Jean-Philippe Toussaint hat ein besonderes Buch über Fußball geschrieben, eine Liebeserklärung, ein Staunen über das Einmalige und Faszinierende dieser Sportart, eine Hommage an die Stadien, an die Leidenschaft der Zuschauer, die unvergleichlichen Farben der Nationaltrikots und an das absolute Grün des Rasens im hellen Schein des Flutlichts. Meisterhaft versteht sich Toussaint auf die Details der Details und zeigt dabei jene äußeres Unheil abwendende, wundervolle Wirkung des Fußballspiels im Moment des Betrachtens.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016Selbstporträt vom Seitenrand
Jean-Philippe Toussaint huldigt dem „Fußball“
Eine klassische Toussaint-Szene – luzide, aufgeladen mit Energieströmen, die aus vielen Richtungen zusammenzukommen scheinen: Ein Mann sitzt im Jahr 2014 im Dunkel seines Arbeitszimmers auf Korsika vor dem Computer. Es läuft der Livestream des WM-Halbfinales zwischen Argentinien und den Niederlanden, in dem es zur Entscheidung durch Elfmeterschießen kommt. Die Atmosphäre auf dem Platz ist auf das Höchste angespannt, und draußen auf dem Meer ballen sich bedrohlich die Wolken, Blitze zucken durch die Nacht. Und plötzlich: ein Stromausfall. Das Unwetter tobt über dem Haus, in dem der Mann sich nun sein batteriebetriebenes Transistorradio ans Ohr presst und mit Mühe der italienischen Radioreportage über das Spiel lauscht. Mit dem Ende des Spiels hört auch der Regen auf, „von den Ästen der Bäume tropfte es langsam auf den nassen Asphalt des Platzes.“
Ein Minidrama, eine Epiphanie im Rauschen des Regens und der Medien. Und ein Ich, das sich kurz darauf ins Bett legt und seine Gedanken dem Himmel anvertraut. Der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint, geboren 1957, ist ein Autor des magischen Augenblicks. Und folglich einer, dessen Schreiben ein stetiger Kampf gegen die gefräßige Zeit bedeutet. Toussaint entwirft Bilder, die in einem engen Beziehungsverhältnis zu den Assoziationen stehen, die sich darüber lagern. Wenn beide miteinander in einer schwebenden Ambivalenz verschmelzen, ergibt das einen Toussaint-Moment.
Und wenn Toussaint über Fußball schreibt, dann schreibt er nicht in erster Linie über Fußball, sondern gegen die Todesangst an, gegen das Vergehen der flüchtigen Schönheit, die es festzuhalten gilt, bevor sie für immer verloren ist. Das Spiel wird zum Gefäß, in dem Stimmungen und Erinnerungen aufgehoben sind. Fußball, so wie Toussaint ihn betrachtet, bannt die Furcht vor dem Verschwinden, weil Fußball nicht ausgerichtet ist auf die Zukunft, sondern nur auf den Moment, in dem er sich gerade ereignet, was, in der Ablenkung vom Elend, zu einem „metaphysischen Wohlbefinden“ führen kann. Sport als Kontemplation und existenzielles Ereignis.
Der kleine, 2007 erschienene Band „Zidanes Melancholie“ von Jean-Philippe Toussaint war eine Reflexion über den schicksalhaften Moment des WM-Endspiels in Berlin, in dem Zinédine Zidane seinen italienischen Gegenspieler Marco Materazzi mit einem Kopfstoß zu Boden schickte. Diese „Geste“, wie Toussaint sie nennt, wird von ihm als Verzweiflungsausbruch des Kreativen interpretiert: „Man kennt die intimen Bande, die die Kunst mit der Melancholie verknüpfen. Und unfähig, sich mit einem weiteren Tor zu verewigen, verewigte er sich in unserer Erinnerung.“
Nun hat Toussaint die Geschichte seiner Fußball-Sozialisation geschrieben: vom Armbruch auf einem Bolzplatz im Alter von neun Jahren über den Besuch seines ersten Weltmeisterschaftsspiels 1998 bis hin zu dem Tag, an dem er seinen Schreibcomputer erstmals in einen Fernsehbildschirm umfunktionierte, um den Livestream zu verfolgen. Es sind nostalgische Geschichten, die Toussaint erzählt, aus der Sicht des Fans und eines distanzierten Betrachters zugleich. Er gestattet sich bei Spielen der belgischen Nationalmannschaft durchaus das, was er seinen „kindlichen Nationalismus“ nennt; einen harmlosen Zustand der „intellektuellen Regression“, der vorbei ist, vorbei sein muss, sobald das Spiel abgepfiffen wird.
