Produktdetails
- dtv Taschenbücher Bd.8397
- Verlag: DTV
- Originaltitel: Rough Strife
- 1997
- Deutsch
- Abmessung: 13mm x 119mm x 191mm
- Gewicht: 196g
- ISBN-13: 9783423083973
- ISBN-10: 3423083972
- Artikelnr.: 06830178
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2015Die Kunst des Paarlaufs auf dünnem Eis
Glücklichsein ist kein Kriterium: In ihrem Debütroman erzählt die Amerikanerin Lynne Schwartz die Geschichte einer Ehe. "Für immer ist ganz schön lange" ist eine wichtige Wiederentdeckung.
Die Ehe ist bekanntlich nichts für Feiglinge. Das gilt auch für den Roman der Amerikanerin Lynne Schwartz. "Rough Strife" heißt das 1980 erstmals erschienene Werk im Original, was so viel bedeutet wie "rauher Streit" oder wie der italienische Ausdruck "brutto periodo", der für die Ehe von Caroline und Ivan bedeutsam wird. ",Was heißt brutto periodo?', fragte sie an seiner Tür. ,Schlechtes Wetter. Wörtlich: Eine hässliche Periode oder Phase . . .' ,Eine hässliche Phase. Brutto periodo. Das gefällt mir. Es hört sich gut an.' Es war irgendwie tröstlich. Nur eine Phase, dann ist das schlechte Wetter vorbei."
Regnerische bis stürmische Phasen halten sich in der Ehe von Caroline und Ivan mit sonnigen Abschnitten etwa die Waage; den Hauptteil macht jene Art Wetter aus, das einfach da ist und weder als ausnehmend gut noch besonders schlecht auffällt. Caroline und Ivan führen in vielerlei Hinsicht eine typische Akademikerrehe: Sie gehen als gleichberechtigte Partner reflektiert miteinander um, lassen dem anderen Freiräume und sagen nicht alles, was sie denken. Was sie von anderen Paaren nicht nur ihrer Generation abhebt, ist, dass sie tatsächlich zusammen sind, um zusammenzubleiben - und das, obwohl sie nicht dazu neigen, ihre Gemeinschaft mythisch zu überhöhen. So viele Stadien und Zustände ihre Beziehung auch durchläuft, eine Trennung wird höchstens heimlich erwogen. Dabei erscheinen Caroline und Ivan als Paar so typisch wie einzigartig; auch darin liegt ein nicht unerheblicher Reiz dieser Wiederentdeckung, die auf Deutsch den deutlich weicheren Titel trägt "Für immer ist ganz schön lange".
Der Roman setzt ein mit einer Szene, wie sie in jeder langen Beziehung vorkommen dürfte - und auch wieder nicht: Ivan ist joggen gegangen und kehrt nicht nach der üblichen Zeit zurück. Caroline, seit gut zwanzig Jahren seine Frau, wird unruhig, stellt sich vor, was ihm zugestoßen sein könnte und wie sie den Unfall/Herzinfarkt den beiden Töchtern beibringen wird. Gleich darauf erfasst sie heiße Wut: Wie konnte Ivan sie einfach so mir nichts, dir nichts verlassen, noch dazu, nachdem sie sich gerade erst geliebt haben? Schon steigt vor ihrem inneren Auge die Vision eines Racheakts auf, wie sie all seine Sachen, "seine Socken und Taschentücher und Unterwäsche, seine Kragenstäbchen und Ersatz-Schnürsenkel" zusammenraffen und den ganzen Kram verbrennen wird. Und wie sie sich alsbald anderen Männern zuwenden wird. Doch dann holt die Realität sie zurück in die Gegenwart. "Plötzlich sah sie Ivans ungeduldig angespannte Lippen vor sich, wenn er die Stäbchen mühsam in den Kragen schob, und ihr Herz stürzte in einen Abgrund, gab ihr einen leisen Vorgeschmack auf die eisige Einsamkeit, die sie erwartete." Als sie erwacht, ist Ivan wieder da.
