Wenn Sie Amerikaner sind und schwarz, dann ist ihre Chance, von der Polizei erschossen zu werden, höher als wenn sie weiß sind. 21-mal höher. Obwohl die USA sich rühmen, ein post-rassistisches Land zu sein und sogar einen schwarzen Präsidenten gewählt haben, sitzt der Rassismus tief. Dieses zornige Buch ist die Geschichte einer nationalen Schande - so intensiv, dass es weh tut.
In einer rasanten Tour de Force erzählt der junge amerikanische Historiker Ibram X. Kendi die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika - von den Puritanern bis zu Black Lives Matter. Er zeigt, dass der Rassismus nicht nur aus den trüben Quellen von Ignoranz und Hass aufsteigt, sondern von Anfang an dazu diente, Diskriminierung zu rechtfertigen und plausibel zu machen. Sein Buch führt uns durch eine erschreckende Geschichte voller Gewalt, Dummheit und Arroganz. Die Vorstellung, dassSchwarze minderwertig sind und selber schuld an ihrer schlechten Lage, hat sich so tief in die kulturelle DNA der Vereinigten Staaten eingeschrieben, dass der Rassismus bis heute allgegenwärtig ist - das ist die bittere Bilanz dieses brillanten Buches.
In einer rasanten Tour de Force erzählt der junge amerikanische Historiker Ibram X. Kendi die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika - von den Puritanern bis zu Black Lives Matter. Er zeigt, dass der Rassismus nicht nur aus den trüben Quellen von Ignoranz und Hass aufsteigt, sondern von Anfang an dazu diente, Diskriminierung zu rechtfertigen und plausibel zu machen. Sein Buch führt uns durch eine erschreckende Geschichte voller Gewalt, Dummheit und Arroganz. Die Vorstellung, dassSchwarze minderwertig sind und selber schuld an ihrer schlechten Lage, hat sich so tief in die kulturelle DNA der Vereinigten Staaten eingeschrieben, dass der Rassismus bis heute allgegenwärtig ist - das ist die bittere Bilanz dieses brillanten Buches.
"Eine ... wuchtige und wütende Geschichte des Rassismus in den USA"
René Aguigah, Deutschlandfunk Kultur
"Ibram X. Kendi entlarvt die Vorstellung von einer postethnischen Gesellschaft als Illusion."
Boris Peter, Tagesspiegel
"Ein Buch, so schmerzhaft wie innovativ."
DIE ZEIT
René Aguigah, Deutschlandfunk Kultur
"Ibram X. Kendi entlarvt die Vorstellung von einer postethnischen Gesellschaft als Illusion."
Boris Peter, Tagesspiegel
"Ein Buch, so schmerzhaft wie innovativ."
DIE ZEIT
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2017Unterjocht
Zorniges Manifest: Der amerikanische Historiker Ibram X. Kendi verspricht die definitive Geschichte des Rassismus, liefert sie aber nicht.
Mit seiner "wahren Geschichte des Rassismus" in den Vereinigten Staaten hat der Historiker Ibram X. Kendi ein denkwürdiges, da in hohem Maße ambivalentes Buch vorgelegt. "Stamped from the Beginning", so der Originaltitel, trug ihm im vergangenen Jahr den National Book Award in der Kategorie Sachbuch ein.
Auf der einen Seite handelt es sich um eine materialreiche, gut lesbare und weit ausholende Darstellung eines finsteren Kapitels nicht allein der nordamerikanischen Geschichte - wenn man etwa bedenkt, dass das Gros der überwiegend aus Westafrika verschleppten Sklaven in Brasilien und der Karibik verkauft wurden. Dies ändert allerdings nichts an dem Leiden all jener mehr als dreihunderttausend Afrikaner, die sich am Ende ihrer Odyssee in den dreizehn britischen Festlandkolonien und dort bei weitem nicht nur im Süden der großgrundbesitzenden Plantagenaristokraten, sondern ebenso in New York, Boston und Rhode Island wiederfanden.
Die historische Forschung hat, seitdem in den fünfziger und sechziger Jahren der alte Mythos von der vergleichsweise humanen und paternalistischen angelsächsischen Sklavenhaltung, der einzig die wohlwollende Selbstsicht der Sklavenhalter wiedergab, zusammengebrochen war, herausgearbeitet, wie grausam der Umgang mit Zwangsarbeitern in den Vereinigten Staaten war.
