Norwegen hat Fjorde, Berge und Mette-Marit, es hat betrunkene Elche und verschleierte Bauernmädchen. Das Land ist lang, kalt, im Sommer zu hell und im Winter zu dunkel. Und es ist der Liebling der Energiegötter, die ihm Wasser, Öl und Gas geschenkt haben. Die Autorin berichtet aus dem protestantischen Emirat am Golfstrom, wo ein Bier sieben Euro kostet und der Ministerpräsident zu Staatsterminen in seiner heimatlichen Tracht erscheint. Wo qualifizierte Gastarbeiter willkommen sind. Wo die Regierung Kindergartenplätze für alle und die Gleich berechtigung der Frau vorschreibt. Wo die Zahl der Toten in der Literatur überdurchschnittlich hoch ist und Krimis hauptsächlich an Ostern gekauft werden. Sie erzählt von den Menschen im Reich der roten Holzhäuschen, der Trolle und Elfen, in dem der Nationalfeiertag vor allem eins ist: ein Fest der Kinder.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2007Nordlichter
Mal romantisch, mal analytisch: Blicke auf Schweden und Norwegen
Norwegen, schreibt Ebba Drolshagen eingangs ihrer „Gebrauchsanweisung für Norwegen”, sei weder idyllisch noch lauschig. Zuvor hat sie sich über einen deutschen Journalisten lustig gemacht, der in einer Reisereportage gejammert hatte, die Norweger würden ihm seine „lauschige Idylle” kaputt machen, indem sie sich neuerdings dort Blockhütten bauen, wo jahrzehntelang nur der von ihm geschätzte einsame Berggasthof stand.
Es gibt ein zweites Klischee über Skandinavien – dass nämlich die Bewohner überaus unkompliziert und deshalb herzlich seien. Damit wartet Rasso Knoller in seinem Bändchen über das Nachbarland Schweden auf: „Nils Holgersson und die Dame von der Post”. Doch anders als Ebba Drolshagen, die im vermeintlichen Märchenwald Norwegens aufräumt, gibt Knoller dem Affen Zucker. Weil er allerdings in jedem banalen Plausch mit einer Postbotin angeblich den Nationalcharakter der Schweden bestätigt sieht; weil er auf dem Rücken einer jeden Graugans Nils Holgersson sitzen sieht, kurz: Weil er nie genau hinschaut, sondern nur seine romantischen Vorstellungen pflegt, ist dieses Buch seltsam inhaltsleer.
Besonders deutlich wird dies in einem Kapitel über die Krimis von Henning Mankell: Weder scheint Rasso Knoller besonders viel von Kriminalliteratur und ihrem fiktiven Charakter zu verstehen, noch gelingt es ihm, einen Anschein zu geben vom realen Städtchen Ystad, in dessen literarisiertem Abbild Kommissar Wallander ermittelt. So verstärkt „Nils Holgersson und die Dame von der Post” den Eindruck, dass dem Wiener Picus-Verlag – raren Gegenbeispielen zum Trotz – allmählich die Ideen und vor allem die guten Autoren ausgehen für seine Reihe der „Lesereisen”, die mittlerweile mehr als hundert Bände umfasst.
Dagegen werden die „Gebrauchsanweisungen” des Piper-Verlags nach wie vor dem guten Ruf der Marke überwiegend gerecht. Dabei ist die Themenauswahl in den Piperbänden keineswegs origineller als in den Picusbüchern, aber die „Gebrauchsanweisungen” haben mehr Tiefgang. Über den Umgang Norwegens mit dem Ölreichtum wurde schon viel und elaboriert geschrieben. Ebba Drolshagen dagegen gelingt es, das gesamte Problemfeld aus sozialem Wandel und Finanzpolitik auf sechs, sieben Seiten anschaulich zu umreißen. Das ist keine geringe Leistung.