Gleichzeitig aber sind Toussaints Stadionerlebnisse (das Herzstück des Buches ist die Erzählung einer ausgedehnten Japanreise während der Weltmeisterschaft 2002) auch ästhetische Konfrontationen mit dem Fremden. Die Passagen, in denen der Ich-Erzähler durch die Bars von Kyoto streift, auf dem Bett in seinem Hotelzimmer liegt oder sich in seinem durchsichtigen Regenumhang vom Strom der japanischen Fußballfans in die U-Bahn von Tokio spülen lässt, könnten genauso gut in seinen Romanen wie „Sich lieben“ (2002) oder „Fliehen“ (2005) stehen; hin und wieder zitiert oder parodiert Toussaint seine eigenen Werke.
„Fußball“ ist kein Sportbuch, sondern Literatur, und zwar sehr elegante. Ein Buch, in dem die großen Reflexionen gleichberechtigt neben den scheinbar nebensächlichen und oft auch komischen Beobachtungen stehen – kleinen Vignetten wie beispielsweise der Passage über die Frisuren der Fußballer, die den „Look der kahl geschorenen Kugel“ feiert; eine Mode, die „aus bester französischer Tradition stammt, zu der Barthez (der Torhüter) genauso gut gehört wie Foucault (der Philosoph).“ Und selbstverständlich auch Toussaint, der barhäuptige Schriftsteller. Zu jeder Sekunde ist er sich dessen bewusst, dass der Sport, über den er schreibt, von der medialen Vermittlung lebt, von der wirkungsvollen Präsentation eines Details im richtigen Augenblick. Es ist die gleiche Technik, derer sich auch der Schriftsteller Toussaint bedient, bis hin zu dem wunderbaren Schlussbild auf Korsika; einem Selbstporträt des Autors in der Dunkelheit des nur vom flackernden Bildschirm erhellten Raumes.
Dieses Buch, so Toussaint in seinem Vorwort, werde niemandem gefallen: Es sei zu intellektuell für Fußballfans und zu fußballlastig für Intellektuelle. Das ist natürlich pure Koketterie. So leicht, klug und todernst wie er schaut sonst kaum einer auf diesen Sport, der so viel mehr ist als ein Spiel.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Fußball, so wie Toussaint
ihn betrachtet, bannt die Furcht
vor dem Verschwinden
Jean-Philippe Toussaint: Fußball. Aus dem Französischen von Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2016.
128 Seiten, 17,90 Euro, E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jean-Philippe Toussaint huldigt dem „Fußball“
Eine klassische Toussaint-Szene – luzide, aufgeladen mit Energieströmen, die aus vielen Richtungen zusammenzukommen scheinen: Ein Mann sitzt im Jahr 2014 im Dunkel seines Arbeitszimmers auf Korsika vor dem Computer. Es läuft der Livestream des WM-Halbfinales zwischen Argentinien und den Niederlanden, in dem es zur Entscheidung durch Elfmeterschießen kommt. Die Atmosphäre auf dem Platz ist auf das Höchste angespannt, und draußen auf dem Meer ballen sich bedrohlich die Wolken, Blitze zucken durch die Nacht. Und plötzlich: ein Stromausfall. Das Unwetter tobt über dem Haus, in dem der Mann sich nun sein batteriebetriebenes Transistorradio ans Ohr presst und mit Mühe der italienischen Radioreportage über das Spiel lauscht. Mit dem Ende des Spiels hört auch der Regen auf, „von den Ästen der Bäume tropfte es langsam auf den nassen Asphalt des Platzes.“
Ein Minidrama, eine Epiphanie im Rauschen des Regens und der Medien. Und ein Ich, das sich kurz darauf ins Bett legt und seine Gedanken dem Himmel anvertraut. Der belgische Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint, geboren 1957, ist ein Autor des magischen Augenblicks. Und folglich einer, dessen Schreiben ein stetiger Kampf gegen die gefräßige Zeit bedeutet. Toussaint entwirft Bilder, die in einem engen Beziehungsverhältnis zu den Assoziationen stehen, die sich darüber lagern. Wenn beide miteinander in einer schwebenden Ambivalenz verschmelzen, ergibt das einen Toussaint-Moment.
Und wenn Toussaint über Fußball schreibt, dann schreibt er nicht in erster Linie über Fußball, sondern gegen die Todesangst an, gegen das Vergehen der flüchtigen Schönheit, die es festzuhalten gilt, bevor sie für immer verloren ist. Das Spiel wird zum Gefäß, in dem Stimmungen und Erinnerungen aufgehoben sind. Fußball, so wie Toussaint ihn betrachtet, bannt die Furcht vor dem Verschwinden, weil Fußball nicht ausgerichtet ist auf die Zukunft, sondern nur auf den Moment, in dem er sich gerade ereignet, was, in der Ablenkung vom Elend, zu einem „metaphysischen Wohlbefinden“ führen kann. Sport als Kontemplation und existenzielles Ereignis.
