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Am 29. Oktober 1923 begann in Deutschland das Zeitalter der 'neuen Medien' mit der ersten Sendung des 'Unterhaltungsrundfunks' aus Berlin. Seither hat das Radio nicht nur eine über achtzigjährige, höchst wechselvolle Geschichte erlebt, sondern selber Geschichte geprägt und gemacht. Diese Geschichte des Radios in Deutschland erzählt, wie der Rundfunk in Deutschland entstand, wie er in der Zeit der Republik von Weimar zu glanzvollem, aber auch umstrittenem Ansehen gelangte, im Dritten Reich zum ideologischen Sprachrohr wurde und nach 1945 sich als Garant demokratischen Geistes, im Osten jedoch…mehr

Produktbeschreibung
Am 29. Oktober 1923 begann in Deutschland das Zeitalter der 'neuen Medien' mit der ersten Sendung des 'Unterhaltungsrundfunks' aus Berlin. Seither hat das Radio nicht nur eine über achtzigjährige, höchst wechselvolle Geschichte erlebt, sondern selber Geschichte geprägt und gemacht.
Diese Geschichte des Radios in Deutschland erzählt, wie der Rundfunk in Deutschland entstand, wie er in der Zeit der Republik von Weimar zu glanzvollem, aber auch umstrittenem Ansehen gelangte, im Dritten Reich zum ideologischen Sprachrohr wurde und nach 1945 sich als Garant demokratischen Geistes, im Osten jedoch als Teil des totalitären Regimes erwies. Sie zeigt, wie das Radio in seinen Programmen die kulturellen Entwicklungen in der Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern in Wechselbeziehung auch direkt beeinflusst hat. Und wie seine Funktionen unter den jeweiligen politischen, wirtschaftlich-technischen und kulturellen Bedingungen seiner Existenz sich fortwährend gewandelt haben und neu definiert wurden. Denn eben darin liegt wohl das Geheimnis seines Überlebens und die prägende Kraft, die das Radio bis heute und für viele Menschen immer noch und immer wieder besitzt.
Dieses Buch wendet sich an lesende Radiohörer, denen das Medium wichtig geblieben ist, die sich deshalb darüber und auf unterhaltsame Weise informieren wollen.
Autorenporträt
Hermann Glaser, von 1964 bis 1990 Kulturdezernent in Nürnberg, ist Honorar-Professor für Kulturvermittlung an der TU Berlin und als Publizist und Buchautor, unter anderem einer deutschen Kulturgeschichte 1945-2000, tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Nicht immer war Gedudel
Ganz Ohr: Hans Jürgen Koch und Hermann Glaser erzählen die Geschichte des Radios in Deutschland / Von Manuela Lenzen

Vermißt hatte man den Rundfunk erst einmal nicht: Es gab das Grammophon, das Kino, eine Fülle von zum Teil mehrmals täglich erscheinenden Zeitungen, wozu noch das Radio? Doch kaum hatte der "Unterhaltungsrundfunk" am 29. Oktober 1923, um 8 Uhr, das erste Krächzen in den Äther der krisengeschüttelten Weimarer Republik geschickt, wollten alle mithören. In allen sozialen Schichten, so zeigen Hans Jürgen Koch und Hermann Glaser in ihrer Kulturgeschichte des Radios in Deutschland, galt die "Funkempfangsanlage" als Zeichen der Modernität und stand für soziales Prestige.

Das Radio war Technikum, Wirtschaftsfaktor, Massenmedium, Kulturträger und politisches Objekt der Begierde in einem - und ist es bis heute. Indem sie seine Karriere verfolgen, liefern die Autoren zugleich einen originellen Aufriß der deutschen Geschichte von 1923 bis zum Internet-Radio. Kosmopolitischer Enthusiasmus begleitete den Aufstieg des neuen Mediums, alle Grenzen und Schranken sollte es überwinden. Ob "Atem Gottes", "Wunder der Alltäglichkeit" oder auch "Vaterlands Hochgesang": für den Volksmund war es einfach der "Brotkasten", abgeleitet vom englischen "broadcasting".

Von Anfang an hielt der Staat seine Hand über den Rundfunk. Einem "gehobenen Amüsement" sollte er dienen, eine "moralisch zu rechtfertigende Heiterkeit" verbreiten und der Politik dabei möglichst fernbleiben. Die Industrie durfte nur Geräte anbieten, die empfangen, aber nicht senden konnten, eine Gebühr von erst fünfundzwanzig Goldmark, später sechzig Reichsmark war fällig, dazu eine Genehmigung. Die Röhrengeräte kosteten nicht unter dreihundert Reichsmark und waren damit für die meisten unerschwinglich. Ein einfacher Detektor mit Kopfhörer oder etwas Selbstgebautes schuf ab fünfzehn Reichsmark Abhilfe und ließ die ganze Familie verkabelt sich um den Küchentisch versammeln. Das Radio war Familienmittelpunkt wie heute der Fernseher. Die GEZ hätte keine Freude an den Verhältnissen gehabt, kamen doch 1923 auf 467 Gebühren zahlende Hörer Millionen von Schwarzhörern.

Um ein stabiles, zahlendes Publikum aufzubauen, führten die Sendegesellschaften Umfragen durch (Operette, Nachrichten und Zeitansagen belegten die ersten drei Plätze, Predigten den letzten), erste Rundfunkzeitschriften erschienen, und es gab "Hörerforen", in denen Fragen beantwortet wurden. Dabei verstanden die Radiomacher ihre selbstauferlegte Rolle als "riesige Volkshochschule" vor allem im Sinne der Hochkultur. Anspruchsvolle Wortbeiträge, klassische Musik und berühmte Namen prägten das Programm: Von Einstein bis Ringelnatz, kaum jemand ließ sich lange bitten, vor das Mikrofon zu treten.

