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Fünf welthistorische Schlüsselereignisse, bis heute folgenreich.
Im 13. Jahrhundert v. Chr. nahm, unter Moses, erstmals eine Religion dauerhafte Gestalt an, die sich im alleinigen Besitz der Wahrheit glaubte. Mit ähnlichem Vertrauen in die Wahrheit der eigenen Überzeugung löste sich später das Christentum vom Judentum. Mit dem Anspruch, die reine Lehre zu vertreten, lösten sich die Anhänger Luthers und Zwinglis von der Papstkirche ihrer Zeit. Die amerikanischen Grundleger der repräsentativen, modernen Demokratie waren durchdrungen von dem Stolz, die fortgeschrittene britische Verfassung…mehr

Produktbeschreibung
Fünf welthistorische Schlüsselereignisse, bis heute folgenreich.
Im 13. Jahrhundert v. Chr. nahm, unter Moses, erstmals eine Religion dauerhafte Gestalt an, die sich im alleinigen Besitz der Wahrheit glaubte. Mit ähnlichem Vertrauen in die Wahrheit der eigenen Überzeugung löste sich später das Christentum vom Judentum. Mit dem Anspruch, die reine Lehre zu vertreten, lösten sich die Anhänger Luthers und Zwinglis von der Papstkirche ihrer Zeit. Die amerikanischen Grundleger der repräsentativen, modernen Demokratie waren durchdrungen von dem Stolz, die fortgeschrittene britische Verfassung durch eine noch bessere Ordnung abzulösen. Die sollte - erstmals in der Geschichte der Menschheit - auf den Prinzipien der Vernunft und der Humanität beruhen. Auch die russischen Revolutionäre wollten, beispielhaft für die ganze Menschheit, das bisher Erreichte durch einen Umsturz ersetzen, in dem endlich der Mensch zu seiner Bestimmung finden würde. Alle diese Wegscheiden, in denen sich eine neue Kultur von einer Mutterkultur ablöste, erweisen sich durch eine erstaunlich lange Reihe struktureller Gemeinsamkeiten untereinander verbunden. Sie begegnen zumindest als Bündel nirgendwo wieder.Der Reiz dieses außergewöhnlichen Buches liegt nicht zuletzt in der phantasievollen, gleichzeitig kritisch kontrollierten Verknüpfung historisch weit auseinanderliegender Schlüsselereignisse.Der dank zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen ausgewiesene Autor überrascht hier mit einem groß angelegten, faszinierenden Essay.
Autorenporträt
Gottfried Schramm, geboren 1929, studierte 1948-1952 namentlich in Göttingen, promovierte in Altgermanistik, wechselte dann aber zur Osteuropäischen Geschichte über. Sie lehrt er seit 1965 in Freiburg. Zu seinen weiteren Arbeitsgebieten gehören die Verfassungs- und Kirchengeschichte der frühen Neuzeit in Ostmitteleuropa und die Entwicklungschancen des Zarenreiches zwischen dem Krimkrieg und 1917.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2004

Die fünf Wegscheiden
Ein großer Wurf: Gottfried Schramm befragt die Weltgeschichte

Das vorgelegte Buch ist ein großer Wurf. Wer wagt es heute noch, über dreitausend Jahre hinweg Fragen an die Weltgeschichte zu richten, die nicht der Zufälligkeit von Jahrhunderteinteilungen ausgeliefert werden? Die zunehmende Spezialisierung der historischen Forschung ist gewiß nötig, aber sie verhindert genau jene Forschungsansätze, die sich nicht auf diachrone Kalendereinheiten reduzieren lassen. So gibt es chronologische Verlegenheitslösungen, wie das Frühe Mittelalter, das Hochmittelalter, das Spätmittelalter. warum nicht auch eine Frühe Frühe Neuzeit, eine Frühe Neuzeit und eine Späte Frühe Neuzeit? Fast jedes Jahrhundert und jedes Sachgebiet hat inzwischen seine eigene Zeitschrift: Aber genau diese Segmentierung verhindert jene Fragen, die einen übergreifenden systematischen Anspruch erheben. Schramm, in vielen Gebieten der Philologie, der sozialen und politischen, der Geistes-, der Kultur- und der Religionsgeschichte seit langem ausgewiesen, hat jetzt einen Vorschlag zur Diskussion gestellt, fünf welthistorische Weggabelungen zu untersuchen und zu vergleichen.

Die fünf welthistorischen Wegscheiden trennen den jüdischen Monotheismus von dem sonst herrschenden Polytheismus; sodann wird der nur potentiell universale Gottesglaube der Juden durch die christliche Botschaft überholt, die sich mit missionarischem Eifer an alle Menschen, an Frauen und Männer gleicherweise, richtet; ähnliches wird der lutherischen Reformation nachgewiesen, die den alten Glauben erneuern, nicht aber ersetzen wollte. Die beiden letzten Wegscheiden beziehen sich auf - zwar auch theologisch imprägnierte - Lebensordnungen, die aber primär politische und soziale Anforderungen festschreiben, nämlich die amerikanische liberal-demokratische Verfassung sowie auf den radikalen Versuch der russischen Intelligenzija, eine sozialistische Verfassung nach inhaltlichen Gleichheitsprinzipien herbeizuzwingen.

