Produktdetails
- Verlag: Herder, Freiburg
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 159
- Abmessung: 19mm x 125mm x 204mm
- Gewicht: 255g
- ISBN-13: 9783451263859
- ISBN-10: 3451263858
- Artikelnr.: 24128779
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.1997Von der Freiheit eines Christenmenschen
Die Bekenntnisse des Moraltheologen Bernhard Häring
Der bald fünfundachtzigjährige Redemptoristenpater und Moraltheologe Bernhard Häring stellt seine Lebensgeschichte als Glaubensgeschichte, als "Geschichte meiner Glaubenserfahrungen inmitten der Fährnisse des Lebens" dar, die bei seinen "tiefgläubigen und glaubensfrohen Eltern" beginnt, denen zwölf Kinder - Bernhard war das vorletzte - geschenkt waren. Häring sieht in seinem Leben keine Zufälle walten, sondern hinter allem, was geschieht, die Vorsehung Gottes, der gegenüber er nur eines kannte: bedingungslosen Gehorsam. Die göttliche Vorsehung verspürte der Pater besonders deutlich in den Jahren des Krieges, den er als Sanitäter der Wehrmacht bei Einsätzen in Deutschland, Frankreich, Polen und Rußland mit einer leichten Verwundung überlebte. Wo es nur möglich war, betätigte Häring sich auch als Seelsorger, für die Soldaten ebenso wie für die Zivilbevölkerung. Sein pastorales Interesse kannte keine konfessionellen Grenzen. Mit Selbstverständlichkeit hielt er Bibelabende für evangelische Christen und taufte orthodoxe Kinder.
Häring verspürte schon zu Beginn seines Theologiestudiums den Wunsch in sich, Missionar zu werden. Doch seine Ordensoberen wollten ihn als Dozenten für Moraltheologie sehen. Sogleich nach dem Krieg begann der Pater bei Theodor Steinbüchel in Tübingen das Promotionsstudium und beendete es nur zwei Jahre später mit großem Erfolg. Aus Unzufriedenheit mit den Lehrbüchern seiner Disziplin hatte er schon in der Studienzeit begonnen, ein mehrbändiges Lehrbuch zu erarbeiten, das 1954 unter dem Titel "Das Gesetz Christi" (drei Bände) zu erscheinen begann, mehrere Auflagen erlebte und in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Allein schon der Titel "Frei in Christus" (1979 bis 1981), den er der ebenfalls drei Bände umfassenden grundlegenden Überarbeitung (1979 bis 1981) gab, zeigt den Grundsatz an, unter den er die gesamte Morallehre gestellt sehen wollte.
Neben der Lehrtätigkeit an der Ordenshochschule in Gars begann Häring 1950 an der von ihm mitbegründeten Academia Alfonsiana in Rom, einem Institut zur Heranbildung künftiger Morallehrer, Religionssoziologie und Moraltheologie zu dozieren. Daß er ungewohnte Wege einschlug, zeigte sich, als er den Studenten Kurse wie diese anbot: "Bekehret euch und glaubt an das Evangelium" und "Was katholische Moraltheologie von den Orthodoxen und den aus der Reformation hervorgehenden Kirchen lernen kann". Kein Wunder, daß der Redemptorist bei manchen Hörern in den Verdacht eines "Kryptoprotestanten" geriet. Doch für Häring galt lebenslang der Grundsatz: "Lernbereitschaft bringt gegenseitige Bereicherung."
Im Zentrum von Härings moraltheologischen Bemühungen stand stets die Frage nach Jesus von Nazareth. Jesus ist für ihn der "Menschensohn", das heißt "Einer-von-uns", ferner der "Sohn Gottes", das heißt "die unüberbietbare Offenbarung und Zusage des Vaters an uns", und "der Prophet", das heißt "der gewaltfreie, aber auch machtvolle Entlarver aller falschen Gottesbilder und jeder Verfälschung der Religion, der vollkommene Anbeter im Geist und in der Wahrheit". Charakteristisch für Härings Moraltheologie ist der Vorrang des Glaubens und der Gnade vor dem Gesetz in Moral und Pastoral. Dies verlangte allerdings eine völlige Erneuerung der traditionellen Moraldoktrin, über die Häring ein vernichtendes Urteil fällte: "Die oft sinnlose Überbetonung banaler Gesetzlichkeiten verarmt seelisch, macht verkrampft und sogar krank und blockiert die Glaubensfreude, die doch unsere wahre Kraft ist." Ausgangspunkt für alle Antworten ist für Häring immer die Barmherzigkeit Gottes, die vor allem im Beichtstuhl aufleuchten soll.
