Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2006Hamburg im Orchideenfieber
Türkische Erbsen, freie Blicke: Reisen durch die europäische Gartenkultur
Zwei Bücher zur Geschichte der Gartenkunst, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier das ambitionierte Unterfangen, die Geschichte der Gartenkunst von der Renaissance bis zum Landschaftsgarten zu schreiben, dort der bescheidene Versuch, Gartenlust und Blumenliebe im Hamburg vom Barock bis in die Gegenwart darzustellen. Hier verspricht die Einführung mehr, als dann auf gut dreihundert Seiten gehalten wird, dort steckt mehr drin, als das karge Vorwort vermuten lässt. Beiden Bänden gemeinsam ist jedoch, dass herrliche Abbildungen jeden Ärger über das geschriebene Wort rasch vergessen lassen.
Winfried Hansmann und Kerstin Walter brechen in der neuen „DuMont Geschichte der Gartenkunst” zu einer weiten Reise zu bedeutenden Gartendenkmälern in Italien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden auf. „Anhand exemplarischer Beispiele” wollen sie historische Bedingungen des grünen Gestaltens schildern und „das Weltbild und das Selbstverständnis der Menschen aus den verschiedenen Epochen” rekonstruieren. Berühmte Parks werden hier besucht, Epochen der Gartenkunst nachgezeichnet, wissenswerte Details ausgebreitet. Aber dennoch bietet das repräsentative Werk keine umfassende Geschichte des Gegenstandes. Dazu fehlt es an übergreifenden Fragestellungen; die großen Linien werden nicht betont, und der Leser muss sich kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge aus verstreuten Angaben erschließen.
Die suburbanen Villenbesitzer der italienischen Renaissance imitierten die Ideologie eines senatorischen Lebens, das zwischen der Muße in der ländlichen Villa und der Beschäftigung in der Stadt oszillierte. Die Gärten des Barock und Rokoko dienten als monumentale Kulisse der aristokratischen Herrschaftsinszenierung. Englische Gentlemen erfanden als Gegenmodell zur absolutistischen Ordnung den liberalen Landschaftsgarten, in dem das Individuum seine Blicke und seine Gedanken frei schweifen lassen konnte. Auf dem Kontinent verhalfen anglophile Adlige wie Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau dem aufgeklärten Garten zum Siegeszug.
Höchst unbefriedigend sind die kurzen Ausführungen zur Antike. Dabei hat sich die europäische Gartenkunst seit der Renaissance in vielfältiger Weise immer wieder auf das antike Vorbild bezogen. So bleibt in den Kommentaren zu den brillanten Aufnahmen von Florian Monheim vieles für den ungeübten Betrachter unverständlich. In Tivoli präsentierte sich der humanistisch gebildete Kardinal Ippolito dEste als eigentlicher Bewahrer des antiken Erbes und diffamierte das Rombild seines päpstlichen Rivalen, des asketischen Ordensmannes Pius V. Auf den Terrassen von Sanssouci schuf Friedrich II. nach den Vorgaben von Horaz und Vergil einen großartigen locus amoenus. Und in Stowe bestimmten die livianischen römischen Tugenden die Thematik und Typologie der Gartenskulpturen. Auch hätten mythologische und historische Anspielungen erklärt werden müssen, denn wer kennt heute noch den Garten der Hesperiden oder die Elysischen Gefilde, wer Lykurg, den spartanischen Gesetzgeber, oder Epameinondas, den böotischen Feldherrn?
Schöne Verse und Gemüse
Der von Claudia Horbas herausgegebene Sammelband über Hamburgs Gartenkultur - Begleitbuch zu einer unlängst in Hamburg gezeigten Ausstellung - bindet einen bunten Strauß zusammen. Der Spaziergang beginnt im Lustgarten des 17. und endet im Volkspark des 20. Jahrhunderts. Biografische Skizzen charakterisieren den Gelehrten Joachim Jungius und den Maler Franz Werner Tamm. Man erfährt, dass Hamburg, schon früh Zentrum des Gartenhandels, im 19. Jahrhundert vom Orchideenfieber geschüttelt wurde.
