Amira Hass bislang einzige israelische Journalistin, die über die Palästinenser in den besetzten Gebieten nicht nur schreibt, sondern auch unter ihnen lebt - berichtet über das Leben im Gazastreifen. Klar und schonungslos schildert sie das palästinensische Alltagsleben und die desaströsen Folgen der israelischen Blockadepolitik. Sie beschreibt das autoritäre Regime Yassir Arafats und die Rivalitäten unter den palästinensischen Organisationen, analysiert Ziele und Auswirkungen der bisherigen israelischen Politik.
Das leidenschaftlich vorgetragene Porträt einer Gesellschaft zwischen Fatalismus und Hoffnung, zwischen Ausweglosigkeit und Überlebenswillen
Amira Hass ist eine Grenzgängerin zwischen den Fronten - als bislang einzige israelische Journalistin schreibt sie nicht nur über die Palästinenser in den besetzten Gebieten, sondern lebt auch mitten unter ihnen. Hier nun verleiht sie dem palästinensischen Alltagsleben ein Gesicht, sie dokumentiert die Rivalitäten palästinensischer Organisationen und legt die desaströsen Folgen der israelischen Blockadepolitik schonungslos offen.
Man erfährt, was es bedeutet, als Taxifahrer oder als Arzt, als Bauer, Hausfrau oder Arbeitsloser im Gazastreifen zu leben. Sie beschreibt die Wut der israelischen Besatzer ebenso wie die Selbstherrlichkeit des autoriäten Regimes Yassir Arafats. Entstanden ist damit ein bedrückend plastisches Bild jener Mischung aus Fatalismus und Hoffnung, aus Verzweiflung und Zorn, die dem israelisch-palästinensischen Konflikt immer neue Nahrung gibt.
Das leidenschaftlich vorgetragene Porträt einer Gesellschaft zwischen Fatalismus und Hoffnung, zwischen Ausweglosigkeit und Überlebenswillen
Amira Hass ist eine Grenzgängerin zwischen den Fronten - als bislang einzige israelische Journalistin schreibt sie nicht nur über die Palästinenser in den besetzten Gebieten, sondern lebt auch mitten unter ihnen. Hier nun verleiht sie dem palästinensischen Alltagsleben ein Gesicht, sie dokumentiert die Rivalitäten palästinensischer Organisationen und legt die desaströsen Folgen der israelischen Blockadepolitik schonungslos offen.
Man erfährt, was es bedeutet, als Taxifahrer oder als Arzt, als Bauer, Hausfrau oder Arbeitsloser im Gazastreifen zu leben. Sie beschreibt die Wut der israelischen Besatzer ebenso wie die Selbstherrlichkeit des autoriäten Regimes Yassir Arafats. Entstanden ist damit ein bedrückend plastisches Bild jener Mischung aus Fatalismus und Hoffnung, aus Verzweiflung und Zorn, die dem israelisch-palästinensischen Konflikt immer neue Nahrung gibt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003Tagebuch aus dem israelischen Hinterhof
Die palästinensischen Gebiete sind jener Teil des Staates, über den die jüdische Bevölkerung möglichst wenig wissen will
Es sollte nicht für lange sein. „Schreib über die Befreiung der palästinensischen Gebiete von unserer Besatzung”, trugen die Redakteure der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz” ihrer Korrespondentin Amira Hass auf. Man erwartete, dass der Übergang höchstens ein paar Jahre dauern würde. 1993 zog Hass nach Gaza, 1997 in die West Bank-Stadt Ramallah. Seit mehr als zwei Jahren herrscht dort wieder Krieg. Ramallah ist, wie fast alle palästinensischen Städte, von der israelischen Armee belagert. Amira Hass lebt und arbeitet noch immer in den palästinensischen Gebieten. Über einen „Friedensprozess” oder gar die „Befreiung” gibt es nichts mehr zu berichten.
In den Jahren ihrer Korrespondenz wurde Hass zu einer Berichterstatterin aus einem Hinterhof, von dem die Israelis lieber nicht allzu viel wüssten. Sie verlässt sich nicht auf die „Informationen aus gut unterrichteten Sicherheitskreisen”, sprich Armee und Geheimdienst. Im Gegenteil: Sie widerlegt oft genug deren Version der Ereignisse. Hass wurde auch nicht zur „Arafatologin”, wie jene „Experten”, die aus jedem Nebensatz des PLO-Chefs Yassir Arafat den „Zustand der palästinensischen Gesellschaft” ablesen.
Hass ist am Leben der Durchschnitts-Palästinenser interessiert, die weder das Glück noch die Beziehungen hatten, einen lukrativen Posten in der Autonomiebehörde zu ergattern. Sie schreibt über jene, die unter dem Macho- Gehabe der Angehörigen der Sicherheitsdienste Arafats leiden. Über die, die zermalmt werden von der Willkür der israelischen Behörden. Und über Selbstsucht und Dummheit der palästinensischen Führung, die sich um die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung wenig schert.
