"Ganz nebenbei" ist Woody Allens weitgespannter Rückblick auf das eigene Leben und Werk. Er zeichnet die Stationen seiner Karriere auf der Bühne, vor und hinter der Kamera und als Autor nach und gibt Auskunft über seine Jugend, über Familie und Freunde wie über die Lieben seines Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2020Deconstructing Woody
Fremdschämen und andere Kleinigkeiten: Was uns Woody Allens Memoiren erzählen und wovon sie besser geschwiegen hätten
Das Schicksal, um es sich mit Ursachen und Urhebern begrifflich mal etwas bequemer zu machen, meinte es nicht gut mit Woody Allen in den letzten Jahren. Es war lange ruhig gewesen, nachdem es Anfang der neunziger Jahre gekracht hatte. Erst fing Allen mit der 35 Jahre jüngeren Soon-Yi, der Adoptivtochter seiner Lebensgefährtin Mia Farrow, ein Verhältnis an. Dann warf Farrow ihm vor, beider Adoptivtochter Dylan missbraucht zu haben. Zu einem Verfahren kam es nicht nach zwei Untersuchungen, die den Verdacht nicht erhärten konnten.
Allens Karriere ging weiter, er drehte Film um Film, gerne auch in Europa, wo man ihn ohnehin mehr schätzt. Doch 2014 erneuerte die erwachsene Dylan Farrow in einem offenen Brief die Vorwürfe. Allen wies sie zurück. 2018 verteidigte sein Adoptivsohn Moses ihn in einem langen Blogeintrag, doch mit #Metoo war Allen längst wieder ins Blickfeld geraten. Dass sich die Causa Allen nicht mit Harvey Weinstein vergleichen lässt, auch nicht mit Roman Polanski, gegen den noch immer ein amerikanischer Haftbefehl existiert, wollten viele nicht so genau wissen. Nicht die Mitarbeiter des Verlags Hachette, deren Protest die Publikation von Allens Memoiren kippte. Auch nicht die Autorinnen und Autoren des Rowohlt-Verlags, die sich gegen eine Veröffentlichung wandten. Weder war, wie sie insinuierten, Allen überführt - noch waren, wie der Verlag dann versicherte, alle Vorwürfe klar widerlegt. Dafür, immerhin, war die Aufregung eindeutig.
Nun ist das Buch, das so viele nicht wollten, auf dem Markt, in Amerika hat es der Verlag Arcade unter dem Titel "Apropos of Nothing" herausgebracht, bei Rowohlt ist es als "Ganz nebenbei" erschienen. Es wäre übertrieben, zu behaupten, man habe sich etwas Großes erwartet. Autobiographien waren noch nie eine Quelle der Wahrheit. Vom Selbstbild erzählen sie mehr als von der Person selbst. Mit einer gewissen hermeneutischen Anstrengung lässt sich da vielleicht das eine oder andere herausfinden. Wobei man auch immer vieles erfährt, was man in Abwandlung eines alten Woody-Allen-Films nie wissen wollte und deshalb auch gar nicht erst gefragt hätte.
Wenn man nicht nur nach den "Stellen" sucht, den Passagen, in denen er über Mia Farrow und die Missbrauchsvorwürfe spricht, ist da eine ganze Menge Stoff, der einem nicht fehlen würde. Und so genau, wie die Vorwürfe und der Rosenkrieg ausgebreitet werden, mit allen Details, die einen im Grunde nichts angehen, sind auch die "Stellen" eine Zumutung. Dass es im Buch keine Kapitel gibt, keine Zwischenüberschriften, nur einen langen, oft zähen Wörterfluss, macht die Lektüre nicht erfreulicher.