Der kleine, 2007 erschienene Band „Zidanes Melancholie“ von Jean-Philippe Toussaint war eine Reflexion über den schicksalhaften Moment des WM-Endspiels in Berlin, in dem Zinédine Zidane seinen italienischen Gegenspieler Marco Materazzi mit einem Kopfstoß zu Boden schickte. Diese „Geste“, wie Toussaint sie nennt, wird von ihm als Verzweiflungsausbruch des Kreativen interpretiert: „Man kennt die intimen Bande, die die Kunst mit der Melancholie verknüpfen. Und unfähig, sich mit einem weiteren Tor zu verewigen, verewigte er sich in unserer Erinnerung.“
Nun hat Toussaint die Geschichte seiner Fußball-Sozialisation geschrieben: vom Armbruch auf einem Bolzplatz im Alter von neun Jahren über den Besuch seines ersten Weltmeisterschaftsspiels 1998 bis hin zu dem Tag, an dem er seinen Schreibcomputer erstmals in einen Fernsehbildschirm umfunktionierte, um den Livestream zu verfolgen. Es sind nostalgische Geschichten, die Toussaint erzählt, aus der Sicht des Fans und eines distanzierten Betrachters zugleich. Er gestattet sich bei Spielen der belgischen Nationalmannschaft durchaus das, was er seinen „kindlichen Nationalismus“ nennt; einen harmlosen Zustand der „intellektuellen Regression“, der vorbei ist, vorbei sein muss, sobald das Spiel abgepfiffen wird.
Gleichzeitig aber sind Toussaints Stadionerlebnisse (das Herzstück des Buches ist die Erzählung einer ausgedehnten Japanreise während der Weltmeisterschaft 2002) auch ästhetische Konfrontationen mit dem Fremden. Die Passagen, in denen der Ich-Erzähler durch die Bars von Kyoto streift, auf dem Bett in seinem Hotelzimmer liegt oder sich in seinem durchsichtigen Regenumhang vom Strom der japanischen Fußballfans in die U-Bahn von Tokio spülen lässt, könnten genauso gut in seinen Romanen wie „Sich lieben“ (2002) oder „Fliehen“ (2005) stehen; hin und wieder zitiert oder parodiert Toussaint seine eigenen Werke.
„Fußball“ ist kein Sportbuch, sondern Literatur, und zwar sehr elegante. Ein Buch, in dem die großen Reflexionen gleichberechtigt neben den scheinbar nebensächlichen und oft auch komischen Beobachtungen stehen – kleinen Vignetten wie beispielsweise der Passage über die Frisuren der Fußballer, die den „Look der kahl geschorenen Kugel“ feiert; eine Mode, die „aus bester französischer Tradition stammt, zu der Barthez (der Torhüter) genauso gut gehört wie Foucault (der Philosoph).“ Und selbstverständlich auch Toussaint, der barhäuptige Schriftsteller. Zu jeder Sekunde ist er sich dessen bewusst, dass der Sport, über den er schreibt, von der medialen Vermittlung lebt, von der wirkungsvollen Präsentation eines Details im richtigen Augenblick. Es ist die gleiche Technik, derer sich auch der Schriftsteller Toussaint bedient, bis hin zu dem wunderbaren Schlussbild auf Korsika; einem Selbstporträt des Autors in der Dunkelheit des nur vom flackernden Bildschirm erhellten Raumes.
Dieses Buch, so Toussaint in seinem Vorwort, werde niemandem gefallen: Es sei zu intellektuell für Fußballfans und zu fußballlastig für Intellektuelle. Das ist natürlich pure Koketterie. So leicht, klug und todernst wie er schaut sonst kaum einer auf diesen Sport, der so viel mehr ist als ein Spiel.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Fußball, so wie Toussaint
ihn betrachtet, bannt die Furcht
vor dem Verschwinden
Jean-Philippe Toussaint: Fußball. Aus dem Französischen von Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2016.
128 Seiten, 17,90 Euro, E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Christoph Schröder jubelt: Jean-Philippes neues Buch "Fußball" ist nicht einfach ein Sportbuch, sondern sehr gelungene Literatur. Energie- und sprachgeladene Bilder strömen dem Kritiker in dieser Geschichte einer Fußball-Sozialisation entgegen, lesen wir, die nicht nur erste Erlebnisse auf dem Bolzplatz oder den Besuch des ersten Weltmeisterspiels schildern, sondern auch faszinierende Begegnungen mit dem Fremden offenbaren, etwa wenn der belgische Schriftsteller von seiner langen Japan-Reise erzählt. Hier schreibt einer nicht nur leicht, klug und ernst über den Sport, sondern auch über das Vergehen der "flüchtigen Schönheit" eines Augenblicks, schließt der hingerissene Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2016Mit den Füßen denken
Was den Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint und den Philosophen Gunter Gebauer am Fußball fasziniert
Der Zweifel gehört ja seit Gründerzeiten zum Repertoire des Philosophen und manchmal auch des Künstlers. Und doch ist es seltsam, dass im Jahr 2016 ein Philosoph und ein Schriftsteller derart an ihrem Gegenstand zu zweifeln scheinen. Denn anders ist es kaum zu erklären, wie beharrlich Gunter Gebauer und Jean-Philippe Toussaint nach einer Legitimation suchen, um über Fußball zu schreiben, als ginge es hier um ein "guilty pleasure". Gebauer fragt, ob Fußball überhaupt ein philosophischer Gegenstand sei und womöglich "eine Art des Denkens". Toussaint fürchtet sogar, keine Leser zu finden, weil sein Buch den Fußballinteressierten zu intellektuell sei und Intellektuelle sich nicht für Fußball interessierten.