Die Reporterin Amira Hass kennt das Feld ihrer Berichterstattung wie kaum jemand anderes. Denn sie ist nicht nur die „einzige israelische Journalistin, die mitten unter Palästinensern lebt”, wie ihr Verlag wirbt. Sie ist die einzige Auslandskorrespondentin, die auf ein weit bequemeres Leben im westlich geprägten Israel verzichtete, um unter viel schwierigeren Bedingungen in einer dem Westen völlig fremden Gesellschaft zu wohnen.
Ihr Buch ist akribisch recherchiert, spannend erzählt und mit viel Herzblut geschrieben. Ausgewogen ist es nicht. Hass berichtet für ein israelisches Publikum, das sich in den ersten Jahren des Verhandlungsprozesses in der trügerischen Gewissheit wiegen wollte, nun würde ja „alles gut”; das in einer Mischung von Angst und Überheblichkeit eine Politik der Absperrungen guthieß, nachdem die islamisch-fundamentalistische „Hamas” seit Herbst 1994 immer wieder Selbstmordattentate verübte. Niemals wollte damals so recht verstehen, dass die Absperrungen die palästinensische Zivilbevölkerung, aber nicht die Struktur des Terrors trafen.
Das Buch entstand in den Jahren vor 1996. Es widerlegt die allzu einfache Formel, die sich viele Israelis zurechtgelegt hatten: „Wir tun alles für den Frieden, während die Palästinenser mit Gewalt antworten.” Sie schreibt, als wolle sie den Israelis immer wieder beibringen: „Versteht doch endlich, dass sie nicht nur Terroristen sind. Und wenn sie gewalttätig werden, dann oft mit gutem Grund.”
Genau darin aber liegt einer der Mängel dieses Buches. Hass hat im Laufe ihrer Arbeit Nachsicht gelernt – Nachsicht mit Menschen, die immer noch davon träumen, eines Tages ihr „Land zu befreien” und in die Dörfer zurückzukehren, aus denen sie – oder ihre Väter und Großväter – 1948 vertrieben wurden. Sie sind bereit, schnell zum Mittel der Gewalt zu greifen, weil die „Verherrlichung einer Kultur der Waffen nie aufhörte”. Und sie leben mit den Widersprüchlichkeiten einer Gesellschaft, die einerseits Selbstmordattentate gut heißt, weil sie wenigstens für einen Moment die Illusion von Stärke vermitteln – und andererseits die Rückkehr zu den Arbeitsplätzen in Israel verlangt. Das alles ist menschlich verständlich, aber politisch absurd. Und es erklärt immer noch nicht den Ausbruch der zweiten Intifada 2000. Israel habe, erklärt Hass in ihrem „Epilog für die deutsche Ausgabe”, die Mentalität eines Besatzers und die Gier nach palästinensischem Land nie abgelegt. Hätte Hass sich nicht auf ein paar Seiten Epilog beschränkt, sondern die Lücke zwischen 1996 und dem Jahr 2000 gefüllt, wäre ihr Bild wahrscheinlich sehr viel differenzierter ausgefallen. Es ist richtig, dass Israels Regierungen die jüdischen Siedler unterstützten oder sich von ihnen erpressen ließen, und parallel große Stücke palästinensischen Landes konfiszierten. Um ein vollständigeres Bild zu vermitteln, wäre es aber auch wichtig gewesen, die palästinensische Führung bei ihrer akribischen Vorbereitung auf eine neue gewalttätige Auseinandersetzung zu beobachten. Dennoch: Amira Hass ist eine der ganz Großen des Journalismus. Für alle, die verstehen wollen, wie das Leben der Palästinenser nach ihrer „Befreiung” durch den Friedensprozess wirklich aussah, ist ihr Buch Pflichtlektüre.
SYLKE
TEMPEL
AMIRA HASS: Gaza. Tage und Nächte in einem besetzten Land, C.H. Beck, München 2003. 410 Seiten, 24,90 Euro.
Sie werden immer zahlreicher und jünger: Palästinensische Jugendliche stellen die Truppen für die Intifada.
Reuters
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die palästinensischen Gebiete sind jener Teil des Staates, über den die jüdische Bevölkerung möglichst wenig wissen will
Es sollte nicht für lange sein. „Schreib über die Befreiung der palästinensischen Gebiete von unserer Besatzung”, trugen die Redakteure der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz” ihrer Korrespondentin Amira Hass auf. Man erwartete, dass der Übergang höchstens ein paar Jahre dauern würde. 1993 zog Hass nach Gaza, 1997 in die West Bank-Stadt Ramallah. Seit mehr als zwei Jahren herrscht dort wieder Krieg. Ramallah ist, wie fast alle palästinensischen Städte, von der israelischen Armee belagert. Amira Hass lebt und arbeitet noch immer in den palästinensischen Gebieten. Über einen „Friedensprozess” oder gar die „Befreiung” gibt es nichts mehr zu berichten.
