Produktdetails
- Verlag: Berlin Verlag
- Originaltitel: Feeding the Ghosts
- Seitenzahl: 279
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 477g
- ISBN-13: 9783827001023
- ISBN-10: 3827001021
- Artikelnr.: 23967966
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.1999Gnade oder Galeere
Fred D'Aguiars Roman "Futter für die Geister"
"Erinnerung ist Schmerz, der aufzuerstehen versucht": So endet Fred D'Aguiars erster, vor drei Jahren ins Deutsche übersetzter Roman, und der letzte Satz eines zweiten klingt jetzt wie ein Echo: "Zur Ruhe kommt die Vergangenheit erst, wenn sie erzählt ist." Beides erinnert nicht zufällig an jene Formel von der lösenden und erlösenden Macht der Erinnerung, die Ignatz Bubis gegen Martin Walser ins Feld führte. Für den in London geborenen und im südamerikanischen Guyana aufgewachsenen Autor ist die Sklaverei ein anderer Holocaust, das Trauma, um das sein Werk kreist. Schon in "Die längste Erinnerung" erzählte er von Gewalt und Liebe zwischen Sklaven und Herren; nicht in Beecher-Stowes sentimentaler Manier, sondern mit der poetisch-assoziativen Sprachgewalt einer Toni Morrisson oder eines Eduard Glissant. "Futter für die Geister" verrät wieder den Lyriker, als der D'Aguiar begann. Aber diesmal nähert er sich seinem Thema mehr von der dokumantarischen Seite. Der Anspruch bleibt derselbe: D'Aguiar will seinen geknechteten Vorfahren wenigstens posthum Gerechtigkeit und literarische Würde verschaffen.
Ausgangspunkt des Romans ist ein historischer Fall. Im September 1781 lief die Liverpooler Fregatte "Zong" mit 470 Sklaven an Bord von der afrikanischen Küste nach Amerika aus. Als eine Seuche die menschliche Fracht zu dezimieren begann, beschloß der Kapitän - mit Rücksicht auf seine Mannschaft, vor allem aber in der begründeten Hoffnung auf Entschädigung und "Profit" -, sich des kranken "Stückguts" zu entledigen: Er ließ 131 Sklaven über Bord werfen. Was ihn ein Akt kluger Vorsicht und vernünftiger Kalkulation dünkte, erschien den Matrosen wohl lästige, unseemännische Arbeit. Aber ihre zaghaften Proteste erstickten aus Angst vor Ansteckung und Sanktionen in hinlänglich bekanntem Gehorsam. Als es später zum Prozeß kommt, wird Kapitän Cunningham von der Mordanklage freigesprochen; allenfalls blieb ein vager Verdacht auf Versicherungsbetrug übrig.
Der Fall löste eine in Traktaten und Flugblättern geführte öffentliche Debatte aus. Abolitionisten wie Granville Sharp beklagten die flagrante Verletzung göttlicher und menschlicher Rechte: England habe seine große humane Tradition an nackte, mörderische Profitgier verraten. Noch 1840 ließ sich William Turner von der "Zong" zu seinem "Sklavenschiff" inspirieren - ein Bild, das die Schrecken der Sklaverei in einem Taumel von Farbe, Licht und Naturgewalt auflöste (und damit wiederum hitzige Diskussionen um die ästhetische Darstellung des Sujets "Sklaverei" provozierte).
Von letzterem ist in D'Aguiars Roman wenig zu spüren. Zwar kommt auch bei ihm die Sklaverei nur indirekt zur Sprache, in Stimmen und Stimmungen, Gefühlen und Gesten, selten in physischer Aktion oder psychologischer Motivation. Aber er erzählt den Casus ruhig und kühl (wenn auch nicht ohne Parteinahme) aus drei Blickwinkeln, die sich nicht immer bruchlos verschränken. Im ersten Teil schildert er die Vorgänge aus der Sicht eines auserwählten Opfers und seines Peinigers: Mintah, eine getaufte Sklavin, die dem Steuermann Kelsal einst das Leben rettete, wird erst gedemütigt, dann für ihre störrische Unbotmäßigkeit über Bord geworfen. Auf wundersame Weise gerettet und vom geistesschwachen Küchenjungen versorgt, führt sie fortan ein geisterhaftes Leben als blinde Passagierin und Seherin im Unterdeck des Seelenverkäufers: der weißen Besatzung eine gespenstische Mahnung, den schwarzen Kettensklaven ein nicht minder unheimliches Fanal des Widerstands.