Seltsam ist das, weil der Fußball in den letzten Jahren zu einem weltumspannenden Geschäft geworden ist, zu einer umsatzstarken Entertainmentsparte und Erlebniswelt. Es werden nicht nur Senderechte zu Phantasiesummen verkauft, nicht nur Trikots, Schuhe und sonstige Accessoires massenhaft umgesetzt, dazu Bildbände oder hagiographische Biographien. Das Spiel selbst, samt Trainingslehre, Scouting und Taktik, ist von Verwissenschaftlichung und Digitalisierung erfasst worden. Die Akkumulation von Spiel- und Spielerdaten hat ein Ausmaß erreicht, dass einem die Metapher "ein Spiel lesen" schon sehr analog und altmodisch vorkommt, wo es um Berechenbarkeit, Steuerung und Optimierbarkeit geht. So präsent und selbstverständlich sind der Fußball und das Reden über ihn geworden, dass man sich eher fragen muss, ob es da überhaupt noch zwei weitere Bücher über diesen Gegenstand gebraucht hätte.
Die Frage beantwortet sich sofort durch die Leidenschaft, welche die Autoren treibt und trägt. Was der Fußball fürs Menschsein bedeutet, fragt Gebauer; was er auslöst im Betrachter, davon erzählt Toussaint, der ja schon 2007 mit seinem wunderbaren kleinen Text "Zidanes Melancholie" ein Fußballbuch geschrieben hat, wie man es bis dahin nicht kannte. Und es ist spannend zu beobachten, welche Querverbindungen sich zwischen den Autoren ergeben, ihren verschiedenen Schreibweisen, Methoden und Ausgangspunkten zum Trotz.
Toussaints Buch ist schlank und wendig, es lässt sich keinem Format wirklich zurechnen. Er schweift ab, er "trödelt herum", er weiß das, muss sich auch nicht dafür entschuldigen, und das hat sehr viel zu tun mit seinem Verfahren, nicht das Geschehen auf dem Platz zu analysieren, sondern dessen vielfältige Echos. Toussaint erzählt von den ungeheuren Wirkungen, die nicht nur das Spiel, sondern das gesamte Erlebnis auslöst, die Atmosphäre auf dem Weg zum und im Stadion, die Stimmung auf dem Heimweg. Und so verschränken sich Passagen über seine Stadionbesuche in Japan bei der Weltmeisterschaft 2002 mit den Erinnerungen an die Träume und Phantasmen der Kindheit, aus der letztlich bei allen Begeisterten die mythologischen Bilder stammen, die man sich vom Fußball macht.
Dass dabei die Erinnerung ab und zu trügen kann, ist normal, da hätten Lektorat und Übersetzung nachbessern müssen, wenn es ums Finale der Champions League zwischen dem AC Mailand und Juventus Turin (2003 statt 2013) oder ums Abschneiden der schwedischen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 geht. Man vergisst das aber sofort, wenn Toussaint, der die Weltmeisterschaft 2014 eigentlich ignorieren wollte, beschreibt, wie es ihn dann doch packt, wie er sich ein Streaming-Abo besorgt und der Stream während des Halbfinales versagt, wie er das Radio anstellt, wie dann ein Blitz die Stromversorgung lahmlegt, wie er ein altes Transistorradio hervorkramt und mit welchem Glücksgefühl er schließlich dem italienischsprachigen Kommentar zuhört, obwohl weder Argentinien noch die Niederlande "sein" Team sind.
Das ist eine Erfahrung, die sich genauso im Buch des Philosophen wiederfindet. Was bei Toussaint "in einem Zeitkokon eingesponnen" heißt, ist bei Gebauer die "reine Präsenz", "diese eine Zeit", die während der Dauer eines Spiels mit der Lebenszeit des Zuschauers verschmilzt. "Das Leben in 90 Minuten" hat Gebauer deshalb auch nicht zufällig sein Buch genannt, das so etwas wie ein Lebenswerk geworden ist. Gebauer, inzwischen 72, ist ja seit langem der Denker, den Medien und Gremien fragen, wenn es um philosophische Aspekte des Leistungssports geht. Eine "Poetik des Fußballs" hat er auch schon geschrieben, und das theoretische Besteck, mit dem er arbeitet, ist differenziert genug für seine Fußballphilosophie, es ist geländegängig und variabel. Wittgenstein und Bourdieu gehen gut zusammen mit Nietzsche, Durkheim, Weber oder Foucault. Zugleich sind in den sechs Kapiteln Anschaulichkeit und eine Nähe zum Gegenstand zu finden, welche diesen nicht zum schattenhaften Abbild seiner selbst machen.
