Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2014Schwarze Tage in der Heimat des weißen Abschaums
Er ist der Drehbuchschreiber, der mit der Serie "True Detective" zum Star wurde: Jetzt kann man Nic Pizzolattos Romandebüt "Galveston" lesen
Aussichten - gedämpft. Roy Cady ist vierzig, Auftragskiller, Handlanger für einen Gangsterboss slawischer Abstammung in New Orleans. Richtig eingefügt in die Truppe hat e er sich nie, er trägt Cowboystiefel, Jeans, schwarze T-Shirts und einen Bart, keine Hemden mit Manschetten, kein Haargel wie die anderen in der Gang. Roy bekommt den Auftrag, einen Gewerkschaftsfunktionär auf Linie zu bringen, aber ohne Waffeneinsatz, so will es der Boss. Das kommt Cady komisch vor, also widersetzt er sich dem Befehl.
Er hat ja auch nicht mehr viel zu verlieren. Am nämlichen Morgen hat er erfahren, dass das Röntgenbild seiner Lunge "voller Schneeflocken" ist: "Als ich das Sprechzimmer verließ, waren die Leute im Wartezimmer froh, dass sie nicht ich waren. Gewisse Dinge lassen sich im Gesicht ablesen." Zur Diagnose Lungenkrebs gesellt sich der Umstand, dass sein Boss auch noch seine Freundin Carmen übernommen hat. "Ich schätze, die Männer fuhren auf sie ab, weil sie diese unbändige körperliche Sinnlichkeit ausstrahlte. Man brauchte sie nur anzusehen und wusste - die ist für alles zu haben."
Der Auftrag entpuppt sich als Falle, man will Roy Cady aus dem Weg räumen. Aber der entkommt und rettet obendrein eine Prostituierte aus dem Blutbad. Mit dieser Raquel Arceneaux, genannt Rocky, macht er sich auf die Flucht.
Der Roman erschien im Original 2010, für seinen Verfasser war er der Türöffner in eine andere Welt. Bis dahin hatte der 1975 in New Orleans geborene und in Lake Charles/Louisiana aufgewachsene Nic Pizzolatto an den Universitäten von North Carolina und Chicago kreatives Schreiben unterrichtet, zudem Kurzgeschichten veröffentlicht. Sein Romandebüt fiel in den Beginn der großen Serienzeit. "The Wire", die "Sopranos", "Deadwood", alle diese Fernsehserien verschlang der junge Dozent, der nun unbedingt Drehbuchschreiber werden wollte.
Das ist ihm wie wohl keinem anderen der Branche geglückt. Denn mit der HBO-Serie "True Detective" landete er Anfang 2014 einen so großen Erfolg bei Kritik und Publikum, dass er das Privileg genießt, allein an seinen Texten zu schreiben - und nicht wie anderswo mit mehreren Autoren die Handlungslokomotive befeuern muss. Der "Los Angeles Times" sagte er selbstbewusst, er sei nicht nach Hollywood gegangen, um sich den Visionen anderer Leute zu unterwerfen. Pizzolatto hat nur mäßiges Interesse an Handlung, das gilt auch schon im Prinzip für "Galveston". Er träume davon, eine Serie zu schreiben, verriet er in Interviews, in der zwei Leute dasitzen und reden.
Der Roman ist also weniger Pageturner denn Seelenstimmungsbild, auch wenn er noch genügend Zutaten wie Verfolgungsjagden, Mord und Folter bietet. Aber eben im Grundton des schwärzesten Schwarz, das manchmal schon in die Parodie zu lappen scheint. Pizzolattos Prosa klingt für ein Debüt ungemein erfahren, gleichzeitig rauh und einfühlsam, düster und atemlos präzise. "Die runtergekommene Bude war kaum größer als eine Jagdhütte. Ein durchgerosteter Wasserboiler lehnte an der Seitenwand, und im ungemähten Gras stand ein kunstlederner Punching-Ball mit Clownsfratze, die mit Schimmel überzogen war. Braune Reben wucherten über das Haus, und eines der Fenster war mit Zeitungspapier abgeklebt. Ein kaputter Chevrolet stand aufgebockt davor. Er war genauso zugewuchert wie das Haus, und so hatte es den Anschein, als würde das Feld langsam wieder alles verschlingen . . ."
Aus dieser Bruchbude holt Rocky während der Flucht ein kleines Mädchen, Tiffany, die sie als ihre Schwester ausgibt. Sie wird am Ende, wenn sich der zunächst im Jahr 1987 angesiedelte Roman nach einem Zeitsprung im Jahr 2008 befindet, noch wichtig. Während draußen vor der Tür der Hurrikan Ike näherrückt, welcher der bereits überschwemmten Stadt den Rest geben wird, werden die Leerstellen dieser zertrümmerten Biographien mit einem Anflug von Sinn gefüllt.