Es gab ja mal eine Zeit, in der Woody Allen in studentischen und bildungsbürgerlichen Kreisen ein Idol war. Der "Stadtneurotiker" wurde zum Bild des Mannes, der kein Macho und kein Draufgänger mehr war, sondern offen von seinen Phobien und Macken sprach und damit die Frauen herumkriegen wollte. Allen war mit seinen Filmen der Spezialist für die Abgründe in Paarbeziehungen und die Ängste der intellektuell Ambitionierteren. Ein Meister der Ostküsten-Sophistication, der intelligenten Komödie, dem man dann vorhielt, dass er nicht immer lustig sein wollte und sich an Filmen im Geiste Ingmar Bergmans versuchte.
Man erinnert sich daran nicht ungern, weil man damals selbst jung war. Und wird sofort von Fremdscham überfallen, wenn das Buch beginnt und den Humor von vorgestern aufwärmt. Das ist diese grausame Witzigkeit, für die Geld "Kröten" und "Moneten" heißt, wo man "auf die Pauke haut", "spachtelt", "den Löffel abgibt", wo es von "heißen Bräuten" und "hinreißendsten Miezen im Minirock" wimmelt, wo die Sprüche so tief fliegen, dass man sich in einer Endlosschleife der Fernsehserie "Die Zwei" mit Tony Curtis und Roger Moore glaubt, die vor allem durch ihre deutsche Synchronfassung berühmt wurde. Nur dass es keine Wiederholung ist, sondern jemand heute noch allen Ernstes so schreibt, die alten, ranzigen Witze reißt.
Woody Allen hat dabei eine besondere Erzähltechnik: sich ständig klein und unbedeutend und ungebildet erscheinen zu lassen, was dann umso mehr der Selbsterhöhung dient. Das ist das Prinzip des ganzen Buches: eine umgekehrte Form der Eitelkeit. Sie pausiert allein, wenn der Farrow-Furor kommt: Wie hätte er ahnen sollen, schreibt Allen, dass "ein völlig zusammenphantasiertes Ereignis, in die Welt gesetzt von einer erkennbar von Rache besessenen Frau, eine internationale Lawine lostreten und sich zu einer Industrie entwickeln würde, die Millionen Dollar verschlingen und viele Menschen in Mitleidenschaft ziehen sollte?"
Da teilt er aus. Gegen den Richter. Er vergleicht Farrows Rache mit Captain Ahabs Jagd auf Moby Dick und nennt sie eine "wirklich gestörte Persönlichkeit". Er nimmt sich seinen Sohn vor, nennt es den "Gipfel der Heuchelei, dass ausgerechnet Ronan in seinem Buch gegen NBC zu Felde zieht, weil sie sich geweigert hatten, seine Recherchen über Harvey Weinstein öffentlich zu machen", nachdem Ronan zwei Jahre zuvor das "New York Magazine" vor der Veröffentlichung einer positiven Soon-Yi Geschichte gewarnt hatte. Ein intellektueller Kurzschluss - als würde durch die versuchte Einflussnahme die Kritik an NBC hinfällig. Und dann beeilt Allen sich zu betonen, Weinstein habe nur Filme von ihm vertrieben, nie hätte er mit einem derart "übergriffigen Produzenten" gearbeitet.
Mal angenommen, Allen habe in jeder Hinsicht recht; er sei nicht nur falsch beschuldigt, sondern von den Medien fahrlässig und ohne Skrupel an den Pranger gestellt worden, dann ist es verständlich, dass er nachtritt. Es ist auch brutal, wenn ein renommierter Kritiker wie Richard Brody im "New Yorker" anlässlich von Allens Film "Wonder Wheel" 2017 auf Dylan Farrows offenen Brief zu sprechen kommt und ohne jeden Beleg schreibt: "Ich glaube Dylan Farrow", um dann ältere Filme von Allen erkennungsdienstlich daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie möglicherweise belastendes Material enthalten. Die Verbitterung, der Ärger, der Sarkasmus über die Schauspieler, die sich im Nachhinein davon distanzierten, mit ihm gearbeitet zu haben - alles nachvollziehbar. Die Frage ist bloß, ob man es wissen will, wenn der spätere Suizid zweier Adoptivkinder von Mia Farrow mit unterschwelliger Schuldzuweisung geschildert und eine Art Pathologie der Farrow-Familie geliefert wird.
