Eine Reise nach Tel Aviv verändert Sarah Levys Blick auf Israel - aus dem Urlaubsort ihrer Kindheit, Heimat ihrer jüdischen Familie und Konfliktschauplatz wird ein Sehnsuchtsort voller Wärme und inspirierender Begegnungen. Mit 33 entscheidet sie, ihr Leben in Hamburg hinter sich zu lassen, und zieht nach Tel Aviv. Inmitten der Corona-Pandemie durchlebt sie Mentalitätsklüfte, frustrierende Sprachlosigkeit und das liebevolle Chaos israelischer Familientreffen. Im Stadtteil Yafo begegnet sie nicht nur herzlich-warmen Israelis, die ihr ständig Tupperdosen mit Rote-Bete-Salat und dramatische Lebensgeschichten aufdrängen, sondern auch einer tief gespaltenen Gesellschaft.
Eine Geschichte darüber, was Mut bedeuten kann.
Eine Geschichte darüber, was Mut bedeuten kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2022Tel Aviv von außen und innen
Nie hätte Sarah Levy sich vorstellen können, nach Israel auszuwandern. Doch sie tat es - und fand etwas, das ihr gefehlt hatte.
Von Hans Riebsamen
Vor zehn Jahren ist Sarah Levy Hospitantin in der Rhein-Main-Zeitung gewesen. Sie war begabt, daran bestand von Anfang an kein Zweifel. Sie schrieb über Stuten und Schweine auf dem Hessentag, begleitete die Arbeit einer evangelikalen Gemeinde im Frankfurter Bahnhofsviertel und ließ sich von einem 84 Jahre alten Mann zeigen, wie gut er noch mit seinem Auto fahren konnte. Nach der Hospitanz schaffte die Frankfurterin die Aufnahme auf die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und arbeitete danach als freie Autorin vor allem für die Wochenzeitung "Die Zeit".
Das tut sie auch heute noch - aber von Tel Aviv aus. Denn Ende 2019 ist Levy nach Israel ausgewandert. Warum sie das getan hat, wie sie in Tel Aviv zur Israelin wurde und wie sie als Einwandererin ihren Platz in ihrem neuen Heimatland suchte beziehungsweise immer noch sucht, hat sie in dem gut geschriebenen Buch "Fünf Wörter für Sehnsucht. Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst" erzählt, das jetzt im Rowohlt Verlag herausgekommen ist.
Hätte jemand die Hospitantin Sarah Levy vor zehn Jahren gefragt, ob sie vielleicht einmal nach Israel emigrieren wolle, hätte sie vermutlich nur genervt den Kopf geschüttelt. Denn sie war alles andere als eine Zionistin, für die der Judenstaat im Nahen Osten ein Sehnsuchtsort darstellte. Die Jüdin aus Frankfurt lebte säkular und nahm ihr Judentum nicht besonders wichtig. Ihren jüdischen Platz in Deutschland, so beschreibt sie heute ihre damalige Situation, hatte sie, die Tochter eines jüdischen Lehrers und einer Mutter aus einer katholischen Familie, die ihrem Mann zuliebe zum Judentum übergetreten war, nie gefunden.
In der jüdischen Schule in Frankfurt fühlte Sarah sich nicht richtig dazugehörig, ja sogar weniger jüdisch als ihre Klassenkameraden. Irgendwann entschied sie, gar nicht mehr dazugehören zu wollen, und trat aus der Jüdischen Gemeinde aus. Israel kannte sie nur als Urlaubsland, wo sie als Kind und Jugendliche schöne Wochen verbrachte. Als sie dann in Hamburg Journalistin war, verliebte sie sich in das Land. Mehrmals im Jahr saß sie im Flugzeug dorthin und blieb länger und länger in Tel Aviv, wo sie im jemenitischen Viertel erstmals Israelis ihres Alters traf und sich mit ihnen anfreundete. Zuerst zog sie vor allem die starke Lebenslust dieser Freunde an, doch bald fühlte sie sich von dem Land derart fasziniert, dass sie zu überlegen anfing, ganz in Israel zu bleiben - wozu jeder Jude laut Verfassung ein Recht hat.
