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Henrichs Betrachtung geht von einem Satz des Johannes aus, der nicht nur eine Eigenschaft der christlichen Lebenspartnerschaft hervorheben soll: Dass sie nämlich in ihrem Kern ohne Furcht um sich wird. An dieses Lebensverstehen schließt sich Johannes' Liebes-Theologie an. Henrich aber zeigt, wie sich aus seiner Analyse des Selbstbewusstseins als unhintergehbarem Ausgangspunkt ein rein humanes Verstehen der Liebe gewinnen lässt. Wirkliche Lebensbindungen werden freilich zumeist im Fluktuieren zwischen vielen Verstehensarten geschlossen und erlebt. Die Verfahrensart dieser Begründung wird dann…mehr

Produktbeschreibung
Henrichs Betrachtung geht von einem Satz des Johannes aus, der nicht nur eine Eigenschaft der christlichen Lebenspartnerschaft hervorheben soll: Dass sie nämlich in ihrem Kern ohne Furcht um sich wird. An dieses Lebensverstehen schließt sich Johannes' Liebes-Theologie an. Henrich aber zeigt, wie sich aus seiner Analyse des Selbstbewusstseins als unhintergehbarem Ausgangspunkt ein rein humanes Verstehen der Liebe gewinnen lässt. Wirkliche Lebensbindungen werden freilich zumeist im Fluktuieren zwischen vielen Verstehensarten geschlossen und erlebt. Die Verfahrensart dieser Begründung wird dann selbst zum Thema der Untersuchung.Henrich's reflection takes its cue from a sentence of John, which emphasizes a characteristic of the partnership of man and woman in the spirit of Christianity: namely, that at its core it is the absence of fear for itself. John's theology of love is connected to this understanding of life. In his analysis of self-consciousness as an indubitable grounding, however, Henrich shows how a purely human understanding of love can be gained. Admittedly, real life bonds are most often formed and experienced in fluctuation between many modes of understanding. The procedural mode of this reasoning itself then becomes the theme of the investigation.
Autorenporträt
Dieter Henrich, geboren 1927, war Professor für Philosophie in Berlin, Heidelberg und ab 1981 bis zu seiner Emeritierung 1994 in München. Er war Gastprofessor u. a. an der Harvard University (1973-1984) und ist bekannt durch seine Begründung der Konstellationsforschung und seine Klärung der Begriffsbildungen der idealistischen Philosophie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2022

Der reifen Liebe unbedingter Grund
Befestigung für das fragile Subjekt: Dieter Henrich legt einen steilen Satz aus dem ersten Brief des Johannes philosophisch aus

Im vorigen Jahr hat Dieter Henrich unter dem Titel "Ins Denken ziehen" seine "philosophische Autobiographie" veröffentlicht, entstanden im Gespräch mit Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow (F.A.Z. vom 26. März 2021). Dort gibt er auch über seine Kindheit und Jugend Auskunft. In ihrer "einfallsreich sich bezeugenden Liebe" hätten seine frommen Eltern ihn in "das christliche Leben einzuführen" versucht. Diese elementare Erfahrung gelebter Religion habe auch stark seinen Weg zur Philosophie geprägt.

Nach dem Tod der Mutter ließ der damals Dreißigjährige einen gewichtigen Satz aus dem 1. Brief des Johannes auf ihren Grabstein meißeln: "Furcht ist nicht in der Liebe." Nun hat Henrich "dieser schimmernden Passage des Johannes" eine "Auslegung" gewidmet, die die Geltungskraft des im Johannesbrief Behaupteten rein rational, ohne die Inanspruchnahme christlich-religiöser Voraussetzungen, erweisen will. Auch säkulare Zeitgenossen sollen einsehen können, dass Johannes mit seinem steilen Satz recht hatte. Abermals gibt sich Henrich als ein Kantianer zu erkennen, der auch im Horizont der Moderne metaphysisch denken zu können beansprucht. Philosophie müsse in die "Grenzregion der Vernunft" ausgreifen. Seine anspruchsvolle "Skizze" lässt erkennen, wie Henrich das Verhältnis von Philosophie und Religion bestimmt.

Die meisten Neutestamentler schreiben den 1. Brief des Johannes nicht dem vierten Evangelisten selbst, sondern einem seiner Schüler zu. Aber dies spielt keine relevante Rolle für die philosophische Auslegung des Satzes. Henrich betont die "Komplexion der Problemlage" und will die "Spannungen" in den vielen möglichen Deutungen ernst nehmen. Dass Luther die griechischen Begriffe "eros", "philia" und "agape" ausnahmslos als Liebe übersetzt habe, sei kein "Mangel an sprachlicher Differenzierung", sondern fördere die Verständigung über das Wesen der Liebe in der Vielfalt ihrer Erfahrungsdimensionen.

Henrich setzt zunächst auf lebenspraktische Evidenz. Im Bewusstsein der innigen Gemeinsamkeit zweier Liebender habe "die Furcht vor allem, was unser eigenes Leben bedrohen oder beschädigen könnte", keinerlei Anhalt mehr. Wer liebe, sei den Besorgnissen der Selbsterhaltung enthoben. Dagegen könne man einwenden, dass die Liebe eine bestimmte Art von Furcht mit sich bringe: die Furcht um den geliebten anderen, der nun einmal ein verletzlicher, endlicher Mensch bleibe. "Weiter ausgreifende philosophische Überlegungen" sollen zeigen, dass "die Furchtlosigkeit in der Liebe" durch diesen Einwand nicht getroffen wird. Zwar könne endlichen Menschen "Furchtfreiheit" nicht generell versprochen werden. "Ganz ohne jede Furcht kann [...] die Liebe der Endlichen nie sein." Doch mit Argumenten aus dem "Fundierungsbereich der Ethik" lasse sich einsehen, dass die Liebe "auch im Forum der endlichen Rationalität" etwas prinzipiell anderes als nur ein intensives Gefühl oder ein Grundmuster von Sozialität sei.

