Glücklich essen statt verzichtenAnastasia Zampounidis ist trockener Sugarholic. Jahrzehntelang griff sie zu Süßigkeiten, wenn sie sich beruhigen, trösten oder belohnen wollte, und erweckte damit nur neuen Heißhunger. Ein regelrechter Suchtkreislauf aus kurzfristiger Befriedigung und baldigem Verlagen nach mehr entstand. Dann ging sie auf Entzug, mit großartigen Folgen: Sie verlor Gewicht, fühlte sich ausgeglichener und fitter, zudem sieht die Endvierzigerin aus wie Anfang dreißig. Welche Folgen hat Konsum von Zucker also wirklich? Wie wirkt er, wo steckt er überall drin und wie nascht man ohne das süße Gift? Anastasia Zampounidis erzählt von ihrem Weg aus der Zuckerhölle, sie klärt über seine Wirkungsweise auf und verrät Tipps und Rezepte, die zuckerfrei glücklich machen.
"Mit Tipps und Rezepten macht die Autorin Mut, den 'Ausstieg' zu wagen." Cosmia, 01.01.2018
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2020So also isst man sich glücklich und gesund?
Hinter dem Sprachkompott: Viele Kochbücher verheißen Anleitungen für ein sinnvolles Leben
Nichts trennt Menschen so strikt voneinander wie das Essen. Das mutet paradox an, da sich jeder von etwas ernähren muss, um zu überleben, doch schon Georg Simmel hat in seiner "Soziologie der Mahlzeit" auf einen einfachen Umstand hingewiesen: "Was ich denke, kann ich andere wissen lassen; was ich sehe, kann ich sie sehen lassen; was ich rede, können Hunderte hören - aber was der einzelne isst, kann unter keinen Umständen ein anderer essen." Hinzu kommt, dass sich die Palette an Ernährungstrends immer weiter verfeinert: von Superfood und Rohkost über Smoothies und Infused Water bis hin zu Paleo und Clean Eating. Zu jeder Mode erscheinen Bücher, die, obwohl sie demselben Genre angehören, so wenig miteinander zu tun haben, dass sie separate Nischen bilden. Deren Autoren kochen gewissermaßen ihr eigenes Süppchen und müssen sich mit der Konkurrenz nicht mehr auseinandersetzen. Dissens wird in der Kulinaristik durch Spezialisierung unterdrückt.
Dennoch gibt es eine Sparte von Kochbüchern, die gleichsam über sich selbst hinauswachsen möchte, indem sie Rezepte mit Lebensphilosophie kombiniert. Verantwortungsvolle Nahrungsaufnahme, daran lassen viele lukullische Fibeln keinen Zweifel, bedarf einer Haltung zu Tier- und Wirtschaftsethik, Selbstoptimierung und ökologischer Landwirtschaft. Das "Nichts Wegwerfen"-Kochbuch von Patrick Jaros und Günter Beer aus dem Jahr 2007 trägt sein Programm genauso im Titel wie Sophia Hoffmanns 2019 erschienene "Zero-Waste-Küche". In "Für immer zuckerfrei" (2018) verrät Anastasia Zampounidis ihre "Glücksrezepte", während die Ernährungsberaterin Lynn Hoefer wiederholt aufs große Ganze setzt und dabei spendabel mit Selbstzitaten umgeht. Vor zwei Jahren veröffentlichte sie das Brevier "Himmlisch gesund: Natürliche Rezepte für ein gutes Leben", gerade hat sie mit "Einfach himmlisch gesund: Natürliche und schnelle Rezepte für das echte Leben" nachgelegt. Diese Bücher zeigen, dass eine der berühmtesten Sentenzen Brechts schlecht gealtert ist, denn mittlerweile gilt: Erst kommt die Moral, dann kommt das Fressen.
