"Das beste Buch des Jahres." Time Magazine Der größte literarische Überraschungserfolg des Jahres 2006 aus den USA erzählt von einer jungen Frau, die einem Familiengeheimnis auf die Spur kommt. Sensationell ist die Form, in der die Geschichte erzählt wird: In Worten und Bildern, die sich zu einem Meisterwerk der Comic-Kunst zusammenfügen.
Alison Bechdel, Autorin und Erzählerin von Fun Home, verstand in ihrer Jugend nie, warum ihr Vater, Bestattungsunternehmer und Englischlehrer an der örtlichen Highschool, offenbar seine Bücher mehr liebte als seine Familie. Sie leben in einem Haus aus dem Jahr 1867, stilvoll und detailversessen restauriert vom Vater.
Als Alison 19 Jahre alt ist, kommt ihr Vater ums Leben. Selbstmord oder Unfall? Das wird sich nicht mehr klären lassen. Was aber ans Licht kommt, ist ein Geheimnis, das Vater und Tochter teilen: Beide sind sie homosexuell. Mit diesem Wissen nähert sich Alison in Fun Home ihrem Vater, den sie schon vor seinem Tod schmerzlich vermisste.
In Kapiteln, die nach Klassikern der Weltliteratur benannt sind, umkreist Alison Bechdel die Zeit vor und nach dem Tod des Vaters. Dabei zieht sie alle Register: Sie bedient sich bei der griechischen Mythologie ebenso wie bei der Existenzphilosophie, bei Oscar Wilde, Marcel Proust und im Trivialmythenschatz der amerikanischen Kultur.
Heraus kommt ein irrwitzig komisches, melancholisches und kluges Buch einer Tochter, die dem Vater in Wort und Bild die Liebe nachträgt.
Fun Home wurde vom Time Magazine noch vor den jüngsten Romanen von Richard Ford und Cormac McCarthy zum besten literarischen Buch des Jahres 2006 gewählt, zahlreiche andere Würdigungen folgten.
Alison Bechdels Geschichte ist der erste Comic aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch.
Alison Bechdel, Autorin und Erzählerin von Fun Home, verstand in ihrer Jugend nie, warum ihr Vater, Bestattungsunternehmer und Englischlehrer an der örtlichen Highschool, offenbar seine Bücher mehr liebte als seine Familie. Sie leben in einem Haus aus dem Jahr 1867, stilvoll und detailversessen restauriert vom Vater.
Als Alison 19 Jahre alt ist, kommt ihr Vater ums Leben. Selbstmord oder Unfall? Das wird sich nicht mehr klären lassen. Was aber ans Licht kommt, ist ein Geheimnis, das Vater und Tochter teilen: Beide sind sie homosexuell. Mit diesem Wissen nähert sich Alison in Fun Home ihrem Vater, den sie schon vor seinem Tod schmerzlich vermisste.
In Kapiteln, die nach Klassikern der Weltliteratur benannt sind, umkreist Alison Bechdel die Zeit vor und nach dem Tod des Vaters. Dabei zieht sie alle Register: Sie bedient sich bei der griechischen Mythologie ebenso wie bei der Existenzphilosophie, bei Oscar Wilde, Marcel Proust und im Trivialmythenschatz der amerikanischen Kultur.
Heraus kommt ein irrwitzig komisches, melancholisches und kluges Buch einer Tochter, die dem Vater in Wort und Bild die Liebe nachträgt.
Fun Home wurde vom Time Magazine noch vor den jüngsten Romanen von Richard Ford und Cormac McCarthy zum besten literarischen Buch des Jahres 2006 gewählt, zahlreiche andere Würdigungen folgten.
Alison Bechdels Geschichte ist der erste Comic aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2008Mein Vater, ein Daedalus
Den Tintendolch im Gewande: Die erfolgreiche Comicautorin Alison Bechdel hat die Geschichte ihrer Kindheit unter einem tyrannischen Vater aufgezeichnet.
