Die Moderne hat unseren Blick auf das Häßliche und Böse, die Katastrophen der Geschichte und der Natur gelenkt. Gerade deswegen bleibt das Schöne, wie es jedem begegnen kann, ein Rätsel. François Chengs poetische Betrachtungen nähern sich der Schönheit von Kunst und Natur, indem sie die reichen Traditionen der fern-östlichen Philosophie und des abendländischen Denkens zusammenführen.
Was das Schöne ist, was wir erfahren, wenn es unerwartet und unverhofft auftaucht, ist von den großen Denkern in West und Ost vielfach beantwortet worden. François Cheng vollbringt das Kunststück, zu einfachen Fragen zurückzukehren, über das Schöne voraussetzungslos nachzudenken und dennoch die großen Traditionen der ästhetischen Reflexion in seine Überlegungen einzubinden. Ohne die Brüche zu überspielen, die die Moderne sichtbar gemacht hat, hält er fest an einem Zusammenhang zwischen Schönheit und Güte, der gerade angesichts der Bedrohungen unserer Welt Aufmerksamkeit verlangt. Dabei gelingt es Cheng, westliches und östliches Denken in ein Gespräch miteinander zu verwickeln, ohne beide auf einen Nenner bringen zu wollen. Cheng sucht seine Antworten bei so verschiedenen Gewährsleuten wie Platon und Proust, Konfuzius und Augustinus, dem Taoismus und dem deutschen Idealismus, und er kann aus seinem langen Umgang mit der Malerei, Musik und Dichtung Chinas und Europas schöpfen. Aus diesen ganz unterschiedlichen Perspektiven erschließt er dem Leser die alte Frage nach der Schönheit neu.
Was das Schöne ist, was wir erfahren, wenn es unerwartet und unverhofft auftaucht, ist von den großen Denkern in West und Ost vielfach beantwortet worden. François Cheng vollbringt das Kunststück, zu einfachen Fragen zurückzukehren, über das Schöne voraussetzungslos nachzudenken und dennoch die großen Traditionen der ästhetischen Reflexion in seine Überlegungen einzubinden. Ohne die Brüche zu überspielen, die die Moderne sichtbar gemacht hat, hält er fest an einem Zusammenhang zwischen Schönheit und Güte, der gerade angesichts der Bedrohungen unserer Welt Aufmerksamkeit verlangt. Dabei gelingt es Cheng, westliches und östliches Denken in ein Gespräch miteinander zu verwickeln, ohne beide auf einen Nenner bringen zu wollen. Cheng sucht seine Antworten bei so verschiedenen Gewährsleuten wie Platon und Proust, Konfuzius und Augustinus, dem Taoismus und dem deutschen Idealismus, und er kann aus seinem langen Umgang mit der Malerei, Musik und Dichtung Chinas und Europas schöpfen. Aus diesen ganz unterschiedlichen Perspektiven erschließt er dem Leser die alte Frage nach der Schönheit neu.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2008Feiern – das ist es
Die Natur, der menschliche Körper, die Kunst: François Cheng meditiert über die Schönheit
Ein klassischer Buchbeginn: Der Autor erinnert sich an seine Kindheit. In diesem Fall ist es der beinahe 80-jährige François Cheng. Mit 19 Jahren kam der chinesische Schriftsteller, Lyriker und Kalligraph nach Frankreich, seit 2002 ist er Mitglied der Académie française. Von all dem ahnte er freilich noch nichts, als er als Siebenjähriger von der geheimnisvollen Schönheit des Berges Lu in der Provinz Jiangxi „überwältigt” wurde. Der Berg hatte eine Botschaft für den Stöpsel: „Die Schönheit existiert!” Trotz der Grausamkeit der Natur. Trotz der Grausamkeit des Menschen. Ein Rätsel, das Cheng bis auf den heutigen Tag umtreibt und dem er nun fünf Meditationen gewidmet hat.
