Fußball ist heute ein Milliardengeschäft: hochprofessionell, extrem kommerzialisiert und in seiner weltweiten Popularität unübertroffen. Der Blick in die Geschichte des englischen und deutschen Fußballs zeigt jedoch, dass diese Entwicklung keinesfalls vorgezeichnet war. Spätestens seit den 1970er Jahren glitt das Spiel in beiden Ländern in eine tiefe Krise, die sich in einem anhaltenden Rückgang der Zuschauerzahlen, maroden Stadien, verschuldeten Vereinen und chronischen Problemen mit gewaltbereiten Fans äußerte.Wie war es möglich, dass es sowohl in Deutschland als auch in England nach einer jahrzehntelangen Phase der Reformunwilligkeit um 1990 nahezu zeitgleich zu einer radikalen Neuausrichtung des Spiels unter den Vorzeichen von Vermarktlichung und Globalisierung kam? Dieser Frage geht Hannah Jonas nach, indem sie die Geschichte des Fußballs in den größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhang von Konsum, Medien, Globalisierung und politisch-kulturellen Trends einbettet.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDer immer schnellere Kreislauf des Geldes
Fußball als Spiegel der Gesellschaft - Wandlungen der vergangenen Jahrzehnte
Wer heute von utopischen Ablösesummen von Fußballspielern und Geschäften des Deutschen Fußball-Bundes liest, kann sich kaum mehr vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Fußball nicht kommerziell war. Wer will und dafür bezahlt, kann jeden Tag den Fernseher einschalten und Fußball schauen. Längst wird über eine europäische Superleague debattiert, in der nur finanzstarke Clubs spielen dürfen und in der es das Risiko des sportlichen Abstiegs nicht mehr gibt.
Doch das war nicht immer so. In "Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000. Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung" stellt Hannah Jonas die Entwicklung des Fußballs in den Kontext der wirtschaftlichen Situation und vergleicht den Sport in beiden Ländern. Dabei schildert sie die verschiedenen Phasen des Fußballs bis in die Gegenwart. Den Fußball als Feld, das eine Professionalisierung durchlief und sich dabei dem Wandel der Konsumgesellschaft unterzog. Jonas' These ist, dass die Grundlagen für den Wandel und die Kommerzialisierung des Spiels schon früh gelegt wurden. Sachlich und distanziert stellt sie dar, welche Folgen das langfristig auf den Sport hat, zum Beispiel, wie sich die Kommerzialisierung auf die Amateurvereine auswirkt.
In den sechziger und siebziger Jahren fehlen die Zuschauer in den Stadien, und das, obwohl der wirtschaftliche Konsum insgesamt steigt. Der Fußball stand vor dem Problem der sinkenden Einnahmen, damals war der Stadionbesuch die wichtigste Einnahmequelle, bei gleichzeitiger Professionalisierung und steigenden Spielergehältern. Als die Begrenzung für Spielergehälter in England 1961 und in Deutschland 1972 abgeschafft wurde, der Markt internationaler wurde, verbesserte sich das nicht. Jonas schildert, wie verzahnt der wirtschaftliche Wandel und Fußball waren. Obwohl es ökonomisch bergauf ging und Freizeitaktivitäten wie Kinobesuche zunahmen, gingen immer weniger Menschen ins Fußballstadion. Hannah Jonas nennt das Stadion den "symbolischen Ort der Fußball-Entwicklung" - und dort sah es nicht rosig aus. Die Stadien waren zunehmend marode, was sich zusätzlich negativ auf den Besuch auswirkte. Eine Entwicklung, die sich in England schon früher als in Deutschland abzeichnete. "Der negative Trend setzte sich daraufhin kontinuierlich fort, bis Ende der 1980er Jahre durchschnittlich nur noch halb so viele Menschen ein Fußballstadion besuchten, wie dies um 1950 der Fall gewesen war."