Sehr überzeugend ist auch ihr Kapitel über norwegische Trachten. Drolshagen verliert sich hier nicht in der Beschreibung von Stoffen und Stickmustern. Sie schildert vielmehr, in welchen Phasen ihrer Geschichte die Norweger durch ihre Trachten nationales Selbstbewusstsein demonstrierten. Als sie 1972 um den EG-Beitritt stritten, drückten sowohl die Befürworter als auch die Gegner ihr jeweiliges Verständnis von Patriotismus durch ihre Trachten aus. Solche Beispiele zeigen, wie genau und differenziert Ebba Drolshagen ihr Bild von Norwegen zeichnet. STEFAN FISCHER
EBBA D. DROLSHAGEN: Gebrauchsanweisung für Norwegen. Piper Verlag, München 2007. 208 Seiten, 12,90 Euro.
RASSO KNOLLER: Nils Holgersson und die Dame von der Post – Schwedische Ermittlungen. Picus Verlag, Wien 2007. 132 Seiten, 13,90 Euro.
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Mal romantisch, mal analytisch: Blicke auf Schweden und Norwegen
Norwegen, schreibt Ebba Drolshagen eingangs ihrer „Gebrauchsanweisung für Norwegen”, sei weder idyllisch noch lauschig. Zuvor hat sie sich über einen deutschen Journalisten lustig gemacht, der in einer Reisereportage gejammert hatte, die Norweger würden ihm seine „lauschige Idylle” kaputt machen, indem sie sich neuerdings dort Blockhütten bauen, wo jahrzehntelang nur der von ihm geschätzte einsame Berggasthof stand.
Es gibt ein zweites Klischee über Skandinavien – dass nämlich die Bewohner überaus unkompliziert und deshalb herzlich seien. Damit wartet Rasso Knoller in seinem Bändchen über das Nachbarland Schweden auf: „Nils Holgersson und die Dame von der Post”. Doch anders als Ebba Drolshagen, die im vermeintlichen Märchenwald Norwegens aufräumt, gibt Knoller dem Affen Zucker. Weil er allerdings in jedem banalen Plausch mit einer Postbotin angeblich den Nationalcharakter der Schweden bestätigt sieht; weil er auf dem Rücken einer jeden Graugans Nils Holgersson sitzen sieht, kurz: Weil er nie genau hinschaut, sondern nur seine romantischen Vorstellungen pflegt, ist dieses Buch seltsam inhaltsleer.
Besonders deutlich wird dies in einem Kapitel über die Krimis von Henning Mankell: Weder scheint Rasso Knoller besonders viel von Kriminalliteratur und ihrem fiktiven Charakter zu verstehen, noch gelingt es ihm, einen Anschein zu geben vom realen Städtchen Ystad, in dessen literarisiertem Abbild Kommissar Wallander ermittelt. So verstärkt „Nils Holgersson und die Dame von der Post” den Eindruck, dass dem Wiener Picus-Verlag – raren Gegenbeispielen zum Trotz – allmählich die Ideen und vor allem die guten Autoren ausgehen für seine Reihe der „Lesereisen”, die mittlerweile mehr als hundert Bände umfasst.
Dagegen werden die „Gebrauchsanweisungen” des Piper-Verlags nach wie vor dem guten Ruf der Marke überwiegend gerecht. Dabei ist die Themenauswahl in den Piperbänden keineswegs origineller als in den Picusbüchern, aber die „Gebrauchsanweisungen” haben mehr Tiefgang. Über den Umgang Norwegens mit dem Ölreichtum wurde schon viel und elaboriert geschrieben. Ebba Drolshagen dagegen gelingt es, das gesamte Problemfeld aus sozialem Wandel und Finanzpolitik auf sechs, sieben Seiten anschaulich zu umreißen. Das ist keine geringe Leistung.
Sehr überzeugend ist auch ihr Kapitel über norwegische Trachten. Drolshagen verliert sich hier nicht in der Beschreibung von Stoffen und Stickmustern. Sie schildert vielmehr, in welchen Phasen ihrer Geschichte die Norweger durch ihre Trachten nationales Selbstbewusstsein demonstrierten. Als sie 1972 um den EG-Beitritt stritten, drückten sowohl die Befürworter als auch die Gegner ihr jeweiliges Verständnis von Patriotismus durch ihre Trachten aus. Solche Beispiele zeigen, wie genau und differenziert Ebba Drolshagen ihr Bild von Norwegen zeichnet. STEFAN FISCHER
EBBA D. DROLSHAGEN: Gebrauchsanweisung für Norwegen. Piper Verlag, München 2007. 208 Seiten, 12,90 Euro.