In den Jahren ihrer Korrespondenz wurde Hass zu einer Berichterstatterin aus einem Hinterhof, von dem die Israelis lieber nicht allzu viel wüssten. Sie verlässt sich nicht auf die „Informationen aus gut unterrichteten Sicherheitskreisen”, sprich Armee und Geheimdienst. Im Gegenteil: Sie widerlegt oft genug deren Version der Ereignisse. Hass wurde auch nicht zur „Arafatologin”, wie jene „Experten”, die aus jedem Nebensatz des PLO-Chefs Yassir Arafat den „Zustand der palästinensischen Gesellschaft” ablesen.
Hass ist am Leben der Durchschnitts-Palästinenser interessiert, die weder das Glück noch die Beziehungen hatten, einen lukrativen Posten in der Autonomiebehörde zu ergattern. Sie schreibt über jene, die unter dem Macho- Gehabe der Angehörigen der Sicherheitsdienste Arafats leiden. Über die, die zermalmt werden von der Willkür der israelischen Behörden. Und über Selbstsucht und Dummheit der palästinensischen Führung, die sich um die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung wenig schert.
Die Reporterin Amira Hass kennt das Feld ihrer Berichterstattung wie kaum jemand anderes. Denn sie ist nicht nur die „einzige israelische Journalistin, die mitten unter Palästinensern lebt”, wie ihr Verlag wirbt. Sie ist die einzige Auslandskorrespondentin, die auf ein weit bequemeres Leben im westlich geprägten Israel verzichtete, um unter viel schwierigeren Bedingungen in einer dem Westen völlig fremden Gesellschaft zu wohnen.
Ihr Buch ist akribisch recherchiert, spannend erzählt und mit viel Herzblut geschrieben. Ausgewogen ist es nicht. Hass berichtet für ein israelisches Publikum, das sich in den ersten Jahren des Verhandlungsprozesses in der trügerischen Gewissheit wiegen wollte, nun würde ja „alles gut”; das in einer Mischung von Angst und Überheblichkeit eine Politik der Absperrungen guthieß, nachdem die islamisch-fundamentalistische „Hamas” seit Herbst 1994 immer wieder Selbstmordattentate verübte. Niemals wollte damals so recht verstehen, dass die Absperrungen die palästinensische Zivilbevölkerung, aber nicht die Struktur des Terrors trafen.
Das Buch entstand in den Jahren vor 1996. Es widerlegt die allzu einfache Formel, die sich viele Israelis zurechtgelegt hatten: „Wir tun alles für den Frieden, während die Palästinenser mit Gewalt antworten.” Sie schreibt, als wolle sie den Israelis immer wieder beibringen: „Versteht doch endlich, dass sie nicht nur Terroristen sind. Und wenn sie gewalttätig werden, dann oft mit gutem Grund.”
Genau darin aber liegt einer der Mängel dieses Buches. Hass hat im Laufe ihrer Arbeit Nachsicht gelernt – Nachsicht mit Menschen, die immer noch davon träumen, eines Tages ihr „Land zu befreien” und in die Dörfer zurückzukehren, aus denen sie – oder ihre Väter und Großväter – 1948 vertrieben wurden. Sie sind bereit, schnell zum Mittel der Gewalt zu greifen, weil die „Verherrlichung einer Kultur der Waffen nie aufhörte”. Und sie leben mit den Widersprüchlichkeiten einer Gesellschaft, die einerseits Selbstmordattentate gut heißt, weil sie wenigstens für einen Moment die Illusion von Stärke vermitteln – und andererseits die Rückkehr zu den Arbeitsplätzen in Israel verlangt. Das alles ist menschlich verständlich, aber politisch absurd. Und es erklärt immer noch nicht den Ausbruch der zweiten Intifada 2000. Israel habe, erklärt Hass in ihrem „Epilog für die deutsche Ausgabe”, die Mentalität eines Besatzers und die Gier nach palästinensischem Land nie abgelegt. Hätte Hass sich nicht auf ein paar Seiten Epilog beschränkt, sondern die Lücke zwischen 1996 und dem Jahr 2000 gefüllt, wäre ihr Bild wahrscheinlich sehr viel differenzierter ausgefallen. Es ist richtig, dass Israels Regierungen die jüdischen Siedler unterstützten oder sich von ihnen erpressen ließen, und parallel große Stücke palästinensischen Landes konfiszierten. Um ein vollständigeres Bild zu vermitteln, wäre es aber auch wichtig gewesen, die palästinensische Führung bei ihrer akribischen Vorbereitung auf eine neue gewalttätige Auseinandersetzung zu beobachten. Dennoch: Amira Hass ist eine der ganz Großen des Journalismus. Für alle, die verstehen wollen, wie das Leben der Palästinenser nach ihrer „Befreiung” durch den Friedensprozess wirklich aussah, ist ihr Buch Pflichtlektüre.
SYLKE
TEMPEL
AMIRA HASS: Gaza. Tage und Nächte in einem besetzten Land, C.H. Beck, München 2003. 410 Seiten, 24,90 Euro.
Sie werden immer zahlreicher und jünger: Palästinensische Jugendliche stellen die Truppen für die Intifada.
Reuters
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