Hier wird eine Desserttafel des Rokoko gedeckt, die eine Gartenanlage en miniature abbildet, dort ein Blick in einen Hamburger Gemüsegarten geworfen, in dem Türkische Erbsen und Vierländer Melonen angebaut werden. Trotz des lokalen Bezugs fehlt nicht der Blick für übergreifende Themen. Kundige Beiträge widmen sich Poeten, die schöne Verse auf Gärten machten, und beschreiben die Veränderung des Gartengeschmacks im 18. Jahrhundert. Doch auch in diesem Band fehlt bisweilen der Blick für historische Zusammenhänge.
Der Ratsherr Caspar Anckelmann investierte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Vermögen, um in der Hamburger Neustadt einen 6000 Quadratmeter großen Park anzulegen, der auf strenge Ordnung und klare Symmetrie achtete. Der Besitzer gab sich indes nicht damit zufrieden, seine kostbare Sammlung seltener Gewächse ausgewählten Gästen zugänglich zu machen, sondern ließ seinen Park samt der schönsten Pflanzen naturgetreu von Hans Simon Holtzbecker, einem der bekanntesten Blumenmaler der Hansestadt, in Gouachetechnik auf Pergament abbilden. Die barocke Anlage war die irdische Repräsentation des Garten Eden und zeugte zugleich vom materiellen Erfolg seines bürgerlichen Besitzers.
150 Jahre später entstanden am Hamburger Elbufer herrliche englische Gärten, die noch heute die Landschaft entlang der berühmten Elbchaussee prägen. Zahlreiche dieser Anlagen gestaltete der französische Architekt Joseph Ramée, der vor der Schreckensherrschaft der Revolution aus Paris zunächst in das belgische Louvain und dann an die thüringischen Musenhöfe floh. Von dort zog er nach Hamburg.
Schon 1802 ließ der Altonaer Kaufmann und Reeder Georg Friedrich Baur von dem Emigranten Ramée einen weitläufigen Park am Blankeneser Elbufer entwerfen, den Ludwig Philipp Strack durch fünf fast gleichzeitig entstandene Ansichten in Öl verewigt hat. Ramée feierte das Rousseausche Ideal der Verbindung von Mensch und Natur, überwand die hierarchische Anordnung geometrischer Barockanlagen durch „natürlichere” Landschaftsentwürfe, kombinierte verschiedene Elemente pittoresker Gartenmodi und integrierte in seine Planungen antike Architekturzitate. Dem hanseatischen Großkaufmann schuf Ramée am Anfang des 19. Jahrhunderts einen Ort, in dem klassizistische Gartenkunst und bürgerliche Freiheit eine ideale Symbiose eingehen konnten.
STEFAN REBENICH
KERSTIN WALTER, WILFRIED HANSMANN (Hrsg.): DuMont Geschichte der Gartenkunst. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2006. 350 Seiten, 49,90 Euro.
CLAUDIA HORBAS u.a.: Gartenlust und Blumenliebe. Hamburgs Gartenkultur vom Barock bis ins 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Museum für Hamburgische Geschichte. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006. 256 S., 39,80 Euro.
Ratsherr Caspar Anckelmann ließ im 17. Jahrhundert für viel Geld in der Hamburger Neustadt einen großen, streng symmetrischen Park anlegen. Gouache auf Pergament von Hans Simon Holtzbecker, um 1669
Abb. aus dem besprochenen Band
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Türkische Erbsen, freie Blicke: Reisen durch die europäische Gartenkultur
Zwei Bücher zur Geschichte der Gartenkunst, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier das ambitionierte Unterfangen, die Geschichte der Gartenkunst von der Renaissance bis zum Landschaftsgarten zu schreiben, dort der bescheidene Versuch, Gartenlust und Blumenliebe im Hamburg vom Barock bis in die Gegenwart darzustellen. Hier verspricht die Einführung mehr, als dann auf gut dreihundert Seiten gehalten wird, dort steckt mehr drin, als das karge Vorwort vermuten lässt. Beiden Bänden gemeinsam ist jedoch, dass herrliche Abbildungen jeden Ärger über das geschriebene Wort rasch vergessen lassen.