Am Ende ist der Zweifel auch nur ein methodischer wie bei Descartes, denn Gebauer hat die Sache souverän im Griff. Er zeigt sehr schön, wie Fußball zum "anthropologischen Experiment" wird, weil sich der Mensch durch den Verzicht auf die Hand und das Wort wieder fragil macht und einen neuen "Zustand des Antifragilen" zu erreichen versucht, weil der "Dreh- und Angelpunkt der menschlichen Evolution", der aufrechte Gang und die damit verbundene Freisetzung der Hand, noch einmal durchgespielt wird. Kommunikation wird in diesem Szenario vom Austausch zum "Durchsetzen von Handlungsstrukturen" gegen ein anderes Team.
Und es finden sich in diesen komplexen Erörterungen immer wieder pointierte Wendungen, wenn Gebauer festhält: "Der Ball ist es, der den Fußballer erschafft." Oder wenn er mit dem bewundernden Blick auf die Brasilianer, der die primäre Fußballsozialisation seiner Generation verrät, schreibt: "Im Fußball geht es um die Liebe zwischen einem Mann und einem Ball." Was "Denken mit den Füßen" auch bedeuten kann, illustriert eine unerwartete Anekdote über den Philosophen Heidegger, der sich bei Nachbarn ein Länderspiel im Fernsehen ansah und vor Aufregung versehentlich den Teetisch umtrat. Dem anthropologischen Blick, dem im Fußball vor allem die "Unsicherheit der Existenz" ins Auge fällt, folgen andere diagnostische Verfahren der Soziologie. Gebauer zeichnet nach, wie im Fußball eine Wirklichkeit erzeugt wird, an die alle Beteiligten glauben, wobei dieser Glauben gar nicht metaphysisch grundiert ist. Kategorial, so Gebauer, verhalte er sich nicht anders als der Glaube an die Wissenschaft als Institution, der die Voraussetzung dafür ist, ein Argument für stärker zu halten und diese Überlegenheit nicht mit einer vernunftgegebenen Eigenschaft zu verwechseln.
Wie Fußballmythen sich bilden und überdauern, wie sich über die Materialität des grünen Rasens ein "symbolischer Raum" mit seinen Regeln, Zonen und entsprechenden Bedeutungen legt, all das entwickelt Gebauer klar und nachvollziehbar. Mit Bourdieu spricht er von der "sozialen Transzendenz", die daraus entsteht, dass wir "von der Wirkung eines Gebildes, das wir mit unserem Glauben geschaffen haben, überwältigt" sind. Was im Übrigen natürlich nicht auf Bourdieu, sondern auf Marx zurückgeht, der das bereits im "Kapital", im Kapitel über den "Fetischcharakter der Ware" beschrieben hat. So wird auch plausibel, warum sich magisches Denken und abergläubische Praktiken noch im aufgeklärten Diskurs über Fußball in Spurenelementen nachweisen lassen.
Mit jeweils unterschiedlichen Methoden lässt das Buch die vielen Facetten des Fußballs sichtbar werden, und meist ist das auch schlüssig. Dass Schönheit im Fußball eine "Ästhetik der Grausamkeit" verlange, weil im Fußball "das Misslingen von Schönheit konstitutiv angelegt ist", das ist von Gebauers anthropologischem Ansatz gedeckt. Man könnte hier allerdings auch fragen, ob sich das, was jedes Fußballspiel, ob nun in der Champions League oder der Kreisklasse, hervorbringt, nicht besser als eine Erzählung beschreiben ließe und nicht bloß als "Ereignisstruktur". Und ob nicht diese Erzählung, der wir als Zuschauer beim Entstehen zusehen, die wir also "mitlesen", für die Faszination des Spiels verantwortlich ist - was Gebauer mit Hegels Begriff der "dramatischen Kollision" nur andeutet, ohne hier den finalen Pass zu riskieren.
Als Philosoph und Soziologe muss er sich natürlich auch für das interessieren, was Toussaint gelangweilt den "Fußball der Erwachsenen" nennt, also für dessen ökonomische, politische, soziale Bedeutungsschichten. Wenn Gebauer über die Rolle des Fernsehens, über Fußball als "kollektiven Erinnerungsstifter" in der Bundesrepublik oder über die "Sonderethik" nicht nur der Fifa schreibt, wenn er feststellt, wer etwas über "die Grundgesetze des Kapitals im 21. Jahrhundert" erfahren wolle, brauche sich nur den Fußball anzuschauen, ist dagegen wenig einzuwenden. Es ist allerdings auch nicht so originell wie der Rest.