RASSO KNOLLER: Nils Holgersson und die Dame von der Post – Schwedische Ermittlungen. Picus Verlag, Wien 2007. 132 Seiten, 13,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2019Erklär mir Norwegen
Zwischen Büdingen und Ålesund ist die Autorin und Übersetzerin Ebba Drolshagen aufgewachsen. Kurz vor dem Ehrengast-Auftritt Norwegens ist sie als Mittlerin besonders gefragt.
Von Eva-Maria Magel
Auch vor riskanten Selbstversuchen hat sich Ebba Drolshagen in der Recherche nicht gescheut. Die Rede ist allerdings nicht von "lutefisk", dem berühmten, in Natronlauge aufgeweichten Stockfisch, der angeblich sogar die Norweger kulinarisch in zwei Lager spaltet. Drolshagen hat sich wacker darangemacht, die Nationalspeise Nummer eins der Norweger zu vertilgen: "Pizza Grandiosa". Denn, das weiß man, wenn man ihre "Gebrauchsanweisung für Norwegen" gelesen hat: Die Norweger sind die größten Vertilger von Tiefkühlpizza der Welt. Und die "Grandiosa" aus dem Discounter liegt dabei weit in Führung.
Drolshagen hat ihre Portion nicht geschafft. Dafür schwärmt sie auch weit weg von Oslo, mitten in Frankfurt, von der unvergleichlichen norwegischen Käsevielfalt und, natürlich, liebt sie Geitost, den karamelligen Molkekäse in Quaderform. Ihn zu essen mache Norweger zu Norwegern, heißt es in der Werbung. Insofern ist Drolshagen vielleicht doch ein bisschen norwegischer, als sie selbst je behaupten würde. Glaubt man ihrer Feldforschung, ist es durchaus auch ein Wesenszug der Norweger, ihr Land und seine Errungenschaften für großartig zu halten und das Gute, das es dort gibt, auch exportieren zu wollen. Etwa Friedfertigkeit, Sprachenvielfalt, Gleichberechtigung, Literatur. Abgesehen vom Käse - den behält man lieber für sich.
Literatur und Kunst wird dieser Tage massenhaft aus Norwegen exportiert. Das Land ist dieses Jahr Ehrengast der Buchmesse. Seit sie davon erfahren hat, ist Drolshagen, Frankfurter Übersetzerin, Autorin, Kulturvermittlerin, noch ein bisschen mehr beschäftigt als sonst. Mehr als 30 Lesungen wird sie nun bis nach der Buchmesse absolvieren, vor allem aus ihrer "Gebrauchsanweisung für Norwegen", die, erweitert und überarbeitet, passend zum Buchmesse-Ehrengast neu beim Piper Verlag erschienen ist.
Außerdem hält sie Vorträge und liest, nicht nur während der Buchmesse-Tage, auch aus von ihr übersetzten norwegischen Romanen. "Ich merkte durch den Gastlandauftritt, wie außerordentlich emotional ich involviert bin", sagt Drolshagen. Richtig gerührt war sie, als Norwegen zum Ehrengast wurde - obgleich sie das Land eher als "ein Ausland wie kein anderes" denn als zweite Heimat sieht. Geboren 1948 in Büdingen als Tochter einer Norwegerin und eines Deutschen, wuchs sie die ersten Lebensjahre in Ålesund in Westnorwegen auf. Norwegisch, sagt Drolshagen, ihre Muttersprache, die habe sie, zurück in Deutschland, aber völlig verlernt. Erst mit neun Jahren konnte sie wieder zu den Großeltern fahren, die Reise war teuer und zeitaufwendig. Als sie ankam, konnte sie kein Wort mehr. "Dann tauchte das Norwegische auf wie eine Styroporplatte aus dem Wasser." Jahr für Jahr kehrte Drolshagen zu den Großeltern zurück. "Ich sprach bis Anfang 20 wie eine Fünfjährige aus Ålesund, mit einem extremen Dialekt. Die Norweger fanden das amüsant - ich wusste nicht warum." Erst als sie, spät, nachdem sie eine Weile in Frankfurt als Sekretärin gearbeitet hatte, ihr Studium an der Goethe-Universität aufnahm, hat sich das dank einer Skandinavistik-Lektorin geändert.