Wer eine Bombe zündet, erwartet eine Detonation, nicht den Rückschlag eines Bumerangs. "Ich bin lesbisch", hatte die neunzehnjährige Alison Bechdel ihren Eltern 1980 vom College aus nach BeechCreek, Pennsylvania, geschrieben. Woraufhin ihre Mutter, eine Hobby-Schauspielerin, ihr am Telefon lapidar mitteilte: "Dein Vater hat Verhältnisse mit Männern." Kurz danach kommt Bruce Allen Bechdel ums Leben: Ein "Sunbeam Bread"-Truck überrollt den Vater von drei Kindern, als er die Route 150 überqueren will. Ein Unfall? Oder hat er sich mit vierundvierzig Jahren das Leben genommen, weil er mit seiner verheimlichten Neigung in dem Provinznest nicht länger leben konnte?
Dieser Frage geht die amerikanische Comicautorin Alison Bechdel in ihrer autobiografischen Bildergeschichte "Fun Home - Eine Familie von Gezeichneten" nach. Und sie findet überraschende Antworten - vor allem in den Büchern, die ihr Vater, im Hauptberuf Bestattungsunternehmer in der dritten Generation und nebenbei Lehrer an der örtlichen Highschool, ihr seit der Kindheit nahegelegt hat. Dafür kehrt das Mädchen - zumindest gedanklich - in den Achthundert-Seelen-Ort auf dem Land und in die verkommene Villa aus dem Jahr 1867 zurück, aus der ihr Vater im Laufe der Jahre durch seine Liebe zu Antiquitäten eine Art Museum gemacht hat; zurück ins "Fun Home", zu den Requisiten des Todes, die in einem Funeral Home obligatorisch sind: Särge aus Zedernholz, Obelisken aus Granit und stinkende Balsamierungsmittel. Es ist die Rückkehr in eine Welt, in der sich ihr Vater mit seiner verleugneten sexuellen Neigung hinter der ästhetischen Kulisse aus architektonischen Details und literarischen Spitzfindigkeiten versteckt. Die Tochter drückt es so aus: "Er war ein As der Äußerlichkeit, ein Genie der Gediegenheit, ein Daedalus des Designs."
Wie ihre Brüder Christian und John musste Alison ihrem tyrannischen Vater mit Handreichungen aller Art zu Diensten sein, so bei der Renovierung des im Gothic-Revival-Style erbauten Hauses. "Körperliche Zuwendung zählte nicht zu den Stärken unserer Familie." Alles wurde auf die geistige Ebene verlagert: Bücher, Theater, Briefe. Die einzige sinnliche Ablenkung bot der Umgang mit Blumen; besonders liebte ihr Vater Flieder - "eine tragische botanische Spezies, unweigerlich verblühend, noch ehe sie ihren Höchststand erreicht".
Kein Wunder, dass die heute Siebenundvierzigjährige fast sieben Jahre benötigte, um diesen autobiografischen Brocken ins Rollen zu bringen. Schwerverdauliche Gefühle und Gedanken in prägnanten Bildern und Blasen darzustellen erfordert einige Kunstfertigkeit. Über die verfügt Bechdel: Nach Anlaufschwierigkeiten - mehrere Kunstakademien hatten sie abgelehnt - erreichte ihre 1983 gestartete Comicserie "Dykes to Watch Out Far" um die lesbische Superheldin Mo und ihre Freundinnen in Underground-Kreisen Kultstatus. Sie wurde in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren von rund fünfzig amerikanischen Zeitungen gedruckt. Bechdels erstes Buch erlebte in den Vereinigten Staaten einen überraschenden Erfolg: Das Magazin "Time" plazierte das mit dem Eisner-Award ausgezeichnete Buch "Fun Home" in seiner Auswahl der zehn besten Bücher des Jahres 2006 noch vor Richard Ford und Cormac McCarthy.
In sieben, nach Literaturklassikern betitelten Kapiteln wie "Im Schatten junger Mädchenblüte" (Marcel Proust) erkundet die Autorin ihre Kindheit in den Sechzigerjahren. Dabei erzählt sie auf drei Ebenen, die sie kunstvoll verschränkt hat: Über den Bildern läuft in zwei, drei Zeilen die Haupthandlung ab. Das darunter stehende Bild illustriert nicht nur die beschriebene Situation, sondern liefert Zusatzinformationen. Und die ins Bild integrierten Sprechblasen geben dem verhandelten Gedanken einen zusätzlichen Dreh.
