Fritz Saxls kunst- und bildhistorische Arbeiten standen bislang im Schatten seines Wirkens für Aby Warburg, für die Kulturwissenschaftliche Bibliothek in Hamburg und für das Warburg Institute in London nach der Emigration. Saxls Tätigkeiten als Leiter, Organisator und produktiver Herausgeber haben allzu oft den Blick auf seine Deutungen verstellt. Die beiden hier vorgestellten Texte Saxls, »Frühes Christentum und spätes Heidentum in ihren künstlerischen Ausdrucksformen« von 1923 sowie »Die Ausdrucksgebärden der bildenden Kunst« von 1932, zeigen seinen eigenständigen Blickwinkel. Beide Abhandlungen konzipierte Saxl in Auseinandersetzung mit und über Warburg, dessen zentrale Gedanken er aufnahm und weiter ausgestaltete. Von besonderer Aktualität erweisen sich hier das Thema der Bildwanderung zwischen kulturell hoch differenzierten Zusammenhängen sowie die Ausdrucksformen von Gestik und Gebärde. Die Abhandlung von 1923 legt eine ikonographisch ausgerichtete Bildbeobachtung nahe,doch Saxl durchdenkt das Material tiefer: Die warburgschen Überlegungen zum Denkraum zwischen Objekt und Betrachter und der Beruhigung im Zustand der Besonnenheit nimmt Saxl auf und wendet sie auf die Berührungsflächen zwischen spätantiker und frühchristlicher Bildsprache an. Der Darstellung von Gesten kommt hierbei eine hohe Bedeutung zu, wie sie in der Abhandlung von 1932 dann zentral werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2012Um Bilder unserer selbst ist eben nicht herumzukommen
Im Schatten Warburgs und Panofskys: Fritz Saxl folgt Ausdrucksmotiven auf ihrem Weg über Kulturgrenzen und gibt der heutigen Bildwissenschaft damit einige Winke
Fritz Saxl ist im deutschsprachigen Raum vornehmlich als jemand bekannt, der berühmteren Männern zugearbeitet hat. Er wurde 1913 Assistent bei Aby Warburg und betreute dessen Bibliothek, die er zu einer renommierten Institution ausbauen und nach 1933 ins Londoner Exil retten konnte. Und auch für Erwin Panofsky war er eine große Hilfe bei der Abfassung verschiedener Studien, vor allem der großen Untersuchung über Dürers Kupferstich "Melencolia I", die zuerst 1923 und 1964 noch einmal in einer stark erweiterten Fassung erschien. Saxls eigene Schriften sind hierzulande bisher jedoch nur von wenigen Spezialisten beachtet worden.
Nun liegen aber zwei seiner Aufsätze in einer Publikation vor. Beim ersten, der zuerst 1923 veröffentlicht wurde, handelt es sich um eine Untersuchung der Wanderung von Bildmotiven, die in der Zeit der Spätantike und des frühen Christentums aus ihrem jeweiligen Kontext herausgelöst, in einen anderen übernommen und dort abgewandelt wurden. So griff man zum Beispiel bei Bildnissen des Apostels Paulus auf Darstellungen griechischer Philosophen zurück, wobei man deren plastisch-diesseitige Gestaltungsweise dann aber zunehmend zugunsten einer "symbolisch-orientalischen" Auffassung veränderte. Zu weiteren von Saxl analysierten Beispielen gehören unter anderem Bilder, die für den Mithraskult von Bedeutung waren, sowie altpersische Darstellungen des Zusammenhangs von irdischer Herrschaft mit dem Lauf der Gestirne.
Der Nachweis der dabei immer wieder festzustellenden Migration von Bildern aus der einen Kultur in eine andere und der damit verbundenen Transformationen ist, wie der Herausgeber Pablo Schneider betont, in unserer heutigen Welt der globalen Bildzirkulation vor allem methodisch von hohem Interesse. Deshalb wählte er als zweiten Text wohl auch einen 1932 publizierten Vortrag, in dem sich Saxl ausdrücklich mit Fragen der kunstwissenschaftlichen Methode befasst. Hier konzentriert sich seine Argumentation - ganz im Sinne der programmatischen Ausrichtung der Warburgschen Bibliothek - speziell auf Bilder, denen man einen besonderen Ausdrucksgehalt zuschreiben kann.
Psychische Zustände äußern sich bekanntlich nicht mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der heißer Dampf entsteht, wenn man Wasser zum Kochen bringt. Wer traurig oder verzweifelt ist, wird vielleicht weinen, aber vielleicht auch nicht und sich womöglich sogar ein Lächeln abzwingen, und dementsprechend wird sich auch seine innere Befindlichkeit in jeweils verschiedener Weise ausprägen. Wenn sich Gemütsverfassungen aber schon im alltäglichen Leben in sehr unterschiedlichen Ausdrucksformen realisieren, die sich zudem danach richten, ob und wie sie von anderen verstanden werden, dann gilt umso mehr für die Kunst, dass ihr die Formen, in denen sie menschliche Regungen zur Darstellung bringen möchte, nicht einfach vorgegeben sind. Die Kunst muss sie erfinden. Und wenn sie das tut, dann erfindet sie, so Saxl, letztlich auch neue Emotionen und Affekte, denn diese bilden sich niemals unabhängig von den Formen ihrer Äußerung. Die Kunst bietet uns nicht nur visuellen Genuss oder intellektuelle Anregung, sie führt uns auch Modelle für unser eigenes Fühlen und Handeln vor Augen und leistet so einen wesentlichen Beitrag zur Inszenierung unserer Identität.