Wobei ihre geneigten Leser dank der "Gebrauchsanweisung" wissen, dass es, anders als in vielen anderen Ländern, in Norwegen absolut nicht schadet, wenn man Dialekt spricht. Im Gegenteil: Selbst jahrzehntelange Städter identifizieren sich mit der Region, aus der sie "eigentlich" stammen, schreibt Drolshagen und schlägt, stets mit Humor und sehr oft sanfter Ironie, eine Schneise in das Unverständnis der Nichtnorweger über das Land, das mehr Fläche als Deutschland, aber nur 13 Einwohner je Kilometer hat.
Das Planungsteam vom Kulturbüro Norwegian Literature Abroad (NORLA), das den diesjährigen Gastlandauftritt vorbereitet hat, wusste schon, dass es in Frankfurt eine deutschnorwegische Fachfrau gibt. Ein paar Fragen habe sie beantwortet, als die Arbeit begann, sagt Drolshagen zurückhaltend. Umso glücklicher ist sie jetzt: "Mein Literaturnorwegen kommt auf so immens präsente Weise in meine Stadt und nach Deutschland."
Dass es ein Literaturnorwegen auf Deutsch gibt, damit hat sie durchaus etwas zu tun: Seit beinahe 35 Jahren arbeitet Drolshagen als Übersetzerin, und das Norwegische ist, neben dem Englischen, ein starker Schwerpunkt ihrer Arbeit. Seit 1985 hat sie immer wieder über die deutsch-norwegische Kriegsgeschichte und die Schicksale der "Wehrmachtskinder" publiziert, bis heute hält sie darüber Vorträge auch in Norwegen. Damals begann sie, sich "mein eigenes Norwegen" mit Freunden und Bekannten zu schaffen, beschreibt Drolshagen ihr Verhältnis zum Land der Mutter und der Kindheit, in dem sie mittlerweile etwa dreimal im Jahr für je ein paar Wochen lebt. Inzwischen vor allem in Oslo, früher ist sie für Reportagen und Reiseberichte auch viel journalistisch durch Norwegen gereist. "Ich war in allen Bezirken und Distrikten außer in der Ostfinnmark."
Das, was sie interessiere, sei dieser kleine Riss, durch den das Leben in einer Sache zutage trete, sagt sie. Das, was alle kennen und deshalb nicht mehr hinsehen. So hat sie, neben Dutzenden von Übersetzungen und journalistischer Arbeit, auch eine unterhaltsame Kulturgeschichte des Strickens geschrieben, Monographien über Körperwahrnehmung und Selbstoptimierungszwang und, weil ihr irgendwann all die opulenten Engelsfiguren dort aufgefallen waren, "Der melancholische Garten", einen historiensatten Führer über den Frankfurter Hauptfriedhof.
Heute hat sie zwar kaum mehr Kontakte zu ihrer riesigen norwegischen Familie mütterlicherseits. Der Kindheit aber hat sie auch ihr Wissen um die gewachsenen Besonderheiten Norwegens zu verdanken. Denn Drolshagen hat noch erlebt, wie das Land zutiefst vom protestantischen Geist durchdrungen und sehr arm war. Nur wenige immer gleiche Lebensmittel, unglaublich schlechte Straßen und ein ebenso schlechtes Fernsehprogramm, als es dann Fernsehen gab, das kennt sie nicht nur vom Hörensagen. Das erste Erdöl kam an Heiligabend 1969. "Es hat aber lange gedauert, bis den Norwegern klarwurde, dass sie ein reiches Land sind", sagt Drolshagen.
Dass ihr manche neureiche Attitüde missfällt, verschweigt sie nicht. Macht sich aber andererseits über jene Touristen lustig, die es den Einheimischen verübeln, wenn sie ihre Ferienhäuser mit Heizungen ausstatten, weil sie das ursprüngliche Norwegen der einsamen spartanischen Bretterhütten suchen. Bewaffnet mit Dosenravioli aus der Heimat, weil Norwegen so teuer ist. Ein sehr praktischer Rat steht gleich zu Beginn ihres Buches: "Ab sofort sollte man jedes Umrechnen in eine vertrautere Währung unterlassen. Das macht schlechte Laune und ändert nichts."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Büdingen und Ålesund ist die Autorin und Übersetzerin Ebba Drolshagen aufgewachsen. Kurz vor dem Ehrengast-Auftritt Norwegens ist sie als Mittlerin besonders gefragt.
