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Diskret, humorvoll und hintergründig beschreibt Zargani seine Kindheit in Italien in den Jahren 1938 bis 1945. Lebendig und intelligent entwickelt er dabei auch ein breites Panorama italienisch-jüdischer Geschichte in diesem Jahrhundert.

Produktbeschreibung
Diskret, humorvoll und hintergründig beschreibt Zargani seine Kindheit in Italien in den Jahren 1938 bis 1945. Lebendig und intelligent entwickelt er dabei auch ein breites Panorama italienisch-jüdischer Geschichte in diesem Jahrhundert.
Autorenporträt
Aldo Zargani, geboren 1933 in Turin, überlebte mit seinem jüngeren Bruder die Zeit der Judenverfolgung in Klöstern und bei Partisanen. Er arbeitete bei der RAI als Systemingenieur und Programmleiter, hatte daneben aber auch Engagements als Schauspieler. Er lebt in Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.1998

Der Geiger unter Partisanen
Terror des Abschieds: Aldo Zarganis Erinnerungen an den Krieg in Italien · Von Susanne Klingenstein

"Ich bin über sechzig, und mein Leben teilt sich in zwei ungleiche Bruchstücke", schreibt der im Jahre 1933 in Turin geborene Aldo Zargani am Anfang seiner Memoiren über seine Kindheit als Jude in Norditalien; "die sieben Jahre Verfolgung (1938 bis 1945) haben sich im Übermaß vervielfacht und eine Wucherung in der Seele gebildet, die die normalen Zeiten meines Lebens, ein halbes Jahrhundert mit all seinen wechselhaften, aber unspektakulären Ereignissen, auf engstem Raum zusammendrängt. Das Unrecht, das mir als Kind widerfahren ist, zieht sich wie ein unsichtbarer Riß durch meine Persönlichkeit und stört ihr Gleichgewicht."

Die Niederschrift der Erinnerungen ist Zarganis Versuch, der Wucherung in seiner Seele Herr zu werden. Mit dem Hinscheiden der Zeitgenossen verflüchtigt sich die Vergangenheit zunehmend in den Traum. Zargani will ihre Realität retten, sie in die Köpfe anderer pflanzen, um sie so vor der "gleichmütigen Unparteilichkeit des historischen Revisionismus", vor den "Schmähungen der Zeit" zu bewahren. Die Niederschrift bewahrt und verwahrt, und sie restauriert heilend eine "Kindheit, die keine war".

Zarganis Erinnerungen sind nicht das Werk eines Berufsschriftstellers, ihr Verfasser ist Programmleiter beim italienischen Rundfunk, und sie führen auch nicht wie die Autobiographien von Primo Levi oder Ruth Klüger an die Hauptschauplätze des Holocaust. Doch ist es gerade die Sicht auf einen der Nebenschauplätze der Judenverfolgung sowie Zarganis nicht strikt chronologische, sondern dem größten Druck der Wucherung mal hier mal da nachgebende Erzählweise, die das Unerhörte, das ungemein Erniedrigende der nazistischen Menschenjagd so eindringlich darstellt.

Im Frühjahr des Jahres 1939 verliert Zarganis Vater aufgrund der antijüdischen Gesetzgebung vom Herbst 1938 seine Stelle beim italienischen Radiosymphonieorchester. Die Familie verarmt, lebt vom Ersparten und der "zedaka", den Almosen der vornehmen jüdischen Familien. Zargani und sein Bruder Roberto besuchen hinfort die jüdische Schule Colonna e Finzi, eine "komplizierte Welt der Verbannten", in der ihm wenig vermittelt wird, das seiner durch antisemitische Schriften erweckten Scham, Jude zu sein, entgegenwirken könnte. Als politische Antwort auf die Schrecken der Verfolgung hatte man an der Colonna e Finzi nur eine einzige Pflicht: "die Pflicht, genial zu sein". Innerhalb weniger Monate lernen die siebenjährigen Kinder Lesen und Schreiben - in zwei Sprachen wohlgemerkt, Italienisch und Hebräisch.

