on Frankfurt aus eroberte Paul Renners Futura die Welt. Sie beeinflusste das Bauhaus und stand wie keine andere für die Neue Gestaltung und wurde zu einer der beliebtesten Schriften aller Zeiten. Sie beflügelte die aufkommende Werbegrafik in Europa und den USA und wurde die Schrift des Wirtschaftswunders und der Werbung der Sechzigerjahre.Sie ist belastbar und zeitlos, war nie vergessen und ist es doch wert, wiederentdeckt zu werden. In einem vielfach ausgezeichneten Buch, in dem eine der erfolgreichsten Schriften der Geschichte ihre Geschichte erzählt.Dass sie quasi zum Synonym der Neuen Gestaltung wurde, verdankt sie Fritz Wichert, einem genialen Marketer bei der Bauerschen Gießerei. Der ließ alle Schriftmuster im - kontrovers diskutierten, aber volle Aufmerksamkeit sichernden - Stil der Neuen Typografie in Futura setzen. Und verankerte so die Verbindung des Stils und der Schrift in den Köpfen der Auftraggeber und Setzereien.Ihre Erfolgs-Tour führte die Futura dann über Hannover, Berlin und München über Wien, Prag und Paris nach New York. Dort traf sie früh den Nerv der Zeit. Die kosmopolitische Kreativszene Manhattens sah die Grotesk als Schrift der Zukunft an und nahm die Futura begeistert auf.The future is yours, Futura!Kaum eine Schrift hat je einen derartigen Type-Hype erlebt und ausgelöst, sie kam ins MoMa, zierte Banknoten und kündigte James Bond im Diamantenfieber an - und bekam dank der Nasa 1969 ein Denkmal auf dem Mond (ein kleiner Schritt in der großen Schriftkarriere).Futura. Die Schrift ist eine kulturelle und ästhetische Zeitreise zurück in die Zukunft und erschließt eine neue Perspektive auf die Klassische Moderne. Und es zeigt: Die Futura ist neunzig Jahre und unglaublich gut in Form!ft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2017Die Schrift unserer Zeit ist exakt und unpersönlich
Wirkungsgeschichte eines typographischen Geniestreichs: Wie Klaus Renners Futura ihren weltweiten Siegeszug antrat
Die Typographie des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland kennt zwei ungleiche wichtige Gestalter. Neben Paul Renner (1878 bis 1956) war es Jan Tschichold (1902 bis 1974), der die typographische Disziplin prägte wie kein anderer. Renner hingegen war lange Zeit der Zweite, wenn es um Bedeutung und Einfluss ging. Das ändert sich seit geraumer Zeit. Christopher Burke, Typograph und Designtheoretiker: "Auch wenn Renners Moderne nicht so hell strahlte wie Tschicholds - sie war von längerer Dauer."
Im kommenden Herbst wird eine Monographie über den Schriftkünstler und Typographen erscheinen. Und noch bis 30. April kann man im Gutenberg-Museum in Mainz die Ausstellung "Futura. Die Schrift" studieren, zu der Petra Eisele, Annette Ludwig und Isabel Naegele ein Begleitbuch vorgelegt haben, das sich als "Hommage an die Futura" versteht.
Die Groteskschrift Futura (die Zukünftige), deren Entwurf Paul Renner in Fachkreisen weltberühmt gemacht hat, ist als Type auf ihr elementarstes Bild reduziert, fast skelettiert, weitere Weglassungen in der Formgebung wären kaum möglich - ohne dass die Schrift noch als Schrift wahrzunehmen wäre. Das ist das Sensationelle an der Futura, jedoch zeitigte "das Weglassen alles Überflüssigen" (I. Naegele) ihre Wirkungen und Folgen: Die Type ist sachlich und unpersönlich, unterkühlt und funktionell, als Werkschrift nur bedingt einsetzbar, da ihr für eine bestmögliche Lektüre die Wortbilder erscheinen lassende Serife fehlt. Deshalb hat sie in Akzidenzen, Anzeigen, Plakaten sowie Ausstellungsgestaltungen ihre besondere und eindrucksvolle Anwendung gefunden.