Die Schriftstellerin Lynne Schwartz war einundvierzig Jahre alt, als sie ihr erstaunliches Romandebüt vorlegte, das heute, eine Generation später, nichts von seiner Intensität, seiner psychologischen Raffinesse und seiner Gültigkeit eingebüßt hat. Das liegt zum einen an der gnadenlos exakten Beobachtungsgabe einer Autorin, die jede Bemerkung und jede Geste registriert, zum anderen an ihrer Fähigkeit, die ständigen kleinen Verschiebungen dieses heiklen Doppelequilibriums mit einer Art leicht entflammbaren Abgeklärtheit zu schildern, die kleinen Begebenheiten die Bedeutung tektonischer Verschiebungen zu verleihen weiß. Exemplarisch dafür ist die Episode, in der Caroline ihrem Mann das Schlittschuhlaufen beibringt. "Um anzuhalten, prallte er gegen Caroline - er wusste noch nicht, wie man bremst. Jedes Mal, wenn sie ihn stolz auf sich zukommen sah, spannte sie alle Muskeln an, um das Gewicht aufzufangen, das in sie krachte. Ivan fand diese Zusammenstöße und Carolines geduldiges Versteifen ungeheuer lustig, alberte herum und machte sich einen Spaß daraus, viel öfter als nötig mit ihr zusammenzuprallen." Doch dann gewinnt er rasch an Sicherheit und gleitet mit lässigem Stolz dahin. Und dann kommt einer dieser Sätze, die den Wetterumschwung anzeigen, ohne ihn zum Problem zu machen: "Er war außer Sicht, lief irgendwo abseits und allein Schlittschuh, und sie verspürte eine tiefe, schuldbewusste Erleichterung."
Über das, was Paare zusammenhält, hat die Literatur meist weniger zu sagen als über das, was sie trennt. Auch Lynne Schwartz spart nicht mit Krisen; beide Partner haben Affären, suchen Erfüllung im Beruf, wenden sich voneinander ab - aber nie zur gleichen Zeit. Überhaupt ist die Zeit in diesem Roman ständig anwesend; mal wird sie gedehnt, mal werden Jahre zu wenigen Sätzen gerafft, mal scheint sie stillzustehen. So gelingt Lynne Schwartz die vielleicht schwierigste Kunst von allen: zwei Menschen beim gemeinsamen Erwachsenwerden zuzusehen, ein Prozess, für den die Ehe als der Beschleuniger schlechthin gelten kann. Als Caroline ihrem Mann nach fast sieben Jahren sagt, dass sie nun - entgegen früherer Aussagen - ein Kind möchte, verbindet sie diesen Wunsch mit der für Ivan zunächst bitteren Einsicht, "dass das hier nicht genug ist". Die Veränderungen, die die Geburt des ersten Kindes mit sich bringt, sind dann sehr viel tiefergehend und sowohl beglückender wie bedrohlicher, als sich beide das hätten ausmalen können.
Dem Roman merkt man die fünfunddreißig Jahre, die seit seiner Entstehung vergangen sind, nicht an, außer vielleicht an dem Umstand, dass Caroline und Ivan mit Mitte zwanzig heiraten und sich zwanzig Jahre später fast schon alt fühlen. Beide kennzeichnet eine Offenheit, die nichts beschönigt und bei Ivan mitunter einen Zug ins Brutale annimmt. Die Hochzeit wird von ihm nicht romantisch verklärt, sondern ähnelt einem Pakt: "Wir werden nicht so werden wie alle anderen. Ich weiß es. Ich möchte sicher sein, dass du immer da bist." Dasein und Dableiben: das ist das Fundament, auf dem ihre Beziehung ruht, und das sich als erstaunlich tragfähig erweist.
Caroline gelingt als Mathematikerin eine für die Zeit erstaunlich reibungslose Universitätslaufbahn, Ivan bekommt eine Stellung am Metropolitan Museum. Die New Yorkerin Lynne Schwartz, die ihrem Debüt viele weitere Storys, Novellen und Gedichtbände folgen ließ und am Bannard College Creative Writing unterrichtet, hatte es weniger leicht. Sie ist in ihrer Heimat bekannt, gehört aber nicht zu den literarischen household names. Wer aber diesen Roman liest, wird den Namen seiner Verfasserin nicht so schnell vergessen.
