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8 Kundenbewertungen

Staatsfeind Nummer 1 zu sein ist nicht leicht. Das gilt auch dann, wenn dieser Staat einer der kleinsten der Erde ist: das Fürstentum Liechtenstein. Johann Kaiser, Sohn eines Fotografen, Weltenbummler, Meister der Manipulation, lebt unter falschem Namen an einem unbekannten Ort. Mit dem Verkauf gestohlener Kundendaten einer großen Bank hat er so gut verdient, dass es sich unbesorgt leben ließe - wären da nicht die Verleumdungen aus seiner Heimat, die aus ihm einen Verräter machen wollen. Im Versuch, die Deutungshoheit über sein Leben zurückzuerlangen, greift Johann zu Stift und…mehr

Produktbeschreibung
Staatsfeind Nummer 1 zu sein ist nicht leicht. Das gilt auch dann, wenn dieser Staat einer der kleinsten der Erde ist: das Fürstentum Liechtenstein. Johann Kaiser, Sohn eines Fotografen, Weltenbummler, Meister der Manipulation, lebt unter falschem Namen an einem unbekannten Ort. Mit dem Verkauf gestohlener Kundendaten einer großen Bank hat er so gut verdient, dass es sich unbesorgt leben ließe - wären da nicht die Verleumdungen aus seiner Heimat, die aus ihm einen Verräter machen wollen. Im Versuch, die Deutungshoheit über sein Leben zurückzuerlangen, greift Johann zu Stift und Papier.

Benjamin Quaderer hat einen tollkühnen Debütroman geschrieben über die Macht des Geldes und die Macht des Erzählens. Das Porträt eines Hochstaplers, der die Gesellschaft spiegelt, die er betrügt.
Autorenporträt
Benjamin Quaderer, geboren 1989 in Feldkirch, Österreich, und aufgewachsen in Liechtenstein, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und in Wien. »Für immer die Alpen« ist sein erster Roman, er wurde ausgezeichnet mit dem Rauriser Literaturpreis, dem Debütpreis der lit.Cologne sowie dem Uwe-Johnson-Förderpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2020

Aus Ställen wurden Finanzinstitute
Benjamin Quaderers Schelmen-Thriller "Für immer die Alpen" legt eine Steueroase trocken

"Johann wird ein sparsamer Mensch sein", sprach die Hebamme, "der durch harte Arbeit zu viel Geld kommen wird." Sprach's, geschah's. Und das kam so: Johann Kaiser wächst in einem Liechtensteiner Waisenhaus auf. Die spanische Mamá, die dem Vater einst ins Fürstentum gefolgt war, hat die Familie nach einem Ehestreit über das Frauenwahlrecht verlassen. Es wird gemunkelt, sie habe sich der Revolution in Lateinamerika angeschlossen. Der Vater, ein trinkender Fotograf, hat kein Interesse an seinen Kindern und setzt diese deshalb kurzerhand aus.

Im Kinderheim angekommen, wird Johann von der Leiterin der Einrichtung seelisch gequält. Auch die Beziehung zu seinen älteren Zwillingsschwestern ist belastet. Gleich nach Johanns Geburt wollen sie das Baby mit einem Kissen ersticken: "Alfred stand vor mir und hielt in jeder Hand zwei Zöpfe, an denen er die schreienden Zwillinge von mir wegzog wie tollwütige Hunde. Ich schloss die Augen und zählte bis dreißig. In dieser Welt gab es nichts, was mich hielt."

O doch! Es gibt sie, die positive weibliche Gegenfigur in Johanns Leben. Niemand Geringeres als Fürstin Gina ist es, die den Jungen seit ihrer Begegnung beim Kirschmarmeladenkauf protegiert. Sie wird es sein, die ihn unter die fürstlichen Fittiche nimmt und mehr verwöhnt als ihren eigenen Sohn. Der Thronfolger Hans-Adam wird nach dem Ableben der Fürstin noch eine entscheidende Rolle spielen in dieser Steueroasenoperette des literarischen Debütanten Benjamin Quaderer.

Es ist ein Buch, mit dem man einige Zeit fremdelt, weil es mit heiterer Drastik eine Waisenhausgeschichte auftischt, die man kein bisschen glaubt. Dann aber entfaltet "Für immer die Alpen" unaufhaltsam die Sogkraft eines Thrillers. Diese Transformation von der postmodernen Pikareske (inklusive Fußnotenüberschuss, Schwärzungen, Rötungen und Auslassungen) hin zum Steuerfahndungskrimi ist unerwartet. Und virtuos.

