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In seiner kleinen, aber einflußreichen Schrift 'Galileo as a Critic of the Arts' von 1954 hat Erwin Panofsky die künstlerischen Vorlieben Galileis mit dessen Vorstellung von Raum, Licht und Kosmos verbunden. Horst Bredekamp, Kunsthistoriker der Humboldt-Universität und Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin, knüpft an diese Studie an, um Galilei jedoch nicht allein als Kunstkritiker, sondern als einen ausgebildeten Künstler zu rekonstruieren, der die Kunst des Zeichnens als ein Instrument seiner Forschungen zu nutzen verstand. Viele Gelegenheitsskizzen, vor allem aber Galileis…mehr

Produktbeschreibung
In seiner kleinen, aber einflußreichen Schrift 'Galileo as a Critic of the Arts' von 1954 hat Erwin Panofsky die künstlerischen Vorlieben Galileis mit dessen Vorstellung von Raum, Licht und Kosmos verbunden. Horst Bredekamp, Kunsthistoriker der Humboldt-Universität und Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin, knüpft an diese Studie an, um Galilei jedoch nicht allein als Kunstkritiker, sondern als einen ausgebildeten Künstler zu rekonstruieren, der die Kunst des Zeichnens als ein Instrument seiner Forschungen zu nutzen verstand. Viele Gelegenheitsskizzen, vor allem aber Galileis durch das Teleskop gewonnenen Mond- und Sonnenzeichnungen offenbaren, daß der Stil der Darstellungen über den Sinn des Dargestellten entschied.
Erstmals werden in diesem Buch Galileis direkt überlieferte oder nur mittelbar gesicherte Zeichnungen des Mondes zusammengestellt und in eine neu rekonstruierte Abfolge gebracht. Ein spektakuläres Novum bietet zudem die Veröffentlichung der neuentdeckten Vorzeichnungen für die Monde des 'Sidereus Nuncius' von 1610. Schließlich wird erstmals die von 1611 bis 1613 sich hinziehende Auseinandersetzung um das angemessene Verständnis der Sonnenflecken in Form von weit über zweihundert Zeichnungen und Stichen in chronologischer Abfolge dokumentiert. Damit ist der transalpine Zweikampf zwischen dem deutschen Jesuiten Christoph Scheiner und Galilei, der durch seinen Malerfreund Lodovico Cigoli unterstützt wurde, Tag für Tag wie in einem Film erkennbar.
Mit diesem Buch beendet Bredekamp nach seinen Versuchen zum 'Leviathan' von Thomas Hobbes (1999) und zum 'Fenster der Monade' von Gottfried Wilhelm Leibniz (2003) seine Trias zum Bildverständnis tragender Gestalten der frühen Neuzeit. Ein beispielloses, so materialgesättigtes wie theoretisch geschärftes Werk zur Kunst-, Wissenschafts- und Philosophiegeschichte ist damit abgeschlossen.

Inhaltsverzeichnis:
I Einleitung
II Galilei als 'neuer Michelangelo'
III Skizzen und Ikonographie
IV Evidenz und Kunstkritik
V Der gemalte Mond von Leonardo bis Cigoli
VI Galileis Mond: Die sicheren Quellen
VII Die Florentiner Zeichnungen
VIII Die Zeichnungen des Sidereus Nuncius
IX Stilformen der Sonnenflecken
X Paragone, Titelbilder, Kunstkritik
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2007

Die Frau im Mond
Ein beeindruckendes Netzwerk von Kooperationen: Horst Bredekamps Buch über Galilei als Künstler

Im Jahre 1931 stieß man bei Restaurierungsarbeiten an einem Fresko in Santa Maria Maggiore in Rom, das die Mutter Gottes auf einer Mondsichel stehend als Himmelskönigin zeigt, auf eine Überraschung. Wider Erwarten förderte die Entfernung der Verschmutzungen statt eines "reinen" und glänzenden Mondes einen "befleckten" Himmelskörper zutage.