Um diese scheinbar heterogenen, jedenfalls weit auseinanderliegenden Vorgänge vergleichbar zu machen, stellt Schramm zehn Kriterien zur Debatte, die auf - fast - alle genannten Lebens- oder Überzeugungsgemeinschaften zutreffen. Immer handelt es sich um kurze, aber erfolgreiche Anlaufphasen von rund zwanzig Jahren, innerhalb derer eine neue Ordnung abseits von der bislang vorherrschenden Ordnung zustande kam. Immer handelt es sich darum, die vorausliegende politische oder religiöse Kultur nicht zu beseitigen, sondern sie zu erneuern (bis auf den russischen Fall). Immer handelt es sich darum, daß der Durchbruch keine bloße Alternative anbietet, sondern die alte Ordnung aus überraschender Perspektive neu zu strukturieren sucht. Dabei tauchen jeweils junge und charismatische Führungsfiguren auf, deren Botschaft sich aber an alle Menschen und nicht nur an eine Teilgesellschaft richtet. Dabei lassen sich immer wieder lange Vorgeschichten aufweisen, die den plötzlichen Durchbruch ermöglicht, aber nicht vorhersehbar gemacht haben. Und immer wieder handelt es sich um autonome Gruppierungen, die nicht auf Gewalt, sondern auf Überzeugung setzten, um eine Wende herbeizuführen.

Zum Erfolg gehört freilich - ebenfalls fast immer - die Stiftung eines knappen und klaren normativen Textes, der für die kommenden Zeiten Verbindlichkeit beanspruchen wird und so die Durchsetzungsfähigkeit der neuen Botschaft absichert. Endlich kommt hinzu eine geographische Besonderheit, die aber geeignet ist, geistige oder spirituelle Handlungsräume zu eröffnen oder freizugeben: Daß nämlich die Erneuerungsbewegungen sich nicht in den Zentren der alten Kulturen, sondern in deren Vorland oder Vorgelände abgespielt haben; sei es die israelische Emigration aus Ägypten; sei es die Opposition zwischen dem Land Galiläa und der Großstadt Jerusalem; oder sei es die östliche Lage des Reformationszentrums in der jungen Universitätsstadt Wittenberg am Rande des alten Reichsgebietes; oder sei es der generelle Durchbruch englischer Verfassungsprinzipien nicht in Großbritannien, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika; oder sei es die kulturgeschichtliche beziehungsweise industrie- und verfassungspolitische Randlage Rußlands im Hinblick auf die revolutionären Vorgaben, die sich im Westen durchgesetzt hatten. Die Erfahrung der Industrialisierung in einem liberalen oder auch kapitalistisch bestimmten Rechtsstaat wurde in Rußland von der revolutionären Elite nicht aufgearbeitet, sondern verweigert.

Es scheint leicht zu sein oder nahezuliegen, den fünf Weggabelungen, deren Jahrhunderte oder gar Jahrtausende währende Fernwirkung bis heute offenkundig ist, andere Knotenpunkte oder Wendepunkte oder Schwellen oder gar Revolutionen hinzuzufügen. Sie könnten etwa ökonomischer, ethnologischer, kirchlicher oder rein politischer Art sein, sie mögen auf andere Großreligionen in Asien oder Afrika verweisen, die sich allesamt den vorgeschlagenen Kriterien nicht fügen müssen. Aber derartige Einwände können eher als anregendes Ergebnis der vorgelegten Thesen begriffen werden, die uns zum Weiterdenken nötigen, als daß sie sich gegen die vergleichende Typologie richten, die hier zur Debatte gestellt wird.

Schramms Angebot zielt auf historisch-anthropologische Grundfragen, die in allen Selbstorganisationen auftauchen mögen. Dazu gehört auch der missionarische Ausschließlichkeitsanspruch mit dennoch eingebauten Toleranzvorbehalten, ohne den keine Gesellschaft zu leben fähig sei. So wird die typologisch hypostasierte Einheit des Menschengeschlechts nur durch ihre Differenzen realisiert oder gar durch Differenzen, die erst aufgrund der beanspruchten jeweiligen Ausschließlichkeit zustande kommen. Denn alle die fünf einmal entstandenen neuen religiösen oder politischen und sozialen Formationen bestehen auf einem Wahrheitsanspruch, der Ausschließlichkeit erzwingt und damit missionarische Gelüste weckt. Die herausfordernde Frage lautet daher, ob die Weltgeschichte, so wie sie hier beleuchtet wird, nur auf die vorgeführten Triebkräfte zurückzuführen ist - oder ob sie auch andere Handlungschancen freigibt. Die von Schramm eingeschlagene wissenschaftliche Methode mag dabei hilfreich sein.