Man wird nun nach der Lektüre dieser beiden Bücher das nächste Fußballspiel nicht unbedingt mit anderen Augen sehen. Vielleicht wird man aber noch einmal darüber staunen, wie man als Angehöriger der Fußballgemeinde regelmäßig wehrlos und wider besseres Wissen von den Gebilden der eigenen Einbildungskraft überwältigt wird. Auch kein Spieler oder Trainer würde besser, wenn er die Bücher läse. Die Innensicht auf das Spiel, das betont Gebauer unmissverständlich, ist eben grundlegend verschieden vom öffentlichen Reden und Kommentieren.
Es ist etwas anderes, was von der Lektüre beider Bücher bleibt. Man sieht den fuchtelnden und hüpfenden Josep Guardiola oder auch irgendeinen verzweifelnden B-Junioren-Trainer am Spielfeldrand; man hört tobende, brüllende Fans, erinnert sich an Toussaints Geständnis, dass er während eines Spiels den Schiedsrichter wüst beschimpfe und den Gegner beleidige - und weiß: Nicht mal die Hälfte dessen, was auf dem Platz geschieht, liegt in unserer Hand. Gelingende Spielzüge oder Tore sind "kleine Wunder" (Gebauer). Und selbst noch mehr Daten und noch mehr Optimierungsstrategien werden das nicht ändern. Die Kontingenzerfahrung, die einem der Fußball schenkt und zumutet, macht ihn so grausam und so schön. Und sie lässt uns auf eine sehr elementare Weise erleben, wer wir sind, wenn wir beim Fußball sind.
PETER KÖRTE
Jean-Philippe Toussaint: "Fußball". Übersetzt von Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, 128 Seiten, 17,90 Euro
Gunter Gebauer: "Das Leben in 90 Minuten. Eine Philosophie des Fußballs". Pantheon, 320 Seiten, 14,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was den Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint und den Philosophen Gunter Gebauer am Fußball fasziniert
Der Zweifel gehört ja seit Gründerzeiten zum Repertoire des Philosophen und manchmal auch des Künstlers. Und doch ist es seltsam, dass im Jahr 2016 ein Philosoph und ein Schriftsteller derart an ihrem Gegenstand zu zweifeln scheinen. Denn anders ist es kaum zu erklären, wie beharrlich Gunter Gebauer und Jean-Philippe Toussaint nach einer Legitimation suchen, um über Fußball zu schreiben, als ginge es hier um ein "guilty pleasure". Gebauer fragt, ob Fußball überhaupt ein philosophischer Gegenstand sei und womöglich "eine Art des Denkens". Toussaint fürchtet sogar, keine Leser zu finden, weil sein Buch den Fußballinteressierten zu intellektuell sei und Intellektuelle sich nicht für Fußball interessierten.
Seltsam ist das, weil der Fußball in den letzten Jahren zu einem weltumspannenden Geschäft geworden ist, zu einer umsatzstarken Entertainmentsparte und Erlebniswelt. Es werden nicht nur Senderechte zu Phantasiesummen verkauft, nicht nur Trikots, Schuhe und sonstige Accessoires massenhaft umgesetzt, dazu Bildbände oder hagiographische Biographien. Das Spiel selbst, samt Trainingslehre, Scouting und Taktik, ist von Verwissenschaftlichung und Digitalisierung erfasst worden. Die Akkumulation von Spiel- und Spielerdaten hat ein Ausmaß erreicht, dass einem die Metapher "ein Spiel lesen" schon sehr analog und altmodisch vorkommt, wo es um Berechenbarkeit, Steuerung und Optimierbarkeit geht. So präsent und selbstverständlich sind der Fußball und das Reden über ihn geworden, dass man sich eher fragen muss, ob es da überhaupt noch zwei weitere Bücher über diesen Gegenstand gebraucht hätte.
Die Frage beantwortet sich sofort durch die Leidenschaft, welche die Autoren treibt und trägt. Was der Fußball fürs Menschsein bedeutet, fragt Gebauer; was er auslöst im Betrachter, davon erzählt Toussaint, der ja schon 2007 mit seinem wunderbaren kleinen Text "Zidanes Melancholie" ein Fußballbuch geschrieben hat, wie man es bis dahin nicht kannte. Und es ist spannend zu beobachten, welche Querverbindungen sich zwischen den Autoren ergeben, ihren verschiedenen Schreibweisen, Methoden und Ausgangspunkten zum Trotz.
Toussaints Buch ist schlank und wendig, es lässt sich keinem Format wirklich zurechnen. Er schweift ab, er "trödelt herum", er weiß das, muss sich auch nicht dafür entschuldigen, und das hat sehr viel zu tun mit seinem Verfahren, nicht das Geschehen auf dem Platz zu analysieren, sondern dessen vielfältige Echos. Toussaint erzählt von den ungeheuren Wirkungen, die nicht nur das Spiel, sondern das gesamte Erlebnis auslöst, die Atmosphäre auf dem Weg zum und im Stadion, die Stimmung auf dem Heimweg. Und so verschränken sich Passagen über seine Stadionbesuche in Japan bei der Weltmeisterschaft 2002 mit den Erinnerungen an die Träume und Phantasmen der Kindheit, aus der letztlich bei allen Begeisterten die mythologischen Bilder stammen, die man sich vom Fußball macht.
