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Wie kann Massenmord zur Alltagsroutine werden? Im Sommer 1942 wurde ein Bataillon der Hamburger Polizeireserve, etwa 500 Männer, die zu alt zum Dienst in der Wehrmacht waren, nach Polen zu einem Sonderauftrag gebracht. Dort wurde ihnen eröffnet, daß sie die jüdische Bevölkerung in polnischen Dörfern aufspüren, die noch arbeitsfähigen Männer für den Lagereinsatz aussondern, die übrigen - Alte, Kranke, Frauen und Kinder - auf der Stelle zu erschießen hätten. Vor dem Einsatz machte der Kommandant den Leuten das Angebot, wer sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühle, könne sein Gewehr abgeben und…mehr

Produktbeschreibung
Wie kann Massenmord zur Alltagsroutine werden? Im Sommer 1942 wurde ein Bataillon der Hamburger Polizeireserve, etwa 500 Männer, die zu alt zum Dienst in der Wehrmacht waren, nach Polen zu einem Sonderauftrag gebracht. Dort wurde ihnen eröffnet, daß sie die jüdische Bevölkerung in polnischen Dörfern aufspüren, die noch arbeitsfähigen Männer für den Lagereinsatz aussondern, die übrigen - Alte, Kranke, Frauen und Kinder - auf der Stelle zu erschießen hätten. Vor dem Einsatz machte der Kommandant den Leuten das Angebot, wer sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühle, könne sein Gewehr abgeben und würde dann zu einer anderen Aufgabe eingesetzt. Nur etwa 12 Männer von fast 500 traten vor. In ganz Polen und Rußland wüteten in der Folgezeit diese Polizeibataillone, erschossen Zigtausende von Menschen und brachten weitere Zigtausende in Konzentrationslager. Durch minutiöse Auswertung aller verfügbaren Daten versucht der Autor nicht zu erklären, aber doch Gründe und beeinflussende Umstände dafür zu finden, wie 'ganz normale Männer' zu Massenmördern gemacht werden konnten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2020

In den Gruben

Eine Änderung sticht dem Betrachter bei der um siebzig Seiten erweiterten und nun ins Deutsche übersetztenNeuausgabe von Christopher R. Brownings 1992 erstmals erschienenem Standardwerk sofort ins Auge: das neue Titelbild, auf dem ein Gruppenporträt von Angehörigen des Reserve-Polizeibataillons 101 zu sehen ist. Das Bataillon steht im Mittelpunkt von Brownings Untersuchung, die der Frage nachgeht, wie aus deutschen Polizisten die Massenmörder der "Endlösung" werden konnten.

Auf dem alten Titelbild waren, wie sich später herausstellte, ausschließlich Wehrmachtsangehörige zu sehen. Mit dem Bildwechsel reagieren Verlag und Autor auf den Bedeutungszuwachs der "Visual History" in den letzten drei Jahrzehnten, die Fotografien nicht länger als Illustrationen abtut, sondern als Quellen für die historische Wissenschaft ernst nimmt. Browning reflektiert diese Forschungsentwicklung ausführlich in seinem Nachwort, anhand zahlreicher weiterer Fotografien, die das Polizeibataillon 101 im besetzten Polen zeigen. Zudem diskutiert er neue Erkenntnisse in Bezug auf andere Bataillone der Ordnungspolizei, die Motive der Mörder - allerdings ohne sich mit den Thesen des Soziologen Stefan Kühl aus dessen Studie "Ganz normale Organisationen" auseinanderzusetzen - und die Rolle einiger Luxemburger Polizisten unter den überwiegend deutschen Tätern. Browning referiert ausführlich die Untersuchungen seiner Kollegen, bleibt aber bei seiner schon in der Erstausgabe formulierten Hauptthese, wonach weniger ideologische Motive, sondern vor allem situative Gründe dazu führten, dass "ganz normale Männer" in den Erschießungsgruben im besetzten Osteuropa "funktionierten".

Seinerzeit öffnete Browning einer deutschen Öffentlichkeit die Augen dafür, dass es auch möglich war, sich dem Morden zu verweigern: Zwölf von fünfhundert Bataillonsangehörigen traten vor, als der Kommandant es ihnen freistellte, an den Erschießungen nicht teilzunehmen.

RENÉ SCHLOTT.

Christopher Browning: "Ganz normale Männer". Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen.

Aus dem Englischen von J. P. Krause u. a. Rowohlt Verlag, Reinbek 2020. 416 S., Abb., br., 12,- [Euro].

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