Aufschlußreich ist vor allem das Kapitel "Die Herausforderung des Konzils". Häring gehörte von der ersten Stunde an zu den vom Papst ernannten Konsultoren. Mit Freundlichkeit, aber auch mit Bestimmtheit verfolgte er das Aggiornamento-Anliegen von Papst Johannes XXIII. auch als sein moraltheologisches Programm: nämlich "die umfassende Inkulturation des Evangeliums in höchstmöglicher Treue zum Evangelium selbst". Als seinen Hauptbeitrag im Konzil sieht er die Mitarbeit als Redaktionssekretär an der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", dem am weitesten in die Zukunft weisenden Konzilsdokument.
Gerade weil Häring über das Gesamtresultat des Konzils beglückt war, empfand er die wenige Jahre später von Paul VI. in der Enzyklika "Humanae vitae" (1968) getroffene Entscheidung über die Geburtenregelung als "Zäsur", das heißt als einen schweren Schlag gegen das Konzil. Der Papst stellte sich bekanntlich nicht hinter das Mehrheitsvotum der von ihm selbst eingesetzten Kommission, sondern befürwortete das Votum der Minderheit, die sich gegen jede Art von künstlichen Verhütungsmitteln ausgesprochen hatte. Verwundert schreibt Häring: "Wer hätte gedacht, daß der Papst sich der Meinung einer kleinen Minderheit anschließen würde!" Vom ersten Augenblick an ließ er keinen Zweifel daran, daß in dieser heiklen Angelegenheit dem Gewissen des einzelnen die letzte Entscheidung zukommen müsse: "Jeder Katholik muß sich vor Gott ehrlich prüfen, ob er im Gewissen der Norm von ,Humanae vitae' zustimmen kann. Und wenn ja, so muß er sich alle Mühe geben, sein Ja in die Tat umzusetzen. Wer sich nach gründlicher Besinnung vor Gott nicht überzeugen kann, daß die Norm richtig und lebbar ist, soll seinem ehrlichen Gewissen folgen." Aber das sei in keiner Weise ein Grund, aus der Kirche auszutreten. Diesen klaren Standpunkt vertrat Häring erst vor wenigen Jahren wieder mit der bei ihm gewohnten Entschiedenheit, als der römische Moraltheologe Carlo Caffarra auf einem Kongreß von Moraltheologen in Rom künstliche Geburtenregelung und Mord auf ein und dieselbe Stufe stellte. Da auch der jetzige Papst Johannes Paul II. voll und ganz hinter "Humanae vitae" steht, überrascht es nicht, zu lesen, daß er schon als Kardinal Wojtyla Papst Paul VI. zur Entscheidung im Sinn der Enzyklika geraten habe.
Das andere schwelende Problem der Kirche, das Gesetz des Priesterzölibats, gehört zu Härings spezieller Heilssorge für die Priester und Priesteramtskandidaten. Er bedauert den harten Umgang mit den wegen dieses Gesetzes gescheiterten Priestern, und zwar um so mehr, als "man angesichts von stolzen, hartherzigen, ehrsüchtigen und despotischen Priestern gar nicht daran denkt, dies ein Scheitern zu nennen". Das im italienischen Konkordat von 1929 enthaltene Verbot, "Ex-Priester" in den Staatsdienst zu übernehmen, rechnet Häring zu dem "absolut unevangelischen, unbarmherzigen System von Sanktionen", ebenso die Bestimmung, daß heiratswillige Priester erst nach dem 40. Lebensjahr mit "Laisierung" rechnen dürfen. Wie Häring für die Möglichkeit von verheirateten Männern zur Weihe eintritt, so plädiert er für Barmherzigkeit gegenüber Geschiedenen und Wiederverheirateten. Seine Unterschrift fehlt nicht bei Initiativen wie der "Kölner Erklärung" oder dem "Kirchenvolksbegehren", die folgenschwere Defizite gegenüber der Kirchenleitung beklagen. Wer ihn deshalb der Illoyalität bezichtigen möchte, erhält von ihm zur Antwort: "In unserer pluralistisch geprägten Zeit sind jene Katholiken, die in allem konformistisch denken und zu allem ja sagen, was von Rom kommt, sicherlich keine Beispiele, daß Christen ,Salz der Erde' sein sollen." Und angesichts des besonderen Treueeides, der erst seit kurzer Zeit nicht bloß von Bischöfen, sondern auch von den Theologen gefordert wird, bemerkt Häring: "Man stelle sich einmal vor, was mit dem ganzen ,Unternehmen Theologie' geschähe, wenn wir alle darauf eingingen!"