Cheng hat die Frage nach der Bedeutung der „Schönheit für unsere eigene Existenz” an fünf Abenden vor Philosophen, Künstlern und Schriftstellern entfaltet, und zwar in einem Raum des „Nationalen Verbands der Yogalehrer”. Dem schmalen Buch merkt man noch den mündlichen Duktus an. Ein Vorzug, wirkt es doch auf jeder Seite so frisch und lebendig, als wären die Betrachtungen gerade eben an unser aufmerksam lauschendes Ohr gedrungen. Und das unterscheidet dieses Buch von Unternehmungen wie etwa Umberto Ecos „Geschichte der Schönheit”: Dass sie auf vollkommen andere Art und Weise sich dem Rätselgrund des Schönen nähern. Nicht akademisch-beflissen, ausschließlich der Ratio gehorchend. Sondern sinnlich wahrnehmend, erzählend und philosophierend. Wo Eco ganz und gar auf den Sehsinn setzt, spricht Cheng unser Gehör und unsere Einbildungskraft an – Abbildungen sucht der Leser auf den 156 Seiten vergebens.
Wie aber hat man sich diese Meditationen vorzustellen, von welcher Regel werden sie geleitet? Erstaunlich simpel: „… nichts von dem, was das Leben ausmacht, zu vernachlässigen; niemals darauf zu verzichten, den anderen Gehör zu schenken, und selbständig zu denken.” Das mutet naiv an. Doch zum Vorwurf kann man Cheng seine Nonchalance nicht machen. Er weiß selbst am besten um sie: „Ich trete lieber als ein etwas naiver Phänomenologe vor Sie hin, der nicht nur die bereits von der Vernunft entdeckten und umgrenzten Gegebenheiten beobachtet und befragt, sondern auch das, was unerwartet und unverhofft auftaucht, was sich als Geschenk und Versprechen manifestiert.”
Wie die Schönheit des weiblichen Körpers. Auf einem Waldpfad zur Quelle kamen dem pubertierenden Cheng einmal westliche Mädchen in Badeanzügen entgegen. Der Anblick nackter Schultern und Beine versetzte ihm einen „Schock”. Und gab ihm die Gewissheit, „die Natur habe da eine besondere Sprache gefunden, mit der man sie feiern kann. Feiern, das ist es”. Die Begegnung mit der Kunst überzeugte den Jungen endgültig von der Existenz der Schönheit. Zunächst mit der chinesischen Malerei, selbstverständlich. Doch dann brachte ihm eines Tages seine Tante Reproduktionen aus dem Louvre mit; griechische Venus-Statuen, Sinnliches von Botticelli und Tizian, und der Junge war hin und weg. Vor allem „Die Quelle” von Ingres verzauberte ihn. In dem Gemälde verschmelzen die drei Wahrnehmungsschocks zu einer perfekt gestimmten Einheit: die Natur, der menschliche Körper, die Kunst.
Cheng ist ein Wanderer zwischen den Kulturen. In Frankreich entdeckte er die Phänomenologie für sich, vor allem Maurice Merleau-Ponty. Der Philosoph ist für ihn bis heute prägend, dessen zentraler Begriff des Chiasmus – er bezeichnet die Durchdringung von Blickendem und Angeblicktem – taucht an mehreren Stellen des Buches auf. Und so treten dem Leser die fünf Meditationen als ein elegant mäandernder west-östlicher Dialog entgegen. Er basiert auf der Einsicht, dass sich „wahre Schönheit nur in der Begegnung und im Austausch” erfüllt – hier treffen sich bei Cheng auch Ethik und Ästhetik. Henri Bergson, Romain Gary und Charles Baudelaire plauschen nun munter mit den Daoisten Zhuangzi und Laozi; und die buddhistische Legende von Mu Lian, der sich in die Hölle begibt, um seine Mutter zu retten, wird mit Orpheus' Gang in die Unterwelt in Verbindung gebracht.