Selbst wenn man es gewohnt ist, Gelesenes selbst in Bilder zu verwandeln, fühlt man sich von den detailreichen Zeichnungen nicht bevormundet. Vielmehr kann sich das Auge in den vielen eingearbeiteten Dokumenten verlieren: Tagebuchaufzeichnungen, Landkarten, Briefe und Lexikonartikel. Ein schnelles Durchblättern verbieten nicht nur die liebevollen Details, sondern auch die Querbezüge zwischen dem Haupttext und den in die Bilder integrierten Gedanken: Da schlagen die Gefühle Purzelbaum, manifestieren sich zeitgeschichtliche Komponenten (Nixon tritt zurück, die Krankheit Aids dringt ins öffentliche Bewusstsein, Wirbelstürme häufen sich) und wird die Literaturgeschichte auf homosexuelle Bezüge untersucht. Hier präsentiert die gelegentlich etwas zu assoziativ vorgehende Autorin Fundstücke, auf die sie bei James Joyce und Oscar Wilde ebenso wie bei Homer und J. D. Salinger, F. Scott Fitzgerald und Albert Camus, Colette und Kate Millett gestoßen ist.
Zum Glück geht Bechdel bei aller Belesenheit die tragische Geschichte mit einer ordentlichen Portion Komik an. Und so blättert man nach dem ersten Lesen gern zurück, um sich die eine oder andere Zeichnung noch einmal anzusehen. Und selbst wenn man "Fun Home", den ersten Comic aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch, im Regal zwischen Richard Bausch und Louis Begley eingeordnet hat, wird das Buch dort keinen Staub ansetzen.
REINHARD HELLING.
Alison Bechdel: "Fun Home". Eine Familie von Gezeichneten. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine Küchler und Denis Scheck. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Tintendolch im Gewande: Die erfolgreiche Comicautorin Alison Bechdel hat die Geschichte ihrer Kindheit unter einem tyrannischen Vater aufgezeichnet.
Wer eine Bombe zündet, erwartet eine Detonation, nicht den Rückschlag eines Bumerangs. "Ich bin lesbisch", hatte die neunzehnjährige Alison Bechdel ihren Eltern 1980 vom College aus nach BeechCreek, Pennsylvania, geschrieben. Woraufhin ihre Mutter, eine Hobby-Schauspielerin, ihr am Telefon lapidar mitteilte: "Dein Vater hat Verhältnisse mit Männern." Kurz danach kommt Bruce Allen Bechdel ums Leben: Ein "Sunbeam Bread"-Truck überrollt den Vater von drei Kindern, als er die Route 150 überqueren will. Ein Unfall? Oder hat er sich mit vierundvierzig Jahren das Leben genommen, weil er mit seiner verheimlichten Neigung in dem Provinznest nicht länger leben konnte?
Dieser Frage geht die amerikanische Comicautorin Alison Bechdel in ihrer autobiografischen Bildergeschichte "Fun Home - Eine Familie von Gezeichneten" nach. Und sie findet überraschende Antworten - vor allem in den Büchern, die ihr Vater, im Hauptberuf Bestattungsunternehmer in der dritten Generation und nebenbei Lehrer an der örtlichen Highschool, ihr seit der Kindheit nahegelegt hat. Dafür kehrt das Mädchen - zumindest gedanklich - in den Achthundert-Seelen-Ort auf dem Land und in die verkommene Villa aus dem Jahr 1867 zurück, aus der ihr Vater im Laufe der Jahre durch seine Liebe zu Antiquitäten eine Art Museum gemacht hat; zurück ins "Fun Home", zu den Requisiten des Todes, die in einem Funeral Home obligatorisch sind: Särge aus Zedernholz, Obelisken aus Granit und stinkende Balsamierungsmittel. Es ist die Rückkehr in eine Welt, in der sich ihr Vater mit seiner verleugneten sexuellen Neigung hinter der ästhetischen Kulisse aus architektonischen Details und literarischen Spitzfindigkeiten versteckt. Die Tochter drückt es so aus: "Er war ein As der Äußerlichkeit, ein Genie der Gediegenheit, ein Daedalus des Designs."