Dass dabei die Erinnerung ab und zu trügen kann, ist normal, da hätten Lektorat und Übersetzung nachbessern müssen, wenn es ums Finale der Champions League zwischen dem AC Mailand und Juventus Turin (2003 statt 2013) oder ums Abschneiden der schwedischen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 geht. Man vergisst das aber sofort, wenn Toussaint, der die Weltmeisterschaft 2014 eigentlich ignorieren wollte, beschreibt, wie es ihn dann doch packt, wie er sich ein Streaming-Abo besorgt und der Stream während des Halbfinales versagt, wie er das Radio anstellt, wie dann ein Blitz die Stromversorgung lahmlegt, wie er ein altes Transistorradio hervorkramt und mit welchem Glücksgefühl er schließlich dem italienischsprachigen Kommentar zuhört, obwohl weder Argentinien noch die Niederlande "sein" Team sind.
Das ist eine Erfahrung, die sich genauso im Buch des Philosophen wiederfindet. Was bei Toussaint "in einem Zeitkokon eingesponnen" heißt, ist bei Gebauer die "reine Präsenz", "diese eine Zeit", die während der Dauer eines Spiels mit der Lebenszeit des Zuschauers verschmilzt. "Das Leben in 90 Minuten" hat Gebauer deshalb auch nicht zufällig sein Buch genannt, das so etwas wie ein Lebenswerk geworden ist. Gebauer, inzwischen 72, ist ja seit langem der Denker, den Medien und Gremien fragen, wenn es um philosophische Aspekte des Leistungssports geht. Eine "Poetik des Fußballs" hat er auch schon geschrieben, und das theoretische Besteck, mit dem er arbeitet, ist differenziert genug für seine Fußballphilosophie, es ist geländegängig und variabel. Wittgenstein und Bourdieu gehen gut zusammen mit Nietzsche, Durkheim, Weber oder Foucault. Zugleich sind in den sechs Kapiteln Anschaulichkeit und eine Nähe zum Gegenstand zu finden, welche diesen nicht zum schattenhaften Abbild seiner selbst machen.
Am Ende ist der Zweifel auch nur ein methodischer wie bei Descartes, denn Gebauer hat die Sache souverän im Griff. Er zeigt sehr schön, wie Fußball zum "anthropologischen Experiment" wird, weil sich der Mensch durch den Verzicht auf die Hand und das Wort wieder fragil macht und einen neuen "Zustand des Antifragilen" zu erreichen versucht, weil der "Dreh- und Angelpunkt der menschlichen Evolution", der aufrechte Gang und die damit verbundene Freisetzung der Hand, noch einmal durchgespielt wird. Kommunikation wird in diesem Szenario vom Austausch zum "Durchsetzen von Handlungsstrukturen" gegen ein anderes Team.
Und es finden sich in diesen komplexen Erörterungen immer wieder pointierte Wendungen, wenn Gebauer festhält: "Der Ball ist es, der den Fußballer erschafft." Oder wenn er mit dem bewundernden Blick auf die Brasilianer, der die primäre Fußballsozialisation seiner Generation verrät, schreibt: "Im Fußball geht es um die Liebe zwischen einem Mann und einem Ball." Was "Denken mit den Füßen" auch bedeuten kann, illustriert eine unerwartete Anekdote über den Philosophen Heidegger, der sich bei Nachbarn ein Länderspiel im Fernsehen ansah und vor Aufregung versehentlich den Teetisch umtrat. Dem anthropologischen Blick, dem im Fußball vor allem die "Unsicherheit der Existenz" ins Auge fällt, folgen andere diagnostische Verfahren der Soziologie. Gebauer zeichnet nach, wie im Fußball eine Wirklichkeit erzeugt wird, an die alle Beteiligten glauben, wobei dieser Glauben gar nicht metaphysisch grundiert ist. Kategorial, so Gebauer, verhalte er sich nicht anders als der Glaube an die Wissenschaft als Institution, der die Voraussetzung dafür ist, ein Argument für stärker zu halten und diese Überlegenheit nicht mit einer vernunftgegebenen Eigenschaft zu verwechseln.
Wie Fußballmythen sich bilden und überdauern, wie sich über die Materialität des grünen Rasens ein "symbolischer Raum" mit seinen Regeln, Zonen und entsprechenden Bedeutungen legt, all das entwickelt Gebauer klar und nachvollziehbar. Mit Bourdieu spricht er von der "sozialen Transzendenz", die daraus entsteht, dass wir "von der Wirkung eines Gebildes, das wir mit unserem Glauben geschaffen haben, überwältigt" sind. Was im Übrigen natürlich nicht auf Bourdieu, sondern auf Marx zurückgeht, der das bereits im "Kapital", im Kapitel über den "Fetischcharakter der Ware" beschrieben hat. So wird auch plausibel, warum sich magisches Denken und abergläubische Praktiken noch im aufgeklärten Diskurs über Fußball in Spurenelementen nachweisen lassen.