Die Vereine waren zu diesem Zeitpunkt nicht darauf ausgelegt, wirtschaftlich zu agieren. Häufig führten Ehrenamtler die Vereine, die nicht darauf aus waren, möglichst viel Profit zu generieren: "Kommerzieller Erfolg war kein explizites Ziel, sondern stellte sich mehr oder weniger von alleine ein." Das änderte sich durch zunehmendes Sponsoring und das Fernsehen. Die Grundlagen für den Wandel und die Kommerzialisierung des Spiels, so Jonas' These, wurden schon früh gelegt. Wer den Fußballsport heute betrachtet, mag denken, dass Sponsoring und das Fernsehen eine Kommerzialisierung vorantrieben. Das ist zwar so, doch der Weg dorthin war nicht geradlinig. Es gab anfangs Widerstände sowohl vom Fernsehen als auch dem DFB. Im DFB hatte das Amateurideal damals einen anderen Stellenwert als heute, und der Verband war traditionalistischer ausgerichtet.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Fernsehen, das als Konkurrent für das Stadion gesehen wurde, war beschränkt. Von Seiten des Fernsehens gab es ebenfalls Bedenken: Beispielsweise wehrte man sich gegen die sogenannte "Schleichwerbung" auf Trikots und Bande. In den 1980er Jahren durchliefen die Vereine eine Krise, die zu einem Wandel führte: vom Traditionalismus "zu einem unternehmerischen Denken in den Vereinen". Uli Hoeneß repräsentiert einen neuen Typus des Fußballfunktionärs, einen Managertyp, der Vereine nach wirtschaftlichen Kriterien führte.
Jonas zeigt schrittweise auf, wie dieses Umdenken stattfand, auch auf der Seite des DFB. Dabei wahrt sie immer die Distanz zu den beschriebenen Entwicklungen. Heute sind Fußballspieler und Werbung nicht mehr getrennt voneinander zu denken. Längst sind Spieler in Werbespots zu sehen, ihre Eigenschaften und Bekanntheit werden dafür benutzt, um Produkte zu vermarkten. Ab den neunziger Jahren wurde die Selbstvermarktung vorangetrieben. Jonas unterstreicht die neue Unbedingtheit, Vereine sollen nun gezielt ihre Möglichkeiten nutzen.
Auch der DFB strebt nach Veränderung: eine Strukturreform "sollte den Profivereinen ein größeres Gewicht gegenüber den Amateuren im Dachverband verschaffen". Das sei in England und Deutschland nicht zuletzt auf die explodierenden Fernseheinnahmen der Erstligavereine zurückzuführen. Jonas zeigt auf, wie sich die Änderungen bis heute auswirken. Seit Jahren klagen Amateurvereine darüber, dass sie vernachlässigt werden. Sie konnten ihre Stellung bis heute nicht wiederherstellen, in einer Zeit, in der der Fußball längst nicht mehr nur Tradition, sondern ein wirtschaftliches System ist.
Jonas erläutert, wie es dazu kam: Gestiegene Umsätze und Ausgaben führten zu einer weiteren Professionalisierung auf Management- und Vermarktungsebene. Der Fußball in England und Deutschland wird dadurch immer globaler und internationaler. "Berichte aus beiden Ländern machen jedoch deutlich, dass es sich hierbei um einen weiteren Konzentrationsprozess handelte, der die Kluft zwischen Spitzenvereinen und kleineren Klubs größer werden ließ denn je zuvor."
All diese Erkenntnisse verbindet sie gekonnt mit der wirtschaftlichen Situation, kulturellen Entwicklungen, Medien und Konsumverhalten. Längst sind Fußballer nicht nur Sportler, sie sind zu Werbefiguren geworden, die mit ihren Eigenschaften für Produkte werben. Jonas nennt als Beispiel Michael Ballack, für den eine Strategie entwickelt wurde, bei der ihm verschiedene Attribute zugeordnet wurden wie ehrlich, offen, führend, seriös, sympathisch. An diesem Fall wird erklärt, wie gezielt Agenturen die Person aufbauen. Nicht nur für die Medien und Sponsoren sollte Ballack so attraktiv werden, sondern sogar eine eigene "Marke" sein. Obwohl der Betrachter den Spieler noch als authentisch vorgeführt bekommt, ist das schon lange so geplant. Jones schlüsselt das, was dahintersteckt, auf.