FELICITAS VON LOVENBERG
Lynne Schwartz: "Für immer ist ganz schön lange". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber Verlag, Zürich 2015. 255 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Glücklichsein ist kein Kriterium: In ihrem Debütroman erzählt die Amerikanerin Lynne Schwartz die Geschichte einer Ehe. "Für immer ist ganz schön lange" ist eine wichtige Wiederentdeckung.
Die Ehe ist bekanntlich nichts für Feiglinge. Das gilt auch für den Roman der Amerikanerin Lynne Schwartz. "Rough Strife" heißt das 1980 erstmals erschienene Werk im Original, was so viel bedeutet wie "rauher Streit" oder wie der italienische Ausdruck "brutto periodo", der für die Ehe von Caroline und Ivan bedeutsam wird. ",Was heißt brutto periodo?', fragte sie an seiner Tür. ,Schlechtes Wetter. Wörtlich: Eine hässliche Periode oder Phase . . .' ,Eine hässliche Phase. Brutto periodo. Das gefällt mir. Es hört sich gut an.' Es war irgendwie tröstlich. Nur eine Phase, dann ist das schlechte Wetter vorbei."
Regnerische bis stürmische Phasen halten sich in der Ehe von Caroline und Ivan mit sonnigen Abschnitten etwa die Waage; den Hauptteil macht jene Art Wetter aus, das einfach da ist und weder als ausnehmend gut noch besonders schlecht auffällt. Caroline und Ivan führen in vielerlei Hinsicht eine typische Akademikerrehe: Sie gehen als gleichberechtigte Partner reflektiert miteinander um, lassen dem anderen Freiräume und sagen nicht alles, was sie denken. Was sie von anderen Paaren nicht nur ihrer Generation abhebt, ist, dass sie tatsächlich zusammen sind, um zusammenzubleiben - und das, obwohl sie nicht dazu neigen, ihre Gemeinschaft mythisch zu überhöhen. So viele Stadien und Zustände ihre Beziehung auch durchläuft, eine Trennung wird höchstens heimlich erwogen. Dabei erscheinen Caroline und Ivan als Paar so typisch wie einzigartig; auch darin liegt ein nicht unerheblicher Reiz dieser Wiederentdeckung, die auf Deutsch den deutlich weicheren Titel trägt "Für immer ist ganz schön lange".
Der Roman setzt ein mit einer Szene, wie sie in jeder langen Beziehung vorkommen dürfte - und auch wieder nicht: Ivan ist joggen gegangen und kehrt nicht nach der üblichen Zeit zurück. Caroline, seit gut zwanzig Jahren seine Frau, wird unruhig, stellt sich vor, was ihm zugestoßen sein könnte und wie sie den Unfall/Herzinfarkt den beiden Töchtern beibringen wird. Gleich darauf erfasst sie heiße Wut: Wie konnte Ivan sie einfach so mir nichts, dir nichts verlassen, noch dazu, nachdem sie sich gerade erst geliebt haben? Schon steigt vor ihrem inneren Auge die Vision eines Racheakts auf, wie sie all seine Sachen, "seine Socken und Taschentücher und Unterwäsche, seine Kragenstäbchen und Ersatz-Schnürsenkel" zusammenraffen und den ganzen Kram verbrennen wird. Und wie sie sich alsbald anderen Männern zuwenden wird. Doch dann holt die Realität sie zurück in die Gegenwart. "Plötzlich sah sie Ivans ungeduldig angespannte Lippen vor sich, wenn er die Stäbchen mühsam in den Kragen schob, und ihr Herz stürzte in einen Abgrund, gab ihr einen leisen Vorgeschmack auf die eisige Einsamkeit, die sie erwartete." Als sie erwacht, ist Ivan wieder da.
