Die Gedichte von Hinemoana Baker wandeln zwischen Welten und Sprachen. Als Tochter einer Maori und eines Nachkommens europäischer Einwanderer ist sie im Englischen genauso zu Hause wie in Te Reo Maori. Wer seine Antennen auf ihre Funkfrequenz einstellt, empfängt Gedichte über Liebe und Freundschaft, Heimaten und Fremdheit, Tod und Wiedergeburt - sinnliche Verse mit Raum für Witz, Utopie und Diversität. Übersetzt von Ulrike Almut Sandig, die mit "Funkhaus" ihr Debüt als Übersetzerin vorlegt.Sprachen: Deutsch, Englisch
"Hinemoana Bakers Gedichte sind berauschend. Es sind Mythen, die man für bare Münze nimmt. Lieder, die man singt, wenn man traurig ist. Sie sind fast schon unanständig komisch. Kurzum: Sie fühlen sich an wie das Leben." Sarah Jan Barnett
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Treptow-Köpenicker Funkhaus des Titels ist nur auf den ersten Blick ein denkbar unpoetischer Ort, erklärt Rezensent Steffen Georgi - der Gedichtband Hinemiana Bakers beweise, dass auch aus der Berliner Betontristesse lyrische Funken zu schlagen seien. Freilich ist die zentrale Spannung dieser Verse laut Kritiker eine andere, nämlich die zwischen den beiden kulturellen Welten, denen die Tochter einer neuseeländischen Mutter und eines indigenen Maori biografisch verhaftet ist. Das Maori-Erbe insbesondere sei sehr präsent in diesen Texten, die der souveränen sprachlichen Form zum Trotz, durchzogen von einer inneren Suchbewegung seien. Tatsächlich sind für Georgi jene Gedichte die besten, in denen er eben diese interkulturelle Erschütterung am deutlichsten nachfühlen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Aus weiter Ferne, so nah
Die Gedichte der neuseeländischen Lyrikerin Hinemoana Baker, übersetzt von Ulrike Almut Sandig
Als die neuseeländische Dichterin und Musikerin Hinemoana Baker 2015 nach Berlin übersiedelte, fand sie einen Winter lang Quartier in einem Studio im Funkhaus Berlin. "Funkhaus" heißt dann auch der Gedichtband, der dort entstand. Es ist Bakers inzwischen vierter und der erste, der in deutscher Sprache vorliegt.
Dass die Autorin nun ausgerechnet im doch recht preußisch wuchtigen Treptow-Köpenicker Funkhaus-Gebäudekomplex, einstmals etwa Domizil des Rundfunks der DDR, an ihren Gedichten arbeitete, ist freilich nicht frei von Ironie. Weiter entfernt als hier kann man von den Gestaden Ozeaniens wie auch denen der poetischen Inspiration eigentlich kaum stranden, respektive wohnen. Und dann noch dieser Berliner Winterhimmel!
Aber so ganz ohne Inspirationspotential ist das dann ja auch nicht. "Funkhaus" heißt auch das vorletzte Gedicht im Band, und das hebt so an: "Du und ich hängen schlaff den echten Denkern hinterher. / Wir bestellen mehr Feuchtigkeit in der Luft, die wir atmen. / Wir schaufeln diesen Morgen auf und streuen seinen Splitt." Ja, das klingt wahrlich nach Berlin und außerdem glatt wie ein schönes Echo aus seligen Zeiten Neuer-Deutscher-Welle-Poesie (und wer weiß, vielleicht soll es das auch) - und zeigt dann doch nur einen Sprachton, nur eine Facette Bakers.
Ins Deutsche übertragen hat "Funkhaus" die Lyrikerin Ulrike Almut Sandig. In ihrem Vorwort beschreibt sie die Texte Bakers als "kompassgenau zwischen den Polen ihrer Herkunft ausgerichtet". Was richtig insofern ist, als es erst einmal dem Umstand Rechnung trägt, dass die 1968 in Christchurch geborene Baker Tochter einer Neuseeländerin mit europäischen Wurzeln und eines Maori ist.
