___Wie die Entdeckung der Gegenwart die Welt verändert hat___
Ein Leben ohne Termine ist heute kaum vorstellbar. Zeit ist ein kostbares Gut, das verwaltet und genutzt sein will. Doch die Zeit ist vor allem eine Idee. Der renommierte Historiker Achim Landwehr erzählt spannend und plausibel, wie sich im 17. Jahrhundert das Verhältnis der Menschen zur Zeit, zu Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, verändert hat.
Bis dahin glaubten die meisten Menschen in Europa, die Apokalypse und das Reich Gottes stünden kurz bevor - wozu also die Gegenwart gestalten, da man damit die Zukunft doch nicht verändern kann? Doch nach und nach wurde beides, Gegenwart und Zukunft, als Zeitraum der Möglichkeiten wahrgenommen. Dies zeigte sich an vielen kleinen Veränderungen: Kalender, die bis dahin aus eng bedruckten Seiten mit astrologischen Informationen bestanden, boten nun Platz für persönliche Einträge, Zeitungen berichteten vom Hier und Heute, und mit Versicherungen sorgte man für das Morgen vor.
Die überraschende Geschichte von der Geburt eines neuen Zeitwissens, durch das sich die Welt ebenso grundlegend wandelte wie durch die großen Entdeckungen von Galilei bis Newton.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ein Leben ohne Termine ist heute kaum vorstellbar. Zeit ist ein kostbares Gut, das verwaltet und genutzt sein will. Doch die Zeit ist vor allem eine Idee. Der renommierte Historiker Achim Landwehr erzählt spannend und plausibel, wie sich im 17. Jahrhundert das Verhältnis der Menschen zur Zeit, zu Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, verändert hat.
Bis dahin glaubten die meisten Menschen in Europa, die Apokalypse und das Reich Gottes stünden kurz bevor - wozu also die Gegenwart gestalten, da man damit die Zukunft doch nicht verändern kann? Doch nach und nach wurde beides, Gegenwart und Zukunft, als Zeitraum der Möglichkeiten wahrgenommen. Dies zeigte sich an vielen kleinen Veränderungen: Kalender, die bis dahin aus eng bedruckten Seiten mit astrologischen Informationen bestanden, boten nun Platz für persönliche Einträge, Zeitungen berichteten vom Hier und Heute, und mit Versicherungen sorgte man für das Morgen vor.
Die überraschende Geschichte von der Geburt eines neuen Zeitwissens, durch das sich die Welt ebenso grundlegend wandelte wie durch die großen Entdeckungen von Galilei bis Newton.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Eroberung der Gegenwart als Emazipationsprozess erkennt Thomas Meyer mit Achim Landwehrs Buch. Wenn der Autor erstmals Forschungen zum Wandel der Wahrnehmung, Bedeutung und Funktionalisierung von Zeit in einer starken These zusammenfasst, sieht Meyer eine Lücke geschlossen. Die Geburt der Gegenwart im 17. Jahrhundert belegt ihm der Autor dabei auf beeindruckende Weise mit "imlodierenden" Zukunftsaussichten, einer Stück für Stück wegfallenden Vergangenheit und sich auflösenden religiösen Weltbildern. Landwehrs einfache Feststellung, Gegenwart sei die Zeit, in der wir tatsächlich lebten, täuscht den Rezensenten nicht darüber hinweg, dass das Buch klug konzipiert und gut und vor allem sehr gelassen geschrieben ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2014Der Zukunft entgegen
Achim Landwehr über Zeiterfahrung im 17. Jahrhundert
Wenn es stimmt, dass Historiker aus Zeit Sinn machen, dann haben sie sich um ihren wichtigsten Rohstoff bislang erstaunlich wenig gekümmert. Die Frage von Reinhart Koselleck nach den historischen Formen des Zeitbewusstseins wurde nur selten aufgegriffen und in eine Forschungsagenda umgesetzt. Achim Landwehr reiht sich mit seiner Studie zum Zeitbewusstsein des europäischen 17. Jahrhunderts jetzt prominent in die kleine Schar der Zeitforscher ein.
