Der Lebensweg eines deutschen Bildungsbürgers
Aus der Flut der Memoirenliteratur ragen die Erinnerungen des langjährigen Verantwortlichen für die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland heraus. Sie schildern nicht allein den bewegten Lebenslauf des Urenkels des berühmten Historikers Barthold Georg Niebuhr - sie sind auch ein eindrucksvolles Beispiel für Niedergang und Wiederaufstieg des deutschen Bildungsbürgertums und ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik aus der Sicht eines Liberalen, der enger Mitarbeiter von Hans-Dietrich Genscher war. Als Diplomat war Witte u. a. an der Formulierung der KSZE-Schlussakte von Helsinki, an wichtigen Phasen des Nahostkonflikts und der Überwindung der Apartheid in Südafrika beteiligt.
Aus der Flut der Memoirenliteratur ragen die Erinnerungen des langjährigen Verantwortlichen für die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland heraus. Sie schildern nicht allein den bewegten Lebenslauf des Urenkels des berühmten Historikers Barthold Georg Niebuhr - sie sind auch ein eindrucksvolles Beispiel für Niedergang und Wiederaufstieg des deutschen Bildungsbürgertums und ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik aus der Sicht eines Liberalen, der enger Mitarbeiter von Hans-Dietrich Genscher war. Als Diplomat war Witte u. a. an der Formulierung der KSZE-Schlussakte von Helsinki, an wichtigen Phasen des Nahostkonflikts und der Überwindung der Apartheid in Südafrika beteiligt.
IN DER KULTURPOLITIK der alten Bundesrepublik war Barthold C. Witte eine Institution. Sein Herzenswunsch, "Machtpolitiker" zu werden, blieb ihm indes zeitlebens verwehrt, wohl auch deshalb, weil er zu sehr "von des Gedankens Blässe angekränkelt" war. Als Ururgroßenkel des Historikers Barthold Georg Niebuhr und Enkel des Gründungsrektors der Universität Hamburg Karl Rathgen war das Denken dem Pfarrerssohn aus dem Hunsrück schon 1928 in die Wiege gelegt worden. Das Miterleben der Schweizer Demokratie während eines Studienjahres in Zürich und das Entstehen neuer Staatlichkeit in Deutschland weckten in ihm dann 1949 das Interesse für die Politik. Witte trat in die FDP ein und wurde stellvertretender Bundesvorsitzender des Liberalen Studentenbundes. "Süchtig" nach der "geistigen Droge" Politik, brach er sein Studium ab, setzte aber bei der Planung der politischen Karriere zweimal auf den "falschen" Mentor: 1952 wurde er Assistent des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Hermann Schäfer; 1957 trat er in den Dienst des Chefs der Demokratischen Partei Saar, Heinrich Schneider. Ihr Scheitern sollte auch ihm das politische Avancement versperren. Aus Sorge um die Achtung der bürgerlichen Umwelt erwarb Witte den Doktortitel und wagte nach kurzem Interim als Journalist 1962 abermals den Sprung in die Politik. Doch statt des anvisierten Bundesgeschäftsführerpostens bei der FDP erreichte er aufgrund innerparteilicher Widerstände "nur" die Geschäftsführung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Und auch dort blieben die Probleme mit den "Parteifreunden" virulent. Die Aufgabe seines Lebens fand Witte dann 1971 in der Kulturpolitik des Auswärtigen Amts. "Hinhaltende Opposition" aus den eigenen Reihen und ökonomische Zwangslagen ließen seine von Willy Brandts Reformplänen genährte Euphorie zwar bald verfliegen. Dennoch blieb er dem Metier bis zu seiner Pensionierung 1991 treu und verhalf ihm nicht zuletzt als Leiter der Kulturabteilung zu ungeahnter Blüte. Glänzend geschrieben, präsentieren Wittes Memoiren einen streitbaren Liberalen, der am Ende des kurvenreichen bisherigen Lebensweges mit bemerkenswertem Freimut Schwächen, Schicksalsschläge und Mißerfolge offenlegt. Er tut dies freilich im stolzen Bewußtsein, dem "tiefen Loch" der Nachkriegsjahre entronnen und aus dem langen Schatten seines Namenspatrons definitiv herausgetreten zu sein. (Barthold C. Witte: Für die Freiheit eine Gasse. Aus dem Leben eines liberalen Bürgers. Hohenheim Verlag, Stuttgart 2003. 408 Seiten, 22,- [Euro].)
ULRICH LAPPENKÜPER
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