Henrich rekurriert dazu auf seine diversen Anläufe zur "Aufklärung der Verfassung des Selbstbewusstseins", das sich gerade nicht in der Kommunikation mit anderen endlichen Subjekten bilde, sondern dieser immer schon vorausliege. Dem endlichen bewussten Selbst sei sein Ursprung nicht transparent. Es verdanke sich einem Grund, der sich ausweisbarer Erkenntnis entziehe. Doch sei es dafür disponiert, mit anderen ihrer selbst bewussten Subjekten Umgang zu pflegen. Damit ist die Möglichkeit liebenden Interesses an einer anderen Person gegeben, die zwar Subjekt ihrer Lebensführung bleibt, aber in der Liebesbeziehung gemeinsam mit dem Liebenden eine "Befestigung" ihrer Subjektstellung gegen Selbstzweifel und Orientierungslosigkeit erfährt. Liebe stärkt das fragile Selbst durch erfahrene Zuwendung. Henrich feiert die Liebe in starken Worten. Das Bewusstsein eines "Erhobenseins aus alltäglicher Bedrohung" bilde sich in genau dem Maße, in dem die einander durch "reife Liebe" Verbundenen die Überzeugung teilten, "in einem Grund, der unverbrüchlich, weil Unbedingtem zugehörig, verwurzelt zu sein". Für Henrich eignet aller radikalen Liebeserfahrung ein Element des Unbedingten. Genau hier lokalisiert er die Freiheit von Furcht in vollkommener Liebe.

Henrich ordnet den Johannes-Satz einer Ethik der Autonomie zu. Liebe hat moralische Implikationen. Sie schließt die Pflicht zum fürsorglichen, liebevollen Umgang mit der geliebten Person ein. Wo Liebe gelingt, ist Dankbarkeit angesagt. Reife Liebe ist ein Geschenk. Auch darin erkennt Henrich ein Zeichen der Präsenz von Unbedingtheit inmitten endlichen Lebens. Aber der große Interpret der klassischen deutschen Philosophie weiß auch, dass die rationale Analyse von Unbedingtheitsmomenten in reifer Liebe keineswegs mit der "christlichen Erfahrung" gleichbedeutend ist. Nichtchristen welcher Art auch immer können durch vernünftige Reflexion die Wahrheit des Johannes-Satzes gerade in ihrer lebenspraktischen Relevanz einsehen lernen. Aber die Arbeit am philosophischen Begriff kann ihnen nicht den "Sprung" zu jener "reicheren Ausdeutung" ermöglichen, die Johannes und seine Schüler in ihren steilen Liebestheologien mit der Identifikation von "Gott" und "Liebe" entfaltet hatten. Es ist alles andere als Zufall, dass Henrich hier Kierkegaards "Sprung"-Metapher in Anspruch nimmt. Der theologisch von Rudolf Bultmann geprägte Philosoph bestimmt das Verhältnis von Religion und Philosophie nicht im Sinne Hegels als Aufhebung der mythischen Vorstellung in den vernünftigen Begriff, sondern hält an einem Eigenrecht religiöser Symbolsprache fest. Das verbindet ihn trotz aller elementaren Differenzen über die Möglichkeit von Metaphysik in der Moderne mit seinem Starnberger Generationsgenossen Jürgen Habermas.

In einem fünfzehnseitigen Kapitel über seinen "philosophischen Hintergrund" erläutert Henrich erstmals die Motive, die ihn einst bewogen haben, seine Habilitationsschrift "Selbstbewusstsein und Sittlichkeit" nicht zu publizieren. Sie sollte sowohl die Kantische Moralphilosophie als auch die vom jungen Hegel daran geübte Kritik mit ihrer "Vorordnung der Liebe gegenüber der moralischen Evidenz im alltäglichen moralischen Bewusstsein" behandeln. Aber Henrich reichte dann nur den vierhundertseitigen Kant-Teil ein, weil sich "bald ein Widerstand" gegen Hegels "Grundgestus in Beziehung auf das Verhältnis von Moralität und Liebe" regte. Nun macht er noch einmal deutlich, dass bei aller Faszination für Hegels grandioses Unternehmen er sich eher als ein Kantianer versteht. Aber es ist ein Kantianismus ganz eigener Art, den man johanneisch inspiriert nennen darf. FRIEDRICH WILHELM GRAF

Dieter Henrich: "Furcht ist nicht in der Liebe". Philosophische Betrachtungen zu einem Satz des Evangelisten Johannes.

Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2022. 70 S., br., 16,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Tilman Allert liest dieses "zarte" Buch als Vermächtnis des kürzlich verstorbenen Philosophen Dieter Henrich. Wie der Autor hier dicht und dennoch gut nachvollziehbar den Sinn des titelgebenden Satzes aus dem Johannesevangelium entfaltet und die menschliche Liebe als Ausdruck von Selbstbewusstsein zeichnet, scheint Allert höchst lesenswert. Nicht minder aufregend findet er, wie Henrich die "Konstitutionsbedingungen" der Liebe erkundet. Ständig bereichernd wirkt bei der Lektüre laut Allert Henrichs "philosophisch ausgereifte" Sicht und eine aus der Befassung mit Kant und Hegel gespeiste "gedankliche Tiefe". Ein "geistiges Vergnügen", befindet Allert.

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