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Produktdetails
  • Potsdamer Bibliothek östliches Europa
  • Verlag: Deutsches Kulturforum östliches Europa
  • Seitenzahl: 193
  • Deutsch, Englisch
  • Abmessung: 270mm
  • Gewicht: 1096g
  • ISBN-13: 9783936168310
  • ISBN-10: 3936168318
  • Artikelnr.: 20830438
Autorenporträt
Karl Schlögel, geboren 1948 im Allgäu, hat an der Freien Universität Berlin, in Moskau und St. Petersburg Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert und lehrt an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. 2006 erhielt er den Lessing Preis der Stadt Hamburg und 2012 wurde Karl Schlögel mit dem Hoffmann-von-Fallersleben-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2007

Staustufen der Gegenwart
Das Gesicht Europas: Der Leipziger Fotograf Frank Gaudlitz porträtiert Bewohner des Donauraums
Die Donau legt von ihren Quellen im Schwarzwald 2888 Kilometer zurück, bis sie sich in einem riesigen Delta ins Schwarze Meer ergießt. Das Gebiet von zehn Staaten wird von ihr durchflossen, das macht ihr kein anderer Fluss der Erde nach, weswegen sie von der Donau-Romantik, die seit einigen Jahren wundersame und wunderliche Blüten treibt, schon zum einzig wahrhaft „übernationalen Fluss” ausgerufen wurde.
Mit Romantik hat der in Leipzig ausgebildete Fotograf Frank Gaudlitz nichts zu tun, wunderbare Bilder hat er von seiner dreijährigen Reise entlang der Donau gleichwohl mitgebracht. Es sind Porträts von Menschen, denen zu begegnen er auf den Zufall vertraut hat und die er dafür zu gewinnen wusste, ernste Haltung anzunehmen und sich von ihm aufnehmen zu lassen: im schwäbischen Dillingen oder im oberösterreichischen Dürnstein, in der slowakischen Trabantensiedlung von Bratislava, in einer Abrisshalle im ungarischen Fadd, auf der Landstraße im kroatischen oder serbischen Irgendwo, im Schilf des rumänischen Dorfes Fantinele oder, fast gegenüber, auf der anderen Seite der Donau, im bulgarischen Nikopol, im moldauischen Vulkanesti oder dort, wo Meer und Fluss schon nicht mehr zu unterscheiden sind, im ukrainischen Vilkovo.
Gaudlitz ist in der hohen Kunst der Dokumentarfotografie ein Meister. Wer diese Porträts von Menschen am Fluss, in einer vom Fluss geprägten, unendlich vielgestaltigen Kulturlandschaft gesehen hat, wird sie nicht mehr vergessen. Sie rufen in Erinnerung, dass Europa, aller Globalisierung zum Trotz, noch immer ein Kontinent der Ungleichzeitigkeit ist. Wir sehen saturierte Spaziergänger, ausstaffiert mit den modischen Insignien des Wohlstands, in ihren schmucken Kleinstädten; vorzeitig gealterte Landarbeiter, ausgezehrt von der körperlichen Arbeit auf dem Feld, in den Wäldern, die andernorts längst Maschinen übernommen haben; Kinder, die schmutzig, in Lumpen, ohne Schuhwerk des Weges ziehen, Verlierer von Anbeginn; Menschen, die fest in einer archaischen Welt der Entbehrungen verwurzelt zu sein scheinen, andere, die es sichtlich leichter und doch schwer haben, in einer rabiaten Moderne ihre Identität zu behaupten.
Gaudlitz ist nicht darauf aus, die Menschen mit einem Schnappschuss zu erlegen oder in ein ästhetisches Konzept von ausgesuchter Originalität zu bannen. Er zeigt die Bewohner des Donauraumes mit ihren Eigenheiten und Reichtümern, in ihrer Armut, Bedrängnis und ihrem Versuch, wider alle Anfechtungen Würde zu bewahren. Aus seiner Recherche ist ein bewegender Fotoband hervorgegangen, der nicht genug gerühmt werden kann; auch für die Textbeiträge von Karl Schlögel, Jule Reuter und Günter Schödl sowie den frappierend günstigen Preis. Wer bei den Sonntagspredigten zur europäischen Einheit schon lange nicht mehr zuhört, aber das europäische Antlitz kennenlernen möchte: hier kann er es entdecken. KARL-MARKUS GAUSS
FRANK GAUDLITZ: Warten auf Europa. Begegnungen an der Donau. Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2006. 195 Seiten, 19,80 Euro.
Wolfgang Doppler jun., 26 Jahre, Linz Foto: Aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2006