Im Widerspruch zur traditionellen Ikonographie stand Maria auf einem pockennarbigen, mit Schatten und Lichtstreifen überzogenen, sehr irdisch wirkenden Gebilde. Eine kunst- und wissenschaftshistorische Sensation war geboren: Der Maler Lodovico Cigoli, ein Freund Galileo Galileis, hatte es offenbar gewagt, dessen Fernrohrbeobachtungen des Mondes, die zum ersten Mal die schrundige Oberfläche hatten sichtbar werden lassen, ein gemaltes Denkmal zu setzen. Galileis teleskopische Entdeckungen, die 1610 in dem epochemachenden Buch "Sidereus Nuncius" (Sternenbote) veröffentlicht wurden, stellten eine Herausforderung für das überkommene Weltbild dar.

Ein Dreivierteljahrhundert nach der Restaurierung des Cigoli-Freskos steht die Galilei-Forschung erneut vor einer Überraschung. Aus einer südamerikanischen Privatsammlung taucht ein bisher unbekanntes Exemplar des "Sternenboten" von Galilei auf, in dem sich statt der üblichen Stiche bezaubernd schöne Handzeichnungen des Mondes finden - offenbar ein weiterer Beleg für den engen Zusammenhang zwischen Kunst und Wissenschaft in der Geburtsstunde der europäischen Moderne.

Das Thema ist nicht neu. Erwin Panofsky hatte es in den fünfziger Jahren aufgebracht, als er in der Emigration in Princeton, in der Nachbarschaft von Albert Einstein und Wolfgang Pauli, einen kleinen Artikel zu Galilei als Kritiker der Künste schrieb. Doch dieser Artikel blieb ein Kuriosum, eine Fußnote in der Kunst- ebenso wie in der Wissenschaftsgeschichte, mit der man gelegentlich kokettierte, ohne ihn - mit wenigen Ausnahmen - allzu ernst zu nehmen.

In Horst Bredekamps Galilei-Buch ist die Frage nach der Beziehung zwischen Wissenschafts- und Kunstgeschichte nicht länger eine Angelegenheit gelegentlicher Querverbindungen, gebildeter Anspielungen und gemeinsamer Kontexte. Sie stellt sich vielmehr in Bezug auf genau die Medien der Reflexion, die beiden Disziplinen gemeinsam dienen: Texte, Bilder und Artefakte. Die Schlüsselrolle visueller Denkformen in der Begründung der modernen Naturwissenschaft aufzuzeigen ist Bredekamps Anliegen. Wer dieses Anliegen zu einem innovativen Ansatz jüngerer Kunstgeschichte oder zu einer interessanten Marginalie der Wissenschaftsgeschichte verkürzt, verkennt es.

Bredekamp schildert Galilei als Künstler und Kunstgeprägten, als Kritiker, als Mitglied von Künstlernetzwerken, vor allem aber als einen Forscher, dessen tiefste wissenschaftliche Überzeugungen und "Denkmotorik" in seinen wissenschaftlichen Bildern zum Ausdruck kommen, in den Darstellungen der Krater und Gebirge des Mondes, aber auch der Sonnenflecken. Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf der Astronomie, nicht auf Galileis geometrischen und mechanischen Zeichnungen, obwohl diese einen großen Teil seines handschriftlichen Nachlasses ausmachen. Ist diese Schwerpunktsetzung etwa darin begründet, dass diese Zeichnungen nicht, wie es Bredekamp für die astronomischen Darstellungen behauptet, Ausdruck einer gestaltenden Reflexion der Welt sind? Dann würde seine Perspektive auf die Macht des Visuellen die Begründung der klassischen Mechanik, die - neben den astronomischen Entdeckungen - größte wissenschaftliche Leistung Galileis, ausschließen.

Grenzen überschreiten.

Tatsächlich aber stützt die jüngere wissenschaftshistorische Forschung Bredekamps Ansatz mit dem Nachweis, dass gerade auch hier visuelle Darstellungen, von der Malerei über Skizzen bis hin zu Konstruktionszeichnungen, eine zentrale Rolle spielten, insbesondere auch für die Reflexion des zeitgenössischen Praktikerwissens. Ein Beispiel ist das Erfahrungswissen der zeitgenössischen Artilleristen, das nicht zuletzt im visuellen Medium seinen Niederschlag fand und gerade so zu einer Grundlage für Galileis neue Theorie der Bewegung werden konnte. Die Einbeziehung dieses Aspekts von Galileis Schaffen hätte Bredekamps kühne Thesen noch in anderer Hinsicht bestätigt. Unter Galileis Zeichnungen zur Projektilbewegung findet sich auch ein schlagender Beleg dafür, dass das von Bredekamp rekonstruierte Übertragungsverfahren, durch das die Handzeichnungen des neu entdeckten Exemplars des "Sternenboten" als Druckvorlage genutzt wurden, von Galilei tatsächlich verwendet wurde.