Neben seinen Lehrveranstaltungen in Rom hat Häring rund neunzig Bücher geschrieben und ungezählte Vorträge, Kurse und Exerzitien in der ganzen Welt gehalten. Über alles aber geht ihm der Dienst des Beichtvaters, weil er in dieser Funktion den Menschen am wirkungsvollsten helfen zu können meint. Häring trägt keinerlei Bedenken, seine Erkrankung an Kehlkopfkrebs - bei der letzten Operation im Jahre 1980 wurden ihm der Kehlkopf und der obere Teil der Luftröhre entfernt - mit seinen Konflikten mit der Kongregation für die Glaubenslehre in Verbindung zu bringen. "So brach dann in den Jahren, in denen sich das Lehrverfahren hinzog, bei mir der Kehlkopfkrebs aus (1977). War er nicht eine Art Antwort des Körpers, wenn es einem ,an die Kehle gehen' soll?"
Auf ein persönliches Versagen weist Häring selbst hin, wenn es um das Problem von Kirche und Nationalsozialismus geht. Zum Widerstand der Kirche im Dritten Reich urteilt er: "Rückblickend meine ich oft, daß ich mit einer gewissen Tendenz zum Verdrängen versuchte, über den mangelnden Mut so vieler Kirchenmänner hinwegzukommen." Konkreter noch: "Mutige Äußerungen von Bischöfen gegen das Hitler-Regime erlebte ich als große Ermunterung. Doch - gegenüber Versäumnissen zaghafter Bischöfe war ich auf einem Auge blind."
Ein mutiges, ein ehrliches, ein tröstendes Buch. Wer es liest, wird die Kirche weder verherrlichen noch verdammen; er wird sie nehmen als das, was sie ist: sündig und heilig zugleich, und er wird ihr trotz aller Mängel und Fehler, die er an ihr entdeckt, nicht den Rücken kehren, weil er selber nicht anders beschaffen ist, nämlich gut und böse zugleich. GEORG DENZLER
Bernhard Häring: "Geborgen und frei". Mein Leben. Verlag Herder, Freiburg 1997. 159 S., geb., 26,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Bekenntnisse des Moraltheologen Bernhard Häring
Der bald fünfundachtzigjährige Redemptoristenpater und Moraltheologe Bernhard Häring stellt seine Lebensgeschichte als Glaubensgeschichte, als "Geschichte meiner Glaubenserfahrungen inmitten der Fährnisse des Lebens" dar, die bei seinen "tiefgläubigen und glaubensfrohen Eltern" beginnt, denen zwölf Kinder - Bernhard war das vorletzte - geschenkt waren. Häring sieht in seinem Leben keine Zufälle walten, sondern hinter allem, was geschieht, die Vorsehung Gottes, der gegenüber er nur eines kannte: bedingungslosen Gehorsam. Die göttliche Vorsehung verspürte der Pater besonders deutlich in den Jahren des Krieges, den er als Sanitäter der Wehrmacht bei Einsätzen in Deutschland, Frankreich, Polen und Rußland mit einer leichten Verwundung überlebte. Wo es nur möglich war, betätigte Häring sich auch als Seelsorger, für die Soldaten ebenso wie für die Zivilbevölkerung. Sein pastorales Interesse kannte keine konfessionellen Grenzen. Mit Selbstverständlichkeit hielt er Bibelabende für evangelische Christen und taufte orthodoxe Kinder.
Häring verspürte schon zu Beginn seines Theologiestudiums den Wunsch in sich, Missionar zu werden. Doch seine Ordensoberen wollten ihn als Dozenten für Moraltheologie sehen. Sogleich nach dem Krieg begann der Pater bei Theodor Steinbüchel in Tübingen das Promotionsstudium und beendete es nur zwei Jahre später mit großem Erfolg. Aus Unzufriedenheit mit den Lehrbüchern seiner Disziplin hatte er schon in der Studienzeit begonnen, ein mehrbändiges Lehrbuch zu erarbeiten, das 1954 unter dem Titel "Das Gesetz Christi" (drei Bände) zu erscheinen begann, mehrere Auflagen erlebte und in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Allein schon der Titel "Frei in Christus" (1979 bis 1981), den er der ebenfalls drei Bände umfassenden grundlegenden Überarbeitung (1979 bis 1981) gab, zeigt den Grundsatz an, unter den er die gesamte Morallehre gestellt sehen wollte.
