Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2011Die doppelte Wahrheit
Wer ist dieser Herr, und wenn ja, wie viele? Bernhard Schlink, Schriftsteller, Jurist, Leser und Vorleser, versucht sich im Nachdenken über das Schreiben.
Von Alexander Kosenina
Ich will mir eigentlich keine Gedanken über das Schreiben machen, nicht über mein eigenes Schreiben und auch nicht über das Schreiben anderer. Ich will schreiben."
Diese Schlussbemerkung in Bernhard Schlinks 2010 gehaltenen Heidelberger Poetikvorlesungen ist keine Koketterie, keine hintersinnig selbstbezügliche Kapriole, keine Undankbarkeit gegenüber den Gastgebern. Es ist ein vollkommen ehrlicher Satz nach vielen persönlichen, manchmal auch anekdotischen Bekenntnissen. Sie zeigen, dass dieser Erfolgsautor nicht gerne theoretisch über Wesen und Entstehung von Literatur reflektiert. Das ist grundsätzlich kein Makel. Doch der - wohl von Veranstalter und Verlag verantwortete - Untertitel "Poetikvorlesungen" stellt etwas anderes in Aussicht.
Nennen wir die dreiteiligen Überlegungen zum Schreiben über die Themen Vergangenheit, Liebe und Heimat also lieber Essays. Dann gehören so grundlegende Fragen über Wahrheit, Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit, Fiktion oder erzählte Vergangenheit nicht auf die Goldwaage der Poetikgeschichte seit Aristoteles. Gelegentliche Unbedarftheit oder gar Belanglosigkeit können Schlink dann weniger leicht vorgeworfen werden, da er sich der Auseinandersetzung mit solchen Traditionen enthält. Vielmehr spricht er zu seinem großen Publikum, als hätte dieses stets nur gelesen, ohne je darüber nachzudenken, wie das Geschriebene eigentlich gemacht ist, was es bewirken kann und will. Der Mut, über Einfaches wie Schwieriges immer ganz einfach zu sprechen, verdient jedenfalls Respekt.
Schlink orientiert sich stark an Fragen seines Stammpublikums, das immer wissen will, wie viel Wahrheit in den Texten steckt, wie stark das Geschilderte selbst erlebt ist, wie es der Autor mit der Liebe hält, wie er zu seinen Figuren und Lesern steht, welche Rolle Heimat und Fremde für ihn spielen. Besonders brisant ist die erste Vorlesung, in der er sich implizit mit der harschen Kritik an seinem Erfolgsroman "Der Vorleser" auseinandersetzt, Hannas Analphabetismus suggeriere eine verminderte Schuldfähigkeit für ihre Verbrechen während der Nazizeit und damit eine subtile Entlastung von Verantwortung. Mit Seitenblicken auf jüngere populäre Filme wie "Das Leben ist schön", "Zug des Lebens" oder "Das Leben der Anderen" verteidigt Bernhard Schlink das Recht auf Fiktionalisierungen von Holocaust und Überwachungsstaat, auf Märchen vom Guten im Bösen, auf verkürzte, aber signifikante Ausschnitte der Wirklichkeit. Hier deutet sich die Forderung einer deutschen Sonderpoetik an, die einer doppelten Wahrheit - der des wirklichen Geschehens und eines spezifischen Gefühls - zu folgen habe. Darüber hätte man gern mehr erfahren, vor allem mit klarerer Unterscheidung zwischen Nationalsozialismus und DDR.
Schlink bemerkt einmal, er liebe das Schreiben, "weil die Welt der Literatur anders als die Welt der Wissenschaft ist" - also nicht erschöpfend, nicht systematisch. Hier spricht sicher auch der Professor für Dogmatik des öffentlichen Rechts, dessen kühl abwägende, gerechte Haltung viele seiner Urteile über Literatur grundiert. Als Autor möchte er von seinem Hauptberuf wie von aller Theorie indes so frei wie möglich sein. Deshalb fällt ihm die poetische Rechenschaftserklärung eher schwer, der Zugang zum großen Publikum aber so leicht.
Bernhard Schlink: "Gedanken über das Schreiben".
Heidelberger Poetikvorlesungen.
Diogenes Verlag, Zürich 2011. 87 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer ist dieser Herr, und wenn ja, wie viele? Bernhard Schlink, Schriftsteller, Jurist, Leser und Vorleser, versucht sich im Nachdenken über das Schreiben.
Von Alexander Kosenina
Ich will mir eigentlich keine Gedanken über das Schreiben machen, nicht über mein eigenes Schreiben und auch nicht über das Schreiben anderer. Ich will schreiben."