Die Herausgeberinnen entwickeln ihre Ausstellungsedition als Parcours, der den Leser und Betrachter mit Kommentierungen und Aufsätzen sowie einem außerordentlich reichen Abbildungsmaterial als Reise um die Welt der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser Schrift führt. Alles beginnt im Jahr 1924: Renner war bereits als Illustrator für den "Simplicissimus" tätig, hatte sich der Buchgestaltung zugewandt und arbeitete zwischen 1907 und 1917 als künstlerischer Leiter "des eng mit der sogenannten Buchkunstbewegung verbundenen Georg-Müller-Verlags in München als Hersteller und Buchausstatter". Zusammen mit Emil Preetorius wurde 1911 die Münchner Schule für Illustration und Buchgewerbe gegründet, später fusionierte sie mit der Debschitz-Schule, wo Renner Heinrich Jost, seinen späteren Schüler, kennenlernt, der bei der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main die Produktion der Futura vorantreiben und sich als Typograph einen Namen machen sollte.
Bereits 1922 war Renner mit seinem Standardwerk "Typografie als Kunst" aufgefallen, in dem er sich als kenntnisreicher Typograph vorstellte. Siegfried Buchenau, Verleger, Herausgeber des Jahrbuchs "Imprimatur", und Jakob Hegner, Verleger aus der Gartenstadt Hellerau bei Dresden, drängten ihn im Sommer 1924 zu einer besonderen Aufgabe: Renner möge eine Druckschrift entwerfen, die einmal als "Schrift unserer Zeit" gelten könnte. Im Herbst 1924 war die Schrift bei der Bauerschen Gießerei angenommen; 1927 werden Futura mager und halbfett sowie Futura Schmuck ausgeliefert, im gleichen Jahr wie die Kabel von Rudolf Koch und die Gill Sans Serif von Eric Gill.
Isabel Naegele umreißt Entwicklungen und Formentscheidungen in drei Schritten, wonach für Renner zum einen Vorbilder aus der römischen Antike eine wichtige Inspiration für die Futura waren. Nachdem Renner erklärt, dass er nicht den Beispielen der modischen Konstruktivisten folgen wolle, bekennt er: "In der klassischen römischen Kapitalschrift sah ich die geistvolle Verbindung der geometrischen Grundform mit allen höheren Ansprüchen, die an eine Schrift zu stellen sind." Eine weitere Inspiration war dem Geist der Zeit geschuldet, denn, so Renner: "Die Schrift unserer Zeit kann nicht aus der Schreibschrift kommen (...). Eine Schrift, die diesem Zeitgefühl entspricht, müßte also exakt, präzis und unpersönlich sein (...). Unsere Druckschrift ist der maschinelle Abdruck maschinell hergestellter Metallettern, die mehr Lesezeichen sind als Schrift." Und schließlich war für Renner die harmonische Abstimmung in der Formfindung von Groß- und Kleinbuchstaben von großer Bedeutung, er neigte eher zur generellen Kleinschreibung: "Beschränken wir also die Großbuchstaben auf Satzanfänge und Eigennamen, so wie es früher bei uns Brauch war und wie es überall sonst in der Welt üblich ist. Die Lesbarkeit der Schrift wird nach kurzer Umgewöhnung nur besser werden." Heute wissen wir, dass Renners Ideen verhallten. Da Renner im römischen Vorbild nur Majuskeln zur Anschauung hatte, mühte er sich mit Akribie, um seiner ins Lineare gewendete Adaption der Capitalis die passenden Minuskeln nachzuempfinden.