Wie ihre Brüder Christian und John musste Alison ihrem tyrannischen Vater mit Handreichungen aller Art zu Diensten sein, so bei der Renovierung des im Gothic-Revival-Style erbauten Hauses. "Körperliche Zuwendung zählte nicht zu den Stärken unserer Familie." Alles wurde auf die geistige Ebene verlagert: Bücher, Theater, Briefe. Die einzige sinnliche Ablenkung bot der Umgang mit Blumen; besonders liebte ihr Vater Flieder - "eine tragische botanische Spezies, unweigerlich verblühend, noch ehe sie ihren Höchststand erreicht".
Kein Wunder, dass die heute Siebenundvierzigjährige fast sieben Jahre benötigte, um diesen autobiografischen Brocken ins Rollen zu bringen. Schwerverdauliche Gefühle und Gedanken in prägnanten Bildern und Blasen darzustellen erfordert einige Kunstfertigkeit. Über die verfügt Bechdel: Nach Anlaufschwierigkeiten - mehrere Kunstakademien hatten sie abgelehnt - erreichte ihre 1983 gestartete Comicserie "Dykes to Watch Out Far" um die lesbische Superheldin Mo und ihre Freundinnen in Underground-Kreisen Kultstatus. Sie wurde in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren von rund fünfzig amerikanischen Zeitungen gedruckt. Bechdels erstes Buch erlebte in den Vereinigten Staaten einen überraschenden Erfolg: Das Magazin "Time" plazierte das mit dem Eisner-Award ausgezeichnete Buch "Fun Home" in seiner Auswahl der zehn besten Bücher des Jahres 2006 noch vor Richard Ford und Cormac McCarthy.
In sieben, nach Literaturklassikern betitelten Kapiteln wie "Im Schatten junger Mädchenblüte" (Marcel Proust) erkundet die Autorin ihre Kindheit in den Sechzigerjahren. Dabei erzählt sie auf drei Ebenen, die sie kunstvoll verschränkt hat: Über den Bildern läuft in zwei, drei Zeilen die Haupthandlung ab. Das darunter stehende Bild illustriert nicht nur die beschriebene Situation, sondern liefert Zusatzinformationen. Und die ins Bild integrierten Sprechblasen geben dem verhandelten Gedanken einen zusätzlichen Dreh.
Selbst wenn man es gewohnt ist, Gelesenes selbst in Bilder zu verwandeln, fühlt man sich von den detailreichen Zeichnungen nicht bevormundet. Vielmehr kann sich das Auge in den vielen eingearbeiteten Dokumenten verlieren: Tagebuchaufzeichnungen, Landkarten, Briefe und Lexikonartikel. Ein schnelles Durchblättern verbieten nicht nur die liebevollen Details, sondern auch die Querbezüge zwischen dem Haupttext und den in die Bilder integrierten Gedanken: Da schlagen die Gefühle Purzelbaum, manifestieren sich zeitgeschichtliche Komponenten (Nixon tritt zurück, die Krankheit Aids dringt ins öffentliche Bewusstsein, Wirbelstürme häufen sich) und wird die Literaturgeschichte auf homosexuelle Bezüge untersucht. Hier präsentiert die gelegentlich etwas zu assoziativ vorgehende Autorin Fundstücke, auf die sie bei James Joyce und Oscar Wilde ebenso wie bei Homer und J. D. Salinger, F. Scott Fitzgerald und Albert Camus, Colette und Kate Millett gestoßen ist.
Zum Glück geht Bechdel bei aller Belesenheit die tragische Geschichte mit einer ordentlichen Portion Komik an. Und so blättert man nach dem ersten Lesen gern zurück, um sich die eine oder andere Zeichnung noch einmal anzusehen. Und selbst wenn man "Fun Home", den ersten Comic aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch, im Regal zwischen Richard Bausch und Louis Begley eingeordnet hat, wird das Buch dort keinen Staub ansetzen.