Nicht minder bekannt ist die Gewalt, mit welcher bis weit ins zwanzigste Jahrhundert das System der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten wurde. Mehr als dreitausend Lynching-Opfer allein zwischen 1890 und 1920 sprechen da eine überdeutliche Sprache. Kendis Werk beschränkt sich nicht einfach darauf, diese altbekannten Fakten zusammenzufassen und einfach nur zu wiederholen. Er will tiefer schürfen, indem er nach den geistigen Wurzeln des Rassismus fragt. Dabei greift er bis auf die Theorien des Aristoteles über die natürliche Ungleichheit der nichtgriechischen Menschen zurück, die in späteren Jahrhunderten gerne als wissenschaftlicher Beleg für die Naturhaftigkeit der längst etablierten Institution der Sklaverei herangezogen wurden.
Zu Recht merkt er indes an, weder Aristoteles noch seine Rezipienten im Mittelalter und der Frühneuzeit seien im strengen Sinn Rassisten gewesen, da sich das Konzept fester Rasseordnungen erst im Laufe der späteren Frühneuzeit mit dem Aufkommen der marktkapitalistischen schwarzen Sklaverei in den Amerikas verdichtete, wobei britischen Theologen und Aufklärungsphilosophen eine federführende Rolle zufiel. Tatsächlich, und dies blendet Kendi sonderbarerweise aus, entwickelte sich das theologische Motiv von der Verfluchung Hams und Kanaans in Genesis 9,25 in erster Linie unter anglikanischen Theologen des achtzehnten Jahrhunderts, während katholische Theologen diese Verse lange allegorisch auf die Verfluchung der Häretiker hin deuteten, obwohl gerade Spanier und Portugiesen ein ökonomisches Interesse an der theologischen Rechtfertigung der Sklaverei gehabt hatten.
An dieser Stelle versagen Kendis mitunter etwas flache, dem Vulgärmarxismus entlehnte ökonomistische Basis-Überbau-Deutungsmittel, da er die gesamte Ideengeschichte der Rassensklaverei auf wirtschaftliche Motive zurückführt. Theologie und Kirchengeschichte sind überhaupt sowieso nicht sein Ding. So behauptet er fälschlicherweise, die Dominikanerpatres auf Hispaniola seien nach den Predigten von P. Montesinos OP gegen die Tainosklaverei von König Ferdinand nach Spanien zurückbefohlen worden, obwohl sie nur eine Delegation zum König geschickt hatten, welche dann die Schutzgesetze von 1512 initiierte. Auch neigt er dazu, protestantische Pfarrer durchweg als Priester zu bezeichnen, was weder der katholischen noch der protestantischen Lehre entspricht.
Auf deutlich sichererem Grunde bewegt er sich in seiner Kritik der Aufklärung. Zu Recht übernimmt er nicht den Mythos, Voltaire habe die Sklaverei gebilligt, denn der französische Vordenker der Aufklärung lehnte sie strikt ab. Dennoch war er, wie John Locke, David Hume und selbst Immanuel Kant fest von der jenseits jeglichem wissenschaftlichen Zweifel stehenden Überzeugung durchdrungen, die schwarze Rasse sei nicht nur häßlicher als die weiße, sondern stünde ihrem Wesen nach tief unter den Europäern. Deswegen schütteten die Aufklärer, die meist der Idee der Polygenese, der unterschiedlichen Herkunft der Menschenrassen, huldigten, kübelweise Hohn und Spott über Theologen, welche das monogenetische System verfochten, oft aber nicht minder rassistisch dachten und agierten als ihre philosophischen Widerparts.
In diesen ersten beiden Hauptteilen des in fünf Hauptabschnitte unterteilten Buches, die sich jeweils um einen zentralen Akteur gruppieren und von diesem aus das jeweilige geistige und soziale Umfeld beleuchten (Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W.E.B. DuBois und Angela Davis), liegt die ganz große Stärke des vorliegenden Buchs.
Seine Schwäche liegt darin begründet, dass es zum anderen mehr sein will als eine historische Abhandlung. Es ist aktivistisches Manifest und aufrüttelnde Anklageschrift zugleich. Kendi, der an der American University in Washington, D.C. lehrt, schreibt furios, traurig, zornig und frustriert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der toten, von Polizisten erschossenen Schwarzen der späten Obama-Ära. Insofern ist "Gebrandmarkt" der sprachgewaltige Schwanengesang auf die messianische Euphorie des Jahres 2008, gerade unter Schwarzen.