Wieder und wieder mag man dieses Buch aufschlagen, stets findet man einen Absatz, einen Satz, der zum Nachsinnen einlädt. Dazu muss man gar nicht Chengs Grundauffassung teilen, dass Schönheit „wesenhaft eine Seinsart” ist. Es genügt schon, einmal von den drei Begriffen der chinesischen Ästhetik - „Einheit stiftende Interaktion”, „rhythmischer Atem”, „göttliche Resonanz” – zu hören. Oder zu verstehen, warum chinesische Bilder als Seelenlandschaften zu lesen sind. Der Mensch knüpft in ihnen ein Band mit der Natur. Der Dichter Li Bo schrieb einmal über den Berg Jingting: „Wir blicken uns an, ohne müde zu werden.” FLORIAN WELLE
FRANCOIS CHENG: Fünf Meditationen über die Schönheit. Aus dem Französischen von Judith Klein. C.H. Beck Verlag, München 2008. 156 Seiten, 14,90 Euro.
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Die Natur, der menschliche Körper, die Kunst: François Cheng meditiert über die Schönheit
Ein klassischer Buchbeginn: Der Autor erinnert sich an seine Kindheit. In diesem Fall ist es der beinahe 80-jährige François Cheng. Mit 19 Jahren kam der chinesische Schriftsteller, Lyriker und Kalligraph nach Frankreich, seit 2002 ist er Mitglied der Académie française. Von all dem ahnte er freilich noch nichts, als er als Siebenjähriger von der geheimnisvollen Schönheit des Berges Lu in der Provinz Jiangxi „überwältigt” wurde. Der Berg hatte eine Botschaft für den Stöpsel: „Die Schönheit existiert!” Trotz der Grausamkeit der Natur. Trotz der Grausamkeit des Menschen. Ein Rätsel, das Cheng bis auf den heutigen Tag umtreibt und dem er nun fünf Meditationen gewidmet hat.
Cheng hat die Frage nach der Bedeutung der „Schönheit für unsere eigene Existenz” an fünf Abenden vor Philosophen, Künstlern und Schriftstellern entfaltet, und zwar in einem Raum des „Nationalen Verbands der Yogalehrer”. Dem schmalen Buch merkt man noch den mündlichen Duktus an. Ein Vorzug, wirkt es doch auf jeder Seite so frisch und lebendig, als wären die Betrachtungen gerade eben an unser aufmerksam lauschendes Ohr gedrungen. Und das unterscheidet dieses Buch von Unternehmungen wie etwa Umberto Ecos „Geschichte der Schönheit”: Dass sie auf vollkommen andere Art und Weise sich dem Rätselgrund des Schönen nähern. Nicht akademisch-beflissen, ausschließlich der Ratio gehorchend. Sondern sinnlich wahrnehmend, erzählend und philosophierend. Wo Eco ganz und gar auf den Sehsinn setzt, spricht Cheng unser Gehör und unsere Einbildungskraft an – Abbildungen sucht der Leser auf den 156 Seiten vergebens.
Wie aber hat man sich diese Meditationen vorzustellen, von welcher Regel werden sie geleitet? Erstaunlich simpel: „… nichts von dem, was das Leben ausmacht, zu vernachlässigen; niemals darauf zu verzichten, den anderen Gehör zu schenken, und selbständig zu denken.” Das mutet naiv an. Doch zum Vorwurf kann man Cheng seine Nonchalance nicht machen. Er weiß selbst am besten um sie: „Ich trete lieber als ein etwas naiver Phänomenologe vor Sie hin, der nicht nur die bereits von der Vernunft entdeckten und umgrenzten Gegebenheiten beobachtet und befragt, sondern auch das, was unerwartet und unverhofft auftaucht, was sich als Geschenk und Versprechen manifestiert.”