Wenn Kochbücher Reservoirs von kulturellen Erfahrungen sind, deren Nachahmung sich lohnt, dann tragen sie auch zur Ausbildung von Identität bei. Als Trouvaillen erweisen sich hier vor allem Bücher für die vegane Küche. Im Jahr 2012 bot dieses Segment dreiundzwanzig Neuveröffentlichungen in deutscher Sprache, 2013 waren es fünfzig, 2014 siebenundsiebzig, 2015 schon hundertneunzehn, 2016 erhöhte sich die Zahl auf zweihundertelf. Stevan Paul sagte kürzlich in einer Radiosendung, er habe das Kapitel über Fleischgerichte in seinem Schmöker "Kochen" (2019) bewusst üppig gestaltet, weil er nicht sicher sei, ob diese Facette der Küche in künftigen Standardwerken überhaupt noch eine Rolle spielen werde.
Viele Autoren flankieren ihr pflanzliches Tischleindeckdich mit einem instagram-tauglichen Begleitrepertoire aus körnigen Familienfotos und Anleitungen für ein sinnhaftes Leben. Das sollte nicht überraschen, denn oftmals steht am Anfang die Food-Website, aus der schließlich das Buch hervorgeht. Fleißige Wiederholungstäter sind Luise Vindahl und David Frenkiel. Ihr Online-Auftritt "Green Kitchen Stories" enthält nicht nur vegetarische Rezepte, sondern auch Tipps für das Verreisen mit Kindern, einen City Guide für Barcelona und Vorschläge für Tattoos mit Gemüsemotiven.
Zeige mir deine Quinoa-Pfanne.
Die Blogger haben zwar keine Kochausbildung, sehen dafür jedoch gut aus und verzichten darauf, mit Dosen und Tuben zu hantieren. Ihre Produkte kommen vom Feld, zu den Werkzeugen der Wahl - sie werden in dem Buch "Die grüne Küche für jeden Tag" (2017) eigens aufgelistet - zählen Spiralschneider und Dämpfkörbchen. Auf ihrer Anrichte finden sich Kokosöl und Apfelessig, im Vorratsschrank lagern sie Buchweizenmehl, Leinsamen, Mandeln und Cashewkerne. Unverzichtbare Gewürze: Kardamom, Ingwer, Sumach, Cayennepfeffer.
Diese Lebensmittel sind nicht unschuldig. Da sie, im Gegensatz zu Erbsen oder Salz, feine Unterschiede markieren, handelt es sich um Distinktionsviktualien. Wer sich regelmäßig Quinoa-Pfannen mit Pfifferlingen und Safran-Reis zubereitet, wird sich das zunächst einmal leisten können. Darüber hinaus ist eine derartige Diät eine Form der Selbstauskunft - was macht das mit dir?
Obwohl dem Autor Daniele Dell' Agli zufolge die "Ernährung im psychischen und ökonomischen Haushalt der Deutschen immer noch eine vergleichsweise marginale Rolle zu spielen" scheint, veröffentlichen Verlage jedes Jahr eine Flut von Kochbüchern im Stil von Vindahls und Frenkiels grüner Küche. Die Titel stellen die wahlverwandtschaftliche Beziehung zwischen Essen und Medizin demonstrativ aus, etwa so: "Living the Healthy Choice: einfach natürlich kochen" (2017) von Pauline Bossdorf, "Live Fast, Eat Well: Powerfood für alle, die viel vorhaben" (2019) von Denise Renée Schuster oder "Koch dich gesund und glücklich" (2020) von Phillip Steiner.
Die Auswahl illustriert, wie sehr die mit Kant einsetzende Entzweiung von Geschmack, Genuss und sinnlichem Erleben fortgeschritten ist. Gutes Essen ist unter Selbstoptimierern vor allem ein Mangel: an gesättigten Fettsäuren, Laktose, Zucker oder Palmöl. Inmitten des Relativismus zwischen Ernährungseinfalt und Ernährungsvielfalt bieten moralische und gesundheitliche Aspekte eine Orientierung. Wer würde da noch vorbehaltlos nicken, wenn der britische Koch und Journalist Nigel Slater sagt, "eines der schönsten und befriedigendsten Dinge beim Kochen" sei es, "verschiedene Texturen und Geschmacksnoten miteinander zu verbinden"? Die Einführung von Nina Olssons Buch "Vegetarische Bowls" beginnt mit der Überschrift: "Bowls - gesund und unkompliziert". Das Rezept zu Kascha mit Früchten und Erdnussbutter setzt wie folgt ein: "Buchweizen hat viele Vorzüge: Er ist glutenfrei, eignet sich sowohl für pikante wie für süße Gerichte und enthält eine Menge wertvoller Nährstoffe." Entscheidend ist für Olsson der Nutzen des Gerichts, nicht der Geschmack.