Bredekamps Galilei-Buch ist der Versuch, gegen traditionelle Wissenschaftstheorie die Welt des Sinnlichen nicht als empirisches Rohmaterial abstrakt-logischen Denkens abzutun, sondern als eigenmächtige Formbestimmung naturwissenschaftlicher Erkenntnis wiederzuentdecken. Das Ziel des Buches besteht offenbar weniger darin, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte einfach in einer übergeordneten Kulturgeschichte aufgehen zu lassen, sondern darin, etablierte Grenzziehungen in Frage zu stellen, wie die Ausgrenzung von Bildern und ihrer medialen Reflexivität aus der Wissenschaftsgeschichte (von Titelbildern und dergleichen einmal abgesehen), oder die Vernachlässigung der Wissensdimension als prägendes Moment der Kunstgeschichte. Das Buch ist klar, detailreich, umfassend auch in der Auseinandersetzung mit der Literatur zweier Fachwelten, seine Aussagen abgestützt durch ein beeindruckendes Netzwerk von Kooperationen, geradezu betörend illustriert und in jeder Hinsicht auch vom Verlag gut ausgestattet.

Über vieles kann und muss noch gestritten werden, über die Datierung und Bestimmung der Mondsequenzen des handillustrierten "Sidereus Nuncius", auch darüber, ob ein naheliegender Begriff wie der des Denkstils wirklich zur Verklammerung von Kunst- und Wissenschaftsgeschichte geeignet ist, ohne dass die darin liegende Spannung zwischen Individuum und Kollektiv explizit gemacht wird. Die bis in einzelne Handbewegungen hinein verfolgte Entstehungsgeschichte von Galileis Bildern könnte so leicht als Heroenkult missverstanden werden, der Galileo den Ruf als angeblicher Vater der experimentellen Methode nun auch den Ruf als Vater des wissenschaftlichen Stils der Moderne an die Seite stellt. Oder sie könnte postmodern missverstanden werden als Einblick in ein "laboratory life", in dem sich wissenschaftliche Kontroversen durch eine von Zufällen abhängige Praxis letztlich in Beliebigkeit auflösen. Auch führt Bredekamps Konzentration auf die Astronomie und die zeichnerischen Fertigkeiten gelegentlich zu Einseitigkeiten, etwa in der Bewertung von Galileis Lehrer Ostilio Ricci, dem dieser mindestens ebenso sehr seine mathematische Virtuosität wie seine Zeichenkünste verdankte, oder in der vielleicht zu knapp geratenen Diskussion technischer Aspekte bei den von Galilei verwendeten Fernrohren.

Motorische Intelligenz.

Das Potential von Bredekamps Perspektive für die Wissenschaftsgeschichte liegt jedenfalls darin, wissenschaftliche Leistungen als konstruktive Akte zu begreifen, die neue Möglichkeiten schaffen und andere ausschließen, und für die nicht nur materielle Hilfsmittel wie das Teleskop, sondern die ebenso historisch geprägte Materialität von bildgebenden Medien und Techniken ihrer Verwendung eine Schlüsselrolle spielt. Diese Medien treten sowohl als Vermittler individueller Schöpfungsakte durch eine "motorische Intelligenz" auf, wie - in ihrer Rolle als externe Repräsentationen des Denkens - als Vermittler zwischen solchen Schöpfungsakten und dem kollektiven Wissen einer Zeit.

Zugleich aber erweist sich aus dieser Perspektive die Geschichte der Wissenschaft als eine Geschichte des Verlusts von Möglichkeiten, neues Wissen wie im Zeitalter Galileis durch visuell geprägte Denkformen in breiten Kontexten der Gegenwartskultur gesellschaftlich reflektieren zu können, statt diese vorzugsweise als Werbemittel einzusetzen.