Seine Untersuchung ist zentriert um den (Taschen-)Kalender als einer seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts gefertigten und dann schnell in großen Stückzahlen verbreiteten Druckschrift. Man kann an ihr im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine ganze Reihe von formalen und inhaltlichen Veränderungen beobachten, deren wichtigste in diesem Zusammenhang aber ist, dass diese Büchlein immer mehr zu Schreibkalendern werden, die ihre Eigentümer durch leere Seiten auffordern, Termine einzutragen, also ihre Gegenwart kalendarisch und chronometrisch zu gestalten und sie sozial zu koordinieren. Landwehr schließt daraus auf die "Erfindung der Gegenwart" im 17. Jahrhundert und trägt nach einer Exposition in sechs weiteren Kapiteln so einfallsreich wie durchdacht Material zusammen, um diese These zu untermauern.
Die Argumentation folgt dabei der insbesondere in den Sozialwissenschaften ausgearbeiteten These, dass die Komplexität moderner Gesellschaften ein Zeitbewusstsein voraussetzt, das die Gegenwart aus der Herrschaft der Vergangenheit befreit und sie damit zu einem Raum macht, in dem man Pläne für eine unbekannte Zukunft umzusetzen sucht. Die Befreiung von der Vergangenheit, die man am Verblassen der Endzeiterwartung ebenso ablesen kann wie an genealogischen Aufzeichnungen europäischer Adelsgeschlechter oder der Erfindung der Mode, setzt eine Gegenwart frei, die in der Berichterstattung der periodischen Zeitung seit Mitte des 17. Jahrhunderts bereits für viele Zeitgenossen nachvollziehbar wird.
Gesellschaften, die sich der Erfahrung des Zusammenhangs gleichzeitiger Ereignisse aussetzen, werden komplizierter und müssen Kontingenz bewältigen, indem sie sich um die Gestaltung von Zukunft kümmern. Die letzten Kapitel des Buches schildern anschaulich, wie das 17. Jahrhundert schwankt zwischen Suche nach Ordnung und ihrer Dynamisierung auf eine Zukunft hin, wofür Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und Versicherungen Grundlagen bereitstellen.
Landwehr verweigert sich mit Recht einer linearen Erzählung und betont stets die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitordnungen sowie die fließenden Übergänge zwischen ihnen. Statt von Kausalität spricht er von Emergenz, also von nicht Absichten und Ursachen zurechenbarem Entstehen. Die Plausibilität seiner These ergibt sich daraus, dass die Erfindung der Gegenwart aus unterschiedlichen Perspektiven und auf unterschiedlichen Feldern beobachtet wird. Man hätte daher erwarten können, dass die Unwahrscheinlichkeit dieser "Erfindung" zum Thema wird und Landwehr neben der Auflistung der Symptome auch Argumente für ihr Möglichwerden zusammenträgt. Emergenz lässt sich dann beobachten, wenn man einrechnet, dass es auch anders hätte kommen können. Nach solchen Überlegungen sucht man leider vergeblich. Das führt dem Leser vor Augen, dass es mit einem Verzicht auf Kausalität allein doch nicht getan ist.
Vielleicht ist dies aber auch ein Zugeständnis an den imaginierten Leser. Landwehr stellt ihn sich offenkundig nicht zunächst als professionellen Historiker und Spezialisten des 17. Jahrhunderts vor, sondern als interessierten Laien. Dieser wird immer wieder in längeren Passagen bei seinen (unterstellten) Zeiterfahrungen und seinem "Zeitwissen" aus der aktuellen Gegenwart abgeholt, um ihm die vielfach andere Vergangenheit des 17. Jahrhunderts im Kontrast nahezubringen und ihn in die komplizierten theoretischen Diskussionen über das Wesen der Zeit einzuführen. Dieser vorgestellte Leser wird Landwehrs Entgegenkommen sicherlich zu würdigen wissen. Es wäre aber schade, wenn die Spezialisten dieses Buch deswegen ignorieren würden. Es entgeht ihnen dann ein innovativer und gut geschriebener Forschungsbeitrag, der das 17. Jahrhundert in ein neues Licht rückt.
RUDOLF SCHLÖGL
Achim Landwehr: "Geburt der Gegenwart". Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 448 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achim Landwehr über Zeiterfahrung im 17. Jahrhundert
Wenn es stimmt, dass Historiker aus Zeit Sinn machen, dann haben sie sich um ihren wichtigsten Rohstoff bislang erstaunlich wenig gekümmert. Die Frage von Reinhart Koselleck nach den historischen Formen des Zeitbewusstseins wurde nur selten aufgegriffen und in eine Forschungsagenda umgesetzt. Achim Landwehr reiht sich mit seiner Studie zum Zeitbewusstsein des europäischen 17. Jahrhunderts jetzt prominent in die kleine Schar der Zeitforscher ein.