Die Nachrichten liefen zu Zeiten, zu denen der Arbeiter entweder an der Maschine stand oder schlief. So startete das Radio als Stadtphänomen, ausgerichtet auf Intellektuelle, Bessergestellte und - Hausfrauen und alte Menschen: Sie sollten kulturell gebildet, mit nützlichen Tips versorgt und in ihrer Isolation aufgeheitert werden. Auch Kommerzialisierung und Werbung, so betonen Koch und Glaser, kamen nicht erst mit dem Fernsehen auf, sie waren von Anfang an mit dabei: 1924 gründete die Reichspost die "Deutsche Reichs-Postreklame GmbH", die 1929 bereits 3,3 Millionen Reichsmark einnahm.

Als die Nationalsozialisten das Radio als "allerwichtigstes Massenbeeinflussungsinstrument" (Goebbels) ausgemacht hatten, galt Propaganda als "Dienst am Volk". Dazu wurde seit Sommer 1933 der günstige "Volksempfänger" mit der Typenbezeichnung VE 301 verkauft, zur Erinnerung an den Tag der "Machtergreifung", den 30. 1. Auch beim Ausbruch des Krieges mußte das Radio herhalten: Ein inszenierter Überfall mit polnisch sprechenden SS-Leuten auf den deutschen Sender Gleiwitz am 31. August 1939 sollte als "Verletzung der Reichsgrenze" den Anlaß für den Krieg gegen Polen liefern.

Der Fokus auf den Rundfunk ermöglicht den Autoren immer wieder originelle Perspektiven auf die politische Geschichte wie auf die Alltagsgeschichte: vom Jazz auf allen Kanälen, der für viele das Ende des Krieges ankündigte, über die ersten Nachkriegsjahre, in denen die Alliierten dafür sorgten, daß der Rundfunk der staatlichen Kontrolle entzogen wurde, und in denen ein kreativer Leserbrief dem erstaunten Hörer eine Militäreskorte zum nächsten Sender und einen Redakteursposten bescheren konnte. Wieder waren die Frauen Hauptadressaten, als maßgebliche Träger des Wideraufbaus und als Demokratie-Risiko. Weil es ihnen, den Frauen, in Sachen Wirtschaft und Gesellschaft an Durchblick mangele, stellten sie "eine der größten Gefahren für Deutschland dar, eine Gruppe, die für Propaganda und Unbeständigkeit am anfälligsten ist", zitieren die Autoren eine Studie für die amerikanische Militärregierung.

War das Radio in der Nachkriegszeit ein bedeutendes Element des Aufbaus demokratischer Strukturen und demokratischen Bewußtseins, so liest sich seine Geschichte in der gefestigten Bundesrepublik (und die des "einseitig abgewickelten" DDR-Rundfunks) als Abstieg in Kommerzialisierung und Dudelfunk. Vereinzelte Refugien wie Nachstudios und Hörspiele versinken im Gedudel aus allgegenwärtigen Lautsprechern. Wortbeiträge, die, kaum daß sie begonnen haben, vom nächsten Gesäusel weggespült werden: So schlimm hatten sich nicht einmal die Verfechter der Kommerzialisierung von Funk und Fernsehen den Qualitätsverlust vorgestellt. Sogar der ehemalige Post-Minister Schwarz-Schilling habe zugegeben, daß man mehr CDU-Nähe erwartet, aber Abfall bekommen hätte, zitieren die Autoren einen Zeitungsartikel.

So steht am Ende der Kulturgeschichte des Radios, die mit ihren ausführlichen Zeittafeln und Dokumenten aus Alltagsgeschichte, Kultur und Politik standardwerkverdächtig ist, ein Essay gegen die "Fast-food-Geschwätzigkeit" der Quotenjäger. Mit Adorno, Habermas, Luhmann und kurioserweise auch ein wenig Neurologie plädieren Koch und Glaser für eine neue Diskursethik in den (öffentlich-rechtlichen) Redaktionen und beklagen, der Hörer müsse erst wieder lernen, "ganz Ohr" zu sein, statt das Radio beim Autofahren oder Bügeln nur nebenbei zu nutzen. Mit der Radiokultur, so zeigt die Kulturgeschichte des Radios, ist es immer noch nicht weit her

Hans Jürgen Koch, Hermann Glaser: "Ganz Ohr". Eine Kulturgeschichte des Radios in Deutschland. Böhlau Verlag, Köln 2005. 376 S., 42 S/W-Abb., geb., 26,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit ihrem neuen Buch zur Geschichte des Rundfunks haben Hans Jürgen Koch und Hermann Glaser "durchaus eine Lücke gefüllt", meint Rezensent Hanspeter Krüger. Schließlich fehle in anderen Abhandlungen beispielsweise meist die genaue Betrachtung des Rundfunks in der Weimarer Republik. Koch und Glaser dagegen "entfalten" die Geschichte des Mediums in einem "großformatigen Überblick", der "materialreich" und mitunter "mit Bravour" gestaltet ist. Zwei Aspekte jedoch kritisiert der Rezensent an diesem Buch: Zum einen das "Dilemma", dass jede geschriebene Rundfunkgeschichte auf die Stimmen - die "Basis" des Radios - verzichten muss. Zum Anderen scheint dem Kritiker die Abhandlung mitunter etwas "kleinteilig". Der Hang zur "Vollständigkeit" geht in seinen Augen mitunter auf Kosten der dramaturgischen "Balance".

© Perlentaucher Medien GmbH