Europa ist meine Leinwand
Menschen an der Donau Von Michael Jeismann

Seit der Ost-Erweiterung der Europäischen Union, die in der Nacht zum 1. Mai 2004 überall in Europa gefeiert wurde, sind im politischen Europa andere Menschen zu Hause, Menschen, denen man andere Biographien und Erfahrungen und womöglich auch andere Hoffnungen ansieht als jene, die wir aus dem alten Europa vor dem Fall der Mauer kennen. Und wenn diese Menschen, ihre Gesichter und Haltungen, eines Tages europäisch gleichgemacht sein sollten, so gibt es immer noch jenen europäischen Raum, der politisch bislang nicht integriert ist.

Es ist nicht nur eine andere Naturlandschaft, nicht nur eine andere politische Kultur, aus der sie kommen, sondern auch eine andere Seelenlandschaft mit erstaunlichen graduellen Unterschieden von Land zu Land. Und wer noch den Blick von den eigenen Sorgen und Befindlichkeiten heben kann, der schaue in diese Gesichter. Es ist nicht sicher, daß ihre Sprache für den Betrachter zu entziffern ist, aber sofort wird er etwas entdecken, was er aus der Welt der westlichen Masken kaum mehr kennt. Eine Deutlichkeit des Ausdrucks, ein nachdrückliches Für-Sich-Sein, das sich nicht ausstellt, aber mit ruhigem Trotz auf seiner Existenz besteht. Wer in die Gesichter schaut, ist schon unterwegs und begegnet Schicksalen statt Karriereleitern.

Die Bilder indes taugen in keiner Weise zu einer Idyllisierung oder gar Idealisierung des armen, aber richtigen Lebens. Es ist nicht zuletzt ein Teil unserer eignen Wahrnehmung, wenn wir den Anwohnern der Donau eine Zwischenexistenz in Wartestellung unterstellen. Und doch schwingt etwas davon als Erwartung in den Aufnahmen mit. Dabei versteht es sich von selbst, daß diese Wartestellung länger als ein ganzes Leben dauern kann. So scheint das eine Leben in Erwartung eines anderen gelebt zu werden - ein nahezu religiöses Moment, das manche Porträts auch zu Abbildern von Märtyrern der Geschichte macht oder zu Lebenskünstlern zwischen den Gletscherspalten der Epochen, was ihrer Bodenständigkeit und ihrem Überlebenswillen viel mehr entspricht.

Diese Entdeckung ist das Verdienst des Fotografen Frank Gaudlitz, der als früherer Bürger der DDR mit den Kulturräumen Ostmitteleuropas und Osteuropas vertraut ist und zwischen 2003 und 2005 eine große Tour entlang der Donau unternommen hat. Er hielt Gesichter, Posen, Kleider und Kostüme fest. "Warten auf Europa" heißt der hintersinnige Titel des Buchs, in dem seine Fotos zu sehen sind. Begleitet wird diese Gesichterreise literarisch von Karl Schlögel, der ein Relief der neuen "Gesamt-Europäer" skizziert; von Jule Reuter Straßfurt, die als Ausstellungskuratorin zeitgenössischer Kunst und Fotografie die Begegnungsbilder von Gaudlitz für den Betrachter aufschließt; und schließlich vom Ostmitteleuropahistoriker Günter Schödl, der in der Kleinteiligkeit und in den Mischungsverhältnissen entlang der Donau ein verläßlicher Führer ist.

Die fotografische Reise von Frank Gaudlitz ist ein ethnographisch-anthropologisches Unternehmen. Es führt ihn gegen den Strom der Donau von der Mündung des nördlichen Flußarms in der Ukraine durch Moldawien, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn und die Slowakei nach Österreich bis zur Quelle in Deutschland. Gaudlitz folgt damit dem Zug der Gedanken die Donau hinauf - in den Westen, in eine Welt, von der sich die Porträtrierten ein besseres Leben erhoffen.