Als 1616, vier Jahre nach der Fertigstellung von Cigolis Gottesmutter, eine Reproduktion des Freskos für ein Buch angefertigt wurde, stand darin Maria wieder auf einer unbefleckten Mondsichel, die keine Spur mehr von Galileis Entdeckung aufwies, so, als wäre nichts geschehen. Man kann nur hoffen, dass Bredekamps Entdeckungen kein ähnliches Schicksal widerfährt.

JÜRGEN RENN.

Horst Bredekamp: "Galilei der Künstler". Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Akademie Verlag, Berlin 2007. VIII, 517 S., 450 Abb. mit Tafelteil, geb., 44,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2007

Licht- und Schattengebilde von der Hand des Astronomen
Die Leuchtkraft der Bilder: Horst Bredekamp hat ein rasantes Buch über Galileo Galilei als Künstler geschrieben
Galileo Galilei, der größte Naturforscher in der Schwellenzeit um 1600, ist in den Blick einer ihren traditionellen Horizont überschreitenden kunsthistorischen Forschung geraten. Er ist zu einer Schlüsselfigur für die Erörterung jener prinzipiellen Fragen geworden, welche die aufgewecktesten unter den Kunsthistorikern gegenwärtig stimulieren, in Bewegung setzen, manchmal auch verunsichern oder abstürzen lassen. Das hat vor einem halben Jahrhundert begonnen, als Erwin Panofsky, der am Institute for Advanced Study in Princeton in engem Kontakt mit Physikern und Mathematikern stand, eine kurze Schrift mit dem aufsehenerregenden Titel „Galileo as a Critic of the Arts”, also „Galilei als Kunstkritiker”, publizierte.
Natürlich hatte man immer schon gewusst, dass der Astronom und Physiker ein den Künsten und der Dichtung zugewandter Mann war, der angeblich zunächst Malerei und nicht Mathematik hatte studieren wollen. In einem Brief an seinen Freund, den Florentiner Maler Cigoli, hat er sich einlässlich zu kunsttheoretischen Problemen geäußert und sich lange mit italienischer Poesie, dem Gegensatz zwischen dem bewunderten Ariost und dem verachteten Tasso beschäftigt. Aber die Historiker der Naturwissenschaft hatten diese Teile seines Werks als Nebendinge, wenn nicht gleich als „Jugendsünde” abgetan. Panofsky hat den Spieß umgedreht und die provokante Antithese aufgestellt: „Wenn Galileis naturwissenschaftliche Einstellung sein ästhetisches Urteil beeinflusst haben soll, dann könnte man ebenso behaupten, seine ästhetische Einstellung habe seine naturwissenschaftlichen Überzeugungen beeinflusst.”
Der Kunsthistoriker Panofsky zeigte, dass Galileis totale Negierung der Kepler’schen Gesetze, welche der naturwissenschaftlichen Forschung immer als kaum begreiflich erschienen war, verständlich werde, wenn man sie im Lichte seiner vorrationalen, ästhetischen Empfindungen betrachte, nämlich seiner Präferenz für die Kreisform gegenüber der Ellipse. Diese These ist nicht unwidersprochen geblieben, aber der damals angesehenste Historiker der Naturwissenschaften, Alexandre Koyré, hat ihm bescheinigt, er habe die „Questio vaxata” der Beziehung zwischen Galilei und Kepler einer Lösung nähergebracht.
Indem Panofsky demonstrierte, dass selbst der größte Empiriker unter den Naturwissenschaftlern der Neuzeit in seinen Ansichten über den Kreislauf der Gestirne von ästhetischen Vorlieben bestimmt war, warf er die prinzipielle Frage nach dem Verhältnis von Exaktem und Sensiblem in Astronomie und Physik auf. Koré hatte denn auch recht, dass Panofsky seine Schrift „künstlerische Auffassung und wissenschaftliches Denken bei Galilei” hätte nennen sollen.
