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Mit "Gast im Universum" liegen zehn neue, noch nie in Buchform publizierte Stories vor, sämtliche Kurzgeschichten aus Brodkeys Nachlaß. Die meisten davon führen in die familiäre Welt seines Alter ego Wiley Silenowicz, des adoptierten, von vielen Schicksalsschlägen gezeichneten Waisenjungen, der Hauptfigur aus Brodkeys großem Roman "Die flüchtige Seele". Herausragend die Titelgeschichte: Auf einer erotisch aufgeladenen Party in New Yorker Neureichenkreisen, die sich gefällig mit Künstlern umgeben, spielt der Student Wiley mit diebischem Vergnügen den Dostojewskischen Idioten und macht sich über die Attitüden der versammelten Gesellschaft lustig.…mehr

Produktbeschreibung
Mit "Gast im Universum" liegen zehn neue, noch nie in Buchform publizierte Stories vor, sämtliche Kurzgeschichten aus Brodkeys Nachlaß. Die meisten davon führen in die familiäre Welt seines Alter ego Wiley Silenowicz, des adoptierten, von vielen Schicksalsschlägen gezeichneten Waisenjungen, der Hauptfigur aus Brodkeys großem Roman "Die flüchtige Seele". Herausragend die Titelgeschichte: Auf einer erotisch aufgeladenen Party in New Yorker Neureichenkreisen, die sich gefällig mit Künstlern umgeben, spielt der Student Wiley mit diebischem Vergnügen den Dostojewskischen Idioten und macht sich über die Attitüden der versammelten Gesellschaft lustig.
Autorenporträt
Harold Brodkey, geb. 1930 in Staunton, Illinois, wuchs in Missouri auf und absolvierte ein Literaturstudium in Harvard. Später ließ er sich als freier Schriftsteller nieder und unterrichtete amerikanische Literatur und Creative Writing in Cornell und an der City University of New York. Für sein Werk wurde er unter anderem mit dem Prix de Rome und zweimal mit dem O. Henry Award ausgezeichnet. Er starb im Januar 1996 in New York an den Folgen von Aids.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.1998

Der Pointenhengst
In Harold Brodkeys Familienhölle · Von Ulrich Weinzierl

In zweierlei Hinsicht ist er zum Mythos geworden. Harold Brodkeys Ruhm, als "amerikanischer Proust", verdankte sich nicht zuletzt Ungeschriebenem: dem von verschiedenen Verlagen des öfteren angekündigten und zurückgezogenen opus maximum des Erzählers. Als anno 1991 endlich ein Roman - "The Runaway Soul" ("Die flüchtige Seele") - erschien, hielt sich die Begeisterung über die gut 800 Seiten (in der Übersetzung immerhin 1300!) in Grenzen. Die einen waren fasziniert, die anderen gelangweilt. 1993 teilte der Dreiundsechzigjährige dann seinen Lesern im "New Yorker" plötzlich und unerwartet mit: "Ich habe Aids. Das überrascht mich." So bestürzend nüchtern wie die Eröffnung klang das ganze Bekenntnis. Im Januar 1996 verstarb Harold Brodkey. Eines seiner schönsten Bücher wurde postum veröffentlicht: "Die Geschichte meines Todes".

Wer vom Schriftsteller Harold Brodkey nichts sonst wußte, der wußte, daß er - unter dem Titel "Innocence" - die weltliteraturweit längste Darstellung eines Cunnilingus verfaßt hatte. Auf deutsch war "Unschuld" (und der Weg zum weiblichen Orgasmus) naturgemäß noch länger. Die literarische Zugnummer stand später übrigens in der Sammlung "Stories in an Almost Classical Mode" zu lesen, den "Nahezu klassischen Stories". Vivisektion der Gefühle war dieses Schriftstellers Spezialität, die eigne Herkunft und Jugend wurden ihm zum unerschöpflichen Thema. Zuweilen dürfte es ihn sogar mehr als sein Publikum und die Kritik interessiert haben, die der obsessiven, bis ins Mikroskopische reichenden Selbstbeschau Respekt zollten, aber streckenweise die Gefolgschaft verweigerten.

