Schrifterwerb unter den interkulturellen Bedingungen unserer -ge wollt oder nicht -zunehmend mehrsprachigen Industriegesellschaften: Fiir dieses Therna bietet der vorliegende Band einen Ansatz scheinbar von der Seite her, indem er vor allern auf die gehorlose Minderheit ab hebt. Zum geUiufigen Zusammenhang zwischen Laut und graphi schern Zeichen hinzutretend, rnarkiert die Gebarde eine weitere zu gleich produktive und konfliktreiche Dimension irn Hinblick auf Schrifterwerb, Zweisprachigkeit und "AusUinder"-Status. So wenig unser Ansatz dabei isolierbaren linguistischen Systernproble men gilt, so wenig will er es darnit genug sein lassen, eine verdrangte Minderheit deklarnatorisch zu beschworen. Vielrnehr steht selbst bei einem so bescheidenen Unternehmen wie dern unseren immer im Hin tergrund, daB gerade das Thema Gehorlosigkeit eng mit der Geschichte der Mehrheitsgesellschaft selbst verkniipft ist: Bis ins 18. Jahrhundert hinein lediglich als Behinderte thernatisiert, sind die gehorlosen Gebar densprecherinnen und -sprecher seit zweihundert Jahren Gegenstand von Diskursen geworden, die tief ins Selbstverstandnis der modemen Gesellschaft hineinreichen. Auf den seit Diderots "Brief iiber die Taubstummen" nicht mehr abge rissenen philosophisch-anthropologischen Diskurs als solchen kann hier nicht eingegangen werden. Aber was in unserern Band als lingu istisch-kognitionspsychologische Erkenntis iiber Gebardensprache dis kutiertwird, beruht auf dern Fortgang dieses Diskurses, bei dem zuneh mend nicht physiologische Defizite und Kompensationsleistungen irn Mittelpunkt stehen, sondern die erstaunliche Sprachleistung, die von den Gehorlosen irn Medium der von ihnen benutzten und tradierten Gebardensprache erbracht wird. Vor allern durch Forschungen in den USA ist in den letzten 20 Jahren der volle grarnrnatische Wert dieser ei gentiirnlichen Sprache herausgearbeitet worden.
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