Was besagt Whiteheads berühmte Charakterisierung der europäischen Philosophietradition als eine Reihe von "Fußnoten zu Platon"? Welches Platon-Bild liegt der Fußnoten-These zugrunde? Wie verhält sich die Fußnoten-These zu Whiteheads sonstigen philosophiegeschichtlichen Analysen und zu seiner eigenen philosophischen Kosmologie? Im Vordergrund der Untersuchung stehen Whiteheads philosophiegeschichtliche und historiographische Grundpositionen. Dabei zeigt sich, daß er der platonischen Philosophie sowohl inhaltlich als auch methodologisch einen Prinzipienstatus zuschreibt: Inhaltlich rekonstruiert er bei Platon ein grundlegendes Repertoire metaphysischer Grundbegriffe, methodologisch ein dort erstmals greifbares Ensemble von Spekulationskriterien sowie das Ideal eines mehr fragenden als dogmatisch behauptenden Philosophierens. Whitehead entnimmt der platonischen Philosophie eine Programmatik, der die nachfolgenden Traditionen - insbesondere die Fußnoten-Beiträge von Aristoteles, Descartes, Newton, Locke, Leibniz, Hume und Kant - allenfalls ansatzweise gerecht werden. Insofern für diese Denker aus Whiteheads Sicht u.a. ein wesentlich statisches Substanz-Qualitäts-Schema maßgeblich ist, entfernen sich ihre Konzeptionen von dem genuin platonischen Paradigma eines prozeßhaften Naturgeschehens. Whiteheads Organismusphilosophie tritt mit dem Anspruch auf, Grundpositionen der Philosophiegeschichte von Aristoteles bis Kant kritisch zu reflektieren und die in ihnen nur defizitär umgesetzte platonische Programmatik mit einer hypothetischen Metaphysik zu erfüllen, die, ausgehend von der Kosmologie des Timaios, Platons Verständnis vom Sein als Werden Rechnung trägt und zugleich ein geeignetes Erklärungsmodell unserer Gesamterfahrung anbietet.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Erst einmal ordnet Michael Hampe Alfred North Whitehead in die Philosophiegeschichte und ihre Tendenz um 1900 ein, noch einmal neu anfangen zu wollen, den Ballast der Tradition abzuwerfen. Whiteheads mit Bertrand Russell verfasste "Principia Mathematica" waren eines dieser auf der Logik aufbauenden Neubegründungswerke. Whiteheads Denken jedoch nahm, wie die beiden besprochenen Bände zeigen, bald eine andere Richtung.
1) Christoph Kann: "Fußnoten zu Platon"
In seinem Buch "Prozess und Realität" ist für Whitehead alle Philosophie nur eine Serie von "Fußnoten zu Platon". Die große Kluft zwischen Whitehead und den logischen Empiristen wurde spätestens hier, so Hampe, überdeutlich. Christoph Kann hat nun die erste deutschsprachige Monografie verfasst, die sich mit Whiteheads Geschichtsbild befasst. Es geht ihm dabei weniger um die Einflüsse auf Whitehead als um den eigenwilligen Blick Whiteheads zurück auf wichtige Denker, von dem man heute noch lernen könne: nicht zuletzt, dogmatisch gewordene Interpretationen aufzubrechen. Platons System hat dabei die grundlegende Stellung eines Auftrags an die Nachfolger, das von ihm initiierte System zu realisieren. "Systematizität" ist dabei das wichtigste Kriterium. Hampe, der vorwiegend referiert, bescheinigt dem Autor Kann großen "interpretativen Takt" in seinen Darstellungen.
2) Alfred North Whitehead: "Denkweisen"
Whiteheads letztes Buch ist soeben in deutscher Sprache erschienen. Darin beschäftigt er sich mit den Begriffen, die außerhalb des Systematischen liegen und dennoch von großer Bedeutung dafür sind: Begriffe wie "Ausdruck", "Verstehen", "Perspektive" und andere. Michael Hampe entdeckt Ähnlichkeiten zu Fragestellungen Richard Rortys. Das Fazit Whiteheads ist positiv: philosophische Systeme und Fragen sind notwendig, damit Zivilisationen sich "halbwegs verstehen und ausdrücken" können. Der Rezensent kann diese Perspektive nur unterstützen und wünscht sich, dass "dieses abgeklärte und positive Verständnis philosophischer Systematik" stärkeren Einfluss bekäme. Sehr kritisch äußert er sich jedoch zur deutschen Übersetzung des Bandes.
© Perlentaucher Medien GmbH
1) Christoph Kann: "Fußnoten zu Platon"
In seinem Buch "Prozess und Realität" ist für Whitehead alle Philosophie nur eine Serie von "Fußnoten zu Platon". Die große Kluft zwischen Whitehead und den logischen Empiristen wurde spätestens hier, so Hampe, überdeutlich. Christoph Kann hat nun die erste deutschsprachige Monografie verfasst, die sich mit Whiteheads Geschichtsbild befasst. Es geht ihm dabei weniger um die Einflüsse auf Whitehead als um den eigenwilligen Blick Whiteheads zurück auf wichtige Denker, von dem man heute noch lernen könne: nicht zuletzt, dogmatisch gewordene Interpretationen aufzubrechen. Platons System hat dabei die grundlegende Stellung eines Auftrags an die Nachfolger, das von ihm initiierte System zu realisieren. "Systematizität" ist dabei das wichtigste Kriterium. Hampe, der vorwiegend referiert, bescheinigt dem Autor Kann großen "interpretativen Takt" in seinen Darstellungen.
2) Alfred North Whitehead: "Denkweisen"
Whiteheads letztes Buch ist soeben in deutscher Sprache erschienen. Darin beschäftigt er sich mit den Begriffen, die außerhalb des Systematischen liegen und dennoch von großer Bedeutung dafür sind: Begriffe wie "Ausdruck", "Verstehen", "Perspektive" und andere. Michael Hampe entdeckt Ähnlichkeiten zu Fragestellungen Richard Rortys. Das Fazit Whiteheads ist positiv: philosophische Systeme und Fragen sind notwendig, damit Zivilisationen sich "halbwegs verstehen und ausdrücken" können. Der Rezensent kann diese Perspektive nur unterstützen und wünscht sich, dass "dieses abgeklärte und positive Verständnis philosophischer Systematik" stärkeren Einfluss bekäme. Sehr kritisch äußert er sich jedoch zur deutschen Übersetzung des Bandes.
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