So berechtigt diese Frustration gleichwohl sein mag, sie führt bei Kendi zu argumentativen Problemen, die umso stärker hervortreten, je weiter man auf der Zeitschiene voranschreitet, und die am Ende nicht mehr allein durch Emotionen, sondern durch ideologische Voreingenommenheit erklärt werden können. Der Autor kritisiert scharf jede Form von Ungleichheit, sei sie rassisch, sozioökonomisch, ethnisch, sexuell oder sonstwie begründet. Darin vertritt er einen Individualismus, der neoliberale Züge trägt und beinahe an Maggie Thatchers berühmtes Diktum erinnert, sie kenne ausschließlich Individuen, aber keine Gesellschaft.
In der Konsequenz geht Kendi dann so weit, jedes Argument als assimilationistisch zu kritisieren, das Probleme in der black community auf objektive sozioökonomische Ungleichheiten oder subjektive kulturelle Sinn- und Bedeutungszuschreibungen zurückführt. Anstelle sozialer und kultureller Ungleichheiten tritt bei ihm ein moralischer Dezisionismus, der die Gesellschaft a priori und transhistorisch in rassistische Segregationisten, in Assimilationisten und in Anti-Rassisten einteilt, wobei Letztere die Helden seiner Geschichte stellen.
Während es nun relativ leicht ist, seiner Kritik an den Rassisten zu folgen, wirkt die Kategorie der Assimilationisten reichlich willkürlich. Im Grunde umfasst sie jeden, gleichgültig, welcher Rasse, der nicht Kendis ideologischem Programm folgt. Dies wird regelrecht zynisch, wenn selbst einem aufrechten Kämpfer wie dem schwarzen radikalen Abolitionisten David Walker rassistische Untertöne vorgeworfen werden, weil er es in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts wagte, auf die sozialpsychologischen Folgen der Sklaverei aufmerksam zu machen. Frederick Douglass und Martin Luther King ergeht es kaum besser.
Dies ist lediglich denunziatorisch, wenn altbackene klimatheoretische Erwägungen aus der Aufklärungszeit, wie sie etwa Buffon - und nicht nur gegen Schwarze - vorgelegt hatte, dazu benutzt werden, sämtliche sozioökonomischen und soziokulturellen Argumente, die auf eine Selbstkritik der black community hinauslaufen, argumentlos beiseitezuwischen. Gewiss, Kendi hat Recht, wenn er die Oberflächlichkeit neoliberal-neokonservativer Autoren kritisiert, die voreilig von einer postethnischen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten schwadronieren, aber sein Gegenentwurf wirkt mindestens ebenso hohl.
Am Ende kann der Autor seine Position nicht einmal widerspruchsfrei durchhalten, da er, wenn es um die hohe Zahl junger Schwarzer geht, die von jungen Schwarzen ermordet werden, selbst auf das Argument sozialer Benachteiligung zurückgreifen muss. Hier drängt sich der Verdacht auf, der humane Individualismus seiner Darstellung könnte nur Tarnung für einen möglicherweise unreflektierten eigenen rassistischen Essentialismus sein. Wie Kendi selbst sagt: Rassisten sagen niemals offen, dass sie Rassisten sind.
Das Buch endet mit einem Appell, der die umfassenden Ziele der Kerngruppe von Black Lives Matter aufnimmt und mehr durch Pathos als durch argumentative Integrität zu überzeugen vermag. Angesichts dieser Schwierigkeiten kann von einer "wahren" - oder wie es im Englischen heißt: "definitiven" - Geschichte des Rassismus nicht die Rede sein. Es sei denn, man betriebe Schindluder mit beiden Begriffen, dem der Geschichte und dem der Wahrheit.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER.
Ibram X. Kendi: "Gebrandmarkt".
Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Röckel und Heike Schlatterer.
C. H. Beck Verlag, München 2017. 604 S., geb., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zorniges Manifest: Der amerikanische Historiker Ibram X. Kendi verspricht die definitive Geschichte des Rassismus, liefert sie aber nicht.
Mit seiner "wahren Geschichte des Rassismus" in den Vereinigten Staaten hat der Historiker Ibram X. Kendi ein denkwürdiges, da in hohem Maße ambivalentes Buch vorgelegt. "Stamped from the Beginning", so der Originaltitel, trug ihm im vergangenen Jahr den National Book Award in der Kategorie Sachbuch ein.
Auf der einen Seite handelt es sich um eine materialreiche, gut lesbare und weit ausholende Darstellung eines finsteren Kapitels nicht allein der nordamerikanischen Geschichte - wenn man etwa bedenkt, dass das Gros der überwiegend aus Westafrika verschleppten Sklaven in Brasilien und der Karibik verkauft wurden. Dies ändert allerdings nichts an dem Leiden all jener mehr als dreihunderttausend Afrikaner, die sich am Ende ihrer Odyssee in den dreizehn britischen Festlandkolonien und dort bei weitem nicht nur im Süden der großgrundbesitzenden Plantagenaristokraten, sondern ebenso in New York, Boston und Rhode Island wiederfanden.