Vier der zehn Länder, die Gaudlitz bereiste, gehören der Europäischen Union an, zwei von ihnen erst seit 2004. Jule Reuter ordnet die ganzfigurigen Doppel- und Einzelporträts im Koordinatenfeld einer Tradition der typologischen Gesellschaftsfotografie ein von August Sander, Walker Evans, der in den dreißiger Jahren im Auftrag der Farm Security Administration Aufnahmen von der armen Landbevölkerung Alabamas machte, bis zu Bernd und Hilla Becher, die in den sechziger Jahren die Relikte einer untergehenden Industriekultur festhielten. Und sie vergleicht sie mit den Aufnahmen eines Boris Michailow, der das Leben von Obdachlosen in der Ukraine regelrecht entblößt. Im Kontrast dazu, scheint es, schreibt Jule Reuter, "als setze der Fotograf der Macht der Veränderungen, die auf den Menschen lastet oder die auf sie zukommen wird, das Moment kontemplativer Betrachtung entgegen". Vor allem aber ist an den Porträts abzulesen, daß sich die Menschen langsamer verändern als ihre Träume.

Gewiß, Frank Gaudlitz hat sich dafür entschieden, in ländlichen Gegenden zu fotografien, in denen der Fluß der Zeit ohnehin träger als anderswo fließt. Das ist aber kein Einwand gegen die Wahrheit seiner Bilder. Denn das, was der Westeuropäer auf den ersten Blick als ein wenig "schräg" bezeichnen würde, findet sich auch in den ländlichen Gegenden Österreichs oder Deutschlands. Was den Bildern besondere Spannung verleiht und sie etwa von den Studien Walkers unterscheidet, ist ein Riß in der Existenz: Einerseits sind die Porträtierten ganz bei sich, sie tragen aber andererseits und gleichzeitig alle Anzeichen eines Wunsches nach Anderswo.

So wie die Dame im Kostüm und mit Hut auf der Landstraße seltsam heimatlos wirkt, gerade so, als wandle sie soeben die Straße ihrer Phantasie entlang. Und tatsächlich zeigen manche Aufnahmen etwas Traumwandlerisches, ohne es bloßstellen zu wollen. Vielmehr sind die Fotos von Empathie geprägt, die Verständnis wecken für die Menschen an den Rändern Europas, an den Rändern der Gesellschaft überhaupt - was manchmal sehr ähnlich aussieht. Günter Schödl macht darauf aufmerksam, wie vielgestaltig die Gesellschaften sind und wie sie sich auf Europa beziehen, um einen Zustand jenseits von nationalstaatlicher Einschmelzung oder von Separatismus zu erreichen. Jedenfalls: Was Glamour oder Schick oder Stärke sein soll, weist in jene Welt, auf die sie sich beziehen und die doch, was die Bewohner des Westens nur zu gut wissen, nicht mal die Hälfte der ganzen Wahrheit ist.

Das westliche Auge wird die Porträtierten vielleicht als ungeschliffen und rauh identifizieren, den Gesichtern fehlt es an jenem durchscheinend freundlichen Selbstbewußtsein, das sich einen Gesichtsausdruck für jede Situation ausleihen kann wie aus einem Fundus. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß hier die Gesichter entweder offen oder aber verschlossen sind. Und was hat die Donau mit alledem zu tun? Sie scheint nicht mehr bei den Menschen zu sein, oder sie nicht mehr bei ihr. Es ist, als flösse auch dieser Strom nach Anderswo.

"Warten auf Europa. Begegnungen an der Donau" von Frank Gaudlitz. Mit Essays von Karl Schlögel, Jule Reuter und Günter Schödl. 195 Seiten mit zahllreichen Fotos. Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2006. Gebunden, 19,80 Euro. ISBN 3-936168-318.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bewegend findet Karl-Markus Gauß den Fotoband "Warten auf Europa", den Frank Gaudlitz vorgelegt hat. Die Porträts von Bewohnern des Donauraums, die Gaudlitz auf einer dreijährigen Reise durch die zehn Staaten entlang der Donau gemacht hat, zeigen für Gauß nicht weniger als das "Gesicht Europas" und verdeutlichen zudem, dass Europa noch immer ein "Kontinent der Ungleichheit" ist. Er würdigt Gaudlitz als Meister der Dokumentarfotografie, seine Porträts von Menschen am Fluss als "wunderbare Bilder", die man nie mehr vergessen werde. Mit Lob bedenkt er auch die Textbeiträge von Karl Schlögel, Jule Reuter und Günter Schödl.

© Perlentaucher Medien GmbH