Im zweiten Teil erzählt D'Aguiar die Gerichtsverhandlung als makabren juristischen Schlagabtausch zwischen Zynismus und Heuchelei, frühkapitalistischer Raffgier und christlich verbrämter Bigotterie, in dem die Toten nur als Rechnungsposten, Ballast und Manövriermasse abendländischer Rabulistik vorkommen. Der dritte Abschnitt schließlich verfolgt den Weg Mintahs bis zur Emanzipation der jamaikanischen Sklaven im Jahr 1833. Vor ihre Hütte sitzend, erlebt die Freigelassene ihre Apotheose als afroamerikanische Freiheitsikone, die das Gedenken an die Toten in Holzschnitzereien und einem Tagebuch wachhält, so wie es ihr Vater und die dänischen Missionare sie einst lehrten. Bildung und westliche Zivilisation haben sie befreit, aber auch ihren Wurzeln, ihrem Namen und ihrem Körper entfremdet. Dafür tanzt ihr Volk jetzt auf den Straßen, während sie einst - ein Gleichnis wohl auch für die Situation des Autors - den Sklavenhaltern noch mit verzweifelten Fruchtbarkeitstänzen zu Diensten sein mußte.
D'Aguiar kann nichts verzeihen und nichts vergessen, aber sein Roman schließlich versöhnt. Wo Geschichte in Geschichten gerettet wird, ist das Meer nicht mehr der Feind des Sklaven, sind die Hände ihrer Nachfahren nicht mehr so leer wie bei ihrer Verschleppung: Ihr Schicksal ist in Literatur aufgehoben, ihre aufsteigende Lebenslinie in die "wahre Maserung des Holzes" eingeschrieben.
D'Aguiar hat die Geschichte des Sklavenhandels wie Turner in ein impressionistisches Tosen der Elemente verwandelt. Das trennende Wasser - schon für Derek Walcott das Stammesgedächtnis, das Täter und Opfer, Niedertracht und Leid in einer gemeinsamen Gruft verschließt - riß die Sklaven von der Heimaterde los. Holz war ihnen Halt und Trost und erinnerte sie immer wieder an das verlorene Land der Väter. Feuer verzehrt zuletzt Mintahs Körper und löst ihre Seele in ein Rauchopfer für die Manen ihres Volkes auf. So findet D'Aguiar immer wieder bezwingende Bilder elementarer Poesie.
In anderen Punkten freilich hat er keine so glückliche Hand. Die dreifache Spiegelung des Geschehens bringt manche Redundanz mit sich. Die Figuren, mehr hölzerne Typen als flüssige Charaktere, bleiben weitgehend "Futter für die Geister" von Schuld und Sühne, und die Liebesgeschichte zwischen Küchenjunge und Sklavin streift die Grenze zum harmlosen Melodram. Gegen Ende hin verliert er den bis dahin straff gespannten Faden der Erzählung. Dennoch beweist der achtunddreißigjährige D'Aguiar einmal mehr, daß er nicht nur kollektives Gedächtnis, sondern auch ein höchst eigenwilliger, bemerkenswerter Erzähler ist. MARTIN HALTER
Fred D'Aguiar: "Futter für die Geister". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek, Berlin Verlag, Berlin 1998. 284 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fred D'Aguiars Roman "Futter für die Geister"
"Erinnerung ist Schmerz, der aufzuerstehen versucht": So endet Fred D'Aguiars erster, vor drei Jahren ins Deutsche übersetzter Roman, und der letzte Satz eines zweiten klingt jetzt wie ein Echo: "Zur Ruhe kommt die Vergangenheit erst, wenn sie erzählt ist." Beides erinnert nicht zufällig an jene Formel von der lösenden und erlösenden Macht der Erinnerung, die Ignatz Bubis gegen Martin Walser ins Feld führte. Für den in London geborenen und im südamerikanischen Guyana aufgewachsenen Autor ist die Sklaverei ein anderer Holocaust, das Trauma, um das sein Werk kreist. Schon in "Die längste Erinnerung" erzählte er von Gewalt und Liebe zwischen Sklaven und Herren; nicht in Beecher-Stowes sentimentaler Manier, sondern mit der poetisch-assoziativen Sprachgewalt einer Toni Morrisson oder eines Eduard Glissant. "Futter für die Geister" verrät wieder den Lyriker, als der D'Aguiar begann. Aber diesmal nähert er sich seinem Thema mehr von der dokumantarischen Seite. Der Anspruch bleibt derselbe: D'Aguiar will seinen geknechteten Vorfahren wenigstens posthum Gerechtigkeit und literarische Würde verschaffen.
Ausgangspunkt des Romans ist ein historischer Fall. Im September 1781 lief die Liverpooler Fregatte "Zong" mit 470 Sklaven an Bord von der afrikanischen Küste nach Amerika aus. Als eine Seuche die menschliche Fracht zu dezimieren begann, beschloß der Kapitän - mit Rücksicht auf seine Mannschaft, vor allem aber in der begründeten Hoffnung auf Entschädigung und "Profit" -, sich des kranken "Stückguts" zu entledigen: Er ließ 131 Sklaven über Bord werfen. Was ihn ein Akt kluger Vorsicht und vernünftiger Kalkulation dünkte, erschien den Matrosen wohl lästige, unseemännische Arbeit. Aber ihre zaghaften Proteste erstickten aus Angst vor Ansteckung und Sanktionen in hinlänglich bekanntem Gehorsam. Als es später zum Prozeß kommt, wird Kapitän Cunningham von der Mordanklage freigesprochen; allenfalls blieb ein vager Verdacht auf Versicherungsbetrug übrig.