REINHARD HELLING.
Alison Bechdel: "Fun Home". Eine Familie von Gezeichneten. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine Küchler und Denis Scheck. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2011Süddeutsche Zeitung Bibliothek
Graphic Novels Band 6
Im Haus
der Geschlechter
„Fun Home“
von Alison Bechdel
Geschlecht ist Schicksal. Oder scheint uns dies nur so? Mehr als tausend Einzelzeichnungen umfasst Alison Bechdels große autobiographische Bildgeschichte „Fun Home“, und wer den Band an einer beliebigen Stelle aufschlägt, wird die Figuren, die er sieht, sogleich als weiblich oder männlich identifizieren. Allerdings könnte er sich hierbei in einem Fall leicht irren: Ausgerechnet die Ich-Erzählerin lässt sich, bevor ein Busen ihr T-Shirt wölbt, nicht von einem Jungen unterscheiden. Meist ist ihr Haar kurz, fast nie trägt sie ein Kleidungstück, das als typisch weiblich gilt. Und wenn sie von ihren Eltern, weil dies ein Anlass verlangt, in ein Kleidchen gesteckt worden ist, sieht man ihrer Miene stets an, wie verzweifelt unwohl sie sich darin fühlt.
Ist das Geschlecht Heimat? Zumindest kann unser Geschlecht mit etwas Glück eine Art Heimstätte, ein Ort der Geborgenheit sein. Und die Familie, von der man das ebenso behauptet, scheint dabei besonders von der Eindeutigkeit der Geschlechter zu profitieren. Die Eröffnungsszene von „Fun Home“ zeigt, wie der auf einem Teppich liegende Vater die kleine Tochter mit emporgestreckten Beinen als „Flugzeug“ in der Schwebe hält. Vier Bilder lang könnte dieses Spiel Intimität und wechselseitiges Vertrauen signalisieren, sprächen die erstarrten Gesichter nicht von fast misstrauischer Distanz.
Der Vater der Ich-Erzählerin hat ein Geheimnis. Der Leser errät schnell, was da mühsam unter den Deckmäntelchen von Ehe, Familienleben und Beruf verborgen gehalten wird. Aber in einem eigentümlich spiraligen Erzählgang vollzieht „Fun Home“ die Enthüllung mehrfach aufs Neue, als ließe sich die Aufklärung nie befriedigend zu Ende bringen. Und kunstvoll verflochten ist in diese Erkenntnisarbeit, wie Alison als Kind, als Jugendliche und als junge Frau zu verstehen versucht, wo ihr Platz auf dem Spielfeld des Geschlechtlichen sein könnte.
Sind uns die beiden Geschlechter, die durch die äußere Gestalt und den inneren Aufbau der Körper vorgegeben scheinen, weiterhin ein Rätsel? Sträubt sich vielleicht in fast jedem modernen Menschen etwas dagegen, sich dieser rigiden Zweiteilung, restlos zu unterwerfen?
Die Ich-Erzählerin macht sich all die Gedanken, die man sich seit der Handlungzeit des Buches, also seit den sechziger und siebziger Jahren, hierzu gemacht hat. Zugleich wird Rat bei der Weltliteratur gesucht, und diese Lektüre verblüffend bündig in Bild und Text eingearbeitet. Der eigentümliche Zauber von „Fun Home“ liegt jedoch darin, dass sich trotz dieser diskursiven Anstrengung die Dringlichkeit des Geheimnisvollen, die paradoxe Intimität seiner Allgemeingültigkeit und die Sehnsucht nach Erlösung von Seite zu Seite steigert. GEORG KLEIN
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Graphic Novels Band 6
Im Haus
der Geschlechter
„Fun Home“
von Alison Bechdel
Geschlecht ist Schicksal. Oder scheint uns dies nur so? Mehr als tausend Einzelzeichnungen umfasst Alison Bechdels große autobiographische Bildgeschichte „Fun Home“, und wer den Band an einer beliebigen Stelle aufschlägt, wird die Figuren, die er sieht, sogleich als weiblich oder männlich identifizieren. Allerdings könnte er sich hierbei in einem Fall leicht irren: Ausgerechnet die Ich-Erzählerin lässt sich, bevor ein Busen ihr T-Shirt wölbt, nicht von einem Jungen unterscheiden. Meist ist ihr Haar kurz, fast nie trägt sie ein Kleidungstück, das als typisch weiblich gilt. Und wenn sie von ihren Eltern, weil dies ein Anlass verlangt, in ein Kleidchen gesteckt worden ist, sieht man ihrer Miene stets an, wie verzweifelt unwohl sie sich darin fühlt.