Zugleich ist festzuhalten, dass sich, aller Zwischenausrichtung zum Trotz, viele der "Funkhaus"-Gedichte dezidiert dem indigenen Herkunftspol widmen und dabei auf exponierte Weise von Worten und Wendungen auf Te Reo, der Sprache der Maori, durchwebt sind. Liest - oder besser noch spricht - man dann eine Zeile wie "He kanohi kitea, he kokinga mahara - Ein Gesicht gesehen, eine Erinnerung geweckt", offenbart sich darin sowohl ein poetisch kraftvoller Beschwörungsformelcharakter als auch eine still insistierende Sehnsucht, verschiedene (unvereinbare?) Pole in Ausgleich zu bringen.
Ein Spannungsfeld. Denn so, wie sich in jenen Gedichten Te Reo und das Englische (beziehungsweise Deutsche in der Übersetzung) ineinanderfügen, manifestieren sie zugleich und allein schon ob ihres Klanges - ihrer Klangdissonanzen - die kulturelle Divergenz. Und verweisen auf ein weiteres Charakteristikum dieser Lyrik: die Kompassnadel, von der Sandig spricht, sie zittert.
Dass die Gedichte souverän ihre individuelle Autonomie artikulieren ("Bittet mich nicht, für Nationen zu sprechen"), dass sich der Bogen ihrer Reflexionen weit und straff von Ozeanien nach Berlin wölbt, der Ton gekonnt zwischen Beschwörung, Beobachtung und Fabulieren zu changieren vermag und zudem von immer wieder trockenkomischer Lakonie ist ("Die Nacht, in der wir ihn endlich umlegten"), ändert daran nichts. Im Gegenteil. Zwischen den Polen, und das heißt auch zwischen den Zeilen, und unter aller Wort-, Sprach- und Selbstsicherheit arbeitet in "Funkhaus" eine latente Suchbewegung, Sehnsucht, Ahnung auch. Verlorenheit? Wer weiß.
Das Gedicht "Fuchs" beginnt mit einer Berliner Alltagsbeobachtung: "Ich sah ihn draußen im Schnee / vor einem Wohnblock, Danziger Straße / hinter mir das Zischen der M10-Tram / unter meinen Stiefeln Splitt." Man hat es vor sich, die Stadt, das Licht, den Fuchs, großstadtdomestiziert, "fast schon zahm, Kupferglanz / und weg". Und dann der Tonwechsel: "Die kraftvollsten Dinge, sind die, denen wir einfach begegnen: // der Appetitlosigkeit / dem Sterben des eigenen Kindes in deinen Armen / wie der Haut, von der man sagt / sie sei die dritte Niere", schreibt Baker und schließt: "Und da - da die Reklametafel mit Bildern von Obst //und Worten, die du nicht verstehst / die keine Wirkung zeigen." Je stärker das Zittern, desto stärker das Gedicht. Manchmal bis zur Erschütterung. STEFFEN GEORGI
Hinemoana Baker: "Funkhaus". Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem neuseeländischen Englisch von Ulrike Almut Sandig. Voland & Quist Verlag, Berlin 2023. 160 S., geb, 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Gedichte der neuseeländischen Lyrikerin Hinemoana Baker, übersetzt von Ulrike Almut Sandig
Als die neuseeländische Dichterin und Musikerin Hinemoana Baker 2015 nach Berlin übersiedelte, fand sie einen Winter lang Quartier in einem Studio im Funkhaus Berlin. "Funkhaus" heißt dann auch der Gedichtband, der dort entstand. Es ist Bakers inzwischen vierter und der erste, der in deutscher Sprache vorliegt.
Dass die Autorin nun ausgerechnet im doch recht preußisch wuchtigen Treptow-Köpenicker Funkhaus-Gebäudekomplex, einstmals etwa Domizil des Rundfunks der DDR, an ihren Gedichten arbeitete, ist freilich nicht frei von Ironie. Weiter entfernt als hier kann man von den Gestaden Ozeaniens wie auch denen der poetischen Inspiration eigentlich kaum stranden, respektive wohnen. Und dann noch dieser Berliner Winterhimmel!