Seine Untersuchung ist zentriert um den (Taschen-)Kalender als einer seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts gefertigten und dann schnell in großen Stückzahlen verbreiteten Druckschrift. Man kann an ihr im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine ganze Reihe von formalen und inhaltlichen Veränderungen beobachten, deren wichtigste in diesem Zusammenhang aber ist, dass diese Büchlein immer mehr zu Schreibkalendern werden, die ihre Eigentümer durch leere Seiten auffordern, Termine einzutragen, also ihre Gegenwart kalendarisch und chronometrisch zu gestalten und sie sozial zu koordinieren. Landwehr schließt daraus auf die "Erfindung der Gegenwart" im 17. Jahrhundert und trägt nach einer Exposition in sechs weiteren Kapiteln so einfallsreich wie durchdacht Material zusammen, um diese These zu untermauern.
Die Argumentation folgt dabei der insbesondere in den Sozialwissenschaften ausgearbeiteten These, dass die Komplexität moderner Gesellschaften ein Zeitbewusstsein voraussetzt, das die Gegenwart aus der Herrschaft der Vergangenheit befreit und sie damit zu einem Raum macht, in dem man Pläne für eine unbekannte Zukunft umzusetzen sucht. Die Befreiung von der Vergangenheit, die man am Verblassen der Endzeiterwartung ebenso ablesen kann wie an genealogischen Aufzeichnungen europäischer Adelsgeschlechter oder der Erfindung der Mode, setzt eine Gegenwart frei, die in der Berichterstattung der periodischen Zeitung seit Mitte des 17. Jahrhunderts bereits für viele Zeitgenossen nachvollziehbar wird.
Gesellschaften, die sich der Erfahrung des Zusammenhangs gleichzeitiger Ereignisse aussetzen, werden komplizierter und müssen Kontingenz bewältigen, indem sie sich um die Gestaltung von Zukunft kümmern. Die letzten Kapitel des Buches schildern anschaulich, wie das 17. Jahrhundert schwankt zwischen Suche nach Ordnung und ihrer Dynamisierung auf eine Zukunft hin, wofür Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und Versicherungen Grundlagen bereitstellen.
Landwehr verweigert sich mit Recht einer linearen Erzählung und betont stets die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitordnungen sowie die fließenden Übergänge zwischen ihnen. Statt von Kausalität spricht er von Emergenz, also von nicht Absichten und Ursachen zurechenbarem Entstehen. Die Plausibilität seiner These ergibt sich daraus, dass die Erfindung der Gegenwart aus unterschiedlichen Perspektiven und auf unterschiedlichen Feldern beobachtet wird. Man hätte daher erwarten können, dass die Unwahrscheinlichkeit dieser "Erfindung" zum Thema wird und Landwehr neben der Auflistung der Symptome auch Argumente für ihr Möglichwerden zusammenträgt. Emergenz lässt sich dann beobachten, wenn man einrechnet, dass es auch anders hätte kommen können. Nach solchen Überlegungen sucht man leider vergeblich. Das führt dem Leser vor Augen, dass es mit einem Verzicht auf Kausalität allein doch nicht getan ist.
Vielleicht ist dies aber auch ein Zugeständnis an den imaginierten Leser. Landwehr stellt ihn sich offenkundig nicht zunächst als professionellen Historiker und Spezialisten des 17. Jahrhunderts vor, sondern als interessierten Laien. Dieser wird immer wieder in längeren Passagen bei seinen (unterstellten) Zeiterfahrungen und seinem "Zeitwissen" aus der aktuellen Gegenwart abgeholt, um ihm die vielfach andere Vergangenheit des 17. Jahrhunderts im Kontrast nahezubringen und ihn in die komplizierten theoretischen Diskussionen über das Wesen der Zeit einzuführen. Dieser vorgestellte Leser wird Landwehrs Entgegenkommen sicherlich zu würdigen wissen. Es wäre aber schade, wenn die Spezialisten dieses Buch deswegen ignorieren würden. Es entgeht ihnen dann ein innovativer und gut geschriebener Forschungsbeitrag, der das 17. Jahrhundert in ein neues Licht rückt.
RUDOLF SCHLÖGL
Achim Landwehr: "Geburt der Gegenwart". Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 448 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Landwehr bietet in seinem Buch einen spannenden Einblick in die Kulturgeschichte des Zeitbewusstseins. Martin Schneider spektrum.de 20141016