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Mit "Futurematic" liegt der dritte Teil von William Gibsons atemberaubender Zukunftstrilogie vor, die mit "Virtuelles Licht" und "Idoru" begann. Wie schon in den Vorgängertiteln beschreibt der amerikanische Bestsellerautor die Welt des 21. Jahrhunderts, in der gen- und nanotechnisch veränderte Produkte Teil des Alltags geworden sind und die Grenze zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität immer durchlässiger wird. So sehr, daß die Zivilisation im Begriff ist, auf eine Apokalypse zuzusteuern ...

Produktbeschreibung
Mit "Futurematic" liegt der dritte Teil von William Gibsons atemberaubender Zukunftstrilogie vor, die mit "Virtuelles Licht" und "Idoru" begann. Wie schon in den Vorgängertiteln beschreibt der amerikanische Bestsellerautor die Welt des 21. Jahrhunderts, in der gen- und nanotechnisch veränderte Produkte Teil des Alltags geworden sind und die Grenze zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität immer durchlässiger wird. So sehr, daß die Zivilisation im Begriff ist, auf eine Apokalypse zuzusteuern ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2000

Wenn die Sonnenbrille klingelt
William Gibson schürzt die Mutter aller Knotenpunkte

Die Ausgangslage könnte kaum unterschiedlicher sein, von Waffengleichheit deshalb keine Spur. Da ist auf der einen Seite Cody Harwood, "der betont uncharismatische Milliardär". Er residiert standesgemäß im siebenundvierzigsten und obersten Stockwerk des Transamerica Building in San Francisco. Ihm gehört die größte PR-Agentur der Welt und auch sonst noch so einiges. Auf der anderen Seite finden wir einen Mann, der in einem Pappkarton in einer U-Bahn-Station in Tokio logiert, finanziell abgebrannt und von bösem Husten geschüttelt. Das ist Colin Laney, in besseren Zeiten "quantitativer Analytiker" bei einem amerikanischen Fersehsender. Den besonderen Blick hat er aber noch immer, den Blick tief in die Datenströme, und da braut sich was zusammen. "Das Millennium war einfach ein christlicher Feiertag", doziert er, jetzt aber werde es ernst, denn "die Mutter aller Knotenpunkte kommt auf uns zu", ins Analoge übersetzt: der Weltuntergang. Aus selbstischen Motiven organisiert oder gesteuert von Harwood. Kann Laney dem Schurken in den Arm fallen und die Katastrophe verhindern?

So richtig vital wird die Frage erst um das Jahr 2020, denn zu dieser Zeit befinden wir uns in "Futurematic". Was die GUS war, sind dann die Kombinatstaaten; das Papiergeld ist durch Kreditchips ersetzt; Zigaretten inclusive Zigarettenpapier sind verboten; die jüngste Droge wird ins Zahnfleisch massiert, heißt Dancer und knallt tierisch rein; Kalifornien ist in einem Nord- und einen Südstaat zerfallen, im Norden darf man mit zwei Frauen verheiratet sein, und die Oakland Bay Bridge ist eine autonome Zone, wuselig besiedelt von einem sehr gemischten Völkchen, seit sie nach einem Erdbeben für den Autoverkehr gesperrt wurde. Obendrein gibt es Sonnenbrillen aus brasilianischer Produktion, die auf Knopfdruck über den eigenen Standort informieren und obendrein über ein eingebautes Telefon verfügen.Wenn Berry Rydells Brille klingelt, fragt der meist gleich: "Lenay?" Der ist der einzige Anrufer und hat seinen alten Bekannten und Ex-Polizisten von Los Angeles nach San Francisco in Marsch gesetzt, dort die Augen offenzuhalten und ein thermoskannenähnliches Gerät in Empfang zu nehmen, das sich, einmal mit den richtigen Kabel aus dem Brücken-Laden "Bad Sector" versehen, als Projektor entpuppt, dem immer im richtigen Augenblick Rei Toei entschlüpft, "ein Codemeer, der höchste Ausdruck von Unterhaltungssoftware, eine Mediengebilde in Reinkultur", sichtbar als attraktives und agiles feminines Hologramm.

