Urlaub zu Hause verbringen: Den meisten von uns ist der Gedanke so fremd wie früheren Generationen die Vorstellung einer Auslandsreise. Dabei ist Daheimbleiben kein Bekenntnis zur Langeweile, sondern die Möglichkeit, genau das zu finden, was wir in der Ferne oft vergeblich suchen: uns selbst. Es ist außerdem ein Akt der Rebellion - gegen Jetlags, CO2-Irrsinn und den Irrglauben, der geistige Horizont eines Menschen korreliere mit seinem Meilenkonto. Das beste Rezept gegen Stau ist immer noch, gar nicht erst loszufahren; man muss nur etwas mit sich und seiner Zeit anzufangen wissen. Harriet Köhler zeigt uns, wie wir zu Entdeckern in unserer Stadt werden, zu Weltenbummlern im eigenen Viertel und zu glücklichen Urlaubern in der eigenen Wohnung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2019Lieber mal
nichts tun
Harriet Köhler wirbt für den
Urlaub zu Hause
Ist es wirklich schon so weit, dass man als erwachsener Mensch eine Anleitung für etwas braucht, von dem man gerade noch dachte, man hätte – wenn schon sonst nichts – wenigstens dieses eine im Griff: das Stubenhocken? Die Autorin Harriet Köhler findet in ihrem neuen Buch „Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“: Ja, eine solche Anleitung ist nötig. Zugrunde liegt dieser Antwort natürlich die grundvernünftige Überlegung, ob wirklich jede Fernreise sein muss oder es nicht sogar auch mal erholsamer sein kann, ein paar freie Tage zu Hause zu verbringen. Und ist Reisen eigentlich wirklich ein menschliches Grundbedürfnis – oder nicht doch nur eine extrem lukrative Erfindung der Tourismusindustrie?
Aber wo sollen denn die armen reichen drei Prozent der Bevölkerung hin, die im Jahr 2017 Flugzeuge bestiegen haben, um dem hässlichen Herbst zu entfliehen? Nirgends, so Köhler, im Urlaub jammere man schließlich genauso viel herum, wie zu Hause, nur erzähle man hinterher niemandem etwas davon. Die Autorin verheimlicht dabei nicht, dass sie selbst zu denen gehört, die sich Flugreisen buchen, ohne lange darüber nachzudenken, weil sie immer noch glauben, ein Recht darauf zu haben. Das Phänomen des „Overtourism“ und mit ihm eine Touristen-Elite, die vornehmlich Reisen unternimmt, um sich mit ihnen zu profilieren, werden im Buch aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kritisiert.
Man wird von Köhler vielmehr an luxuriöse Momente erinnert, die man gar nicht mehr als Luxus wahrnimmt. Wie die Enttäuschung, die einen beschleicht, wenn man als von den Pinakotheken verwöhnte Münchnerin das erste Mal in einer Dauerausstellung eines weltbekannten Museums auf der anderen Seite des Atlantiks steht. Oder das Gefühl, eine U-Bahn erwischen zu müssen und dabei zu übersehen, dass man gerade über einen historischen Altstadt-Platz rennt, für dessen Anblick andere eine weite Reise in Kauf nehmen.
Das wichtigste Souvenir des Urlaubs zu Hause und der große Held dieses Buchs ist natürlich das Nichtstun. Das will als vollgültiger Lifestyle mit Harriett Köhler allerdings gelernt sein, es ist schließlich „kein passives Herumlungern“, sondern „eine Aktivität“. Man probiere also für den Anfang nur mal eine Übung: Im Bett liegen bleiben, wenn man Zeit dazu hat, aber nicht sofort daran denken, was man nun endlich alles machen „müsste“.
THERESA HEIN
Harriet Köhler: Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben. Piper Verlag, München 2019. 208 Seiten, 15 Euro.
Viele der luxuriösen Momente
nimmt man gar
nicht mehr als Luxus wahr
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nichts tun
Harriet Köhler wirbt für den
Urlaub zu Hause
Ist es wirklich schon so weit, dass man als erwachsener Mensch eine Anleitung für etwas braucht, von dem man gerade noch dachte, man hätte – wenn schon sonst nichts – wenigstens dieses eine im Griff: das Stubenhocken? Die Autorin Harriet Köhler findet in ihrem neuen Buch „Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben“: Ja, eine solche Anleitung ist nötig. Zugrunde liegt dieser Antwort natürlich die grundvernünftige Überlegung, ob wirklich jede Fernreise sein muss oder es nicht sogar auch mal erholsamer sein kann, ein paar freie Tage zu Hause zu verbringen. Und ist Reisen eigentlich wirklich ein menschliches Grundbedürfnis – oder nicht doch nur eine extrem lukrative Erfindung der Tourismusindustrie?
Aber wo sollen denn die armen reichen drei Prozent der Bevölkerung hin, die im Jahr 2017 Flugzeuge bestiegen haben, um dem hässlichen Herbst zu entfliehen? Nirgends, so Köhler, im Urlaub jammere man schließlich genauso viel herum, wie zu Hause, nur erzähle man hinterher niemandem etwas davon. Die Autorin verheimlicht dabei nicht, dass sie selbst zu denen gehört, die sich Flugreisen buchen, ohne lange darüber nachzudenken, weil sie immer noch glauben, ein Recht darauf zu haben. Das Phänomen des „Overtourism“ und mit ihm eine Touristen-Elite, die vornehmlich Reisen unternimmt, um sich mit ihnen zu profilieren, werden im Buch aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kritisiert.
Man wird von Köhler vielmehr an luxuriöse Momente erinnert, die man gar nicht mehr als Luxus wahrnimmt. Wie die Enttäuschung, die einen beschleicht, wenn man als von den Pinakotheken verwöhnte Münchnerin das erste Mal in einer Dauerausstellung eines weltbekannten Museums auf der anderen Seite des Atlantiks steht. Oder das Gefühl, eine U-Bahn erwischen zu müssen und dabei zu übersehen, dass man gerade über einen historischen Altstadt-Platz rennt, für dessen Anblick andere eine weite Reise in Kauf nehmen.
Das wichtigste Souvenir des Urlaubs zu Hause und der große Held dieses Buchs ist natürlich das Nichtstun. Das will als vollgültiger Lifestyle mit Harriett Köhler allerdings gelernt sein, es ist schließlich „kein passives Herumlungern“, sondern „eine Aktivität“. Man probiere also für den Anfang nur mal eine Übung: Im Bett liegen bleiben, wenn man Zeit dazu hat, aber nicht sofort daran denken, was man nun endlich alles machen „müsste“.
THERESA HEIN
Harriet Köhler: Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben. Piper Verlag, München 2019. 208 Seiten, 15 Euro.
Viele der luxuriösen Momente
nimmt man gar
nicht mehr als Luxus wahr
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»Ein anregendes Buch« SWR2 "Matinee" 20200712