Sie zeigt überzeugend, wie globalisiert und durchprofessionalisiert der Fußball heute ist. Doch die viel interessantere Erkenntnis ist: Es war nicht immer so.
STEFANIE SIPPEL
Hannah Jonas: Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000. Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2019. 314 S., 60,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fußball als Spiegel der Gesellschaft - Wandlungen der vergangenen Jahrzehnte
Wer heute von utopischen Ablösesummen von Fußballspielern und Geschäften des Deutschen Fußball-Bundes liest, kann sich kaum mehr vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Fußball nicht kommerziell war. Wer will und dafür bezahlt, kann jeden Tag den Fernseher einschalten und Fußball schauen. Längst wird über eine europäische Superleague debattiert, in der nur finanzstarke Clubs spielen dürfen und in der es das Risiko des sportlichen Abstiegs nicht mehr gibt.
Doch das war nicht immer so. In "Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000. Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung" stellt Hannah Jonas die Entwicklung des Fußballs in den Kontext der wirtschaftlichen Situation und vergleicht den Sport in beiden Ländern. Dabei schildert sie die verschiedenen Phasen des Fußballs bis in die Gegenwart. Den Fußball als Feld, das eine Professionalisierung durchlief und sich dabei dem Wandel der Konsumgesellschaft unterzog. Jonas' These ist, dass die Grundlagen für den Wandel und die Kommerzialisierung des Spiels schon früh gelegt wurden. Sachlich und distanziert stellt sie dar, welche Folgen das langfristig auf den Sport hat, zum Beispiel, wie sich die Kommerzialisierung auf die Amateurvereine auswirkt.
In den sechziger und siebziger Jahren fehlen die Zuschauer in den Stadien, und das, obwohl der wirtschaftliche Konsum insgesamt steigt. Der Fußball stand vor dem Problem der sinkenden Einnahmen, damals war der Stadionbesuch die wichtigste Einnahmequelle, bei gleichzeitiger Professionalisierung und steigenden Spielergehältern. Als die Begrenzung für Spielergehälter in England 1961 und in Deutschland 1972 abgeschafft wurde, der Markt internationaler wurde, verbesserte sich das nicht. Jonas schildert, wie verzahnt der wirtschaftliche Wandel und Fußball waren. Obwohl es ökonomisch bergauf ging und Freizeitaktivitäten wie Kinobesuche zunahmen, gingen immer weniger Menschen ins Fußballstadion. Hannah Jonas nennt das Stadion den "symbolischen Ort der Fußball-Entwicklung" - und dort sah es nicht rosig aus. Die Stadien waren zunehmend marode, was sich zusätzlich negativ auf den Besuch auswirkte. Eine Entwicklung, die sich in England schon früher als in Deutschland abzeichnete. "Der negative Trend setzte sich daraufhin kontinuierlich fort, bis Ende der 1980er Jahre durchschnittlich nur noch halb so viele Menschen ein Fußballstadion besuchten, wie dies um 1950 der Fall gewesen war."
