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Vom Sophisten Zenon über Galileo Galilei bis hin zu Albert Einstein spannt sich der Bogen derjenigen, denen die modernen Naturwissenschaften ihre Fundamente verdanken. Henning Genz, Physiker und erfahrener Sachbuchautor, stellt grundlegende und historisch bedeutsame Gedankenexperimente der Physik anschaulich dar. In drei Essays zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen von Gedankenexperimenten geht er der Frage nach, woher das Denken seine erstaunliche Macht bezieht und wie weit diese reicht. Naturwissenschaftlich Interessierte werden dieses faszinierende Sachbuch mit Gewinn lesen, Fachleuten…mehr

Produktbeschreibung
Vom Sophisten Zenon über Galileo Galilei bis hin zu Albert Einstein spannt sich der Bogen derjenigen, denen die modernen Naturwissenschaften ihre Fundamente verdanken. Henning Genz, Physiker und erfahrener Sachbuchautor, stellt grundlegende und historisch bedeutsame Gedankenexperimente der Physik anschaulich dar. In drei Essays zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen von Gedankenexperimenten geht er der Frage nach, woher das Denken seine erstaunliche Macht bezieht und wie weit diese reicht. Naturwissenschaftlich Interessierte werden dieses faszinierende Sachbuch mit Gewinn lesen, Fachleuten wird es neue Einsichten bringen und vertraute Zusammenhänge in neuem Licht erscheinen lassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.1999

Der Lehnstuhl als Vehikel zur Erkenntnis
Nützen Gedankenexperimente der Wissenschaft? Eine Leistungsschau von Henning Genz

Wenn das der Forschungsminister wüsste. Da gibt der Staat Milliardenbeträge aus, um Forscher mit immer großartigerem Experimentiergerät in immer tiefere Sphären der Natur eindringen zu lassen, aber dann werden die wirklich tiefsinnigen Theorien von Leuten gefunden, die ihren Lehnstuhl nie mit einem Labor vertauschen mussten und ganz ohne Materialkosten experimentieren.

Hat Galilei sich die Mühe gemacht, Steine vom Schiefen Turm von Pisa zu werfen, um Aristoteles' Behauptung zu widerlegen, Körper würden mit zunehmendem Gewicht schneller auf die Erde fallen? Der große Erfinder der Experimentalmethode kannte einen bequemeren Weg ohne Treppensteigen zur Erkenntnis, das Gedankenexperiment: Stelle dir einfach nur vor, man würde einen schweren und einen leichten Stein zusammenbinden und fallen lassen. Die zusammengebundenen Steine sind schwerer als der schwerere der beiden Steine allein, also nach Aristoteles auch schneller. Andererseits würde der leichtere Stein, wenn er langsamer als der schwere ist, beim Zusammenbinden den Fall des anderen bremsen. Beides zusammen, zusammengebunden sowohl schneller als auch langsamer zu fallen, geht nicht, also steckt in Aristoteles der Wurm.

Galilei fand, alle Körper, ob Bleikugel oder Feder, fielen in Wirklichkeit gleich schnell, sofern man jedenfalls von äußeren Störeinflüssen wie der Luftreibung absehe. Und diese zunächst überraschende Erkenntnis hat sich bis heute bewährt. Es scheint, dass nur die weniger kreativen Köpfe auf reale Experimente angewiesen sind, die schlaueren machen Gedankenexperimente.

Gedankenexperimente haben einen verführerischen Charme, sie sind anschaulich und suggestiv, wie geschaffen für die allgemein verständliche Vermittlung komplizierter Theorien. Wer lange genug über Uhren und Eisenbahnen, Aufzüge und Billardbälle nachdenkt, dem erschließen sich bald wie von selbst die Geheimnisse von Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Andererseits liegt in der Überzeugungskraft der Gedankenexperimente auch ein Problem: War nicht das bloß gedankliche Räsonieren über die Natur die scholastische Methode des finsteren Mittelalters, die von der neuzeitlichen Wissenschaft mit strenger Empirie und abstrakt mathematischer Theoriebildung beseitigt wurde? Vielleicht sollte Galileis Gedankenexperiment gerade die Sinnlosigkeit gedanklicher Spekulation offen legen: Selbst die überaus überzeugenden Intuitionen eines Aristoteles lassen sich in Widersprüche verfangen; um wieder Klarheit zu finden, bleibt dann doch nur das mühselige und weniger unterhaltsame Handwerk realer Experimente.