Im November 1942 wird Turin bombardiert. Die Zarganis fliehen nach Asti, wo sie bei zwei halbjüdischen Schwestern, die ihre Mutter verprügeln, in einer Kammer unterkommen. Frühjahr und Sommer 1943 vergehen friedlich. Im September jedoch, nachdem der geheime Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten bekannt wird, besetzen deutsche Truppen Italien, und die "Pest der Shoah" ergießt sich über den Brenner und überschwemmt Italien. In Turin wird Tante Lina, die immer kalte Hände hat, von der SS verhaftet. Das Dienstmädchen berichtet 1945 im Zeugenstand, wie ein SS-Mann die Signora anschrie: "Die Hände aus den Taschen, Jüdin, vor einem deutschen Offizier!"

Die Zarganis fliehen aus Asti, irren durch Piemont, nur um schließlich doch wieder nach Turin zurückzukehren. Sie verstecken sich gegenüber von ihrem alten Haus in einem Zimmer, das zu der Wohnung ihres früheren Dienstmädchens gehört. Am 1. Dezember 1943 werden die Juden zur feindlichen Nation erklärt. Innenminister Guidi ruft auf, alle in Italien lebenden Juden zu internieren. In den Wochen zuvor schon waren zahlreiche Verwandte und Freunde der Zarganis verhaftet worden. Etwa ein Drittel aller italienischen Juden wurde ermordet. Verzweifelt begibt sich die Familie ins erzbischöfliche Palais. Sie erfahren, daß sie am Abend wiederkommen sollen, dann würden die zwei Kinder in einem Internat auf dem Land versteckt.

Mit dem Abschied von den Eltern endet Zarganis Kindheit. Am 2. Dezember findet er sich in einer mittelalterlichen Welt wieder. In einem seiner besten Kapitel ("Brueghel") beschreibt er das Leben im Internat zusammen mit schwachsinnigen Bauernkindern unter dem Regime grober und bestenfalls gleichgültiger Priester. Als im Februar 1944 die Eltern nicht mehr zum alldonnerstäglichen Besuch erscheinen, durchlebt Zargani zum zweiten Mal den Terror des Abschieds. Die Eltern hatte man verhaftet. Mit Hilfe italienischer Antifaschisten und eines Loches in der rassistischen Gesetzgebung gelingt es den Eltern, aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Sie flüchten tiefer ins Partisanengebiet, wo sie sich im Hospiz des Klosters Cottolengo di Biglio bei Biella verstecken. Im Oktober 1944 holen sie ihre zwei Söhne zu sich und überleben den Rest des Krieges bei den Partisanen in den Bergen.

Im April 1945, als der Sieg der Alliierten feststeht, holt Zarganis Vater auf Wunsch der Partisanen seine Geige hervor. Er spielt Bachs Sonate Nr. 1 in g-Moll (BWV 1001), in der Bach das Kunstwerk vollbringt, ein Melodie-Instrument eine kontrapunktische Partitur spielen zu lassen. "Die Töne", schreibt Zargani, "wirken im Geiste des Zuhörers - so, als fielen mehrere Motive zusammen, als seien sie tatsächlich punctum contra punctum komponiert worden." Er nennt Bachs Sonaten für Violine solo eine "Herausforderung an den linearen Zeitablauf".

Auch Aldo Zarganis zeitauflösende Memoiren "Für Violine solo" sind in ihrer Art ein Kunstwerk, eine anstrengende, doch lohnende Lektüre - auch und nicht zuletzt dank der exzellenten Übersetzung von Ruth Mader. Sie sind eine Einführung in die Welt der italienischen Juden, und während ihrer Lektüre kann ihr Leser "voller Staunen seine eigenen, ihm bis zu diesem Augenblick unbekannten Gefühle ablesen".

Aldo Zargani: "Für Violine solo: Meine Kindheit im Diesseits 1938 bis 1945". Aus dem Italienischen übersetzt von Ruth Mader. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 319 S., geb., 38,- DM.

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"Stilistisch elegant, bei aller Tragik voller Understatement, Ironie und Witz, zählt dieser Roman zu den großen, überdauernden Kunstwerken." (Focus)