Nun hat der kunsthistorische Fall Galilei noch eine andere Seite. Wie steht es mit der eigenen künstlerischen Tätigkeit Galileis, mit dem zeichnenden Naturforscher? Diese Frage betrifft vor allem jene Bilder, mit denen er in dem 1610 in Venedig erschienenen „Sidereus Nuncius” seine teleskopischen Entdeckungen demonstrierte. Bisher hatte man dabei vor allem jene sieben erstaunlich subtilen Tuschzeichnungen von Mondphasen im Auge, die sich in dem zu Florenz verwahrten Originalmanuskript des „Nuncius” befinden. Es besteht eine stillschweigende Übereinkunft, dass sie von der Hand Galileis stammen. Diesen Tuschzeichnungen hat der amerikanische Kunsthistoriker Samuel Edgerton nachgerühmt: „Mit einer künstlerischen Ökonomie, welche eines Tiepolo würdig wäre, sind hier mit einem Pinselstrich Dunkelheiten und Licht voneinander unterschieden”, und dann kühn gefragt: „ist es absurd, zu behaupten, dass diese einfachen, aber höchst professionellen Zeichnungen ebenso zur Kunstgeschichte gehören wie zu den Naturwissenschaften?”
An dieser Stelle setzt Horst Bredekamps fulminantes neues Buch mit dem flammenden Titel „Galilei der Künstler” ein. Es ist Teil eines Projekts, das der Autor seit zwanzig Jahren mit einer stupenden Produktivität und Imagination vorantreibt. In Fallstudien über Hobbes („Thomas Hobbes visuelle Strategien”, 1999) und Leibniz („Das Fenster der Monade”, 2004) hat er es unternommen, die „visuellen Strategien der modernen Staatstheorie und Philosophie von ihren Ursprüngen her zu erforschen”.
Diese Studien gehen von der Annahme aus, dass Hobbes wie Leibniz – und diesen wird nun als Dritter Galilei hinzugefügt – „im Bild einen fundamentalen Beitrag für die gestaltete Reflexion der Welt erkannten” und dass die Kunstgeschichte als eine für die Wahrnehmung von Formen hochsensibilisierte Disziplin für die Erforschung solcher „visueller Denkformen” prädestiniert sei. Das ist wohl das kühnste Projekt einer Renovatio der kunsthistorischen Kompetenz, das gegenwärtig weltweit zu erkennen ist.
Galilei als Künstler hatte Bredekamp schon in den neunziger Jahren gefesselt, aber den letzten Anstoß für das jetzt vorgelegte Buch gab eine sensationelle Entdeckung. In New Yorker Privatbesitz tauchte ein Exemplar des „Sidereus Nuncius” (der Sternenbote) auf, in welchem die Mondphasen nicht wie im größten Teil der Auflage als Stiche, sondern als Tuschzeichnungen erscheinen.
Der Fund wird dadurch noch aufregender, dass die neu entdeckten Tuschen den Stichen in den anderen Exemplaren näher stehen als alle bisher bekannten Zeichnungen von den Mondphasen, einschließlich der Bilder in Florenz. Diese Trouvaille befeuert Bredekamps atemlos geschriebenes Buch.
Mit einer rasant geknüpften Kette von Argumenten plädiert Bredekamp dafür, in den New Yorker Tuschzeichnungen so etwas wie die eigenhändigen Vorlagen Galileis für die Stiche im „Sidereus Nuncius” zu erkennen. Es ist bekannt, dass Galilei seine lunarischen Beobachtungen durch das Teleskop in großer Eile – in nur einem Monat – publiziert hat, um möglichen „Konkurrenten” zuvorzukommen. Diesen schnellen Duktus hat Bredekamp verinnerlicht. Er fährt das ganze Instrumentarium stilkritischer graphologischer, handwerklich-technischer Argumente auf, um zu erweisen, dass die New Yorker Zeichnungen von der Hand Galileis stammen müssen. „Die Hast”, in der sie geschaffen wurden”, so schreibt er, „hat ihnen einen besonders authentischen Charakter vermittelt” und steigert sich schließlich zu dem emphatischen Bekenntnis: „Es ist keine Projektion, in den überaus modern wirkenden, tachistisch hingeworfenen Licht- und Schattengebilden eine Innenschau von Galileis Persönlichkeit zu erkennen”. So sieht sich der Leser mit einer fast unwiderstehlichen stilphysiognomischen Evidenz konfrontiert. Weitere Argumente treten hinzu. Da sich in dem New Yorker Exemplar Druckfehler finden, welche in der Ausgabe mit den Stichen getilgt sind, kann Bredekamp plausibel machen, dass die Zeichnungen den Stichen vorausgingen.