Winfried Hansmann und Kerstin Walter brechen in der neuen „DuMont Geschichte der Gartenkunst” zu einer weiten Reise zu bedeutenden Gartendenkmälern in Italien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden auf. „Anhand exemplarischer Beispiele” wollen sie historische Bedingungen des grünen Gestaltens schildern und „das Weltbild und das Selbstverständnis der Menschen aus den verschiedenen Epochen” rekonstruieren. Berühmte Parks werden hier besucht, Epochen der Gartenkunst nachgezeichnet, wissenswerte Details ausgebreitet. Aber dennoch bietet das repräsentative Werk keine umfassende Geschichte des Gegenstandes. Dazu fehlt es an übergreifenden Fragestellungen; die großen Linien werden nicht betont, und der Leser muss sich kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge aus verstreuten Angaben erschließen.
Die suburbanen Villenbesitzer der italienischen Renaissance imitierten die Ideologie eines senatorischen Lebens, das zwischen der Muße in der ländlichen Villa und der Beschäftigung in der Stadt oszillierte. Die Gärten des Barock und Rokoko dienten als monumentale Kulisse der aristokratischen Herrschaftsinszenierung. Englische Gentlemen erfanden als Gegenmodell zur absolutistischen Ordnung den liberalen Landschaftsgarten, in dem das Individuum seine Blicke und seine Gedanken frei schweifen lassen konnte. Auf dem Kontinent verhalfen anglophile Adlige wie Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau dem aufgeklärten Garten zum Siegeszug.
Höchst unbefriedigend sind die kurzen Ausführungen zur Antike. Dabei hat sich die europäische Gartenkunst seit der Renaissance in vielfältiger Weise immer wieder auf das antike Vorbild bezogen. So bleibt in den Kommentaren zu den brillanten Aufnahmen von Florian Monheim vieles für den ungeübten Betrachter unverständlich. In Tivoli präsentierte sich der humanistisch gebildete Kardinal Ippolito dEste als eigentlicher Bewahrer des antiken Erbes und diffamierte das Rombild seines päpstlichen Rivalen, des asketischen Ordensmannes Pius V. Auf den Terrassen von Sanssouci schuf Friedrich II. nach den Vorgaben von Horaz und Vergil einen großartigen locus amoenus. Und in Stowe bestimmten die livianischen römischen Tugenden die Thematik und Typologie der Gartenskulpturen. Auch hätten mythologische und historische Anspielungen erklärt werden müssen, denn wer kennt heute noch den Garten der Hesperiden oder die Elysischen Gefilde, wer Lykurg, den spartanischen Gesetzgeber, oder Epameinondas, den böotischen Feldherrn?
Schöne Verse und Gemüse
Der von Claudia Horbas herausgegebene Sammelband über Hamburgs Gartenkultur - Begleitbuch zu einer unlängst in Hamburg gezeigten Ausstellung - bindet einen bunten Strauß zusammen. Der Spaziergang beginnt im Lustgarten des 17. und endet im Volkspark des 20. Jahrhunderts. Biografische Skizzen charakterisieren den Gelehrten Joachim Jungius und den Maler Franz Werner Tamm. Man erfährt, dass Hamburg, schon früh Zentrum des Gartenhandels, im 19. Jahrhundert vom Orchideenfieber geschüttelt wurde.