Die Vereine waren zu diesem Zeitpunkt nicht darauf ausgelegt, wirtschaftlich zu agieren. Häufig führten Ehrenamtler die Vereine, die nicht darauf aus waren, möglichst viel Profit zu generieren: "Kommerzieller Erfolg war kein explizites Ziel, sondern stellte sich mehr oder weniger von alleine ein." Das änderte sich durch zunehmendes Sponsoring und das Fernsehen. Die Grundlagen für den Wandel und die Kommerzialisierung des Spiels, so Jonas' These, wurden schon früh gelegt. Wer den Fußballsport heute betrachtet, mag denken, dass Sponsoring und das Fernsehen eine Kommerzialisierung vorantrieben. Das ist zwar so, doch der Weg dorthin war nicht geradlinig. Es gab anfangs Widerstände sowohl vom Fernsehen als auch dem DFB. Im DFB hatte das Amateurideal damals einen anderen Stellenwert als heute, und der Verband war traditionalistischer ausgerichtet.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Fernsehen, das als Konkurrent für das Stadion gesehen wurde, war beschränkt. Von Seiten des Fernsehens gab es ebenfalls Bedenken: Beispielsweise wehrte man sich gegen die sogenannte "Schleichwerbung" auf Trikots und Bande. In den 1980er Jahren durchliefen die Vereine eine Krise, die zu einem Wandel führte: vom Traditionalismus "zu einem unternehmerischen Denken in den Vereinen". Uli Hoeneß repräsentiert einen neuen Typus des Fußballfunktionärs, einen Managertyp, der Vereine nach wirtschaftlichen Kriterien führte.
Jonas zeigt schrittweise auf, wie dieses Umdenken stattfand, auch auf der Seite des DFB. Dabei wahrt sie immer die Distanz zu den beschriebenen Entwicklungen. Heute sind Fußballspieler und Werbung nicht mehr getrennt voneinander zu denken. Längst sind Spieler in Werbespots zu sehen, ihre Eigenschaften und Bekanntheit werden dafür benutzt, um Produkte zu vermarkten. Ab den neunziger Jahren wurde die Selbstvermarktung vorangetrieben. Jonas unterstreicht die neue Unbedingtheit, Vereine sollen nun gezielt ihre Möglichkeiten nutzen.
Auch der DFB strebt nach Veränderung: eine Strukturreform "sollte den Profivereinen ein größeres Gewicht gegenüber den Amateuren im Dachverband verschaffen". Das sei in England und Deutschland nicht zuletzt auf die explodierenden Fernseheinnahmen der Erstligavereine zurückzuführen. Jonas zeigt auf, wie sich die Änderungen bis heute auswirken. Seit Jahren klagen Amateurvereine darüber, dass sie vernachlässigt werden. Sie konnten ihre Stellung bis heute nicht wiederherstellen, in einer Zeit, in der der Fußball längst nicht mehr nur Tradition, sondern ein wirtschaftliches System ist.
Jonas erläutert, wie es dazu kam: Gestiegene Umsätze und Ausgaben führten zu einer weiteren Professionalisierung auf Management- und Vermarktungsebene. Der Fußball in England und Deutschland wird dadurch immer globaler und internationaler. "Berichte aus beiden Ländern machen jedoch deutlich, dass es sich hierbei um einen weiteren Konzentrationsprozess handelte, der die Kluft zwischen Spitzenvereinen und kleineren Klubs größer werden ließ denn je zuvor."
All diese Erkenntnisse verbindet sie gekonnt mit der wirtschaftlichen Situation, kulturellen Entwicklungen, Medien und Konsumverhalten. Längst sind Fußballer nicht nur Sportler, sie sind zu Werbefiguren geworden, die mit ihren Eigenschaften für Produkte werben. Jonas nennt als Beispiel Michael Ballack, für den eine Strategie entwickelt wurde, bei der ihm verschiedene Attribute zugeordnet wurden wie ehrlich, offen, führend, seriös, sympathisch. An diesem Fall wird erklärt, wie gezielt Agenturen die Person aufbauen. Nicht nur für die Medien und Sponsoren sollte Ballack so attraktiv werden, sondern sogar eine eigene "Marke" sein. Obwohl der Betrachter den Spieler noch als authentisch vorgeführt bekommt, ist das schon lange so geplant. Jones schlüsselt das, was dahintersteckt, auf.
Sie zeigt überzeugend, wie globalisiert und durchprofessionalisiert der Fußball heute ist. Doch die viel interessantere Erkenntnis ist: Es war nicht immer so.
STEFANIE SIPPEL
Hannah Jonas: Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000. Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2019. 314 S., 60,- [Euro].
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