Angesichts der Themen, die in den beiden Aufsätzen behandelt werden, kann die Publikation auch einer erweiterten Legitimierung der Bildwissenschaft dienen. Bilder, so wurde von ihren Vertretern vielfach hervorgehoben, eignen sich keineswegs nur zur Veranschaulichung und Vermittlung von theoretischen Einsichten, sie leisten vielmehr einen konstitutiven Beitrag zur Hervorbringung dieser Einsichten selbst.
In diesem Sinne betonte auch die Kunst in letzter Zeit gern ihre erkenntnisstiftende Funktion. Doch anscheinend verliert das Argument von der kognitiven Potenz der Bilder allmählich seine Durchschlagskraft, und zwar nicht etwa deshalb, weil es niemanden mehr überzeugt, sondern deshalb, weil ohnehin schon alle überzeugt sind. Deshalb ist es hilfreich, sich von Saxl daran erinnern zu lassen, dass Bilder auch noch andere Qualitäten haben, die von der Bildwissenschaft genauer erforscht werden sollten.
Dabei kann die Bildwissenschaft ihre Zuständigkeit sogar für zwei Gebiete erweisen, die für das Denken der Gegenwart von zentraler Bedeutung sind. Zum einen vermag sie einen Beitrag zur Erforschung transkultureller Beziehungen zu liefern, zum Beispiel derjenigen zwischen dem alten Europa und dem Nahen Osten, wie sie in Saxls erstem Aufsatz untersucht werden. Und zum anderen kann sie - in Fortführung der Überlegungen aus Saxls zweitem Aufsatz - verdeutlichen, wie sehr unsere individuelle Identität von Bildern bestimmt wird, in denen wir uns wiedererkennen wollen. Sollte sich die Kompetenz der Bildwissenschaft auch in diesen beiden Feldern bewähren, müssen wir uns über ihre Zukunft keine Sorgen machen.
KARLHEINZ LÜDEKING
Fritz Saxl: "Gebärde, Form, Ausdruck". Zwei Untersuchungen.
Hrsg. von Pablo Schneider. diaphanes Verlag, Zürich 2012. 144 S., Abb., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Schatten Warburgs und Panofskys: Fritz Saxl folgt Ausdrucksmotiven auf ihrem Weg über Kulturgrenzen und gibt der heutigen Bildwissenschaft damit einige Winke
Fritz Saxl ist im deutschsprachigen Raum vornehmlich als jemand bekannt, der berühmteren Männern zugearbeitet hat. Er wurde 1913 Assistent bei Aby Warburg und betreute dessen Bibliothek, die er zu einer renommierten Institution ausbauen und nach 1933 ins Londoner Exil retten konnte. Und auch für Erwin Panofsky war er eine große Hilfe bei der Abfassung verschiedener Studien, vor allem der großen Untersuchung über Dürers Kupferstich "Melencolia I", die zuerst 1923 und 1964 noch einmal in einer stark erweiterten Fassung erschien. Saxls eigene Schriften sind hierzulande bisher jedoch nur von wenigen Spezialisten beachtet worden.
Nun liegen aber zwei seiner Aufsätze in einer Publikation vor. Beim ersten, der zuerst 1923 veröffentlicht wurde, handelt es sich um eine Untersuchung der Wanderung von Bildmotiven, die in der Zeit der Spätantike und des frühen Christentums aus ihrem jeweiligen Kontext herausgelöst, in einen anderen übernommen und dort abgewandelt wurden. So griff man zum Beispiel bei Bildnissen des Apostels Paulus auf Darstellungen griechischer Philosophen zurück, wobei man deren plastisch-diesseitige Gestaltungsweise dann aber zunehmend zugunsten einer "symbolisch-orientalischen" Auffassung veränderte. Zu weiteren von Saxl analysierten Beispielen gehören unter anderem Bilder, die für den Mithraskult von Bedeutung waren, sowie altpersische Darstellungen des Zusammenhangs von irdischer Herrschaft mit dem Lauf der Gestirne.
