schnell erzählt: Paul fährt mit dem Sportwagen des Kneipiers Pocke und in Begleitung eines Wellensittichs ziellos durch Norddeutschland und Dänemark. Er begeht Straftaten und erinnert sich an die Proben zur Schulaufführung von Goethes „Werther“, in der er damals den Albert spielte. Dabei hatte er sich in Katharina verliebt, die eine großartige Lotte war, und war regelmäßig mit Franz aneinander geraten, der die Hauptrolle übernommen hatte. Diese Dreierkonstellation, so wird sich herausstellen, bildete den Ausgangspunkt für Pauls verpfuschtes Leben. Da nicht mehr viel zu verlieren ist, tun sich Paul und Pocke am Ende zusammen, um gemeinsam kriminell durchzustarten.
Eine gelungene Road-Novel – etwa Thomas Klupps „Paradiso“ oder Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ – zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass ihre Handlung, obwohl sie von Station zu Station führt, wie aus einem Guss erscheint. „Fünf Löcher im Himmel“ zerfällt dagegen in disparate Szenen, die sich ausnehmen wie Importe aus der Ideensammlung einer gymnasialen Schreibwerkstatt. „Ich dachte“, notiert der junge Paul in seinem Tagebuch, „man müsste sensibel sein für die Kunst, aufmerksam und feinsinnig“. In diesem Roman eine wahrlich ironische Feststellung.
KAI SPANKE
Pauls Unglück ist verkraftbar,
gemessen am Unglück der
Schilderung seines Unglücks
Rocko Schamoni: Fünf
Löcher im Himmel. Roman. Piper Verlag, München 2014. 192 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Verkehrsunfall
Rocko Schamonis Road-Novel
„Fünf Löcher im Himmel“
Alle glücklichen Romanhelden sind einander ähnlich, jeder unglückliche Romanheld ist unglücklich auf seine Weise. Paul hat es besonders hart erwischt. Die Mutter ist mit einem fremden Mann durchgebrannt, was der Vater mit Trunksucht quittierte. Später führte die erste Liebe zunächst zu Problemen und dann geradewegs in eine Katastrophe. Nun ist Paul aus seiner Wohnung geflogen und muss improvisieren. Bewaffnet mit einer Pistole und dem Tagebuch, das er als Jugendlicher führte, begibt sich der inzwischen 67-jährige Protagonist von Rocko Schamonis neuem, diesmal überhaupt nicht lustigem Roman „Fünf Löcher im Himmel“ auf eine Reise ins Ungewisse. Schlecht für ihn, schlecht für den Leser.
Pauls Unglück, so merken wir bald, ist zu verkraften, gemessen am Unglück der Schilderung seines Unglücks. Die Erzählökonomie gerät fortwährend aus den Fugen, etwa wenn die immer gleiche Mimik immer neu beschrieben wird, ohne, dass irgendetwas daraus folgt: „Sein Blick war leer“ – „Sein Gesichtsausdruck blieb regungslos“ – „Er (. . .) ließ die Fotos durch seine Finger gleiten und betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene“. Genauso seltsam mutet an, dass Charaktere aufgebaut und sofort wieder fallen gelassen werden, dass wir Details erfahren, die im Weiteren funktionslos bleiben. Wirklich prekär wird es, sobald Reflexionen ins Spiel kommen. Denn da ist zum einen die in der dritten Person erzählte Reise des alten Paul, und da sind zum anderen die in der ersten Person dargebotenen Journaleinträge seiner Teenagerausgabe. Merkwürdig, dass sich beide in puncto Empfindungshaushalt und Gedankenreichweite kaum unterscheiden – obwohl ein halbes Jahrhundert zwischen ihnen liegt.