Die Zerrissenheit einer Jüdin in Deutschland, die sich nie richtig zum Judentum zugehörig fühlte, traf in Israel auf Juden diverser Herkunft, die sie einluden, an ihrem intensiven Leben in Tel Aviv teilzuhaben. So landete sie schließlich Ende 2019 mit drei Koffern und einem Vileda-Wischmopp, auf dessen Qualität sie nicht verzichten wollte, auf dem Flughafen von Tel Aviv - und zuerst einmal im Dschungel der israelischen Bürokratie. Sie hatte viel zu lernen in ihren ersten Monaten im gelobten Land: nicht nur die schwierige hebräische Sprache, die sie anfangs fast gar nicht verstand, sondern auch den offenen und oft rauen Umgang, den Israelis in ihrem Alltag pflegen, zudem jene Durchsetzungsfähigkeit, die man dort nicht nur gegenüber den Behörden, sondern in vielen Lebenssituationen braucht, um klarzukommen. Auch finanziell war ihre Lage nicht rosig, denn Israel ist ein teures Land, in dem Lebensmittel oder Mieten doppelt oder zuweilen dreimal so teuer sind wie in Deutschland.
Wer die detaillierten Erzählungen über ihre anfänglichen Schwierigkeiten in Israel liest, bekommt einen tiefen Einblick in die Wirklichkeit dieses jungen Landes, das man in Deutschland oft nur aus Berichten über Krawalle auf dem Tempelberg oder militärische Auseinandersetzungen mit der Hamas oder der Hizbullah kennt. Die Autorin hat einen besonderen Blick, weil sie innen und außen steht, so dass sie ihre Umgebung mit einem deutschen und einem israelischen Blick betrachten kann.
In die Zeit ihrer Integration in die israelische Gesellschaft fiel ausgerechnet der Ausbruch der Corona-Pandemie, die auch in Israel mit Kontaktsperren und anderen Schutzmaßnahmen verbunden war. In dieser Zeit ist sie viel mit ihrem Freund Itay durch die israelischen Landschaften und Naturparks gestreift und hat dabei die Angst des Stadtmenschen vor den Härten der Natur und des Klimas nach und nach verloren. Sie gewöhnte sich an die Herausforderungen der Wüste und der nicht nach den Standards des deutschen Alpenvereins ausgebauten Wege. Auch die Angst vor dem Sprechen in Hebräisch hat sie überwunden, sie hält sich nicht mehr zurück wie am Anfang, als sie dauernd fürchtete, Fehler zu machen.
Die zu Weltoffenheit und Toleranz erzogene Frau aus Frankfurt musste freilich auch erkennen, dass ihre neue Heimat durchaus nicht so wunderbar multikulturell ist, wie sie sich dies ausgemalt hatte. Im Februar 2021 zieht sie mit ihrem Lebensgefährten in das arabisch dominierte Jaffa in ein Haus, in dem Juden und Araber wohnen. Sarah Levy ist überzeugt davon, dass ein Zusammenleben und ein Miteinander möglich sind. Drei Monate später ist sie sich dessen aber nicht mehr so sicher. Denn auf einmal heulen die Sirenen, prasseln während des Gazakrieges Raketen auch auf Tel Aviv und den Stadtteil Jaffa, müssen Anwohner Schutz in Bunkern suchen.
Doch das Haus, in dem sie lebt, besitzt keinen solchen Bunker. Sie, Itay und andere Nachbarn suchen Schutz im Flur hinter dem Hauseingang, der ihnen als der sicherste Ort in ihrem Domizil erscheint. "Danke, Hamas", sagt Itay ironisch, wenn es wieder einmal kracht. Plötzlich sieht Sarah am Himmel etwas fliegen, das aussieht wie eine langsame Sternschnuppe. Es ist eine Rakete. Ihr Herz klopft, sie hat kein Gefühl in den Händen. "Es sind Sarahs erste Raketen", sagt Itay zu den Nachbarn, die alle schon abgeklärt sind, weil sie eine solche Attacke nicht zum ersten Mal erlebt haben.
Auf einmal hört Sarah Levy von oben ein Klatschen. Es sind die arabischen Nachbarn aus dem Obergeschoss. Sie sähen diese Angriffe der Hamas mit anderen Augen, erläutert ihr ein Nachbar. Die politische Realität, also die Konfrontation des israelischen Staates mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn lässt sich nicht ausblenden. Sie gehört nun zu Sarah Levys Realität.
Sie sei losgezogen, um etwas zu finden, von dem sie gemeint habe, es in Deutschland nicht finden zu können, fasst Levy ihr Abenteuer zusammen. Tatsächlich sei sie auf Menschen und Geschichten gestoßen, die sie stimuliert und ihre Identität gestärkt hätten. Den paradiesischen Ort, zu dem sie Israel vor ihrer Einwanderung verklärt hatte, fand sie nicht. Das Paradies sei auch ein bisschen Hölle, sagt sie. Doch das Land habe sie aus ihrer Komfortzone gelockt und ihr gezeigt, wie mutig sie sein könne. "Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich vorher war", schreibt Sarah Levy. Sie habe gelernt, an den Rand ihrer Kräfte zu kommen, ihrer geistigen, emotionalen und körperlichen. Wie, so fragt sie, passe ich hier rein? Tue ich das überhaupt? Sie fange gerade erst an, das herauszufinden.