Neben der Lehrtätigkeit an der Ordenshochschule in Gars begann Häring 1950 an der von ihm mitbegründeten Academia Alfonsiana in Rom, einem Institut zur Heranbildung künftiger Morallehrer, Religionssoziologie und Moraltheologie zu dozieren. Daß er ungewohnte Wege einschlug, zeigte sich, als er den Studenten Kurse wie diese anbot: "Bekehret euch und glaubt an das Evangelium" und "Was katholische Moraltheologie von den Orthodoxen und den aus der Reformation hervorgehenden Kirchen lernen kann". Kein Wunder, daß der Redemptorist bei manchen Hörern in den Verdacht eines "Kryptoprotestanten" geriet. Doch für Häring galt lebenslang der Grundsatz: "Lernbereitschaft bringt gegenseitige Bereicherung."
Im Zentrum von Härings moraltheologischen Bemühungen stand stets die Frage nach Jesus von Nazareth. Jesus ist für ihn der "Menschensohn", das heißt "Einer-von-uns", ferner der "Sohn Gottes", das heißt "die unüberbietbare Offenbarung und Zusage des Vaters an uns", und "der Prophet", das heißt "der gewaltfreie, aber auch machtvolle Entlarver aller falschen Gottesbilder und jeder Verfälschung der Religion, der vollkommene Anbeter im Geist und in der Wahrheit". Charakteristisch für Härings Moraltheologie ist der Vorrang des Glaubens und der Gnade vor dem Gesetz in Moral und Pastoral. Dies verlangte allerdings eine völlige Erneuerung der traditionellen Moraldoktrin, über die Häring ein vernichtendes Urteil fällte: "Die oft sinnlose Überbetonung banaler Gesetzlichkeiten verarmt seelisch, macht verkrampft und sogar krank und blockiert die Glaubensfreude, die doch unsere wahre Kraft ist." Ausgangspunkt für alle Antworten ist für Häring immer die Barmherzigkeit Gottes, die vor allem im Beichtstuhl aufleuchten soll.
Aufschlußreich ist vor allem das Kapitel "Die Herausforderung des Konzils". Häring gehörte von der ersten Stunde an zu den vom Papst ernannten Konsultoren. Mit Freundlichkeit, aber auch mit Bestimmtheit verfolgte er das Aggiornamento-Anliegen von Papst Johannes XXIII. auch als sein moraltheologisches Programm: nämlich "die umfassende Inkulturation des Evangeliums in höchstmöglicher Treue zum Evangelium selbst". Als seinen Hauptbeitrag im Konzil sieht er die Mitarbeit als Redaktionssekretär an der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes", dem am weitesten in die Zukunft weisenden Konzilsdokument.
Gerade weil Häring über das Gesamtresultat des Konzils beglückt war, empfand er die wenige Jahre später von Paul VI. in der Enzyklika "Humanae vitae" (1968) getroffene Entscheidung über die Geburtenregelung als "Zäsur", das heißt als einen schweren Schlag gegen das Konzil. Der Papst stellte sich bekanntlich nicht hinter das Mehrheitsvotum der von ihm selbst eingesetzten Kommission, sondern befürwortete das Votum der Minderheit, die sich gegen jede Art von künstlichen Verhütungsmitteln ausgesprochen hatte. Verwundert schreibt Häring: "Wer hätte gedacht, daß der Papst sich der Meinung einer kleinen Minderheit anschließen würde!" Vom ersten Augenblick an ließ er keinen Zweifel daran, daß in dieser heiklen Angelegenheit dem Gewissen des einzelnen die letzte Entscheidung zukommen müsse: "Jeder Katholik muß sich vor Gott ehrlich prüfen, ob er im Gewissen der Norm von ,Humanae vitae' zustimmen kann. Und wenn ja, so muß er sich alle Mühe geben, sein Ja in die Tat umzusetzen. Wer sich nach gründlicher Besinnung vor Gott nicht überzeugen kann, daß die Norm richtig und lebbar ist, soll seinem ehrlichen Gewissen folgen." Aber das sei in keiner Weise ein Grund, aus der Kirche auszutreten. Diesen klaren Standpunkt vertrat Häring erst vor wenigen Jahren wieder mit der bei ihm gewohnten Entschiedenheit, als der römische Moraltheologe Carlo Caffarra auf einem Kongreß von Moraltheologen in Rom künstliche Geburtenregelung und Mord auf ein und dieselbe Stufe stellte. Da auch der jetzige Papst Johannes Paul II. voll und ganz hinter "Humanae vitae" steht, überrascht es nicht, zu lesen, daß er schon als Kardinal Wojtyla Papst Paul VI. zur Entscheidung im Sinn der Enzyklika geraten habe.