Der Fall löste eine in Traktaten und Flugblättern geführte öffentliche Debatte aus. Abolitionisten wie Granville Sharp beklagten die flagrante Verletzung göttlicher und menschlicher Rechte: England habe seine große humane Tradition an nackte, mörderische Profitgier verraten. Noch 1840 ließ sich William Turner von der "Zong" zu seinem "Sklavenschiff" inspirieren - ein Bild, das die Schrecken der Sklaverei in einem Taumel von Farbe, Licht und Naturgewalt auflöste (und damit wiederum hitzige Diskussionen um die ästhetische Darstellung des Sujets "Sklaverei" provozierte).
Von letzterem ist in D'Aguiars Roman wenig zu spüren. Zwar kommt auch bei ihm die Sklaverei nur indirekt zur Sprache, in Stimmen und Stimmungen, Gefühlen und Gesten, selten in physischer Aktion oder psychologischer Motivation. Aber er erzählt den Casus ruhig und kühl (wenn auch nicht ohne Parteinahme) aus drei Blickwinkeln, die sich nicht immer bruchlos verschränken. Im ersten Teil schildert er die Vorgänge aus der Sicht eines auserwählten Opfers und seines Peinigers: Mintah, eine getaufte Sklavin, die dem Steuermann Kelsal einst das Leben rettete, wird erst gedemütigt, dann für ihre störrische Unbotmäßigkeit über Bord geworfen. Auf wundersame Weise gerettet und vom geistesschwachen Küchenjungen versorgt, führt sie fortan ein geisterhaftes Leben als blinde Passagierin und Seherin im Unterdeck des Seelenverkäufers: der weißen Besatzung eine gespenstische Mahnung, den schwarzen Kettensklaven ein nicht minder unheimliches Fanal des Widerstands.
Im zweiten Teil erzählt D'Aguiar die Gerichtsverhandlung als makabren juristischen Schlagabtausch zwischen Zynismus und Heuchelei, frühkapitalistischer Raffgier und christlich verbrämter Bigotterie, in dem die Toten nur als Rechnungsposten, Ballast und Manövriermasse abendländischer Rabulistik vorkommen. Der dritte Abschnitt schließlich verfolgt den Weg Mintahs bis zur Emanzipation der jamaikanischen Sklaven im Jahr 1833. Vor ihre Hütte sitzend, erlebt die Freigelassene ihre Apotheose als afroamerikanische Freiheitsikone, die das Gedenken an die Toten in Holzschnitzereien und einem Tagebuch wachhält, so wie es ihr Vater und die dänischen Missionare sie einst lehrten. Bildung und westliche Zivilisation haben sie befreit, aber auch ihren Wurzeln, ihrem Namen und ihrem Körper entfremdet. Dafür tanzt ihr Volk jetzt auf den Straßen, während sie einst - ein Gleichnis wohl auch für die Situation des Autors - den Sklavenhaltern noch mit verzweifelten Fruchtbarkeitstänzen zu Diensten sein mußte.
D'Aguiar kann nichts verzeihen und nichts vergessen, aber sein Roman schließlich versöhnt. Wo Geschichte in Geschichten gerettet wird, ist das Meer nicht mehr der Feind des Sklaven, sind die Hände ihrer Nachfahren nicht mehr so leer wie bei ihrer Verschleppung: Ihr Schicksal ist in Literatur aufgehoben, ihre aufsteigende Lebenslinie in die "wahre Maserung des Holzes" eingeschrieben.
D'Aguiar hat die Geschichte des Sklavenhandels wie Turner in ein impressionistisches Tosen der Elemente verwandelt. Das trennende Wasser - schon für Derek Walcott das Stammesgedächtnis, das Täter und Opfer, Niedertracht und Leid in einer gemeinsamen Gruft verschließt - riß die Sklaven von der Heimaterde los. Holz war ihnen Halt und Trost und erinnerte sie immer wieder an das verlorene Land der Väter. Feuer verzehrt zuletzt Mintahs Körper und löst ihre Seele in ein Rauchopfer für die Manen ihres Volkes auf. So findet D'Aguiar immer wieder bezwingende Bilder elementarer Poesie.
In anderen Punkten freilich hat er keine so glückliche Hand. Die dreifache Spiegelung des Geschehens bringt manche Redundanz mit sich. Die Figuren, mehr hölzerne Typen als flüssige Charaktere, bleiben weitgehend "Futter für die Geister" von Schuld und Sühne, und die Liebesgeschichte zwischen Küchenjunge und Sklavin streift die Grenze zum harmlosen Melodram. Gegen Ende hin verliert er den bis dahin straff gespannten Faden der Erzählung. Dennoch beweist der achtunddreißigjährige D'Aguiar einmal mehr, daß er nicht nur kollektives Gedächtnis, sondern auch ein höchst eigenwilliger, bemerkenswerter Erzähler ist. MARTIN HALTER
Fred D'Aguiar: "Futter für die Geister". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek, Berlin Verlag, Berlin 1998. 284 S., geb., 39,80 DM.
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