Mit jeweils unterschiedlichen Methoden lässt das Buch die vielen Facetten des Fußballs sichtbar werden, und meist ist das auch schlüssig. Dass Schönheit im Fußball eine "Ästhetik der Grausamkeit" verlange, weil im Fußball "das Misslingen von Schönheit konstitutiv angelegt ist", das ist von Gebauers anthropologischem Ansatz gedeckt. Man könnte hier allerdings auch fragen, ob sich das, was jedes Fußballspiel, ob nun in der Champions League oder der Kreisklasse, hervorbringt, nicht besser als eine Erzählung beschreiben ließe und nicht bloß als "Ereignisstruktur". Und ob nicht diese Erzählung, der wir als Zuschauer beim Entstehen zusehen, die wir also "mitlesen", für die Faszination des Spiels verantwortlich ist - was Gebauer mit Hegels Begriff der "dramatischen Kollision" nur andeutet, ohne hier den finalen Pass zu riskieren.
Als Philosoph und Soziologe muss er sich natürlich auch für das interessieren, was Toussaint gelangweilt den "Fußball der Erwachsenen" nennt, also für dessen ökonomische, politische, soziale Bedeutungsschichten. Wenn Gebauer über die Rolle des Fernsehens, über Fußball als "kollektiven Erinnerungsstifter" in der Bundesrepublik oder über die "Sonderethik" nicht nur der Fifa schreibt, wenn er feststellt, wer etwas über "die Grundgesetze des Kapitals im 21. Jahrhundert" erfahren wolle, brauche sich nur den Fußball anzuschauen, ist dagegen wenig einzuwenden. Es ist allerdings auch nicht so originell wie der Rest.
Man wird nun nach der Lektüre dieser beiden Bücher das nächste Fußballspiel nicht unbedingt mit anderen Augen sehen. Vielleicht wird man aber noch einmal darüber staunen, wie man als Angehöriger der Fußballgemeinde regelmäßig wehrlos und wider besseres Wissen von den Gebilden der eigenen Einbildungskraft überwältigt wird. Auch kein Spieler oder Trainer würde besser, wenn er die Bücher läse. Die Innensicht auf das Spiel, das betont Gebauer unmissverständlich, ist eben grundlegend verschieden vom öffentlichen Reden und Kommentieren.
Es ist etwas anderes, was von der Lektüre beider Bücher bleibt. Man sieht den fuchtelnden und hüpfenden Josep Guardiola oder auch irgendeinen verzweifelnden B-Junioren-Trainer am Spielfeldrand; man hört tobende, brüllende Fans, erinnert sich an Toussaints Geständnis, dass er während eines Spiels den Schiedsrichter wüst beschimpfe und den Gegner beleidige - und weiß: Nicht mal die Hälfte dessen, was auf dem Platz geschieht, liegt in unserer Hand. Gelingende Spielzüge oder Tore sind "kleine Wunder" (Gebauer). Und selbst noch mehr Daten und noch mehr Optimierungsstrategien werden das nicht ändern. Die Kontingenzerfahrung, die einem der Fußball schenkt und zumutet, macht ihn so grausam und so schön. Und sie lässt uns auf eine sehr elementare Weise erleben, wer wir sind, wenn wir beim Fußball sind.
PETER KÖRTE
Jean-Philippe Toussaint: "Fußball". Übersetzt von Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, 128 Seiten, 17,90 Euro
Gunter Gebauer: "Das Leben in 90 Minuten. Eine Philosophie des Fußballs". Pantheon, 320 Seiten, 14,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Fußball" ist eine schlaglichtartige, hochunterhaltsame und mit autobiographischen Abschweifung versehene Liebeserklärung eines Intellektuellen an eine der wenigen Leidenschaften, die neben der Literatur Bestand hat: Fußball.
"In seiner unvergleichbaren Art, ebenso sensibel wie schelmisch, erschafft Jean-Philippe Toussaint Bilder vom Fußball, die von der Begeisterung der Kindheit, seiner Beschwörungsmacht und seiner fragilen Klarheit erzählen. Bilder, die Toussaint entstehen lässt, um der Literatur ein Fest zu bereiten."
Jean Birnbaum, Le Monde
"In seiner unvergleichbaren Art, ebenso sensibel wie schelmisch, erschafft Jean-Philippe Toussaint Bilder vom Fußball, die von der Begeisterung der Kindheit, seiner Beschwörungsmacht und seiner fragilen Klarheit erzählen. Bilder, die Toussaint entstehen lässt, um der Literatur ein Fest zu bereiten."
Jean Birnbaum, Le Monde