Wo die Tonlage weniger schrill ist, sind jedoch die Melancholie vieler großer Allen-Filme, die Bereitschaft, sich selbstironisch über die eigenen Ängste zu beugen, von Selbstbezichtigung und Selbstzerstörung zu erzählen, eher fern. Da sind nur noch Sprüche geblieben, dünne Aufgüsse wie: "Das Universum selbst wird aufhören zu existieren und mit ihm auch die Möglichkeit, seinen Wintermantel reinigen zu lassen." Und wenn es um Frauen geht, sind Geschmacklosigkeit und Verklemmtheit immer nur einen Satz entfernt. Über Allens zweite Frau Louise Lasser erfährt man: "Die L in ihrem Namen wurden mit der Zunge gebildet, was ausgesprochen sexuell war." Nicht zu vergessen: "Sie besaß die Libido eines Wildkaninchens." Die wortreich gepriesene Soon-Yi dagegen führt den Haushalt "mit preußischer Tüchtigkeit. Ihr fehlt eigentlich nur noch ein Schmiss im Gesicht." Man muss nicht gleich Misogynie diagnostizieren, ein Rezensent ist ja kein Psychotherapeut. Diese Altmännerwitzelei ist halt nur beim Lesen unangenehm.
Leider ist auch das, was Allen über seine Filme sagt, ein nichtssagendes Parlando. Alle Beteiligten waren immer toll, wunderbar oder großartig; wenn es nicht so gut war, lag es an ihm, weil er schnell fertig werden wollte, deswegen nur Mastershots drehte ohne zusätzliche Einstellungen, Wiederholungen hasste und lieber zu Hause Baseball gucken wollte. Man muss nur mal flüchtig in einer der älteren Allen-Biographien oder Gesprächsbände geblättert haben, um dort das genaue Gegenteil zu diesen "Ich-plane-nie-etwas"-Sätzen zu finden.
Aber diese negative Selbstglorifizierung muss einen nicht weiter kümmern. Es ist Woody Allens Leben, das er sich hier so zurechtfabuliert. Ein Rezensent ist auch kein Geschworener, der nach den Aussagen von Allen, Farrow und den Adoptivkindern zu einem Urteil kommen müsste. Und er ist auch kein Tugendwächter, der seltsam finden könnte, wie Allen bei Soon-Yi den Ruf des Herzens beschwört und so gerade mal herausbringt, er habe Mia Farrow "verletzt".
Als Kritiker kann man sich einfach an seine Filme halten, von denen viele klüger sind als er selbst und von denen in den letzten Jahren einige so belanglos wirkten, wie er sie selbst darstellt. Dass er einer der wichtigsten und folgenreichen amerikanischen Regisseure des ausgehenden 20. Jahrhundert bleibt, wird nicht durch einen Memoirenband dementiert. Oder durch törichte Sätze wie den, er lebe "ein ganz normales Mittelschichtleben".
Das Problem an diesem Buch ist auch nicht, dass es einem Verdächtigten eine Bühne böte. Gäbe es überhaupt ein Argument gegen eine Veröffentlichung, dann allenfalls, dass diese Memoiren so langweilig sind (wie die meisten Starmemoiren), dass der Stil grauenhaft altbacken ist, dass man über die Filme nichts erfährt und über den Mann bloß lernt, dass die Penetranz, mit der er sich und uns seiner Nichtigkeit versichert, einem wahnsinnig auf die Nerven geht - und auch ziemlich unglaubwürdig ist.