Johann Kaiser nimmt seine Leser mit auf eine Reise rund um den Globus. Zunächst mit einem entwendeten Moped über die Alpen in Richtung Barcelona, wo er sich auf die Suche nach Mamá begibt. Dort angekommen, gelingt es ihm, durch Lügen in der Millionärskinderschule von Barcelona unterzukommen. Als angeblicher Erbe der Liechtensteiner Bohrmaschinendynastie Hilti verschafft er sich Zugang zu den höchsten Kreisen. Abends verkehrt er im Umfeld einer literarischen Avantgardegruppe. Aus dem Kreis der (mexikanischen) Infrarealisten steckt der 2003 in Barcelona verstorbene Exil-Chilene Roberto Bolaño - zwinker, zwinker - seinen Wuschelkopf zu uns heraus.

Das Buch hat nun so viele Wendungen und unerhörte Begebenheiten, dass selbst sein Autor die Lust an ihrer Nachverfolgung verliert. Mordlustige Schwestern, fürstliche Matriarchinnen, ergreifende Slow-Sex-Szenen: All das will man nicht umsonst gelesen haben. Wichtig für den Fortgang der Geschichte ist aber ein Ereignis, das den Irrungen des jungen Helden - und damit auch dem Buch - endlich eine Richtung gibt.

Bei einem krummen Immobiliendeal hat Johann die Eltern eines Schulfreunds über den Tisch gezogen. Die Rache der ihrerseits kriminellen Toblers ist das tragische Herzstück der Geschichte. Der Erzähler wird von ihnen nämlich nach Argentinien gelockt und auf einer Hazienda grausam gefoltert. Dieser grässlichen Situation entkommen, beginnt Johann in Liechtenstein ein neues Leben als Treuhänder der fürstlichen Stiftungsbank, deren Geschäftsmodell darin besteht, das Vermögen reicher Ausländer zu verschleiern. Johann ist dafür zuständig, die sensiblen Kundenakten erst zu digitalisieren und dann verschwinden zu lassen. Eine Sicherheitsmaßnahme der Bank, denn das, was in Liechtenstein normal ist, wird andernorts verfolgt.

Steuerhinterziehung als Geschäftsmodell! Dem hochintelligenten Johann Kaiser entgeht nicht, dass man damit etwas anfangen kann. Sein Ziel: Er will Fürst Hans-Adam erpressen. Dieser soll den versandeten Prozess gegen die Toblers neu aufrollen helfen. Dort, wo bislang nur das Identitätsroulette eines armen Waisenkindes die Geschichte antrieb, hat Johann jetzt ein Motiv. Der Gefolterte will Gerechtigkeit. Doch der Fürst zieht ihn über den Tisch. Vom Datendieb wird Kaiser also schnell zum Datendealer, der mit dem BND Kontakt aufnimmt und nach dem realen Vorbild Heinrich Kiebers zahlreiche deutsche Steuersünder ans Messer liefert. Darunter den ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel. Kieber wurde seinerzeit von den deutschen Behörden mit einer neuen Identität ausgestattet. Liechtenstein sucht "den Bluthund" des Kleinstaats mit internationalem Haftbefehl. Man pflegt die Auffassung: Oasen gibt es nur inmitten von Wüsten.

In seinem Buch "Der Fürst. Der Dieb. Die Daten" hat Kieber ausführlich Auskunft über sich gegeben. Dieser Bericht eines Waisenkinds dient dem in Liechtenstein aufgewachsenen Benjamin Quaderer als Quelle. Ebenso eine Biographie von Sigvard Wohlwend: "Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den grössten Steuerskandal aller Zeiten auslöste". Zahlreiche Fußnoten im Roman belegen das. Getreu dem Motto: Wenn die Realität solche Geschichten schreibt, muss man das als Autor nicht übertrumpfen.

Worin besteht dann aber die Kunst dieser rasanten Bearbeitung? Benjamin Quaderer verwandelt sich die Geschichte des Datendiebs an - und zwar im selbsterfundenen Genre des Schelmen-Thrillers. Sein verstolperter Held ist dabei zu keinem Zeitpunkt greifbar. Doch dessen Abenteuer verfolgt man mit wachsendem Interesse. Ironisch hält Quaderer seine Figur auf Distanz. So kann er ihr nicht verfallen. Vielmehr benutzt er den Datendieb selbst als Datenträger. Durch die Figur des Johann Kaiser wird erzählt, was diese Welt aus elf Dörfern, "die in Rüben, Kartoffeln, später Bohrmaschinen machten", im Innersten zusammenhält: "Die Ställe von früher waren die Finanzinstitute von heute." Quaderer schreibt nicht nur internationale Steuer-, sondern auch Regionalgeschichte. Es ist das Protokoll einer Selbstverleugnung: "Diejenigen, die vor ein oder zwei Generationen noch Bauern gewesen waren, hatten jetzt Geld und kauften sich von einer Vergangenheit frei, für die sie sich schämten." Stumm und majestätisch stehen die Alpen in der Kulisse dieses Sozialdramas.

KATHARINA TEUTSCH

Benjamin Quaderer: "Für immer die Alpen". Roman.

Luchterhand Literaturverlag, München 2020. 592 S., geb., 22,- [Euro].

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»Quaderer ist eine Entdeckung.« Hubert Winkels / Süddeutsche Zeitung