Aber so ganz ohne Inspirationspotential ist das dann ja auch nicht. "Funkhaus" heißt auch das vorletzte Gedicht im Band, und das hebt so an: "Du und ich hängen schlaff den echten Denkern hinterher. / Wir bestellen mehr Feuchtigkeit in der Luft, die wir atmen. / Wir schaufeln diesen Morgen auf und streuen seinen Splitt." Ja, das klingt wahrlich nach Berlin und außerdem glatt wie ein schönes Echo aus seligen Zeiten Neuer-Deutscher-Welle-Poesie (und wer weiß, vielleicht soll es das auch) - und zeigt dann doch nur einen Sprachton, nur eine Facette Bakers.
Ins Deutsche übertragen hat "Funkhaus" die Lyrikerin Ulrike Almut Sandig. In ihrem Vorwort beschreibt sie die Texte Bakers als "kompassgenau zwischen den Polen ihrer Herkunft ausgerichtet". Was richtig insofern ist, als es erst einmal dem Umstand Rechnung trägt, dass die 1968 in Christchurch geborene Baker Tochter einer Neuseeländerin mit europäischen Wurzeln und eines Maori ist.
Zugleich ist festzuhalten, dass sich, aller Zwischenausrichtung zum Trotz, viele der "Funkhaus"-Gedichte dezidiert dem indigenen Herkunftspol widmen und dabei auf exponierte Weise von Worten und Wendungen auf Te Reo, der Sprache der Maori, durchwebt sind. Liest - oder besser noch spricht - man dann eine Zeile wie "He kanohi kitea, he kokinga mahara - Ein Gesicht gesehen, eine Erinnerung geweckt", offenbart sich darin sowohl ein poetisch kraftvoller Beschwörungsformelcharakter als auch eine still insistierende Sehnsucht, verschiedene (unvereinbare?) Pole in Ausgleich zu bringen.
Ein Spannungsfeld. Denn so, wie sich in jenen Gedichten Te Reo und das Englische (beziehungsweise Deutsche in der Übersetzung) ineinanderfügen, manifestieren sie zugleich und allein schon ob ihres Klanges - ihrer Klangdissonanzen - die kulturelle Divergenz. Und verweisen auf ein weiteres Charakteristikum dieser Lyrik: die Kompassnadel, von der Sandig spricht, sie zittert.
Dass die Gedichte souverän ihre individuelle Autonomie artikulieren ("Bittet mich nicht, für Nationen zu sprechen"), dass sich der Bogen ihrer Reflexionen weit und straff von Ozeanien nach Berlin wölbt, der Ton gekonnt zwischen Beschwörung, Beobachtung und Fabulieren zu changieren vermag und zudem von immer wieder trockenkomischer Lakonie ist ("Die Nacht, in der wir ihn endlich umlegten"), ändert daran nichts. Im Gegenteil. Zwischen den Polen, und das heißt auch zwischen den Zeilen, und unter aller Wort-, Sprach- und Selbstsicherheit arbeitet in "Funkhaus" eine latente Suchbewegung, Sehnsucht, Ahnung auch. Verlorenheit? Wer weiß.
Das Gedicht "Fuchs" beginnt mit einer Berliner Alltagsbeobachtung: "Ich sah ihn draußen im Schnee / vor einem Wohnblock, Danziger Straße / hinter mir das Zischen der M10-Tram / unter meinen Stiefeln Splitt." Man hat es vor sich, die Stadt, das Licht, den Fuchs, großstadtdomestiziert, "fast schon zahm, Kupferglanz / und weg". Und dann der Tonwechsel: "Die kraftvollsten Dinge, sind die, denen wir einfach begegnen: // der Appetitlosigkeit / dem Sterben des eigenen Kindes in deinen Armen / wie der Haut, von der man sagt / sie sei die dritte Niere", schreibt Baker und schließt: "Und da - da die Reklametafel mit Bildern von Obst //und Worten, die du nicht verstehst / die keine Wirkung zeigen." Je stärker das Zittern, desto stärker das Gedicht. Manchmal bis zur Erschütterung. STEFFEN GEORGI
Hinemoana Baker: "Funkhaus". Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem neuseeländischen Englisch von Ulrike Almut Sandig. Voland & Quist Verlag, Berlin 2023. 160 S., geb, 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main