Christian Maurels Essay, der 1973 zunächst anonym in der Zeitschrift Recherches erschienen, und lange dem Queertheoretiker Guy Hocquenghem zugeschrieben wurde, kreist um eine Frage, die vom Standpunkt einer auf rechtliche Anerkennung und Respektabilität verpflichteten Schwulen- und Lesbenbewegung skandalös erscheint: Welche subjektive, soziale und politische Bedeutung hat die libidinöse Besetzung des Anus? Maurel erinnert daran, dass eine queere Kritik nicht ohne Bezugnahme auf das »Perverse« der Sexualität auskommen kann. Quellen dieses im Anschluss an 1968 entstandenen Denkens sind neben den…mehr
Christian Maurels Essay, der 1973 zunächst anonym in der Zeitschrift Recherches erschienen, und lange dem Queertheoretiker Guy Hocquenghem zugeschrieben wurde, kreist um eine Frage, die vom Standpunkt einer auf rechtliche Anerkennung und Respektabilität verpflichteten Schwulen- und Lesbenbewegung skandalös erscheint: Welche subjektive, soziale und politische Bedeutung hat die libidinöse Besetzung des Anus? Maurel erinnert daran, dass eine queere Kritik nicht ohne Bezugnahme auf das »Perverse« der Sexualität auskommen kann. Quellen dieses im Anschluss an 1968 entstandenen Denkens sind neben den Arbeiten Hocquenghems die Psychoanalyse-Kritik von Gilles Deleuze und Félix Guattari sowie die politische Arbeit innerhalb der Front homosexuel d'action révolutionnaire (FHAR). Maurels Position erweist sich als Alternative zu einem performativen Identitätsverständnis und stellt im Kontext des Aktivismus der 70er Jahre postkoloniale Fragen, etwa zum Verhältnis von Europäern und »Arabern«. Die von Guattari herausgegebene Ausgabe von Recherches wurde unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung verboten, die Auflage vernichtet. Ein Nachdruck erfolgte 1978, eine deutsche Ausgabe erschien 1980. Maurels Text in einer neuen Übersetzung von Tobias Haberkorn wird begleitet von einem Essay von Peter Rehberg. Die Neuauflage ist erweitert um ein Vorwort von Antoine Idier, der die theoretisch und politisch konfliktreichen Beziehung zwischen Maurel und Hocquenghem diskutiert und so neue Akzente in der Diskussion früher französischer Queer Theory setzt.
Christian Maurel (1931-2011) war politisch und publizistisch im Umfeld der FHAR (Front homosexuel d'action révolutionnaire) tätig, hat er seit den 1960er Jahren als Journalist u.a. für den Nouvel Observateur gearbeitet. Neben Gedichten hat er auch eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Sein Beitrag zur Vorgeschichte von Queer Theory bleibt vermutlich "Les culs énergumènes". Tobias Haberkorn ist Journalist, Übersetzer und Autor. Peter Rehberg ist Archiv- und Sammlungsleiter im Schwulen Museum Berlin. Antoine Idier lehrt Politikwissenschaft an der Sciences-Po Saint-Germain-en-Laye und ist Forscher am CESDIP, Centre de recherches sociologiques sur le droit et les institutions pénales . Seine Forschungsschwerpunkte sind Sexualität und Politik, die Geschichte der sozialen Bewegungen und der LGBTQI+-Bewegungen, Ideengeschichte, Queer-Theorie sowie zeitgenössische Kunst und Literatur. Zuletzt ist von ihm erschienen: Les vies de Guy Hocquenghem. Politique, sexualité, culture , Paris: Fayard 2017. Lilian Peter studierte als Jungstudentin neben der Schule Klavier, dann Philosophie, Altgriechisch und Musikwissenschaft u.a. in Wien und Heidelberg. Zweitstudium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Studienaufenthalte in Prag, Paris und New York. Preisträgerin des Gargonza Arts Award 2015 und des Edit Essaypreis 2017, Stipendiatin der Villa Kamogawa in Kyoto 2019. Sie lebt als Autorin, Philosophin, Übersetzerin und Klavierlehrerin in Berlin. Literarisch gilt ihr Interesse allen möglichen Arten prosaischer Schnitte und Schnittstellen, Atmosphärischem, Surrealem, Verengendem, Überbordendem, Lügenhaftem, maßlos Übertriebenem, Rätselhaftem, Philosophiebeklauendem, Anarchischem, Feministischem.
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