Schramm liefert keine Idealtypologie, sondern, wenn man so will, eine konkrete Typologie, die die jeweiligen Einzelgeschichten in ihr einmaliges Recht einsetzt, ohne auf die übergreifenden Frageraster zu verzichten. Im Gegenteil: Es handelt sich um die Anbindung der traditionellen historisch-kritischen Methode an systematischen Grundfragen, die strukturell gleiche, ähnliche oder analoge Sichtweisen voraussetzen oder freigeben. Deshalb liefert Schramm auch keine Ideologiekritik. Er verzichtet auf jenen Verdächtigungsjargon, der in unserer historischen Zunft immer noch ihr eiferndes theologisches Erbe zu erkennen gibt. Vielmehr zieht er, der sich als bekennender Christ ausweist, eine klare Grenzlinie zwischen wissenschaftlicher Verallgemeinerungsfähigkeit und persönlicher Glaubensgewißheit, die methodisch trennbar bleiben müssen, während sie sich in der geschichtlichen Wirklichkeit bekanntlich einander zu blockieren pflegen. Schramms Stil ist deshalb dialogisch offen, aber eingängig, ohne jemals dogmatische Folgerungen aus seinem Frageraster abzuleiten. Die historische Einmaligkeit behält also ihr Recht gerade im Hinblick auf die darin enthaltenen Allgemeinaussagen.

Hier schreitet Schramm Wege aus, die seine beiden bedeutenden Lehrer eröffnet hatten und die er dankbar in seine Argumentation einbezieht: Schöfflers heute völlig zu Unrecht vergessenen religionshistorischen und universitätssoziologischen Ansatz, den er auf die deutsche und die englische Geschichte, monokausal provozierend, angewandt hatte. Der andere Lehrer ist Scheibert, dessen mit enormen Sprachkenntnissen gespeicherte Universalgelehrsamkeit ein christliches Unterfutter zu erkennen gab, das erkenntnisfördernd, aber nicht dogmatisch verblindend gewirkt hatte.

Die Aktualität seiner universalhistorisch übergreifenden Thesen erweist sich für Schramm gerade darin, daß sie eine Antwort auf die brennende Frage anbieten, warum das russische Experiment einer sozialistischen Planungsgesellschaft gescheitert war. Er macht in akkuraten Einzelanalysen der russischen Intelligenz deutlich, wo sie im Unterschied zu allen vorangegangenen Durchbrüchen nur auf Gewalt und Terror setzte, ohne die liberalen oder demokratischen Errungenschaften des Westens und die auch in Rußland schon realisierten Erfolge zu berücksichtigen. Es sind, in anderen Worten, Utopie und Terror, die das kostspielige russische Experiment aus den vorgegebenen welthistorischen Zusammenhängen auszuklinken suchten, um eine absolute oder totale Revolution durchzuführen, die, wie die Erfahrung zeigt, nicht möglich ist und niemals möglich sein wird.

Schramms Angebot, welthistorisch zu denken und empirisch konkret zu verfahren, führt auf provokative Einsichten, die sowohl wissenschaftlich wie politisch und vielleicht auch religiös unsere gegenwärtige Lage aufzuschlüsseln helfen. Und der Leser wird sich so auf eine gedankliche Abenteuerfahrt begeben, die ihn so sehr belehrt wie überrascht und herausfordert: zum Nachdenken, zum Vorausdenken oder auch zum Handeln.

REINHART KOSELLECK

Gottfried Schramm: "Fünf Wegscheiden der Weltgeschichte". Ein Vergleich. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2004. 432 S., geb., 36,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein "großer Wurf" sei Gottfried Schramm mit diesem Buch gelungen, findet Reinhart Koselleck. Angesichts der Parzellierung und Spezialisierung der Geschichtswissenschaft begrüßt es Koselleck sehr, dass endlich einmal wieder jemand wage, Fragen an über dreitausend Jahre Weltgeschichte zu stellen. Und er hält Schramm, der "in vielen Gebieten der Philologie, der sozialen und politischen, der Geistes-, der Kultur- und der Religionsgeschichte seit langem ausgewiesen" sei, auch für den richtigen Autor für solch eine Aufgabe. Die fünf "Wegscheiden", die Schramm unterscheidet und vergleicht, so erfährt man, sind die Entwicklung des jüdischen Monotheismus, der universale Gottesglaube der christlichen Botschaft, die lutherische Reformation, die liberal-amerikanische Verfassung und der russische Versuch, eine Gesellschaft nach dem Prinzip der Gleichheit einzurichten - gewissermaßen fünf universell bedeutsame kulturgeschichtliche Innovationen. Koselleck fallen zu dem Buch zwar auch Einwände ein, nur müsse man diese selbst als "anregendes Ergebnis" der Thesen dieses Buchs - die "uns zum Weiterdenken nötigen" - verstehen: Es verfahre "empirisch konkret" und führe so auf "provokative Einsichten"; der Leser begebe sich mit diesem Buch auf eine "gedankliche Abenteuerfahrt", die so sehr belehre wie überrasche und herausfordere.

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