Sarah Levy: "Fünf Wörter für Sehnsucht. Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst", Rowohlt Verlag, 363 Seiten, 17 Euro
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Nie hätte Sarah Levy sich vorstellen können, nach Israel auszuwandern. Doch sie tat es - und fand etwas, das ihr gefehlt hatte.
Von Hans Riebsamen
Vor zehn Jahren ist Sarah Levy Hospitantin in der Rhein-Main-Zeitung gewesen. Sie war begabt, daran bestand von Anfang an kein Zweifel. Sie schrieb über Stuten und Schweine auf dem Hessentag, begleitete die Arbeit einer evangelikalen Gemeinde im Frankfurter Bahnhofsviertel und ließ sich von einem 84 Jahre alten Mann zeigen, wie gut er noch mit seinem Auto fahren konnte. Nach der Hospitanz schaffte die Frankfurterin die Aufnahme auf die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und arbeitete danach als freie Autorin vor allem für die Wochenzeitung "Die Zeit".
Das tut sie auch heute noch - aber von Tel Aviv aus. Denn Ende 2019 ist Levy nach Israel ausgewandert. Warum sie das getan hat, wie sie in Tel Aviv zur Israelin wurde und wie sie als Einwandererin ihren Platz in ihrem neuen Heimatland suchte beziehungsweise immer noch sucht, hat sie in dem gut geschriebenen Buch "Fünf Wörter für Sehnsucht. Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst" erzählt, das jetzt im Rowohlt Verlag herausgekommen ist.
Hätte jemand die Hospitantin Sarah Levy vor zehn Jahren gefragt, ob sie vielleicht einmal nach Israel emigrieren wolle, hätte sie vermutlich nur genervt den Kopf geschüttelt. Denn sie war alles andere als eine Zionistin, für die der Judenstaat im Nahen Osten ein Sehnsuchtsort darstellte. Die Jüdin aus Frankfurt lebte säkular und nahm ihr Judentum nicht besonders wichtig. Ihren jüdischen Platz in Deutschland, so beschreibt sie heute ihre damalige Situation, hatte sie, die Tochter eines jüdischen Lehrers und einer Mutter aus einer katholischen Familie, die ihrem Mann zuliebe zum Judentum übergetreten war, nie gefunden.
In der jüdischen Schule in Frankfurt fühlte Sarah sich nicht richtig dazugehörig, ja sogar weniger jüdisch als ihre Klassenkameraden. Irgendwann entschied sie, gar nicht mehr dazugehören zu wollen, und trat aus der Jüdischen Gemeinde aus. Israel kannte sie nur als Urlaubsland, wo sie als Kind und Jugendliche schöne Wochen verbrachte. Als sie dann in Hamburg Journalistin war, verliebte sie sich in das Land. Mehrmals im Jahr saß sie im Flugzeug dorthin und blieb länger und länger in Tel Aviv, wo sie im jemenitischen Viertel erstmals Israelis ihres Alters traf und sich mit ihnen anfreundete. Zuerst zog sie vor allem die starke Lebenslust dieser Freunde an, doch bald fühlte sie sich von dem Land derart fasziniert, dass sie zu überlegen anfing, ganz in Israel zu bleiben - wozu jeder Jude laut Verfassung ein Recht hat.
Die Zerrissenheit einer Jüdin in Deutschland, die sich nie richtig zum Judentum zugehörig fühlte, traf in Israel auf Juden diverser Herkunft, die sie einluden, an ihrem intensiven Leben in Tel Aviv teilzuhaben. So landete sie schließlich Ende 2019 mit drei Koffern und einem Vileda-Wischmopp, auf dessen Qualität sie nicht verzichten wollte, auf dem Flughafen von Tel Aviv - und zuerst einmal im Dschungel der israelischen Bürokratie. Sie hatte viel zu lernen in ihren ersten Monaten im gelobten Land: nicht nur die schwierige hebräische Sprache, die sie anfangs fast gar nicht verstand, sondern auch den offenen und oft rauen Umgang, den Israelis in ihrem Alltag pflegen, zudem jene Durchsetzungsfähigkeit, die man dort nicht nur gegenüber den Behörden, sondern in vielen Lebenssituationen braucht, um klarzukommen. Auch finanziell war ihre Lage nicht rosig, denn Israel ist ein teures Land, in dem Lebensmittel oder Mieten doppelt oder zuweilen dreimal so teuer sind wie in Deutschland.