Der Nachweis der dabei immer wieder festzustellenden Migration von Bildern aus der einen Kultur in eine andere und der damit verbundenen Transformationen ist, wie der Herausgeber Pablo Schneider betont, in unserer heutigen Welt der globalen Bildzirkulation vor allem methodisch von hohem Interesse. Deshalb wählte er als zweiten Text wohl auch einen 1932 publizierten Vortrag, in dem sich Saxl ausdrücklich mit Fragen der kunstwissenschaftlichen Methode befasst. Hier konzentriert sich seine Argumentation - ganz im Sinne der programmatischen Ausrichtung der Warburgschen Bibliothek - speziell auf Bilder, denen man einen besonderen Ausdrucksgehalt zuschreiben kann.
Psychische Zustände äußern sich bekanntlich nicht mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der heißer Dampf entsteht, wenn man Wasser zum Kochen bringt. Wer traurig oder verzweifelt ist, wird vielleicht weinen, aber vielleicht auch nicht und sich womöglich sogar ein Lächeln abzwingen, und dementsprechend wird sich auch seine innere Befindlichkeit in jeweils verschiedener Weise ausprägen. Wenn sich Gemütsverfassungen aber schon im alltäglichen Leben in sehr unterschiedlichen Ausdrucksformen realisieren, die sich zudem danach richten, ob und wie sie von anderen verstanden werden, dann gilt umso mehr für die Kunst, dass ihr die Formen, in denen sie menschliche Regungen zur Darstellung bringen möchte, nicht einfach vorgegeben sind. Die Kunst muss sie erfinden. Und wenn sie das tut, dann erfindet sie, so Saxl, letztlich auch neue Emotionen und Affekte, denn diese bilden sich niemals unabhängig von den Formen ihrer Äußerung. Die Kunst bietet uns nicht nur visuellen Genuss oder intellektuelle Anregung, sie führt uns auch Modelle für unser eigenes Fühlen und Handeln vor Augen und leistet so einen wesentlichen Beitrag zur Inszenierung unserer Identität.
Angesichts der Themen, die in den beiden Aufsätzen behandelt werden, kann die Publikation auch einer erweiterten Legitimierung der Bildwissenschaft dienen. Bilder, so wurde von ihren Vertretern vielfach hervorgehoben, eignen sich keineswegs nur zur Veranschaulichung und Vermittlung von theoretischen Einsichten, sie leisten vielmehr einen konstitutiven Beitrag zur Hervorbringung dieser Einsichten selbst.
In diesem Sinne betonte auch die Kunst in letzter Zeit gern ihre erkenntnisstiftende Funktion. Doch anscheinend verliert das Argument von der kognitiven Potenz der Bilder allmählich seine Durchschlagskraft, und zwar nicht etwa deshalb, weil es niemanden mehr überzeugt, sondern deshalb, weil ohnehin schon alle überzeugt sind. Deshalb ist es hilfreich, sich von Saxl daran erinnern zu lassen, dass Bilder auch noch andere Qualitäten haben, die von der Bildwissenschaft genauer erforscht werden sollten.
Dabei kann die Bildwissenschaft ihre Zuständigkeit sogar für zwei Gebiete erweisen, die für das Denken der Gegenwart von zentraler Bedeutung sind. Zum einen vermag sie einen Beitrag zur Erforschung transkultureller Beziehungen zu liefern, zum Beispiel derjenigen zwischen dem alten Europa und dem Nahen Osten, wie sie in Saxls erstem Aufsatz untersucht werden. Und zum anderen kann sie - in Fortführung der Überlegungen aus Saxls zweitem Aufsatz - verdeutlichen, wie sehr unsere individuelle Identität von Bildern bestimmt wird, in denen wir uns wiedererkennen wollen. Sollte sich die Kompetenz der Bildwissenschaft auch in diesen beiden Feldern bewähren, müssen wir uns über ihre Zukunft keine Sorgen machen.
KARLHEINZ LÜDEKING
Fritz Saxl: "Gebärde, Form, Ausdruck". Zwei Untersuchungen.
Hrsg. von Pablo Schneider. diaphanes Verlag, Zürich 2012. 144 S., Abb., br., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Im Rückblick auf die beiden von Pablo Schneider herausgegebenen aus den 20er und 30er Jahren stammenden Aufsätze des Warburg-Assistenten Fritz Saxl scheint Karlheinz Lüdeking die Zukunft der Bildwissenschaft rosig. Die beiden Publikationen aus dem eher unbekannten Werk Saxls, eine zur Entkontextualisierung und Wanderung von Bildmotiven in der Spätantike und im frühen Christentum, die andere zur kunstwissenschaftlichen Methodik, erinnern den Rezensenten an die transkulturelle Verbundenheit durch Bilder und an die identitätsverändernde Kraft der Kunst. Eine Leistung der Bildwissenschaft, die Lüdeking höchst anerkennenswert erscheint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Anscheinend verliert das Argument von der kognitiven Potenz der Bilder allmählich seine Durchschlagskraft. Deshalb ist es hilfreich, sich von Saxl daran erinnern zu lassen, dass Bilder auch noch andere Qualitäten haben, die von der Bildwissenschaft genauer erforscht werden sollten.« Karlheinz Lüdeking, FAZ