Vom Hawaii-Toast zum Dal-Snack.
Üblicherweise bieten Kochbücher die Möglichkeit, dem kulturellen Charakter eines Landes über das Essen näherzukommen. Nicht umsonst startet Hellmuth Zwecker sein Buch über die toskanische Fischküche "Il Cappellaio Pazzo" (1991) mit dem Satz: "Italien ist ein glückliches Land." Dieses Prinzip wird inzwischen vielfach verdreht, so dass Gerichte vor allem die Funktion erfüllen, den Lifestyle der Verfasser zu unterstreichen - wo haben sie Urlaub gemacht, was haben sie erlebt, wie erziehen sie die Kinder? Vindahl und Frenkiel etwa gewähren in "Die grüne Küche auf Reisen" (2015) kleine Einblicke ins Private. So haben sie den ersten gemeinsamen Trip nach Sizilien unternommen, "eine gute Gelegenheit, um unsere noch frische Beziehung auf die Probe zu stellen". Ihr Dal-Rezept stammt von einem Freund aus Bangladesch. Und wenn die beiden fliegen, geschieht das nie ohne Snackbox.
Schon immer waren Kochbücher Dokumente über den gesellschaftlichen Status quo in Sachen Ästhetik, Selbstsorge oder Gleichberechtigung. Aus heutiger Sicht fällt eine Rezeptsammlung von 1953 besonders ins Auge, weil sie in einen angestaubten und einen progressiven Teil zerfällt. Unter dem Titel "Was Männern so gut schmeckt" trägt Lilo Aureden "Ratschläge für die Hausfrau" zusammen. Somit steht dieses Werk unter MeToo-Verdacht, wobei dessen Untertitel, gemessen am Erscheinungsjahr, wiederum fast nach Avantgarde klingt: "Eine kulinarische Weltreise in fünfhundert Rezepten". Und die haben nichts gemein mit der Jahrzehnte dauernden Nachkriegskartoffelherrschaft, dem wirtschaftswunderbaren Hawaii-Toast und dem "gewissen Tröpfchen Etwas". Lieber präsentiert Aureden chilenische Seeaalsuppe oder mexikanisches Lamm-Ragout. Der Restaurantkritiker Peter Peter erinnert daran, wie "keck und modern" ihr Konzept "Mal etwas anderes kochen" klang.
Die Autorin hat sich über die Flüchtigkeit ihrer Rolle als Rezept-Souffleuse keine Illusionen gemacht: "Jede Zeit braucht ihr Kochbuch, weil sich Geschmack und Wünsche wandeln wie die Mode." Aureden mag mit ihren kulinarischen Erforschungen des Fremden als deutsche Vorreiterin des heutigen Trends gelten, über die Nahrungsaufnahme Kulturen zu erschließen und sich mitzuteilen. Allerdings hat die aktuelle Vereinzelung unterschiedlicher Ernährungsideologien ein nie da gewesenes Maß erreicht. Der Volkskundler Konrad Köstlin weiß: "Wo Identität durch Differenz, Individualität als Unterscheidbarkeit erklärt werden, haben die Zugänglichkeit wie die Exklusivität von Nahrungsmitteln und Essverhalten einen hohen dramaturgischen Wert."
Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet "authentisch". So geben Nadine Horn und Jörg Mayer den Kreationen in ihrem Kochbuch "Vegan kann jeder" (2016) Namen wie "Venice Beach-Waffeln", Unterzeile: "Frühstück wie in Kalifornien". Anschließend folgt nicht das Rezept, sondern pseudo-atmosphärische Verdichtung: "Stellt euch vor, ihr sitzt an einem entspannten Vormittag in einem Café am Strand, eine Brise salzige Meeresluft vom Pazifik zieht vorbei, die Künstlerszene bereitet sich auf den Tag vor und ihr müsst nichts tun, außer frühstücken." Wer Rezepte hinter derartigem Sprachkompott versteckt, tut so, als könne er sich die Tradition einer fremden Küche flugs einverleiben. Tatsächlich wäre es ein Zeichen von interkulturellem Taktgefühl, die Art der Zubereitung für sich sprechen zu lassen. Das aber haben etliche Autoren nicht verstanden.
KAI SPANKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hinter dem Sprachkompott: Viele Kochbücher verheißen Anleitungen für ein sinnvolles Leben
Nichts trennt Menschen so strikt voneinander wie das Essen. Das mutet paradox an, da sich jeder von etwas ernähren muss, um zu überleben, doch schon Georg Simmel hat in seiner "Soziologie der Mahlzeit" auf einen einfachen Umstand hingewiesen: "Was ich denke, kann ich andere wissen lassen; was ich sehe, kann ich sie sehen lassen; was ich rede, können Hunderte hören - aber was der einzelne isst, kann unter keinen Umständen ein anderer essen." Hinzu kommt, dass sich die Palette an Ernährungstrends immer weiter verfeinert: von Superfood und Rohkost über Smoothies und Infused Water bis hin zu Paleo und Clean Eating. Zu jeder Mode erscheinen Bücher, die, obwohl sie demselben Genre angehören, so wenig miteinander zu tun haben, dass sie separate Nischen bilden. Deren Autoren kochen gewissermaßen ihr eigenes Süppchen und müssen sich mit der Konkurrenz nicht mehr auseinandersetzen. Dissens wird in der Kulinaristik durch Spezialisierung unterdrückt.
Dennoch gibt es eine Sparte von Kochbüchern, die gleichsam über sich selbst hinauswachsen möchte, indem sie Rezepte mit Lebensphilosophie kombiniert. Verantwortungsvolle Nahrungsaufnahme, daran lassen viele lukullische Fibeln keinen Zweifel, bedarf einer Haltung zu Tier- und Wirtschaftsethik, Selbstoptimierung und ökologischer Landwirtschaft. Das "Nichts Wegwerfen"-Kochbuch von Patrick Jaros und Günter Beer aus dem Jahr 2007 trägt sein Programm genauso im Titel wie Sophia Hoffmanns 2019 erschienene "Zero-Waste-Küche". In "Für immer zuckerfrei" (2018) verrät Anastasia Zampounidis ihre "Glücksrezepte", während die Ernährungsberaterin Lynn Hoefer wiederholt aufs große Ganze setzt und dabei spendabel mit Selbstzitaten umgeht. Vor zwei Jahren veröffentlichte sie das Brevier "Himmlisch gesund: Natürliche Rezepte für ein gutes Leben", gerade hat sie mit "Einfach himmlisch gesund: Natürliche und schnelle Rezepte für das echte Leben" nachgelegt. Diese Bücher zeigen, dass eine der berühmtesten Sentenzen Brechts schlecht gealtert ist, denn mittlerweile gilt: Erst kommt die Moral, dann kommt das Fressen.
Wenn Kochbücher Reservoirs von kulturellen Erfahrungen sind, deren Nachahmung sich lohnt, dann tragen sie auch zur Ausbildung von Identität bei. Als Trouvaillen erweisen sich hier vor allem Bücher für die vegane Küche. Im Jahr 2012 bot dieses Segment dreiundzwanzig Neuveröffentlichungen in deutscher Sprache, 2013 waren es fünfzig, 2014 siebenundsiebzig, 2015 schon hundertneunzehn, 2016 erhöhte sich die Zahl auf zweihundertelf. Stevan Paul sagte kürzlich in einer Radiosendung, er habe das Kapitel über Fleischgerichte in seinem Schmöker "Kochen" (2019) bewusst üppig gestaltet, weil er nicht sicher sei, ob diese Facette der Küche in künftigen Standardwerken überhaupt noch eine Rolle spielen werde.