Von Eva-Maria Magel
Auch vor riskanten Selbstversuchen hat sich Ebba Drolshagen in der Recherche nicht gescheut. Die Rede ist allerdings nicht von "lutefisk", dem berühmten, in Natronlauge aufgeweichten Stockfisch, der angeblich sogar die Norweger kulinarisch in zwei Lager spaltet. Drolshagen hat sich wacker darangemacht, die Nationalspeise Nummer eins der Norweger zu vertilgen: "Pizza Grandiosa". Denn, das weiß man, wenn man ihre "Gebrauchsanweisung für Norwegen" gelesen hat: Die Norweger sind die größten Vertilger von Tiefkühlpizza der Welt. Und die "Grandiosa" aus dem Discounter liegt dabei weit in Führung.
Drolshagen hat ihre Portion nicht geschafft. Dafür schwärmt sie auch weit weg von Oslo, mitten in Frankfurt, von der unvergleichlichen norwegischen Käsevielfalt und, natürlich, liebt sie Geitost, den karamelligen Molkekäse in Quaderform. Ihn zu essen mache Norweger zu Norwegern, heißt es in der Werbung. Insofern ist Drolshagen vielleicht doch ein bisschen norwegischer, als sie selbst je behaupten würde. Glaubt man ihrer Feldforschung, ist es durchaus auch ein Wesenszug der Norweger, ihr Land und seine Errungenschaften für großartig zu halten und das Gute, das es dort gibt, auch exportieren zu wollen. Etwa Friedfertigkeit, Sprachenvielfalt, Gleichberechtigung, Literatur. Abgesehen vom Käse - den behält man lieber für sich.
Literatur und Kunst wird dieser Tage massenhaft aus Norwegen exportiert. Das Land ist dieses Jahr Ehrengast der Buchmesse. Seit sie davon erfahren hat, ist Drolshagen, Frankfurter Übersetzerin, Autorin, Kulturvermittlerin, noch ein bisschen mehr beschäftigt als sonst. Mehr als 30 Lesungen wird sie nun bis nach der Buchmesse absolvieren, vor allem aus ihrer "Gebrauchsanweisung für Norwegen", die, erweitert und überarbeitet, passend zum Buchmesse-Ehrengast neu beim Piper Verlag erschienen ist.
Außerdem hält sie Vorträge und liest, nicht nur während der Buchmesse-Tage, auch aus von ihr übersetzten norwegischen Romanen. "Ich merkte durch den Gastlandauftritt, wie außerordentlich emotional ich involviert bin", sagt Drolshagen. Richtig gerührt war sie, als Norwegen zum Ehrengast wurde - obgleich sie das Land eher als "ein Ausland wie kein anderes" denn als zweite Heimat sieht. Geboren 1948 in Büdingen als Tochter einer Norwegerin und eines Deutschen, wuchs sie die ersten Lebensjahre in Ålesund in Westnorwegen auf. Norwegisch, sagt Drolshagen, ihre Muttersprache, die habe sie, zurück in Deutschland, aber völlig verlernt. Erst mit neun Jahren konnte sie wieder zu den Großeltern fahren, die Reise war teuer und zeitaufwendig. Als sie ankam, konnte sie kein Wort mehr. "Dann tauchte das Norwegische auf wie eine Styroporplatte aus dem Wasser." Jahr für Jahr kehrte Drolshagen zu den Großeltern zurück. "Ich sprach bis Anfang 20 wie eine Fünfjährige aus Ålesund, mit einem extremen Dialekt. Die Norweger fanden das amüsant - ich wusste nicht warum." Erst als sie, spät, nachdem sie eine Weile in Frankfurt als Sekretärin gearbeitet hatte, ihr Studium an der Goethe-Universität aufnahm, hat sich das dank einer Skandinavistik-Lektorin geändert.