Dann aber geht er noch einen Schritt weiter. Er analysiert die eigentümliche Struktur der Stiche, ihre zupackenden Unbeholfenheiten und folgert: „Das erlaubt die Vermutung, dass Galilei in der extremen Zeitnot der letzten Phase des Buches selbst als Graphiker dilettiert hat”. Diese Argumentation ist ein Bravourstück. Auf einem anderen Blatt steht, ob man allen Avancen dieser Tour de Force folgen muss. Darüber werden die Experten zu streiten haben. Wichtiger ist eine prinzipielle Frage, welche Bredekamps Projekt aufwirft. Er sieht sein Projekt als einen fundierenden Beitrag zu einer historischen Bildwissenschaft. Die Kunsthistoriker diskutieren vielerorts – enthusiastisch oder angstvoll – die Erweiterung ihrer Disziplin zu einer allgemeinen Bildwissenschaft. Meist rennen sie sich dabei in der Medienfrage fest. Bredekamp will die produktive Rolle von Bildern bei der Entfaltung von Reflexion erkunden, die in der Moderne verdunkelte Leuchtkraft von Bildern im Prozess des Forschens und Denkens wieder zum Scheinen bringen und damit Kunstgeschichte als eine Leitdisziplin der Historie erstrahlen lassen. Das ist sicherlich die kreativste, verlockendste – und auch sympathischste – Variante des Projektes Bildwissenschaft.
Doch lässt sich angesichts der Titelfanfare „Galilei der Künstler” im altmodisch aufklärerischen Gemüte eine kritische – relativierende – Frage nicht völlig unterdrücken. Auch wenn Galileis Freund Cigoli in einer kirchlichen Kuppel unter die Gestalt der apokalyptischen Maria eine Mondsichel so malte, wie sie der befreundete Astronom im Teleskop erblickt hatte, so ging es dem Künstler – und erst recht seinem päpstlichen Auftraggeber – immer noch um die Illusionierung von Glaubensinhalten, die sich im Kern der rationalen Kontrolle entzogen. Wenn dagegen Galilei für den „Sidereus Nuncius” die Mondphasen zeichnete – oder zeichnen ließ –, so ging es ihm um eine naturwissenschaftliche Demonstration. Das Bild soll empirische Beobachtungen exponieren und klären, welche die Sprache nur unvollkommen übersetzen kann.
Können wir diese fundamentale Differenz zwischen symbolischem und kognitivem Bild einfach ästhetisch überspielen? Mit anderen Worten: „Galilei der Künstler”, trifft das wirklich ganz die Sache? Oder sollte es nicht vernünftiger heißen: „Galilei der Naturforscher, welcher mit Bildern demonstrierte”? Steht nicht trotz allem zwischen den Künstlern und Galilei, mit Max Weber zu sprechen, „die Entzauberung der Welt”? WILLIBALD SAUERLÄNDER
HORST BREDEKAMP: Galilei der Künstler. Die Zeichnung, der Mond, die Sonne. Akademie Verlag, Berlin 2007. 421 Seiten, 44,80 Euro.
Die Hast, in der die Zeichnungen geschaffen wurden, verleiht ihnen einen authentischen Charakter
Die Bilder zeigen und erklären, was die Sprache nur unvollkommen übersetzen kann
Abbildungen aus einem bislang unbekannten Exemplar des „Sidereus Nuncius” von Galileo Galilei (1610), in dem sich keine Stiche, sondern Tuschzeichnungen von den Mondphasen befinden Abbildungen aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Nicht nur sind die Zeichnungen von Galileo Galilei schön anzusehen, mit ihnen belegt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp auf "atemberaubende Weise" seine Theorie von der Zeichnung als Mittel wissenschaftlicher Erkenntnis, erklärt Rezensent Achatz von Müller. Denn mit Hilfe eines in New York befindlichen Exemplars des "Sidereus Nuncius" von Galilei könne Bredekamp "minutiös" und offenbar überzeugend nachweisen, dass die Zeichnungen des Astronomen nicht nur illustrativen Charakter haben, sondern Galilei mit ihnen seine Theorien zum Mond formulierte. Dass der Pisaner darüber hinaus auch noch für den in der modernen Wissenschaft herrschenden Ton aus "Konkurrenz und Beschleunigung" mitverantwortlich sein soll, ist Müller aber dann doch ein bisschen weit hergeholt.

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