Viele Autoren flankieren ihr pflanzliches Tischleindeckdich mit einem instagram-tauglichen Begleitrepertoire aus körnigen Familienfotos und Anleitungen für ein sinnhaftes Leben. Das sollte nicht überraschen, denn oftmals steht am Anfang die Food-Website, aus der schließlich das Buch hervorgeht. Fleißige Wiederholungstäter sind Luise Vindahl und David Frenkiel. Ihr Online-Auftritt "Green Kitchen Stories" enthält nicht nur vegetarische Rezepte, sondern auch Tipps für das Verreisen mit Kindern, einen City Guide für Barcelona und Vorschläge für Tattoos mit Gemüsemotiven.
Zeige mir deine Quinoa-Pfanne.
Die Blogger haben zwar keine Kochausbildung, sehen dafür jedoch gut aus und verzichten darauf, mit Dosen und Tuben zu hantieren. Ihre Produkte kommen vom Feld, zu den Werkzeugen der Wahl - sie werden in dem Buch "Die grüne Küche für jeden Tag" (2017) eigens aufgelistet - zählen Spiralschneider und Dämpfkörbchen. Auf ihrer Anrichte finden sich Kokosöl und Apfelessig, im Vorratsschrank lagern sie Buchweizenmehl, Leinsamen, Mandeln und Cashewkerne. Unverzichtbare Gewürze: Kardamom, Ingwer, Sumach, Cayennepfeffer.
Diese Lebensmittel sind nicht unschuldig. Da sie, im Gegensatz zu Erbsen oder Salz, feine Unterschiede markieren, handelt es sich um Distinktionsviktualien. Wer sich regelmäßig Quinoa-Pfannen mit Pfifferlingen und Safran-Reis zubereitet, wird sich das zunächst einmal leisten können. Darüber hinaus ist eine derartige Diät eine Form der Selbstauskunft - was macht das mit dir?
Obwohl dem Autor Daniele Dell' Agli zufolge die "Ernährung im psychischen und ökonomischen Haushalt der Deutschen immer noch eine vergleichsweise marginale Rolle zu spielen" scheint, veröffentlichen Verlage jedes Jahr eine Flut von Kochbüchern im Stil von Vindahls und Frenkiels grüner Küche. Die Titel stellen die wahlverwandtschaftliche Beziehung zwischen Essen und Medizin demonstrativ aus, etwa so: "Living the Healthy Choice: einfach natürlich kochen" (2017) von Pauline Bossdorf, "Live Fast, Eat Well: Powerfood für alle, die viel vorhaben" (2019) von Denise Renée Schuster oder "Koch dich gesund und glücklich" (2020) von Phillip Steiner.
Die Auswahl illustriert, wie sehr die mit Kant einsetzende Entzweiung von Geschmack, Genuss und sinnlichem Erleben fortgeschritten ist. Gutes Essen ist unter Selbstoptimierern vor allem ein Mangel: an gesättigten Fettsäuren, Laktose, Zucker oder Palmöl. Inmitten des Relativismus zwischen Ernährungseinfalt und Ernährungsvielfalt bieten moralische und gesundheitliche Aspekte eine Orientierung. Wer würde da noch vorbehaltlos nicken, wenn der britische Koch und Journalist Nigel Slater sagt, "eines der schönsten und befriedigendsten Dinge beim Kochen" sei es, "verschiedene Texturen und Geschmacksnoten miteinander zu verbinden"? Die Einführung von Nina Olssons Buch "Vegetarische Bowls" beginnt mit der Überschrift: "Bowls - gesund und unkompliziert". Das Rezept zu Kascha mit Früchten und Erdnussbutter setzt wie folgt ein: "Buchweizen hat viele Vorzüge: Er ist glutenfrei, eignet sich sowohl für pikante wie für süße Gerichte und enthält eine Menge wertvoller Nährstoffe." Entscheidend ist für Olsson der Nutzen des Gerichts, nicht der Geschmack.
Vom Hawaii-Toast zum Dal-Snack.