Wer die detaillierten Erzählungen über ihre anfänglichen Schwierigkeiten in Israel liest, bekommt einen tiefen Einblick in die Wirklichkeit dieses jungen Landes, das man in Deutschland oft nur aus Berichten über Krawalle auf dem Tempelberg oder militärische Auseinandersetzungen mit der Hamas oder der Hizbullah kennt. Die Autorin hat einen besonderen Blick, weil sie innen und außen steht, so dass sie ihre Umgebung mit einem deutschen und einem israelischen Blick betrachten kann.
In die Zeit ihrer Integration in die israelische Gesellschaft fiel ausgerechnet der Ausbruch der Corona-Pandemie, die auch in Israel mit Kontaktsperren und anderen Schutzmaßnahmen verbunden war. In dieser Zeit ist sie viel mit ihrem Freund Itay durch die israelischen Landschaften und Naturparks gestreift und hat dabei die Angst des Stadtmenschen vor den Härten der Natur und des Klimas nach und nach verloren. Sie gewöhnte sich an die Herausforderungen der Wüste und der nicht nach den Standards des deutschen Alpenvereins ausgebauten Wege. Auch die Angst vor dem Sprechen in Hebräisch hat sie überwunden, sie hält sich nicht mehr zurück wie am Anfang, als sie dauernd fürchtete, Fehler zu machen.
Die zu Weltoffenheit und Toleranz erzogene Frau aus Frankfurt musste freilich auch erkennen, dass ihre neue Heimat durchaus nicht so wunderbar multikulturell ist, wie sie sich dies ausgemalt hatte. Im Februar 2021 zieht sie mit ihrem Lebensgefährten in das arabisch dominierte Jaffa in ein Haus, in dem Juden und Araber wohnen. Sarah Levy ist überzeugt davon, dass ein Zusammenleben und ein Miteinander möglich sind. Drei Monate später ist sie sich dessen aber nicht mehr so sicher. Denn auf einmal heulen die Sirenen, prasseln während des Gazakrieges Raketen auch auf Tel Aviv und den Stadtteil Jaffa, müssen Anwohner Schutz in Bunkern suchen.
Doch das Haus, in dem sie lebt, besitzt keinen solchen Bunker. Sie, Itay und andere Nachbarn suchen Schutz im Flur hinter dem Hauseingang, der ihnen als der sicherste Ort in ihrem Domizil erscheint. "Danke, Hamas", sagt Itay ironisch, wenn es wieder einmal kracht. Plötzlich sieht Sarah am Himmel etwas fliegen, das aussieht wie eine langsame Sternschnuppe. Es ist eine Rakete. Ihr Herz klopft, sie hat kein Gefühl in den Händen. "Es sind Sarahs erste Raketen", sagt Itay zu den Nachbarn, die alle schon abgeklärt sind, weil sie eine solche Attacke nicht zum ersten Mal erlebt haben.
Auf einmal hört Sarah Levy von oben ein Klatschen. Es sind die arabischen Nachbarn aus dem Obergeschoss. Sie sähen diese Angriffe der Hamas mit anderen Augen, erläutert ihr ein Nachbar. Die politische Realität, also die Konfrontation des israelischen Staates mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn lässt sich nicht ausblenden. Sie gehört nun zu Sarah Levys Realität.
Sie sei losgezogen, um etwas zu finden, von dem sie gemeint habe, es in Deutschland nicht finden zu können, fasst Levy ihr Abenteuer zusammen. Tatsächlich sei sie auf Menschen und Geschichten gestoßen, die sie stimuliert und ihre Identität gestärkt hätten. Den paradiesischen Ort, zu dem sie Israel vor ihrer Einwanderung verklärt hatte, fand sie nicht. Das Paradies sei auch ein bisschen Hölle, sagt sie. Doch das Land habe sie aus ihrer Komfortzone gelockt und ihr gezeigt, wie mutig sie sein könne. "Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich vorher war", schreibt Sarah Levy. Sie habe gelernt, an den Rand ihrer Kräfte zu kommen, ihrer geistigen, emotionalen und körperlichen. Wie, so fragt sie, passe ich hier rein? Tue ich das überhaupt? Sie fange gerade erst an, das herauszufinden.
Sarah Levy: "Fünf Wörter für Sehnsucht. Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst", Rowohlt Verlag, 363 Seiten, 17 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Liebeserklärung an ihre neue Heimat. Eine sehr ehrliche Liebeserklärung, eine, die nichts schönredet. Alexander Jürgs F.A.Z. Rhein-Main-Zeitung 20231118