Hier wird eine Desserttafel des Rokoko gedeckt, die eine Gartenanlage en miniature abbildet, dort ein Blick in einen Hamburger Gemüsegarten geworfen, in dem Türkische Erbsen und Vierländer Melonen angebaut werden. Trotz des lokalen Bezugs fehlt nicht der Blick für übergreifende Themen. Kundige Beiträge widmen sich Poeten, die schöne Verse auf Gärten machten, und beschreiben die Veränderung des Gartengeschmacks im 18. Jahrhundert. Doch auch in diesem Band fehlt bisweilen der Blick für historische Zusammenhänge.
Der Ratsherr Caspar Anckelmann investierte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Vermögen, um in der Hamburger Neustadt einen 6000 Quadratmeter großen Park anzulegen, der auf strenge Ordnung und klare Symmetrie achtete. Der Besitzer gab sich indes nicht damit zufrieden, seine kostbare Sammlung seltener Gewächse ausgewählten Gästen zugänglich zu machen, sondern ließ seinen Park samt der schönsten Pflanzen naturgetreu von Hans Simon Holtzbecker, einem der bekanntesten Blumenmaler der Hansestadt, in Gouachetechnik auf Pergament abbilden. Die barocke Anlage war die irdische Repräsentation des Garten Eden und zeugte zugleich vom materiellen Erfolg seines bürgerlichen Besitzers.
150 Jahre später entstanden am Hamburger Elbufer herrliche englische Gärten, die noch heute die Landschaft entlang der berühmten Elbchaussee prägen. Zahlreiche dieser Anlagen gestaltete der französische Architekt Joseph Ramée, der vor der Schreckensherrschaft der Revolution aus Paris zunächst in das belgische Louvain und dann an die thüringischen Musenhöfe floh. Von dort zog er nach Hamburg.
Schon 1802 ließ der Altonaer Kaufmann und Reeder Georg Friedrich Baur von dem Emigranten Ramée einen weitläufigen Park am Blankeneser Elbufer entwerfen, den Ludwig Philipp Strack durch fünf fast gleichzeitig entstandene Ansichten in Öl verewigt hat. Ramée feierte das Rousseausche Ideal der Verbindung von Mensch und Natur, überwand die hierarchische Anordnung geometrischer Barockanlagen durch „natürlichere” Landschaftsentwürfe, kombinierte verschiedene Elemente pittoresker Gartenmodi und integrierte in seine Planungen antike Architekturzitate. Dem hanseatischen Großkaufmann schuf Ramée am Anfang des 19. Jahrhunderts einen Ort, in dem klassizistische Gartenkunst und bürgerliche Freiheit eine ideale Symbiose eingehen konnten.
STEFAN REBENICH
KERSTIN WALTER, WILFRIED HANSMANN (Hrsg.): DuMont Geschichte der Gartenkunst. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2006. 350 Seiten, 49,90 Euro.
CLAUDIA HORBAS u.a.: Gartenlust und Blumenliebe. Hamburgs Gartenkultur vom Barock bis ins 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Museum für Hamburgische Geschichte. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006. 256 S., 39,80 Euro.
Ratsherr Caspar Anckelmann ließ im 17. Jahrhundert für viel Geld in der Hamburger Neustadt einen großen, streng symmetrischen Park anlegen. Gouache auf Pergament von Hans Simon Holtzbecker, um 1669
Abb. aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angenehm überrascht zeigt sich Stefan Rebenich von diesem Begleitbuch zu einer Hamburger Ausstellung über hanseatische Gartenkunst. Denn das Vorwort sei karg, der Anspruch bescheiden. Doch im Buch steckt aus seiner Sicht viel mehr. Nicht nur die Bilder findet Rebenich "herrlich". Die gezeigte Vielfalt überzeugt den Rezensenten ebenso, wie der Blick des Bandes für Themen "jenseits des lokalen Bezugs". Zwar fehlt ihm manchmal die ganz große Linie, nämlich der "Blick für historische Zusammenhänge". Trotzdem überzeugt ihn der vielseitige Band durch "kundige Beiträge" Gärten bedichtender Poeten, Spaziergänge durch Volks-, Lust- und Gemüsegärten sowie einzelne biografische Skizzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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