Üblicherweise bieten Kochbücher die Möglichkeit, dem kulturellen Charakter eines Landes über das Essen näherzukommen. Nicht umsonst startet Hellmuth Zwecker sein Buch über die toskanische Fischküche "Il Cappellaio Pazzo" (1991) mit dem Satz: "Italien ist ein glückliches Land." Dieses Prinzip wird inzwischen vielfach verdreht, so dass Gerichte vor allem die Funktion erfüllen, den Lifestyle der Verfasser zu unterstreichen - wo haben sie Urlaub gemacht, was haben sie erlebt, wie erziehen sie die Kinder? Vindahl und Frenkiel etwa gewähren in "Die grüne Küche auf Reisen" (2015) kleine Einblicke ins Private. So haben sie den ersten gemeinsamen Trip nach Sizilien unternommen, "eine gute Gelegenheit, um unsere noch frische Beziehung auf die Probe zu stellen". Ihr Dal-Rezept stammt von einem Freund aus Bangladesch. Und wenn die beiden fliegen, geschieht das nie ohne Snackbox.
Schon immer waren Kochbücher Dokumente über den gesellschaftlichen Status quo in Sachen Ästhetik, Selbstsorge oder Gleichberechtigung. Aus heutiger Sicht fällt eine Rezeptsammlung von 1953 besonders ins Auge, weil sie in einen angestaubten und einen progressiven Teil zerfällt. Unter dem Titel "Was Männern so gut schmeckt" trägt Lilo Aureden "Ratschläge für die Hausfrau" zusammen. Somit steht dieses Werk unter MeToo-Verdacht, wobei dessen Untertitel, gemessen am Erscheinungsjahr, wiederum fast nach Avantgarde klingt: "Eine kulinarische Weltreise in fünfhundert Rezepten". Und die haben nichts gemein mit der Jahrzehnte dauernden Nachkriegskartoffelherrschaft, dem wirtschaftswunderbaren Hawaii-Toast und dem "gewissen Tröpfchen Etwas". Lieber präsentiert Aureden chilenische Seeaalsuppe oder mexikanisches Lamm-Ragout. Der Restaurantkritiker Peter Peter erinnert daran, wie "keck und modern" ihr Konzept "Mal etwas anderes kochen" klang.
Die Autorin hat sich über die Flüchtigkeit ihrer Rolle als Rezept-Souffleuse keine Illusionen gemacht: "Jede Zeit braucht ihr Kochbuch, weil sich Geschmack und Wünsche wandeln wie die Mode." Aureden mag mit ihren kulinarischen Erforschungen des Fremden als deutsche Vorreiterin des heutigen Trends gelten, über die Nahrungsaufnahme Kulturen zu erschließen und sich mitzuteilen. Allerdings hat die aktuelle Vereinzelung unterschiedlicher Ernährungsideologien ein nie da gewesenes Maß erreicht. Der Volkskundler Konrad Köstlin weiß: "Wo Identität durch Differenz, Individualität als Unterscheidbarkeit erklärt werden, haben die Zugänglichkeit wie die Exklusivität von Nahrungsmitteln und Essverhalten einen hohen dramaturgischen Wert."
Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet "authentisch". So geben Nadine Horn und Jörg Mayer den Kreationen in ihrem Kochbuch "Vegan kann jeder" (2016) Namen wie "Venice Beach-Waffeln", Unterzeile: "Frühstück wie in Kalifornien". Anschließend folgt nicht das Rezept, sondern pseudo-atmosphärische Verdichtung: "Stellt euch vor, ihr sitzt an einem entspannten Vormittag in einem Café am Strand, eine Brise salzige Meeresluft vom Pazifik zieht vorbei, die Künstlerszene bereitet sich auf den Tag vor und ihr müsst nichts tun, außer frühstücken." Wer Rezepte hinter derartigem Sprachkompott versteckt, tut so, als könne er sich die Tradition einer fremden Küche flugs einverleiben. Tatsächlich wäre es ein Zeichen von interkulturellem Taktgefühl, die Art der Zubereitung für sich sprechen zu lassen. Das aber haben etliche Autoren nicht verstanden.
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