Wobei ihre geneigten Leser dank der "Gebrauchsanweisung" wissen, dass es, anders als in vielen anderen Ländern, in Norwegen absolut nicht schadet, wenn man Dialekt spricht. Im Gegenteil: Selbst jahrzehntelange Städter identifizieren sich mit der Region, aus der sie "eigentlich" stammen, schreibt Drolshagen und schlägt, stets mit Humor und sehr oft sanfter Ironie, eine Schneise in das Unverständnis der Nichtnorweger über das Land, das mehr Fläche als Deutschland, aber nur 13 Einwohner je Kilometer hat.
Das Planungsteam vom Kulturbüro Norwegian Literature Abroad (NORLA), das den diesjährigen Gastlandauftritt vorbereitet hat, wusste schon, dass es in Frankfurt eine deutschnorwegische Fachfrau gibt. Ein paar Fragen habe sie beantwortet, als die Arbeit begann, sagt Drolshagen zurückhaltend. Umso glücklicher ist sie jetzt: "Mein Literaturnorwegen kommt auf so immens präsente Weise in meine Stadt und nach Deutschland."
Dass es ein Literaturnorwegen auf Deutsch gibt, damit hat sie durchaus etwas zu tun: Seit beinahe 35 Jahren arbeitet Drolshagen als Übersetzerin, und das Norwegische ist, neben dem Englischen, ein starker Schwerpunkt ihrer Arbeit. Seit 1985 hat sie immer wieder über die deutsch-norwegische Kriegsgeschichte und die Schicksale der "Wehrmachtskinder" publiziert, bis heute hält sie darüber Vorträge auch in Norwegen. Damals begann sie, sich "mein eigenes Norwegen" mit Freunden und Bekannten zu schaffen, beschreibt Drolshagen ihr Verhältnis zum Land der Mutter und der Kindheit, in dem sie mittlerweile etwa dreimal im Jahr für je ein paar Wochen lebt. Inzwischen vor allem in Oslo, früher ist sie für Reportagen und Reiseberichte auch viel journalistisch durch Norwegen gereist. "Ich war in allen Bezirken und Distrikten außer in der Ostfinnmark."
Das, was sie interessiere, sei dieser kleine Riss, durch den das Leben in einer Sache zutage trete, sagt sie. Das, was alle kennen und deshalb nicht mehr hinsehen. So hat sie, neben Dutzenden von Übersetzungen und journalistischer Arbeit, auch eine unterhaltsame Kulturgeschichte des Strickens geschrieben, Monographien über Körperwahrnehmung und Selbstoptimierungszwang und, weil ihr irgendwann all die opulenten Engelsfiguren dort aufgefallen waren, "Der melancholische Garten", einen historiensatten Führer über den Frankfurter Hauptfriedhof.
Heute hat sie zwar kaum mehr Kontakte zu ihrer riesigen norwegischen Familie mütterlicherseits. Der Kindheit aber hat sie auch ihr Wissen um die gewachsenen Besonderheiten Norwegens zu verdanken. Denn Drolshagen hat noch erlebt, wie das Land zutiefst vom protestantischen Geist durchdrungen und sehr arm war. Nur wenige immer gleiche Lebensmittel, unglaublich schlechte Straßen und ein ebenso schlechtes Fernsehprogramm, als es dann Fernsehen gab, das kennt sie nicht nur vom Hörensagen. Das erste Erdöl kam an Heiligabend 1969. "Es hat aber lange gedauert, bis den Norwegern klarwurde, dass sie ein reiches Land sind", sagt Drolshagen.
Dass ihr manche neureiche Attitüde missfällt, verschweigt sie nicht. Macht sich aber andererseits über jene Touristen lustig, die es den Einheimischen verübeln, wenn sie ihre Ferienhäuser mit Heizungen ausstatten, weil sie das ursprüngliche Norwegen der einsamen spartanischen Bretterhütten suchen. Bewaffnet mit Dosenravioli aus der Heimat, weil Norwegen so teuer ist. Ein sehr praktischer Rat steht gleich zu Beginn ihres Buches: "Ab sofort sollte man jedes Umrechnen in eine vertrautere Währung unterlassen. Das macht schlechte Laune und ändert nichts."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main