Rydell und Rei auf Laneys Seite werden noch flankiert von einem rätselhaften gereiften Herrn, der äußerst effektiv mit dem japanischen Kurzschwert umzugehen weiß. Hinzu kommen einige den Hauptprotagonisten verbandelte Statisten, die gerade zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, genauer in der richtigen Bar auf der Bay Bridge sind, als der große Showdown mit Harwoods Killern beginnt. Diese fünf Mietlinge sollten Rydell und den Projektor aus dem Verkehr ziehen, weil hinderlich für das finstere Projekt. Sie bleiben allesamt als Leichen zurück. Der einzig nennenswerte Körperschaden auf der Seite der Guten hingegen ist ein Rippenbruch bei Rydell. Außerdem ist die Bay Bridge ramponiert, weil Harwoods willige Helfer sie an den Brückenköpfen in Brand setzen, um Laneys nordkalifornischen Ortskräften den Rückzug abzuschneiden.

Aber bevor es da prekär wird, kommen ja Lastzeppeline mit Unmengen Eiswasser. Abgesehen davon, daß so der Weltuntergang ausbleibt, könnte es für Jarwood noch richtig eng werden, denn Konrad ist auf dem Weg in dessen Büro, mit einer von den Sicherheitsleuten übersehenen tödlichen Waffe in der Gürtelschnalle. Der brave Ex-Polizist Rydell hingegen darf sich auf einen zweiten Frühling mit seiner alten Liebe Chevette freuen, die es auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Nachfolger auf die Brücke und damit zufällig erneut in seine starken Arme trieb. Dem Paar möchte man alles Gute wünschen, vielleicht in einem Folgeband,

Aber wofür hat Harawood den Tod verdient? Seine Weltbeherrschungs- oder Zerstörungspläne jedenfalls bleiben dunkel. "Ich will meinen Kuchen essen und ihn zugleich behalten. Ich will einen kostenlosen Lunch", erklärt er Laney in einem konfrontativen transatlantischen Diskurs. Das klingt einigermaßen harmlos, und Robert Crumbs bekiffter Kater Fritz wollte ja auch immer Erdbeeren mit Schlagsahne, ohne dadurch zur Weltbedrohung zu werden. Der Unterschied mag darin liegen, dass Fritz im Gegensatz zu Harwood nicht 5-SB genommen hat, eine Droge, die besagtes Eintauchen in den Datenstrom ermöglicht. Und ebendas verbindet ihn mit Laney, dem die Substanz in einem staatlichen Waisenhaus in Florida verabreicht wurde. Es kommt, wie auch sonst im Leben, wohl darauf an, was man aus seinen Fähigkeiten macht.

In Gibsons Welten - "Futurematic" wird als Schlußband einer Trilogie mit "Virtuelles Licht" und "Idoru" als Vorläufern verkauft - sind regelmäßig die Außenseiter und Deklassierten die Guten. Die Dramaturgie folgt dem des Western oder des Detektivromans, nur mit, wie auch hier, leicht konfuser Klimax. Das sonst eher realistische Szenario ist aufgehustet mit allerlei Digitalmirakeln, gegen die selbst die Dynamik von schwarzen Löchern zum Bereich der Mittelstufenphysik zu gehören scheint. In "Futurematic" verschwinden Menschen in ihren Webseiten und führen fürderhin in einer virtuellen ummauerten Stadt ein virtuelles Leben in virtuellen Friseursalons und Trinkorten, mit Gastspielen in der physischen Welt, um in anthropomorpher oder feliner Gestalt oder auch als sprechende Quecksilberkugel Rydel und Laney hilfreiche Tips zu geben. Ob man das goutiert, ist wohl eine Frage des Geschmacks oder des Glaubens. William Gibson, der 1984 mit seinem Erstling "Neuromancer" der Welt das Wort vom "Cyberspace" schenkte, kann dabei auf eine durchaus beträchtliche Fan-Gemeinde blicken. Die wird auch in diesem Fall zufrieden sein. Der Nicht-Gläubige kann passagenweise durchaus Gibsons Sprachkunst und erzählerische Phantasie genießen, insgesamt umtreibt ihn aber weiter Rydells Frage an Laney von Seite 84: "um was geht's eigentlich?" Und dessen Antwort ist da auch keine echte Hilfe. Die lautet: "Wenn ich das wüßte."

BURKHARD SCHERER

William Gibson: "Futurematic". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Robert. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, 362 S., geb., 33,- DM

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