Das andere schwelende Problem der Kirche, das Gesetz des Priesterzölibats, gehört zu Härings spezieller Heilssorge für die Priester und Priesteramtskandidaten. Er bedauert den harten Umgang mit den wegen dieses Gesetzes gescheiterten Priestern, und zwar um so mehr, als "man angesichts von stolzen, hartherzigen, ehrsüchtigen und despotischen Priestern gar nicht daran denkt, dies ein Scheitern zu nennen". Das im italienischen Konkordat von 1929 enthaltene Verbot, "Ex-Priester" in den Staatsdienst zu übernehmen, rechnet Häring zu dem "absolut unevangelischen, unbarmherzigen System von Sanktionen", ebenso die Bestimmung, daß heiratswillige Priester erst nach dem 40. Lebensjahr mit "Laisierung" rechnen dürfen. Wie Häring für die Möglichkeit von verheirateten Männern zur Weihe eintritt, so plädiert er für Barmherzigkeit gegenüber Geschiedenen und Wiederverheirateten. Seine Unterschrift fehlt nicht bei Initiativen wie der "Kölner Erklärung" oder dem "Kirchenvolksbegehren", die folgenschwere Defizite gegenüber der Kirchenleitung beklagen. Wer ihn deshalb der Illoyalität bezichtigen möchte, erhält von ihm zur Antwort: "In unserer pluralistisch geprägten Zeit sind jene Katholiken, die in allem konformistisch denken und zu allem ja sagen, was von Rom kommt, sicherlich keine Beispiele, daß Christen ,Salz der Erde' sein sollen." Und angesichts des besonderen Treueeides, der erst seit kurzer Zeit nicht bloß von Bischöfen, sondern auch von den Theologen gefordert wird, bemerkt Häring: "Man stelle sich einmal vor, was mit dem ganzen ,Unternehmen Theologie' geschähe, wenn wir alle darauf eingingen!"
Neben seinen Lehrveranstaltungen in Rom hat Häring rund neunzig Bücher geschrieben und ungezählte Vorträge, Kurse und Exerzitien in der ganzen Welt gehalten. Über alles aber geht ihm der Dienst des Beichtvaters, weil er in dieser Funktion den Menschen am wirkungsvollsten helfen zu können meint. Häring trägt keinerlei Bedenken, seine Erkrankung an Kehlkopfkrebs - bei der letzten Operation im Jahre 1980 wurden ihm der Kehlkopf und der obere Teil der Luftröhre entfernt - mit seinen Konflikten mit der Kongregation für die Glaubenslehre in Verbindung zu bringen. "So brach dann in den Jahren, in denen sich das Lehrverfahren hinzog, bei mir der Kehlkopfkrebs aus (1977). War er nicht eine Art Antwort des Körpers, wenn es einem ,an die Kehle gehen' soll?"
Auf ein persönliches Versagen weist Häring selbst hin, wenn es um das Problem von Kirche und Nationalsozialismus geht. Zum Widerstand der Kirche im Dritten Reich urteilt er: "Rückblickend meine ich oft, daß ich mit einer gewissen Tendenz zum Verdrängen versuchte, über den mangelnden Mut so vieler Kirchenmänner hinwegzukommen." Konkreter noch: "Mutige Äußerungen von Bischöfen gegen das Hitler-Regime erlebte ich als große Ermunterung. Doch - gegenüber Versäumnissen zaghafter Bischöfe war ich auf einem Auge blind."
Ein mutiges, ein ehrliches, ein tröstendes Buch. Wer es liest, wird die Kirche weder verherrlichen noch verdammen; er wird sie nehmen als das, was sie ist: sündig und heilig zugleich, und er wird ihr trotz aller Mängel und Fehler, die er an ihr entdeckt, nicht den Rücken kehren, weil er selber nicht anders beschaffen ist, nämlich gut und böse zugleich. GEORG DENZLER
Bernhard Häring: "Geborgen und frei". Mein Leben. Verlag Herder, Freiburg 1997. 159 S., geb., 26,80 DM.
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