PETER KÖRTE
Woody Allen: "Ganz nebenbei". Autobiographie. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brien und Jan Schönherr. Rowohlt, 448 Seiten, 25 Euro. eBook und Printausgabe können über den lokalen Buchhandel bezogen werden. Viele Buchhandlungen bieten trotz geschlossener Läden Liefer- und Versandservice oder Abholmöglichkeiten an.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fremdschämen und andere Kleinigkeiten: Was uns Woody Allens Memoiren erzählen und wovon sie besser geschwiegen hätten
Das Schicksal, um es sich mit Ursachen und Urhebern begrifflich mal etwas bequemer zu machen, meinte es nicht gut mit Woody Allen in den letzten Jahren. Es war lange ruhig gewesen, nachdem es Anfang der neunziger Jahre gekracht hatte. Erst fing Allen mit der 35 Jahre jüngeren Soon-Yi, der Adoptivtochter seiner Lebensgefährtin Mia Farrow, ein Verhältnis an. Dann warf Farrow ihm vor, beider Adoptivtochter Dylan missbraucht zu haben. Zu einem Verfahren kam es nicht nach zwei Untersuchungen, die den Verdacht nicht erhärten konnten.
Allens Karriere ging weiter, er drehte Film um Film, gerne auch in Europa, wo man ihn ohnehin mehr schätzt. Doch 2014 erneuerte die erwachsene Dylan Farrow in einem offenen Brief die Vorwürfe. Allen wies sie zurück. 2018 verteidigte sein Adoptivsohn Moses ihn in einem langen Blogeintrag, doch mit #Metoo war Allen längst wieder ins Blickfeld geraten. Dass sich die Causa Allen nicht mit Harvey Weinstein vergleichen lässt, auch nicht mit Roman Polanski, gegen den noch immer ein amerikanischer Haftbefehl existiert, wollten viele nicht so genau wissen. Nicht die Mitarbeiter des Verlags Hachette, deren Protest die Publikation von Allens Memoiren kippte. Auch nicht die Autorinnen und Autoren des Rowohlt-Verlags, die sich gegen eine Veröffentlichung wandten. Weder war, wie sie insinuierten, Allen überführt - noch waren, wie der Verlag dann versicherte, alle Vorwürfe klar widerlegt. Dafür, immerhin, war die Aufregung eindeutig.
Nun ist das Buch, das so viele nicht wollten, auf dem Markt, in Amerika hat es der Verlag Arcade unter dem Titel "Apropos of Nothing" herausgebracht, bei Rowohlt ist es als "Ganz nebenbei" erschienen. Es wäre übertrieben, zu behaupten, man habe sich etwas Großes erwartet. Autobiographien waren noch nie eine Quelle der Wahrheit. Vom Selbstbild erzählen sie mehr als von der Person selbst. Mit einer gewissen hermeneutischen Anstrengung lässt sich da vielleicht das eine oder andere herausfinden. Wobei man auch immer vieles erfährt, was man in Abwandlung eines alten Woody-Allen-Films nie wissen wollte und deshalb auch gar nicht erst gefragt hätte.
Wenn man nicht nur nach den "Stellen" sucht, den Passagen, in denen er über Mia Farrow und die Missbrauchsvorwürfe spricht, ist da eine ganze Menge Stoff, der einem nicht fehlen würde. Und so genau, wie die Vorwürfe und der Rosenkrieg ausgebreitet werden, mit allen Details, die einen im Grunde nichts angehen, sind auch die "Stellen" eine Zumutung. Dass es im Buch keine Kapitel gibt, keine Zwischenüberschriften, nur einen langen, oft zähen Wörterfluss, macht die Lektüre nicht erfreulicher.
Es gab ja mal eine Zeit, in der Woody Allen in studentischen und bildungsbürgerlichen Kreisen ein Idol war. Der "Stadtneurotiker" wurde zum Bild des Mannes, der kein Macho und kein Draufgänger mehr war, sondern offen von seinen Phobien und Macken sprach und damit die Frauen herumkriegen wollte. Allen war mit seinen Filmen der Spezialist für die Abgründe in Paarbeziehungen und die Ängste der intellektuell Ambitionierteren. Ein Meister der Ostküsten-Sophistication, der intelligenten Komödie, dem man dann vorhielt, dass er nicht immer lustig sein wollte und sich an Filmen im Geiste Ingmar Bergmans versuchte.