Was die unzähligen überlieferten Gedankenexperimente aus der Geschichte der harten empirischen Wissenschaften bezwecken sollten, was sich mit ihnen beweisen lässt und welches Bild von Wissenschaft sich hieraus ergibt, wird in akademischen Zirkeln intensiv diskutiert. Seit einigen Jahren sind die Gedankenexperimente Modethema in Wissenschaftsphilosophie und -geschichte, bedroht oder angespornt von der drastischen Warnung, die der Wissenschaftsphilosoph Pierre Duhem schon 1906 aussprach: Gedankenexperimente wären der beste Weg, die Leser mit einem falschen Verständnis von Wissenschaft zu verwirren. "Dem Schüler wird die Physik als ein monströser Wortschwall erscheinen, der nichts anderes als eine petitio principii auf die andere und einen circulus vitiosus auf den anderen häuft."

Ein neues Buch von Henning Genz versammelt eine große Zahl von Gedankenexperimenten aus der wissenschaftlichen und populären Literatur zur Physik. Mit ihnen werden Themen von der Balkenwaage bis zu den Schwarzen Löchern behandelt. Schiefe Ebene, Stoßgesetze, Spontane Symmetriebrechung, Unschärferelation, Vakuumfluktuation, spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, die Unendlichkeit des Universums und die Rätsel der Quantenmechanik - nichts, was in der Physik interessant ist, lässt Genz aus. Beabsichtigt ist, auch Anfängern die Physik verständlich zu machen und mit ihren theoretischen Inhalten zugleich auch ihre philosophische Interpretation.

Genz hält Gedankenexperimente für den Schlüssel zur Einsicht von beidem: von Theorien, indem man sie benutzt, von Wissenschaftsphilosophie, indem man versteht, wie sie funktionieren. In Gedankenexperimenten sieht Genz eine "einzigartige Allzweckwaffe" am Wirken, die frei anwendbare, vom Instinkt weitgehend entkoppelte gedankliche Einsicht, die ihre höchste Form in der rein logischen Einsicht gefunden hat.

Trotz der umfassenden Behandlung so vieler spannender Themen hinterlässt Genz seine Leser bei jedem dieser Themen unbefriedigt. Er hat zu allem eine Meinung, sicherlich meist eine akzeptable, aber dann doch nur eine Meinung, die den Anfänger überfordert und die Wissenschaftsphilosophen mit ihren ernsten, aber trockenen Problemen allein lässt. Er ist zu begeistert von den Geniestreichen der Physik und lässt sich von seinem überquellenden Assoziativgedächtnis treiben, was der Distanz zum Thema, der Tiefe der Gedanken und leider insbesondere ihrer verständlichen Vermittlung schadet.

Genz betreibt für die Physik kein freundliches, kritisch argumentierendes Werben um Verständnis, sondern eine Leistungsshow, die Gefahr läuft, gerade seinem Zielpublikum zum Ärgernis zu werden. Die neugierigen Laien, die sich von den Gedankenexperimenten mit den vielen interessanten Zeichnungen und Abbildungen in dem Buch einen unterhaltsamen und leicht verständlichen Eintritt in die Physik erhoffen, finden sich unversehens an der kurzen Leine eines autoritär wirkenden Führers durch das Feld gejagt: Grundbegriffe werden vorausgesetzt, unvermittelt erscheinen komplizierte mathematische Formeln, die ebenso überraschend wieder in der Versenkung verschwinden. Und gerade dort, wo es Genz gelingt, seine Leser neugierig zu machen, wird die Argumentationslinie zu schnell kurzatmig oder vage. (Erfreulicherweise findet sich meist ein Verweis auf gute Bücher, aus denen man mehr erfährt.)

Dass die schöne Anschaulichkeit, sich die Quantenmechanik mit Hänsel und Gretel erklären zu lassen, objektive Grenzen hat, merkt der Leser spätestens bei solchen Sätzen: Im Formalismus der Quantenmechanik tritt keine wie auch immer geartete Realität, keinesfalls aber ein Quantenzustand auf, der in Hänsels Gebiet vor Gretels Experiment definiert werden könnte und festlegte, welche Spins Hänsel bei welchem Experiment finden wird.

Duhem mag sich auf seiner Wolke bestätigt sehen, dass mit den Gedankenexperimenten nur ein monströser Wortschwall produziert werden kann, aber vielleicht hat Genz nur einfach eine Chance vertan, indem er sich ein zu großes Arbeitspensum mit zu wenig Zeit für Sorgfalt aufgebürdet hat.

ULRICH KÜHNE.

Henning Genz: "Gedankenexperimente". Wiley-VCH, Weinheim 1999. 292 S., Abb., br., 48,- DM.

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