Die Futura machte rasch weltweit Karriere, es schien, als hätte eine experimentierfreudige Moderne nur auf diese Type gewartet. Die gestalterischen Metropolen der damaligen Zeit, Frankfurt, Hannover, Berlin, München, Wien, Prag, Paris und New York, werden im Buch zu Schauplätzen einer verheißungsvollen Karriere dieser Schrift ausgebreitet, die von den dortigen Avantgarden enthusiastisch aufgenommen wurde. Es ist ein großes Verdienst von Ausstellung und Buch, zu zeigen wie diese schnelle weltweite Verbreitung der Futura gelang. 1960 läuteten namhafte Typographen bei einem Treffen im französischen Lurs-en-Provence der Futura das Sterbeglöckchen, indem sie meinten, die Futura habe ihre Zeit hinter sich. Die Univers von Adrian Frutiger löste die Futura ab, sie wiederum wird zur Schrift "ihrer" Zeit und erfährt eine außergewöhnliche, weltweite Resonanz.
Aber das ist eine ganz andere Erfolgsgeschichte. Und die Futura lebt immer noch.
KLAUS DETJEN
"Futura". Die Schrift.
Hrsg. von Petra Eisele, Annette Ludwig und
Isabel Naegele
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2016. 520 S., Abb., geb., 50,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wirkungsgeschichte eines typographischen Geniestreichs: Wie Klaus Renners Futura ihren weltweiten Siegeszug antrat
Die Typographie des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland kennt zwei ungleiche wichtige Gestalter. Neben Paul Renner (1878 bis 1956) war es Jan Tschichold (1902 bis 1974), der die typographische Disziplin prägte wie kein anderer. Renner hingegen war lange Zeit der Zweite, wenn es um Bedeutung und Einfluss ging. Das ändert sich seit geraumer Zeit. Christopher Burke, Typograph und Designtheoretiker: "Auch wenn Renners Moderne nicht so hell strahlte wie Tschicholds - sie war von längerer Dauer."
Im kommenden Herbst wird eine Monographie über den Schriftkünstler und Typographen erscheinen. Und noch bis 30. April kann man im Gutenberg-Museum in Mainz die Ausstellung "Futura. Die Schrift" studieren, zu der Petra Eisele, Annette Ludwig und Isabel Naegele ein Begleitbuch vorgelegt haben, das sich als "Hommage an die Futura" versteht.
Die Groteskschrift Futura (die Zukünftige), deren Entwurf Paul Renner in Fachkreisen weltberühmt gemacht hat, ist als Type auf ihr elementarstes Bild reduziert, fast skelettiert, weitere Weglassungen in der Formgebung wären kaum möglich - ohne dass die Schrift noch als Schrift wahrzunehmen wäre. Das ist das Sensationelle an der Futura, jedoch zeitigte "das Weglassen alles Überflüssigen" (I. Naegele) ihre Wirkungen und Folgen: Die Type ist sachlich und unpersönlich, unterkühlt und funktionell, als Werkschrift nur bedingt einsetzbar, da ihr für eine bestmögliche Lektüre die Wortbilder erscheinen lassende Serife fehlt. Deshalb hat sie in Akzidenzen, Anzeigen, Plakaten sowie Ausstellungsgestaltungen ihre besondere und eindrucksvolle Anwendung gefunden.
Die Herausgeberinnen entwickeln ihre Ausstellungsedition als Parcours, der den Leser und Betrachter mit Kommentierungen und Aufsätzen sowie einem außerordentlich reichen Abbildungsmaterial als Reise um die Welt der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser Schrift führt. Alles beginnt im Jahr 1924: Renner war bereits als Illustrator für den "Simplicissimus" tätig, hatte sich der Buchgestaltung zugewandt und arbeitete zwischen 1907 und 1917 als künstlerischer Leiter "des eng mit der sogenannten Buchkunstbewegung verbundenen Georg-Müller-Verlags in München als Hersteller und Buchausstatter". Zusammen mit Emil Preetorius wurde 1911 die Münchner Schule für Illustration und Buchgewerbe gegründet, später fusionierte sie mit der Debschitz-Schule, wo Renner Heinrich Jost, seinen späteren Schüler, kennenlernt, der bei der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main die Produktion der Futura vorantreiben und sich als Typograph einen Namen machen sollte.