Man erinnert sich daran nicht ungern, weil man damals selbst jung war. Und wird sofort von Fremdscham überfallen, wenn das Buch beginnt und den Humor von vorgestern aufwärmt. Das ist diese grausame Witzigkeit, für die Geld "Kröten" und "Moneten" heißt, wo man "auf die Pauke haut", "spachtelt", "den Löffel abgibt", wo es von "heißen Bräuten" und "hinreißendsten Miezen im Minirock" wimmelt, wo die Sprüche so tief fliegen, dass man sich in einer Endlosschleife der Fernsehserie "Die Zwei" mit Tony Curtis und Roger Moore glaubt, die vor allem durch ihre deutsche Synchronfassung berühmt wurde. Nur dass es keine Wiederholung ist, sondern jemand heute noch allen Ernstes so schreibt, die alten, ranzigen Witze reißt.
Woody Allen hat dabei eine besondere Erzähltechnik: sich ständig klein und unbedeutend und ungebildet erscheinen zu lassen, was dann umso mehr der Selbsterhöhung dient. Das ist das Prinzip des ganzen Buches: eine umgekehrte Form der Eitelkeit. Sie pausiert allein, wenn der Farrow-Furor kommt: Wie hätte er ahnen sollen, schreibt Allen, dass "ein völlig zusammenphantasiertes Ereignis, in die Welt gesetzt von einer erkennbar von Rache besessenen Frau, eine internationale Lawine lostreten und sich zu einer Industrie entwickeln würde, die Millionen Dollar verschlingen und viele Menschen in Mitleidenschaft ziehen sollte?"
Da teilt er aus. Gegen den Richter. Er vergleicht Farrows Rache mit Captain Ahabs Jagd auf Moby Dick und nennt sie eine "wirklich gestörte Persönlichkeit". Er nimmt sich seinen Sohn vor, nennt es den "Gipfel der Heuchelei, dass ausgerechnet Ronan in seinem Buch gegen NBC zu Felde zieht, weil sie sich geweigert hatten, seine Recherchen über Harvey Weinstein öffentlich zu machen", nachdem Ronan zwei Jahre zuvor das "New York Magazine" vor der Veröffentlichung einer positiven Soon-Yi Geschichte gewarnt hatte. Ein intellektueller Kurzschluss - als würde durch die versuchte Einflussnahme die Kritik an NBC hinfällig. Und dann beeilt Allen sich zu betonen, Weinstein habe nur Filme von ihm vertrieben, nie hätte er mit einem derart "übergriffigen Produzenten" gearbeitet.
Mal angenommen, Allen habe in jeder Hinsicht recht; er sei nicht nur falsch beschuldigt, sondern von den Medien fahrlässig und ohne Skrupel an den Pranger gestellt worden, dann ist es verständlich, dass er nachtritt. Es ist auch brutal, wenn ein renommierter Kritiker wie Richard Brody im "New Yorker" anlässlich von Allens Film "Wonder Wheel" 2017 auf Dylan Farrows offenen Brief zu sprechen kommt und ohne jeden Beleg schreibt: "Ich glaube Dylan Farrow", um dann ältere Filme von Allen erkennungsdienstlich daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie möglicherweise belastendes Material enthalten. Die Verbitterung, der Ärger, der Sarkasmus über die Schauspieler, die sich im Nachhinein davon distanzierten, mit ihm gearbeitet zu haben - alles nachvollziehbar. Die Frage ist bloß, ob man es wissen will, wenn der spätere Suizid zweier Adoptivkinder von Mia Farrow mit unterschwelliger Schuldzuweisung geschildert und eine Art Pathologie der Farrow-Familie geliefert wird.