Auch Brodkeys jüngster Band, "Gast im Universum", stammt gleichsam aus dem Nachlaß, obwohl der Autor die einzelnen Geschichten bereits in Zeitschriften publiziert hatte. Miniaturen, zurechtgeschliffene Erinnerungssplitter finden sich hier neben ausladenden Prosastücken. Für Brodkey-Kenner ist's eine Wiederbegegnung mit Vertrautem, einem ziemlich beschränkten poetischen Kosmos. Und in der Tat, alle sind sie wieder angetreten - die autobiographischen Figuren aus der "Flüchtigen Seele" und den Erzählungen: Brodkeys alter ego Wiley Silenowicz, die Adoptiveltern, die böse ältere Stiefschwester, die Geliebte Ora (die einst Orra hieß). Das Trauma und Drama des begabten, des frühverwaisten, des an entfernte Verwandte buchstäblich verkauften Kindes russisch-jüdischer Einwanderer bildet das Leitmotiv. Neulinge der Brodkey-Kunde seien jedoch gewarnt: Sie werden dadurch zu dessen poetischem Labyrinth kaum Zugang erlangen. Vor vielen Kapiteln scheint die imaginäre Warntafel "Geschlossene Gesellschaft" angebracht.

Was selbst Verehrer des Dichters an der - mit Verlaub gesagt - virtuos arrangierten Materialhalde verstören könnte, ist die Diskrepanz zwischen Inhalt und Form. Denn im Grunde müßte all das - der Mißbrauch des Jungen durch Samuel Leonard Brodkey, den "Vater" S. L., oder die ironisch verbrämten, kühlen Verführungskünste der "Mutter" Lila - spannend, ja bewegend sein. Schließlich wird jede Ambivalenz der Beteiligten sorgsamst registriert. Aber der Großteil von Wileys schmerzlicher éducation sentimentale läßt uns, im Unterschied zum Roman, völlig kalt. Die Familienhölle bleibt privat im schlechten, weil Fremde aussperrenden Sinn.

Zweifellos war da ein höchst intelligenter, in seinen besten Momenten glänzender Beobachter am Werk. Indes entschwindet vor lauter Analyse und Reflexion und Rhetorik das Geschehen häufig im Nebel der Unsinnlichkeit. Gewiß stößt man auch auf einprägsame Metaphern, in der Art von "Ich bin ein Schiffbrüchiger im Wrack des Lebens meines Vaters . . ." Doch mit Fug und Recht meinte der Rezensent der "New York Times" über die Originalausgabe: "Brodkey konnte alles - nur keine Geschichte erzählen."

Erleichtert atmen wir darum am Ende des Buches auf, bei der titelgebenden Satire "Gast im Universum". Mit klinischer Präzision schildert Brodkey eine Party der kulturell tonangebenden New Yorker Society in den fünfziger Jahren. Die Clique gefällt sich in Zynismus, in Witzen und Bonmots: "Pointenhengst trifft Fußnote." Im Grunde ist's nichts als eine Porträtgalerie am Rande der Karikatur, ein bissig kommentiertes Spiel der Masken und Posen und des Jargons. Trotzdem klafft eine gewaltige Kluft zwischen dem Finale und dem übrigen. Brodkeys Raubvogelblick gilt mit einem Mal statt seelischem Inzest zumindest einem Ausschnitt der Welt - und sofort spüren wir ihr spezifisches Gewicht und ihre Atmosphäre, wir sehen das Kolorit und erahnen den Zeitgeist. Die Lektüre, deren Hauptqualität zuvor in erster Linie intellektuelle Anstrengung war, macht nun neugierig. Man will nicht bloß ans Ende kommen, man hat Lust auf mehr.

Harold Brodkey: "Gast im Universum. Stories." Aus dem Amerikanischen übersetzt von Angela Praesen. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. 416 S., geb., 42,- DM.

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