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Dass der Ball rund ist, wissen wir inzwischen. Dass Gott rund ist, dieser in der Euphorie des Augenblicks ausgestoßenen Behauptung eines brasilianischen Fußballreporters wollen wir uns nicht ohne weiteres anschließen, denn sie lässt sich schwer nachweisen. Wohl aber lässt sich erzählen, wie es kam, dass im Lauf von etwa 150 Jahren ein Elitesport der englischen Oberschicht zu einem internationalen Massensport wurde, der im Einzelfall sogar Bestandteil des nationalen Stolzes ist. Die Floskel von der "Nation im Fußballfieber" gehört zum Standardrepertoire der einschlägigen Berichterstattung. in…mehr

Produktbeschreibung
Dass der Ball rund ist, wissen wir inzwischen. Dass Gott rund ist, dieser in der Euphorie des Augenblicks ausgestoßenen Behauptung eines brasilianischen Fußballreporters wollen wir uns nicht ohne weiteres anschließen, denn sie lässt sich schwer nachweisen. Wohl aber lässt sich erzählen, wie es kam, dass im Lauf von etwa 150 Jahren ein Elitesport der englischen Oberschicht zu einem internationalen Massensport wurde, der im Einzelfall sogar Bestandteil des nationalen Stolzes ist. Die Floskel von der "Nation im Fußballfieber" gehört zum Standardrepertoire der einschlägigen Berichterstattung. in der Entwicklung dieses Sports spiegeln sich die kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und mentalen Entwicklungen eines ganzen Jahrhunderts. Mindestens ebenso wichtig wie die reinen Fakten sind dabei die emotionalen Ingredenzien, auf deren Boden die Faszination durch den Fußball gedeihen konnte. In diesem Band wird eine Analyse dieses Phänomens versucht: Es geht um das "Mutterla nd" England und die Importländer Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien, Brasilien, Russland, Argentinien, die USA und Australien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1997

Vom Affensport zum Angestelltenfußball

Und wieder ein Fußball-Buch. Obwohl manche Autoren weniger Leser haben als Zweitligaklubs Zuschauer bei einem Heimspiel, boomt das Marktsegment fast so sehr wie der Fußball selbst. Spieler arbeiten ihre ausklingende Karriere schriftlich auf, Anhänger schreiben über Freud und Leid mit ihrem Sport, Fankulturen werden soziologisch untersucht, analytische Abhandlungen und flotte Feuilletons über das "Drama des Fußballs" verfaßt. Bei den zahlreichen Druckerzeugnissen binnen kurzer Zeit ist es erstaunlich, daß immer wieder spannende Sichtweisen und interessante Erkenntnisse zutage kommen. In dem von der Hamburger Historikerin Christiane Eisenberg herausgegebenen Sammelband "Fußball, Soccer, Calcio" allerdings wenig.

Über Erfolg und Mißerfolg des Fußballs entscheidet - neben dem Spiel selbst - vor allem das soziale Umfeld, so lautet die Grundthese des Buches. Folglich untersuchen die zehn Wissenschaftler die Wechselbeziehungen zwischen dem Sport und der Gesellschaft in Europa, Südamerika, in Australien und den Vereinigten Staaten. Stilen und Spielarten des Sports werden nur in zwei Studien und dort bestenfalls am Rande ein paar Zeilen gewidmet - über den "Angestelltenfußball" in Deutschland und den kreolischen Stil in Argentinien.

Zehn Länder werden analysiert, und ihre Auswahl ist so schwierig nachzuvollziehen wie der Umfang der Studien. Die Schwierigkeiten in Australien und den Vereinigten Staaten, zwei Ländern, in denen Fußball eine sehr ähnliche Entwicklung genommen hat und sich seit Jahren vergeblich der Konkurrenz von populäreren Sportarten stellt, werden jeweils auf mehr als 20 Seiten beschrieben - genauso viel wie für Italien und Frankreich zusammen. Großbritannien als Mutterland des modernen Fußballs wird auf 19 Seiten gewürdigt, die Entwicklung in Österreich wird dem Leser auf fast doppeltem Umfang dargeboten.

Die Zustandsbeschreibung der Historiker und Politologen gerät zumeist sehr kurz. So auch bei der Herausgeberin, die den Aufsatz über die Entwicklung im Deutschen Reich und in Deutschland verfaßt hat. Ausgehend von der Abneigung der Deutschen, die den Sport Anfang des Jahrhunderts als "Affentum" und "Fußlümmelei" bezeichnet hatten, entwickelten sich zwei besondere Merkmale des deutschen Fußballs: seine ausgeprägte Staatsorientierung und das "ideologisch überhöhte Amateurprinzip". Christiane Eisenberg beschreibt ausführlich die Entwicklung hin zur Professionalisierung und Kommerzialisierung seit der Einführung der Bundesliga 1963. Zeitgleich habe sich auch in der DDR ein Profitum herausgebildet, indem Spieler aufgrund der Konkurrenz der Klubs besser entlohnt wurden als andere Sportler.

Manche sachliche Fehler und Ungenauigkeiten in dem Band hätten durch sorgsame Prüfung des Lektorats vermieden werden können. Die Auswahlmannschaft der DDR wird von der Herausgeberin als "Nationalmannschaft" bezeichnet, die amerikanische Profiliga "Major League Soccer" (MLS) wird meistens "Major Soccer League" genannt (und dementsprechend falsch MSL abgekürzt). Besonders ärgerlich sind offenkundig unsinnige Fehler wie "gelang es Spartak, mit 3:3 zu gewinnen".

Dennoch: Wer Ausdauer besitzt, sich dem Buch intensiv widmet und über unnötige Fehler hinwegliest, kann interessante Details und Zusammenhänge erfahren. Vor allem Jim Riordans Studie über Rußland und die Sowjetunion ist voller interessanter Details. Im Jahr 1897 feierte der russische Fußball nach englischen Regeln in St. Petersburg seine Geburtsstunde. Viel Geld konnten die russischen Spieler mit ihrem Sport im eigenen Land nicht verdienen - wenngleich sie mehr erhielten als die Spieler, die vor 100 Jahren gegen die internationale Auswahl gewannen. Sie erhielten "je einen Krug mit Früchten und eine Tüte Mehl". THOMAS KLEMM

Besprochenes Buch: "Fußball, Soccer, Calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt", herausgegeben von Christiane Eisenberg, dtv, München, 234 Seiten, 29,90 Mark.

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