Diese Schlussbemerkung in Bernhard Schlinks 2010 gehaltenen Heidelberger Poetikvorlesungen ist keine Koketterie, keine hintersinnig selbstbezügliche Kapriole, keine Undankbarkeit gegenüber den Gastgebern. Es ist ein vollkommen ehrlicher Satz nach vielen persönlichen, manchmal auch anekdotischen Bekenntnissen. Sie zeigen, dass dieser Erfolgsautor nicht gerne theoretisch über Wesen und Entstehung von Literatur reflektiert. Das ist grundsätzlich kein Makel. Doch der - wohl von Veranstalter und Verlag verantwortete - Untertitel "Poetikvorlesungen" stellt etwas anderes in Aussicht.
Nennen wir die dreiteiligen Überlegungen zum Schreiben über die Themen Vergangenheit, Liebe und Heimat also lieber Essays. Dann gehören so grundlegende Fragen über Wahrheit, Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit, Fiktion oder erzählte Vergangenheit nicht auf die Goldwaage der Poetikgeschichte seit Aristoteles. Gelegentliche Unbedarftheit oder gar Belanglosigkeit können Schlink dann weniger leicht vorgeworfen werden, da er sich der Auseinandersetzung mit solchen Traditionen enthält. Vielmehr spricht er zu seinem großen Publikum, als hätte dieses stets nur gelesen, ohne je darüber nachzudenken, wie das Geschriebene eigentlich gemacht ist, was es bewirken kann und will. Der Mut, über Einfaches wie Schwieriges immer ganz einfach zu sprechen, verdient jedenfalls Respekt.
Schlink orientiert sich stark an Fragen seines Stammpublikums, das immer wissen will, wie viel Wahrheit in den Texten steckt, wie stark das Geschilderte selbst erlebt ist, wie es der Autor mit der Liebe hält, wie er zu seinen Figuren und Lesern steht, welche Rolle Heimat und Fremde für ihn spielen. Besonders brisant ist die erste Vorlesung, in der er sich implizit mit der harschen Kritik an seinem Erfolgsroman "Der Vorleser" auseinandersetzt, Hannas Analphabetismus suggeriere eine verminderte Schuldfähigkeit für ihre Verbrechen während der Nazizeit und damit eine subtile Entlastung von Verantwortung. Mit Seitenblicken auf jüngere populäre Filme wie "Das Leben ist schön", "Zug des Lebens" oder "Das Leben der Anderen" verteidigt Bernhard Schlink das Recht auf Fiktionalisierungen von Holocaust und Überwachungsstaat, auf Märchen vom Guten im Bösen, auf verkürzte, aber signifikante Ausschnitte der Wirklichkeit. Hier deutet sich die Forderung einer deutschen Sonderpoetik an, die einer doppelten Wahrheit - der des wirklichen Geschehens und eines spezifischen Gefühls - zu folgen habe. Darüber hätte man gern mehr erfahren, vor allem mit klarerer Unterscheidung zwischen Nationalsozialismus und DDR.
Schlink bemerkt einmal, er liebe das Schreiben, "weil die Welt der Literatur anders als die Welt der Wissenschaft ist" - also nicht erschöpfend, nicht systematisch. Hier spricht sicher auch der Professor für Dogmatik des öffentlichen Rechts, dessen kühl abwägende, gerechte Haltung viele seiner Urteile über Literatur grundiert. Als Autor möchte er von seinem Hauptberuf wie von aller Theorie indes so frei wie möglich sein. Deshalb fällt ihm die poetische Rechenschaftserklärung eher schwer, der Zugang zum großen Publikum aber so leicht.
Bernhard Schlink: "Gedanken über das Schreiben".
Heidelberger Poetikvorlesungen.
Diogenes Verlag, Zürich 2011. 87 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Alexander Kosenina sagt es sehr höflich, aber so richtig aufschlussreich und interessant findet er dieses Buch nicht. Auch führe der Untertitel etwas in die Irre, beziehungsweise hat Schlink bei seinen Poetikvorlesungen ein wenig das Thema verfehlt. Als Analytiker der Literatur und des eigenen Schreibens nämlich mag er sich selbst nicht begreifen und bleibt so, erklärt Kosenina, eher dem Anekdotischen verhaftet. Andeutungsweise spannend wird es da, so der Rezensent, wo Schlink auf den Vorwurf der Holocaust-Verharmlosung durch seinen "Vorleser" eingeht - und sich dagegen unter Verweis auf Filme wie Roberto Benignis "Das Leben ist schön" verwahrt. Insgesamt also scheint der Band Kosenina eher essayhaft und fürs breitere Publikum gedacht. Etwas, das im Ernst den Namen Poetike verdiente, werde aber kaum gestreift.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Bernhard Schlink gehört zu den größten Begabungen der deutschen Gegenwartsliteratur. Er ist ein einfühlsamer, scharf beobachtender und überaus intelligenter Erzähler. Seine Prosa ist klar, präzise und von schöner Eleganz.« Michael Kluger / Frankfurter Neue Presse Frankfurter Neue Presse