So ist im Tagebuch kritisch vermerkt, die meisten Menschen seien zufrieden mit „Beruf, Familie, Geld, Karriere und dann Rente“. Sinn- und selbstsuchend grübelt der jugendliche Paul: „Gibt es noch etwas zu entdecken in dieser Welt? Und wer werde ich sein, wenn ich endlich weiß, wer ich bin?“ Vergleichbare Adoleszenz-Meditationen stellt der alte Paul an, während er den Frühverkehr betrachtet. Da seien Leute „auf dem Weg zu Räumen und Betätigungen, die ihren Leben einen vermeintlichen Sinn zu geben versprachen und in Wahrheit nur für Brot und das sogenannte Dach über dem Kopf sorgten“. Ähnlich gedrechselt dann die Frage nach Ich und Welt: „Gibt es irgendjemanden, der sich meiner erinnert?“
Solche stilistischen Unfälle sind keine Ausnahme. Autos werden als „Blechkammern“ bezeichnet, Figuren mit „Alterchen“ angeredet, Dialoge durch Interjektionen („Tja“, „Na ja“, „He“) zerhackt oder kraft affirmativer Einlassungen („Genau so ist es“) abgewürgt. Hinzu kommen etliche Klischees, die so abgegriffen sind, dass sie beinahe wie Parodien wirken: eine Kneipenszene mit Schlägerei; eine blonde Geschäftsfrau, die Porsche fährt, kratzbürstig ist und über Pferde redet; zwei gelangweilte und deswegen gewaltbereite Rechte auf dem Land; ein alter Mann, der sein Spiegelbild betrachtet und nicht fassen kann, was er sieht. Obendrein wird im Duktus von Ratgeberliteratur über das „ewige Sichfallenlassen in den Strom des Seins“ schwadroniert und besonders unelegant über Frauen gelästert, die zur Belastung gerieten „mit ihren Unklarheiten, mit ihren permanenten Versuchen, beständige Strukturen und Sicherheitsmodelle zu entwickeln“.
Und der Plot? Ist schnell erzählt: Paul fährt mit dem Sportwagen des Kneipiers Pocke und in Begleitung eines Wellensittichs ziellos durch Norddeutschland und Dänemark. Er begeht Straftaten und erinnert sich an die Proben zur Schulaufführung von Goethes „Werther“, in der er damals den Albert spielte. Dabei hatte er sich in Katharina verliebt, die eine großartige Lotte war, und war regelmäßig mit Franz aneinander geraten, der die Hauptrolle übernommen hatte. Diese Dreierkonstellation, so wird sich herausstellen, bildete den Ausgangspunkt für Pauls verpfuschtes Leben. Da nicht mehr viel zu verlieren ist, tun sich Paul und Pocke am Ende zusammen, um gemeinsam kriminell durchzustarten.
Eine gelungene Road-Novel – etwa Thomas Klupps „Paradiso“ oder Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ – zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass ihre Handlung, obwohl sie von Station zu Station führt, wie aus einem Guss erscheint. „Fünf Löcher im Himmel“ zerfällt dagegen in disparate Szenen, die sich ausnehmen wie Importe aus der Ideensammlung einer gymnasialen Schreibwerkstatt. „Ich dachte“, notiert der junge Paul in seinem Tagebuch, „man müsste sensibel sein für die Kunst, aufmerksam und feinsinnig“. In diesem Roman eine wahrlich ironische Feststellung.
KAI SPANKE
Pauls Unglück ist verkraftbar,
gemessen am Unglück der
Schilderung seines Unglücks
Rocko Schamoni: Fünf
Löcher im Himmel. Roman. Piper Verlag, München 2014. 192 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Rocko Schamonis neuem Buch "Fünf Löcher im Himmel" hat Rezensent Kai Spanke nicht viel zu lachen. Er findet den Roman nicht nur überraschend unlustig, sondern auch noch ziemlich schlecht geschrieben: Die Handlung um den inzwischen 67-jährigen Paul, der in seinem Jugendtagebuch seine unglückliche Kindheit nachliest, schließlich seine Wohnung verliert, ziellos und zunehmend kriminell mit einem Sportwagen durch Norddeutschland und Dänemark irrt, erscheint dem Rezensenten ein wenig dünn. Schlimmer aber empfindet er die zahlreichen sprachlichen Fehlgriffe: Ratgeberphrasen wechseln sich ab mit platten Reflexionen, Dialoge werden durch Interjektionen jäh abgebrochen, und die Schilderungen des alten Paul unterscheiden sich in ihrer dünnen Stilistik leider nicht von den Jugendtagebuch-Einträgen, berichtet der genervte Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Schamonis großes Geschick liegt darin, bei der Rückschau nicht nur die eigenen, persönlichen Erinnerungen ohne falsche Nolstalgie auszuloten, sondern auch verschiedene zeitspezifische Stile für seine Arbeit fruchtbar zu machen.", taz, 15.06.2015