Wo die Tonlage weniger schrill ist, sind jedoch die Melancholie vieler großer Allen-Filme, die Bereitschaft, sich selbstironisch über die eigenen Ängste zu beugen, von Selbstbezichtigung und Selbstzerstörung zu erzählen, eher fern. Da sind nur noch Sprüche geblieben, dünne Aufgüsse wie: "Das Universum selbst wird aufhören zu existieren und mit ihm auch die Möglichkeit, seinen Wintermantel reinigen zu lassen." Und wenn es um Frauen geht, sind Geschmacklosigkeit und Verklemmtheit immer nur einen Satz entfernt. Über Allens zweite Frau Louise Lasser erfährt man: "Die L in ihrem Namen wurden mit der Zunge gebildet, was ausgesprochen sexuell war." Nicht zu vergessen: "Sie besaß die Libido eines Wildkaninchens." Die wortreich gepriesene Soon-Yi dagegen führt den Haushalt "mit preußischer Tüchtigkeit. Ihr fehlt eigentlich nur noch ein Schmiss im Gesicht." Man muss nicht gleich Misogynie diagnostizieren, ein Rezensent ist ja kein Psychotherapeut. Diese Altmännerwitzelei ist halt nur beim Lesen unangenehm.
Leider ist auch das, was Allen über seine Filme sagt, ein nichtssagendes Parlando. Alle Beteiligten waren immer toll, wunderbar oder großartig; wenn es nicht so gut war, lag es an ihm, weil er schnell fertig werden wollte, deswegen nur Mastershots drehte ohne zusätzliche Einstellungen, Wiederholungen hasste und lieber zu Hause Baseball gucken wollte. Man muss nur mal flüchtig in einer der älteren Allen-Biographien oder Gesprächsbände geblättert haben, um dort das genaue Gegenteil zu diesen "Ich-plane-nie-etwas"-Sätzen zu finden.
Aber diese negative Selbstglorifizierung muss einen nicht weiter kümmern. Es ist Woody Allens Leben, das er sich hier so zurechtfabuliert. Ein Rezensent ist auch kein Geschworener, der nach den Aussagen von Allen, Farrow und den Adoptivkindern zu einem Urteil kommen müsste. Und er ist auch kein Tugendwächter, der seltsam finden könnte, wie Allen bei Soon-Yi den Ruf des Herzens beschwört und so gerade mal herausbringt, er habe Mia Farrow "verletzt".
Als Kritiker kann man sich einfach an seine Filme halten, von denen viele klüger sind als er selbst und von denen in den letzten Jahren einige so belanglos wirkten, wie er sie selbst darstellt. Dass er einer der wichtigsten und folgenreichen amerikanischen Regisseure des ausgehenden 20. Jahrhundert bleibt, wird nicht durch einen Memoirenband dementiert. Oder durch törichte Sätze wie den, er lebe "ein ganz normales Mittelschichtleben".
Das Problem an diesem Buch ist auch nicht, dass es einem Verdächtigten eine Bühne böte. Gäbe es überhaupt ein Argument gegen eine Veröffentlichung, dann allenfalls, dass diese Memoiren so langweilig sind (wie die meisten Starmemoiren), dass der Stil grauenhaft altbacken ist, dass man über die Filme nichts erfährt und über den Mann bloß lernt, dass die Penetranz, mit der er sich und uns seiner Nichtigkeit versichert, einem wahnsinnig auf die Nerven geht - und auch ziemlich unglaubwürdig ist.
PETER KÖRTE
Woody Allen: "Ganz nebenbei". Autobiographie. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brien und Jan Schönherr. Rowohlt, 448 Seiten, 25 Euro. eBook und Printausgabe können über den lokalen Buchhandel bezogen werden. Viele Buchhandlungen bieten trotz geschlossener Läden Liefer- und Versandservice oder Abholmöglichkeiten an.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist ein schönes, nostalgisches Buch, in gutem Erzähltempo, etwa so, wie sein intellektueller Stadtneurotiker von der Couch seines Psychiaters aus gesprochen haben muss: versunken, dicht, mit Sprüngen in Zukunft und Vergangenheit, um dann den Faden des Jetzt wiederzufinden, wo war ich stehengeblieben, ah, hier, weiter geht's. Sarah Pines Neue Zürcher Zeitung 20200415