Der einsame Cowboy Cady ist tatsächlich ein Nachfahre des Westerns, nicht von ungefähr ist eines der wenigen Dinge, auf die er wirklich stolz ist, seine Sammlung von John-Wayne-Filmen. Pizzolatto verlagert dabei das Noir-Genre, das traditionell an der Westküste angesiedelt war, in den Süden und Richtung Ostküste. Ko-Übersetzer und Herausgeber Gunter Blank hat zur Entwicklung des Genres ein instruktives Nachwort beigesteuert.
Andere Gegenden haben also auch schöne Noir-Töchter: "An der Golfküste gab es wenige Orte, an denen man so schnell eins auf die Fresse kriegen konnte wie in Lake Charles", heißt es in Anspielung auf den Ort seiner Jugend, wo die "von einem permanenten Groll gegen alles" erfüllten "Sumpftrottel" zu Hause sind. "Erst quälen sie kleine Tiere, wenn sie erwachsen werden, verprügeln sie mit Ledergürteln ihre Kinder (. . .), ehe sie mit vierzig zu Jesus finden und anfangen, zu Prostituierten zu gehen." Zwischen Mangroven, billigen Motels, Highways und den stählernen Ruinen der Ölindustrie lebt hier der weiße Abschaum, Arbeitslose in Trailer-Homes, Drogensüchtige, Feinrippunterhemdenträger, die ihre Frau verprügeln.
Roy Cady, der doch eigentlich nur auf der Suche nach sich selbst ist, zahlt einen hohen Preis für seine Laufbahn im Milieu, er sitzt verkrüppelt zwölf Jahre im Gefängnis. Danach bringt er sich als Hausmeister durch, aber die Vergangenheit ist noch nicht erledigt, es sind noch Rechnungen offen. - Nächstes Jahr soll "Galveston" in die Kinos kommen, von wem das Drehbuch stammt, versteht sich von selbst.
HANNES HINTERMEIER.
Nic Pizzolatto: "Galveston". Roman.
Aus dem Amerikanische von Simone Salitter und Gunter Blank. Verlag Walde und Graf bei Metrolit, Berlin 2014. 254 S., geb., 20,- [Euro].
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Er ist der Drehbuchschreiber, der mit der Serie "True Detective" zum Star wurde: Jetzt kann man Nic Pizzolattos Romandebüt "Galveston" lesen
Aussichten - gedämpft. Roy Cady ist vierzig, Auftragskiller, Handlanger für einen Gangsterboss slawischer Abstammung in New Orleans. Richtig eingefügt in die Truppe hat e er sich nie, er trägt Cowboystiefel, Jeans, schwarze T-Shirts und einen Bart, keine Hemden mit Manschetten, kein Haargel wie die anderen in der Gang. Roy bekommt den Auftrag, einen Gewerkschaftsfunktionär auf Linie zu bringen, aber ohne Waffeneinsatz, so will es der Boss. Das kommt Cady komisch vor, also widersetzt er sich dem Befehl.
Er hat ja auch nicht mehr viel zu verlieren. Am nämlichen Morgen hat er erfahren, dass das Röntgenbild seiner Lunge "voller Schneeflocken" ist: "Als ich das Sprechzimmer verließ, waren die Leute im Wartezimmer froh, dass sie nicht ich waren. Gewisse Dinge lassen sich im Gesicht ablesen." Zur Diagnose Lungenkrebs gesellt sich der Umstand, dass sein Boss auch noch seine Freundin Carmen übernommen hat. "Ich schätze, die Männer fuhren auf sie ab, weil sie diese unbändige körperliche Sinnlichkeit ausstrahlte. Man brauchte sie nur anzusehen und wusste - die ist für alles zu haben."
Der Auftrag entpuppt sich als Falle, man will Roy Cady aus dem Weg räumen. Aber der entkommt und rettet obendrein eine Prostituierte aus dem Blutbad. Mit dieser Raquel Arceneaux, genannt Rocky, macht er sich auf die Flucht.
Der Roman erschien im Original 2010, für seinen Verfasser war er der Türöffner in eine andere Welt. Bis dahin hatte der 1975 in New Orleans geborene und in Lake Charles/Louisiana aufgewachsene Nic Pizzolatto an den Universitäten von North Carolina und Chicago kreatives Schreiben unterrichtet, zudem Kurzgeschichten veröffentlicht. Sein Romandebüt fiel in den Beginn der großen Serienzeit. "The Wire", die "Sopranos", "Deadwood", alle diese Fernsehserien verschlang der junge Dozent, der nun unbedingt Drehbuchschreiber werden wollte.
