In Form eines von ihm verfassten Manuskripts, das die Zeit von 1515 bis 1535 umfasst, erzählt Claude Garamond das Leben seines Meisters Augereau. Im 16. Jahrhundert war ein Drucker zugleich Verleger und Buchhändler. Für jeden Schrifttyp mussten die einzelnen Buchstaben geschnitten, Matritzen
hergestellt und die Lettern gegossen werden. Ein Drucker musste damals Handwerker und Buchhändler zugleich…mehrIn Form eines von ihm verfassten Manuskripts, das die Zeit von 1515 bis 1535 umfasst, erzählt Claude Garamond das Leben seines Meisters Augereau. Im 16. Jahrhundert war ein Drucker zugleich Verleger und Buchhändler. Für jeden Schrifttyp mussten die einzelnen Buchstaben geschnitten, Matritzen hergestellt und die Lettern gegossen werden. Ein Drucker musste damals Handwerker und Buchhändler zugleich sein. Er druckte im Kunden-Auftrag, war aber auch immer auf der Suche nach Texten, die er drucken und verkaufen konnte. Zur Zeit Garamonds und Augereaus waren Drucker meist vielseitig gebildete Universaltalente, die nicht nur handwerkliche Kenntnisse hatten, sondern lesen und schreiben konnten, sowie über sehr gute Lateinkenntnisse verfügten. Garamond ist 10 Jahre alt, als er mit dem Drucker-Handwerk in Kontakt kommt und sich entscheidet nicht Tuchhändler wie sein Vater zu werden. Der Junge verfolgt seinen Weg hartnäckig und trifft in Augereau auf einen ebenso zielstrebigen geduldigen Lehrmeister, der das außergewöhnliche Talent seines Lehrlings erkennt und fördert.
Mit Garamond und Augereau lässt Anne Cuneo zwei liebenswerte, offene Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Während Garamond lebenslang daran arbeitet, ein erstklassiger Drucker zu werden und sich als reinen Handwerker ansieht, befasst sich Augereau auch mit dem Inhalt der gedruckten Texte und den gesellschaftlichen Veränderungen der neuen Zeit. Selbst vielseitiger Generalist und stark in den Traditionen seines Metiers verwurzelt, nimmt Augereau im Buch die Rolle des Visionärs ein und empfiehlt Garamond, sich auf das Schriftschneiden zu spezialisieren. Auch Bocard, der Vater von Augereaus verstorbener erster Frau, entwickelt im Roman eine Vision. Sein Ziel ist es die Schriften lesbarer zu machen, damit gedruckte Texte allen Menschen zugänglich werden.
Bis zum Beginn der Handlung in der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Bücher nicht in der Sprache des Volkes gedruckt sondern in den Sprachen der Wissenschaft, Latein oder Griechisch. Die durch Martin Luther in Deutschland ausgelöste Auseinandersetzung um die von der Pariser Sorbonne als Ketzerei gebrandmarkte Übersetzung des Neuen Testaments ins Französische ziehen Garamond und Augereau in einen Religionskrieg, der Augereau am Ende das Leben kosten wird.
Wer sich für die Schwarze Kunst begeistern kann, erhält von Anne Cuneo Einblick in die traditionelle Ausbildung im Druckerhandwerk und kann verfolgen, mit welch immenser Geduld Augereau als väterlicher Lehrmeister auf die Begabung und die Persönlichkeit seiner Lehrlinge eingeht. Am Beispiel der Reisen nach Venedig zu Manutius und nach Poitiers, in die Heimat Augereaus, können wir den regen Austausch unter Handwerkern innerhalb Europas miterleben.
In ihrem Roman "Garamonds Lehrmeister" lässt die Autorin Anne Cuneo Claude Garamond über seine Lehrzeit bei Antoine Augereau berichten und vermittelt ihren Lesern so ein lebendiges Bild des Druckhandwerks im 16. Jahrhundert. Mit Liebe zum historischen Detail rückt Cuneo die vergessene Persönlichkeit Augereau zurück ins Rampenlicht. Die aus Garamonds Erinnerungen erzählte Geschichte hat mich wegen dieser Erzählperspektive außergewöhnlich gefesselt. Als Mann, der beinahe am Ende seines Lebens angekommen ist, erinnert sich Garamond in dem Bewusstsein an seine Lehrzeit, dass seine Erinnerungen ihn in einigen Fällen auch täuschen könnten. Fasziniert hat mich besonders die Darstellung der Druckerzunft in Frankreich, die meinen stark auf Gutenberg zentrierten Blick auf unser Nachbarland erweiterte. Mit einem erklärenden Vorwort, der Bibliographie der Drucke Augereaus, einem Quellenverzeichnis und ausführlichen Erläuterungen, wie Cuneo ihre Quellen genutzt hat, ist dieser biografische Roman eine runde Sache. Im Anhang wird deutlich, wie die Autorin von den wenigen verfügbaren Fakten zu ihrer persönlichen Darstellung der Ereignisse gelangt ist.