Ist das Geschlecht Heimat? Zumindest kann unser Geschlecht mit etwas Glück eine Art Heimstätte, ein Ort der Geborgenheit sein. Und die Familie, von der man das ebenso behauptet, scheint dabei besonders von der Eindeutigkeit der Geschlechter zu profitieren. Die Eröffnungsszene von „Fun Home“ zeigt, wie der auf einem Teppich liegende Vater die kleine Tochter mit emporgestreckten Beinen als „Flugzeug“ in der Schwebe hält. Vier Bilder lang könnte dieses Spiel Intimität und wechselseitiges Vertrauen signalisieren, sprächen die erstarrten Gesichter nicht von fast misstrauischer Distanz.
Der Vater der Ich-Erzählerin hat ein Geheimnis. Der Leser errät schnell, was da mühsam unter den Deckmäntelchen von Ehe, Familienleben und Beruf verborgen gehalten wird. Aber in einem eigentümlich spiraligen Erzählgang vollzieht „Fun Home“ die Enthüllung mehrfach aufs Neue, als ließe sich die Aufklärung nie befriedigend zu Ende bringen. Und kunstvoll verflochten ist in diese Erkenntnisarbeit, wie Alison als Kind, als Jugendliche und als junge Frau zu verstehen versucht, wo ihr Platz auf dem Spielfeld des Geschlechtlichen sein könnte.
Sind uns die beiden Geschlechter, die durch die äußere Gestalt und den inneren Aufbau der Körper vorgegeben scheinen, weiterhin ein Rätsel? Sträubt sich vielleicht in fast jedem modernen Menschen etwas dagegen, sich dieser rigiden Zweiteilung, restlos zu unterwerfen?
Die Ich-Erzählerin macht sich all die Gedanken, die man sich seit der Handlungzeit des Buches, also seit den sechziger und siebziger Jahren, hierzu gemacht hat. Zugleich wird Rat bei der Weltliteratur gesucht, und diese Lektüre verblüffend bündig in Bild und Text eingearbeitet. Der eigentümliche Zauber von „Fun Home“ liegt jedoch darin, dass sich trotz dieser diskursiven Anstrengung die Dringlichkeit des Geheimnisvollen, die paradoxe Intimität seiner Allgemeingültigkeit und die Sehnsucht nach Erlösung von Seite zu Seite steigert. GEORG KLEIN
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beerdigungsunternehmen besitzen enormes dramatisches Potenzial, erst recht wenn sich der Nachwuchs als schwul herausstellt. Alison Bechdels autobiografischer Comic erzählt eine solche Geschichte, und Rezensent Thomas von Steinaecker ist sehr beeindruckt von diesem Buch, das, wie er informiert, vom Time Magazine zum besten Buch des Jahres gekürt wurde. Bechdel erzähle darin "im Wort wie im Bild" sehr intelligent von ihrem eigenbrötlerischen Vater, von dem sie zur gleichen Zeit, da sie sich outet, erfährt, dass er ebenfalls schwul ist. Wenig später kommt er ums Leben, wahrscheinlich durch Selbstmord. Stellenweise findet der Rezensent die Geschichte analytisch heillos überfrachtet, und ein bisschen Ironie hätte dem Text für seinen Geschmack auch nicht geschadet, aber schließlich überzeugt ihn die Geschichte durch "prägnante Episoden".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Wie ein Roman von John Updike - einfach große amerikanische Literatur. In pointierten Worten und kunstvollen Bildern und mit bittersüßem Humor." ttt