Das ist ihm wie wohl keinem anderen der Branche geglückt. Denn mit der HBO-Serie "True Detective" landete er Anfang 2014 einen so großen Erfolg bei Kritik und Publikum, dass er das Privileg genießt, allein an seinen Texten zu schreiben - und nicht wie anderswo mit mehreren Autoren die Handlungslokomotive befeuern muss. Der "Los Angeles Times" sagte er selbstbewusst, er sei nicht nach Hollywood gegangen, um sich den Visionen anderer Leute zu unterwerfen. Pizzolatto hat nur mäßiges Interesse an Handlung, das gilt auch schon im Prinzip für "Galveston". Er träume davon, eine Serie zu schreiben, verriet er in Interviews, in der zwei Leute dasitzen und reden.
Der Roman ist also weniger Pageturner denn Seelenstimmungsbild, auch wenn er noch genügend Zutaten wie Verfolgungsjagden, Mord und Folter bietet. Aber eben im Grundton des schwärzesten Schwarz, das manchmal schon in die Parodie zu lappen scheint. Pizzolattos Prosa klingt für ein Debüt ungemein erfahren, gleichzeitig rauh und einfühlsam, düster und atemlos präzise. "Die runtergekommene Bude war kaum größer als eine Jagdhütte. Ein durchgerosteter Wasserboiler lehnte an der Seitenwand, und im ungemähten Gras stand ein kunstlederner Punching-Ball mit Clownsfratze, die mit Schimmel überzogen war. Braune Reben wucherten über das Haus, und eines der Fenster war mit Zeitungspapier abgeklebt. Ein kaputter Chevrolet stand aufgebockt davor. Er war genauso zugewuchert wie das Haus, und so hatte es den Anschein, als würde das Feld langsam wieder alles verschlingen . . ."
Aus dieser Bruchbude holt Rocky während der Flucht ein kleines Mädchen, Tiffany, die sie als ihre Schwester ausgibt. Sie wird am Ende, wenn sich der zunächst im Jahr 1987 angesiedelte Roman nach einem Zeitsprung im Jahr 2008 befindet, noch wichtig. Während draußen vor der Tür der Hurrikan Ike näherrückt, welcher der bereits überschwemmten Stadt den Rest geben wird, werden die Leerstellen dieser zertrümmerten Biographien mit einem Anflug von Sinn gefüllt.
Der einsame Cowboy Cady ist tatsächlich ein Nachfahre des Westerns, nicht von ungefähr ist eines der wenigen Dinge, auf die er wirklich stolz ist, seine Sammlung von John-Wayne-Filmen. Pizzolatto verlagert dabei das Noir-Genre, das traditionell an der Westküste angesiedelt war, in den Süden und Richtung Ostküste. Ko-Übersetzer und Herausgeber Gunter Blank hat zur Entwicklung des Genres ein instruktives Nachwort beigesteuert.
Andere Gegenden haben also auch schöne Noir-Töchter: "An der Golfküste gab es wenige Orte, an denen man so schnell eins auf die Fresse kriegen konnte wie in Lake Charles", heißt es in Anspielung auf den Ort seiner Jugend, wo die "von einem permanenten Groll gegen alles" erfüllten "Sumpftrottel" zu Hause sind. "Erst quälen sie kleine Tiere, wenn sie erwachsen werden, verprügeln sie mit Ledergürteln ihre Kinder (. . .), ehe sie mit vierzig zu Jesus finden und anfangen, zu Prostituierten zu gehen." Zwischen Mangroven, billigen Motels, Highways und den stählernen Ruinen der Ölindustrie lebt hier der weiße Abschaum, Arbeitslose in Trailer-Homes, Drogensüchtige, Feinrippunterhemdenträger, die ihre Frau verprügeln.
Roy Cady, der doch eigentlich nur auf der Suche nach sich selbst ist, zahlt einen hohen Preis für seine Laufbahn im Milieu, er sitzt verkrüppelt zwölf Jahre im Gefängnis. Danach bringt er sich als Hausmeister durch, aber die Vergangenheit ist noch nicht erledigt, es sind noch Rechnungen offen. - Nächstes Jahr soll "Galveston" in die Kinos kommen, von wem das Drehbuch stammt, versteht sich von selbst.
HANNES HINTERMEIER.
Nic Pizzolatto: "Galveston". Roman.
Aus dem Amerikanische von Simone Salitter und Gunter Blank. Verlag Walde und Graf bei Metrolit, Berlin 2014. 254 S., geb., 20,- [Euro].
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There are resonances of the great James Lee Burke in the elegance Pizzolatto brings to his heart-wrenching story that makes it unforgettable Daily Mail