Wie die Schönheit des weiblichen Körpers. Auf einem Waldpfad zur Quelle kamen dem pubertierenden Cheng einmal westliche Mädchen in Badeanzügen entgegen. Der Anblick nackter Schultern und Beine versetzte ihm einen „Schock”. Und gab ihm die Gewissheit, „die Natur habe da eine besondere Sprache gefunden, mit der man sie feiern kann. Feiern, das ist es”. Die Begegnung mit der Kunst überzeugte den Jungen endgültig von der Existenz der Schönheit. Zunächst mit der chinesischen Malerei, selbstverständlich. Doch dann brachte ihm eines Tages seine Tante Reproduktionen aus dem Louvre mit; griechische Venus-Statuen, Sinnliches von Botticelli und Tizian, und der Junge war hin und weg. Vor allem „Die Quelle” von Ingres verzauberte ihn. In dem Gemälde verschmelzen die drei Wahrnehmungsschocks zu einer perfekt gestimmten Einheit: die Natur, der menschliche Körper, die Kunst.
Cheng ist ein Wanderer zwischen den Kulturen. In Frankreich entdeckte er die Phänomenologie für sich, vor allem Maurice Merleau-Ponty. Der Philosoph ist für ihn bis heute prägend, dessen zentraler Begriff des Chiasmus – er bezeichnet die Durchdringung von Blickendem und Angeblicktem – taucht an mehreren Stellen des Buches auf. Und so treten dem Leser die fünf Meditationen als ein elegant mäandernder west-östlicher Dialog entgegen. Er basiert auf der Einsicht, dass sich „wahre Schönheit nur in der Begegnung und im Austausch” erfüllt – hier treffen sich bei Cheng auch Ethik und Ästhetik. Henri Bergson, Romain Gary und Charles Baudelaire plauschen nun munter mit den Daoisten Zhuangzi und Laozi; und die buddhistische Legende von Mu Lian, der sich in die Hölle begibt, um seine Mutter zu retten, wird mit Orpheus' Gang in die Unterwelt in Verbindung gebracht.
Wieder und wieder mag man dieses Buch aufschlagen, stets findet man einen Absatz, einen Satz, der zum Nachsinnen einlädt. Dazu muss man gar nicht Chengs Grundauffassung teilen, dass Schönheit „wesenhaft eine Seinsart” ist. Es genügt schon, einmal von den drei Begriffen der chinesischen Ästhetik - „Einheit stiftende Interaktion”, „rhythmischer Atem”, „göttliche Resonanz” – zu hören. Oder zu verstehen, warum chinesische Bilder als Seelenlandschaften zu lesen sind. Der Mensch knüpft in ihnen ein Band mit der Natur. Der Dichter Li Bo schrieb einmal über den Berg Jingting: „Wir blicken uns an, ohne müde zu werden.” FLORIAN WELLE
FRANCOIS CHENG: Fünf Meditationen über die Schönheit. Aus dem Französischen von Judith Klein. C.H. Beck Verlag, München 2008. 156 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz angetan zeigt sich Florian Welle von den "Fünf Meditationen über die Schönheit" des in Frankreich lebenden chinesischen Schriftstellers, Lyrikers und Kalligraphen Francois Cheng. Den Texten, die die aus einer Reihe von Vorträgen über die Frage nach der "Schönheit für unsere eigene Existenz" entstanden sind, merkt man seines Erachtens ihren mündlichen Ursprung noch an, was er in diesem Fall für einen Vorteil hält, weil sie "frisch und lebendig" wirkten. Dem Rätsel der Schönheit der Natur, des menschlichen Körpers und der Kunst nähere sich der Autor nicht akademisch, sondern "sinnlich wahrnehmend, erzählend, philosophierend". Dabei scheint Cheng sowohl das kulturelle Erbe seiner französischen Wahlheimat wie auch seines Ursprungslandes miteinzubeziehen. Dementsprechend würdigt Welle die Meditationen auch als einen "elegant mäandernden west-östlichen Dialog".
© Perlentaucher Medien GmbH
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