Die Schriftstellerin Lynne Schwartz war einundvierzig Jahre alt, als sie ihr erstaunliches Romandebüt vorlegte, das heute, eine Generation später, nichts von seiner Intensität, seiner psychologischen Raffinesse und seiner Gültigkeit eingebüßt hat. Das liegt zum einen an der gnadenlos exakten Beobachtungsgabe einer Autorin, die jede Bemerkung und jede Geste registriert, zum anderen an ihrer Fähigkeit, die ständigen kleinen Verschiebungen dieses heiklen Doppelequilibriums mit einer Art leicht entflammbaren Abgeklärtheit zu schildern, die kleinen Begebenheiten die Bedeutung tektonischer Verschiebungen zu verleihen weiß. Exemplarisch dafür ist die Episode, in der Caroline ihrem Mann das Schlittschuhlaufen beibringt. "Um anzuhalten, prallte er gegen Caroline - er wusste noch nicht, wie man bremst. Jedes Mal, wenn sie ihn stolz auf sich zukommen sah, spannte sie alle Muskeln an, um das Gewicht aufzufangen, das in sie krachte. Ivan fand diese Zusammenstöße und Carolines geduldiges Versteifen ungeheuer lustig, alberte herum und machte sich einen Spaß daraus, viel öfter als nötig mit ihr zusammenzuprallen." Doch dann gewinnt er rasch an Sicherheit und gleitet mit lässigem Stolz dahin. Und dann kommt einer dieser Sätze, die den Wetterumschwung anzeigen, ohne ihn zum Problem zu machen: "Er war außer Sicht, lief irgendwo abseits und allein Schlittschuh, und sie verspürte eine tiefe, schuldbewusste Erleichterung."
Über das, was Paare zusammenhält, hat die Literatur meist weniger zu sagen als über das, was sie trennt. Auch Lynne Schwartz spart nicht mit Krisen; beide Partner haben Affären, suchen Erfüllung im Beruf, wenden sich voneinander ab - aber nie zur gleichen Zeit. Überhaupt ist die Zeit in diesem Roman ständig anwesend; mal wird sie gedehnt, mal werden Jahre zu wenigen Sätzen gerafft, mal scheint sie stillzustehen. So gelingt Lynne Schwartz die vielleicht schwierigste Kunst von allen: zwei Menschen beim gemeinsamen Erwachsenwerden zuzusehen, ein Prozess, für den die Ehe als der Beschleuniger schlechthin gelten kann. Als Caroline ihrem Mann nach fast sieben Jahren sagt, dass sie nun - entgegen früherer Aussagen - ein Kind möchte, verbindet sie diesen Wunsch mit der für Ivan zunächst bitteren Einsicht, "dass das hier nicht genug ist". Die Veränderungen, die die Geburt des ersten Kindes mit sich bringt, sind dann sehr viel tiefergehend und sowohl beglückender wie bedrohlicher, als sich beide das hätten ausmalen können.
Dem Roman merkt man die fünfunddreißig Jahre, die seit seiner Entstehung vergangen sind, nicht an, außer vielleicht an dem Umstand, dass Caroline und Ivan mit Mitte zwanzig heiraten und sich zwanzig Jahre später fast schon alt fühlen. Beide kennzeichnet eine Offenheit, die nichts beschönigt und bei Ivan mitunter einen Zug ins Brutale annimmt. Die Hochzeit wird von ihm nicht romantisch verklärt, sondern ähnelt einem Pakt: "Wir werden nicht so werden wie alle anderen. Ich weiß es. Ich möchte sicher sein, dass du immer da bist." Dasein und Dableiben: das ist das Fundament, auf dem ihre Beziehung ruht, und das sich als erstaunlich tragfähig erweist.
Caroline gelingt als Mathematikerin eine für die Zeit erstaunlich reibungslose Universitätslaufbahn, Ivan bekommt eine Stellung am Metropolitan Museum. Die New Yorkerin Lynne Schwartz, die ihrem Debüt viele weitere Storys, Novellen und Gedichtbände folgen ließ und am Bannard College Creative Writing unterrichtet, hatte es weniger leicht. Sie ist in ihrer Heimat bekannt, gehört aber nicht zu den literarischen household names. Wer aber diesen Roman liest, wird den Namen seiner Verfasserin nicht so schnell vergessen.
FELICITAS VON LOVENBERG
Lynne Schwartz: "Für immer ist ganz schön lange". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber Verlag, Zürich 2015. 255 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main