Die historische Forschung hat, seitdem in den fünfziger und sechziger Jahren der alte Mythos von der vergleichsweise humanen und paternalistischen angelsächsischen Sklavenhaltung, der einzig die wohlwollende Selbstsicht der Sklavenhalter wiedergab, zusammengebrochen war, herausgearbeitet, wie grausam der Umgang mit Zwangsarbeitern in den Vereinigten Staaten war.
Nicht minder bekannt ist die Gewalt, mit welcher bis weit ins zwanzigste Jahrhundert das System der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten wurde. Mehr als dreitausend Lynching-Opfer allein zwischen 1890 und 1920 sprechen da eine überdeutliche Sprache. Kendis Werk beschränkt sich nicht einfach darauf, diese altbekannten Fakten zusammenzufassen und einfach nur zu wiederholen. Er will tiefer schürfen, indem er nach den geistigen Wurzeln des Rassismus fragt. Dabei greift er bis auf die Theorien des Aristoteles über die natürliche Ungleichheit der nichtgriechischen Menschen zurück, die in späteren Jahrhunderten gerne als wissenschaftlicher Beleg für die Naturhaftigkeit der längst etablierten Institution der Sklaverei herangezogen wurden.
Zu Recht merkt er indes an, weder Aristoteles noch seine Rezipienten im Mittelalter und der Frühneuzeit seien im strengen Sinn Rassisten gewesen, da sich das Konzept fester Rasseordnungen erst im Laufe der späteren Frühneuzeit mit dem Aufkommen der marktkapitalistischen schwarzen Sklaverei in den Amerikas verdichtete, wobei britischen Theologen und Aufklärungsphilosophen eine federführende Rolle zufiel. Tatsächlich, und dies blendet Kendi sonderbarerweise aus, entwickelte sich das theologische Motiv von der Verfluchung Hams und Kanaans in Genesis 9,25 in erster Linie unter anglikanischen Theologen des achtzehnten Jahrhunderts, während katholische Theologen diese Verse lange allegorisch auf die Verfluchung der Häretiker hin deuteten, obwohl gerade Spanier und Portugiesen ein ökonomisches Interesse an der theologischen Rechtfertigung der Sklaverei gehabt hatten.
An dieser Stelle versagen Kendis mitunter etwas flache, dem Vulgärmarxismus entlehnte ökonomistische Basis-Überbau-Deutungsmittel, da er die gesamte Ideengeschichte der Rassensklaverei auf wirtschaftliche Motive zurückführt. Theologie und Kirchengeschichte sind überhaupt sowieso nicht sein Ding. So behauptet er fälschlicherweise, die Dominikanerpatres auf Hispaniola seien nach den Predigten von P. Montesinos OP gegen die Tainosklaverei von König Ferdinand nach Spanien zurückbefohlen worden, obwohl sie nur eine Delegation zum König geschickt hatten, welche dann die Schutzgesetze von 1512 initiierte. Auch neigt er dazu, protestantische Pfarrer durchweg als Priester zu bezeichnen, was weder der katholischen noch der protestantischen Lehre entspricht.
Auf deutlich sichererem Grunde bewegt er sich in seiner Kritik der Aufklärung. Zu Recht übernimmt er nicht den Mythos, Voltaire habe die Sklaverei gebilligt, denn der französische Vordenker der Aufklärung lehnte sie strikt ab. Dennoch war er, wie John Locke, David Hume und selbst Immanuel Kant fest von der jenseits jeglichem wissenschaftlichen Zweifel stehenden Überzeugung durchdrungen, die schwarze Rasse sei nicht nur häßlicher als die weiße, sondern stünde ihrem Wesen nach tief unter den Europäern. Deswegen schütteten die Aufklärer, die meist der Idee der Polygenese, der unterschiedlichen Herkunft der Menschenrassen, huldigten, kübelweise Hohn und Spott über Theologen, welche das monogenetische System verfochten, oft aber nicht minder rassistisch dachten und agierten als ihre philosophischen Widerparts.
In diesen ersten beiden Hauptteilen des in fünf Hauptabschnitte unterteilten Buches, die sich jeweils um einen zentralen Akteur gruppieren und von diesem aus das jeweilige geistige und soziale Umfeld beleuchten (Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W.E.B. DuBois und Angela Davis), liegt die ganz große Stärke des vorliegenden Buchs.