Bereits 1922 war Renner mit seinem Standardwerk "Typografie als Kunst" aufgefallen, in dem er sich als kenntnisreicher Typograph vorstellte. Siegfried Buchenau, Verleger, Herausgeber des Jahrbuchs "Imprimatur", und Jakob Hegner, Verleger aus der Gartenstadt Hellerau bei Dresden, drängten ihn im Sommer 1924 zu einer besonderen Aufgabe: Renner möge eine Druckschrift entwerfen, die einmal als "Schrift unserer Zeit" gelten könnte. Im Herbst 1924 war die Schrift bei der Bauerschen Gießerei angenommen; 1927 werden Futura mager und halbfett sowie Futura Schmuck ausgeliefert, im gleichen Jahr wie die Kabel von Rudolf Koch und die Gill Sans Serif von Eric Gill.
Isabel Naegele umreißt Entwicklungen und Formentscheidungen in drei Schritten, wonach für Renner zum einen Vorbilder aus der römischen Antike eine wichtige Inspiration für die Futura waren. Nachdem Renner erklärt, dass er nicht den Beispielen der modischen Konstruktivisten folgen wolle, bekennt er: "In der klassischen römischen Kapitalschrift sah ich die geistvolle Verbindung der geometrischen Grundform mit allen höheren Ansprüchen, die an eine Schrift zu stellen sind." Eine weitere Inspiration war dem Geist der Zeit geschuldet, denn, so Renner: "Die Schrift unserer Zeit kann nicht aus der Schreibschrift kommen (...). Eine Schrift, die diesem Zeitgefühl entspricht, müßte also exakt, präzis und unpersönlich sein (...). Unsere Druckschrift ist der maschinelle Abdruck maschinell hergestellter Metallettern, die mehr Lesezeichen sind als Schrift." Und schließlich war für Renner die harmonische Abstimmung in der Formfindung von Groß- und Kleinbuchstaben von großer Bedeutung, er neigte eher zur generellen Kleinschreibung: "Beschränken wir also die Großbuchstaben auf Satzanfänge und Eigennamen, so wie es früher bei uns Brauch war und wie es überall sonst in der Welt üblich ist. Die Lesbarkeit der Schrift wird nach kurzer Umgewöhnung nur besser werden." Heute wissen wir, dass Renners Ideen verhallten. Da Renner im römischen Vorbild nur Majuskeln zur Anschauung hatte, mühte er sich mit Akribie, um seiner ins Lineare gewendete Adaption der Capitalis die passenden Minuskeln nachzuempfinden.
Die Futura machte rasch weltweit Karriere, es schien, als hätte eine experimentierfreudige Moderne nur auf diese Type gewartet. Die gestalterischen Metropolen der damaligen Zeit, Frankfurt, Hannover, Berlin, München, Wien, Prag, Paris und New York, werden im Buch zu Schauplätzen einer verheißungsvollen Karriere dieser Schrift ausgebreitet, die von den dortigen Avantgarden enthusiastisch aufgenommen wurde. Es ist ein großes Verdienst von Ausstellung und Buch, zu zeigen wie diese schnelle weltweite Verbreitung der Futura gelang. 1960 läuteten namhafte Typographen bei einem Treffen im französischen Lurs-en-Provence der Futura das Sterbeglöckchen, indem sie meinten, die Futura habe ihre Zeit hinter sich. Die Univers von Adrian Frutiger löste die Futura ab, sie wiederum wird zur Schrift "ihrer" Zeit und erfährt eine außergewöhnliche, weltweite Resonanz.
Aber das ist eine ganz andere Erfolgsgeschichte. Und die Futura lebt immer noch.
KLAUS DETJEN
"Futura". Die Schrift.
Hrsg. von Petra Eisele, Annette Ludwig und
Isabel Naegele
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2016. 520 S., Abb., geb., 50,- [Euro].
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