Seine Schwäche liegt darin begründet, dass es zum anderen mehr sein will als eine historische Abhandlung. Es ist aktivistisches Manifest und aufrüttelnde Anklageschrift zugleich. Kendi, der an der American University in Washington, D.C. lehrt, schreibt furios, traurig, zornig und frustriert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der toten, von Polizisten erschossenen Schwarzen der späten Obama-Ära. Insofern ist "Gebrandmarkt" der sprachgewaltige Schwanengesang auf die messianische Euphorie des Jahres 2008, gerade unter Schwarzen.
So berechtigt diese Frustration gleichwohl sein mag, sie führt bei Kendi zu argumentativen Problemen, die umso stärker hervortreten, je weiter man auf der Zeitschiene voranschreitet, und die am Ende nicht mehr allein durch Emotionen, sondern durch ideologische Voreingenommenheit erklärt werden können. Der Autor kritisiert scharf jede Form von Ungleichheit, sei sie rassisch, sozioökonomisch, ethnisch, sexuell oder sonstwie begründet. Darin vertritt er einen Individualismus, der neoliberale Züge trägt und beinahe an Maggie Thatchers berühmtes Diktum erinnert, sie kenne ausschließlich Individuen, aber keine Gesellschaft.
In der Konsequenz geht Kendi dann so weit, jedes Argument als assimilationistisch zu kritisieren, das Probleme in der black community auf objektive sozioökonomische Ungleichheiten oder subjektive kulturelle Sinn- und Bedeutungszuschreibungen zurückführt. Anstelle sozialer und kultureller Ungleichheiten tritt bei ihm ein moralischer Dezisionismus, der die Gesellschaft a priori und transhistorisch in rassistische Segregationisten, in Assimilationisten und in Anti-Rassisten einteilt, wobei Letztere die Helden seiner Geschichte stellen.
Während es nun relativ leicht ist, seiner Kritik an den Rassisten zu folgen, wirkt die Kategorie der Assimilationisten reichlich willkürlich. Im Grunde umfasst sie jeden, gleichgültig, welcher Rasse, der nicht Kendis ideologischem Programm folgt. Dies wird regelrecht zynisch, wenn selbst einem aufrechten Kämpfer wie dem schwarzen radikalen Abolitionisten David Walker rassistische Untertöne vorgeworfen werden, weil er es in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts wagte, auf die sozialpsychologischen Folgen der Sklaverei aufmerksam zu machen. Frederick Douglass und Martin Luther King ergeht es kaum besser.
Dies ist lediglich denunziatorisch, wenn altbackene klimatheoretische Erwägungen aus der Aufklärungszeit, wie sie etwa Buffon - und nicht nur gegen Schwarze - vorgelegt hatte, dazu benutzt werden, sämtliche sozioökonomischen und soziokulturellen Argumente, die auf eine Selbstkritik der black community hinauslaufen, argumentlos beiseitezuwischen. Gewiss, Kendi hat Recht, wenn er die Oberflächlichkeit neoliberal-neokonservativer Autoren kritisiert, die voreilig von einer postethnischen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten schwadronieren, aber sein Gegenentwurf wirkt mindestens ebenso hohl.
Am Ende kann der Autor seine Position nicht einmal widerspruchsfrei durchhalten, da er, wenn es um die hohe Zahl junger Schwarzer geht, die von jungen Schwarzen ermordet werden, selbst auf das Argument sozialer Benachteiligung zurückgreifen muss. Hier drängt sich der Verdacht auf, der humane Individualismus seiner Darstellung könnte nur Tarnung für einen möglicherweise unreflektierten eigenen rassistischen Essentialismus sein. Wie Kendi selbst sagt: Rassisten sagen niemals offen, dass sie Rassisten sind.
Das Buch endet mit einem Appell, der die umfassenden Ziele der Kerngruppe von Black Lives Matter aufnimmt und mehr durch Pathos als durch argumentative Integrität zu überzeugen vermag. Angesichts dieser Schwierigkeiten kann von einer "wahren" - oder wie es im Englischen heißt: "definitiven" - Geschichte des Rassismus nicht die Rede sein. Es sei denn, man betriebe Schindluder mit beiden Begriffen, dem der Geschichte und dem der Wahrheit.
MICHAEL HOCHGESCHWENDER.
Ibram X. Kendi: "Gebrandmarkt".
Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Röckel und Heike Schlatterer.
C. H. Beck Verlag, München 2017. 604 S., geb., 34,- [Euro].
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