Die Hirnforschung hat eine dominante Rolle bei der Erforschung des Menschen eingenommen. Dabei findet sie manches wieder, das schon aus anderen Wissenschaften bekannt ist. In bestimmten Bereichen geht die Hirnforschung aber einen entscheidenden Schritt weiter, als es bisher möglich war. Dies wird insbesondere beim "Gedankenlesen" deutlich, dem Versuch, im individuellen Gehirn nach bestimmten Mustern zu suchen, die mit subjektiven Bewusstseinszuständen einhergehen.
Das Buch stellt die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung allgemein verständlich und kritisch dar. Es führt den Leser von der Geschichte des Gedankenlesens über die Methoden der bildgebenden Hirnforschung schließlich zur aktuellen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Die Anwendungen können gesellschaftlich brisant sein, wenn es etwa um das Erkennen verborgener Absichten, der sexuellen Orientierung oder von Lügen geht.
Deshalb werden die Forschungsergebnisse abschließend auch im gesellschaftlichen, ethischen und juristischen Kontext diskutiert.
Das Buch bietet damit allen an der Hirnforschung und Neurophilosophie Interessierten die Möglichkeit, sich über die aktuellen Ergebnisse auf dem Gebiet des Gedankenlesens sowie ihre gesellschaftlichen Konsequenzen ausführlich zu informieren.
Das Buch stellt die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung allgemein verständlich und kritisch dar. Es führt den Leser von der Geschichte des Gedankenlesens über die Methoden der bildgebenden Hirnforschung schließlich zur aktuellen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Die Anwendungen können gesellschaftlich brisant sein, wenn es etwa um das Erkennen verborgener Absichten, der sexuellen Orientierung oder von Lügen geht.
Deshalb werden die Forschungsergebnisse abschließend auch im gesellschaftlichen, ethischen und juristischen Kontext diskutiert.
Das Buch bietet damit allen an der Hirnforschung und Neurophilosophie Interessierten die Möglichkeit, sich über die aktuellen Ergebnisse auf dem Gebiet des Gedankenlesens sowie ihre gesellschaftlichen Konsequenzen ausführlich zu informieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008Wann können wir endlich Gedanken lesen?
Es wird noch eine Weile dauern, bis Hirnscanner vor Gericht eingesetzt werden können. Stephan Schleim informiert sachkundig über Probleme der Hirnforschung
Ist Gedankenlesen möglich oder weiterhin nur ein Traum? Populärwissenschaftlich aufbereitete Ergebnisse aus der Hirnforschung dringen in weite Bereiche vor, wie man an den Diskussionen über den freien Willen und die mögliche Anwendung von bildgebenden Verfahren bei der Klärung von juristischen Fragen sieht. Die oft eindrucksvollen bunten Bilder werden jedoch von den allermeisten Lesern wohl nicht richtig verstanden. Das liegt zum einen an der Komplexität der technischen und statistischen Methoden, die der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zugrunde liegen, und zum anderen an der oft sehr verkürzten Darstellung in den Feuilletons und anderen Medien. So wurde kürzlich in einer Studie über die Beschreibung von fMRT-Befunden in den US-amerikanischen Printmedien nachgewiesen, dass deswegen meistens ein sehr vereinfachtes – und damit falsches – Bild der Ergebnisse präsentiert wird.
Daher ist es erfreulich, dass der Autor sich ausführlich mit den methodischen Aspekten der bildgebenden Verfahren auseinandersetzt und dem Leser eine Grundlage gibt, Forschungsergebnisse einzuschätzen. Der prägnanten Darstellung des Lügendetektors (Polygraphie) sowie der Messung von Hirnströmen und metabolischen Veränderungen während der Hirnaktivierung schließen sich zwei Kapitel an, in denen neuere Ergebnisse zum technischen Gedankenlesen aus der Grundlagenforschung sowie aus der angewandten Forschung vorgestellt werden. Ein abschließendes Kapitel über gesellschaftliche und ethische Aspekte befasst sich mit Teilen der aktuellen Diskussion.
Im Gegensatz zu manchen recht euphorischen Publikationen stellt dieses Buch von Steohan Schleim nicht nur die wissenschaftlichen Erfolge vor, sondern zeigt auch die Probleme bei der Interpretation und Generalisierung von Laborexperimenten auf und illustriert, dass bis zur Anwendung von Hirnscannern im Gerichtssaal ein langer, mit nicht unerheblichen Problemen gepflasterter Weg zurückzulegen sein wird. Gerade das macht dieses Sachbuch lesenswert, denn es bietet fundiertes Grundlagenwissen, ohne das die oft luftigen Diskussionen wohl nicht auskommen werden. WOLFGANG SKRANDIES
Stephan Schleim
Gedankenlesen
Pionierarbeit der Hirnforschung.
Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2008. 169 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Es wird noch eine Weile dauern, bis Hirnscanner vor Gericht eingesetzt werden können. Stephan Schleim informiert sachkundig über Probleme der Hirnforschung
Ist Gedankenlesen möglich oder weiterhin nur ein Traum? Populärwissenschaftlich aufbereitete Ergebnisse aus der Hirnforschung dringen in weite Bereiche vor, wie man an den Diskussionen über den freien Willen und die mögliche Anwendung von bildgebenden Verfahren bei der Klärung von juristischen Fragen sieht. Die oft eindrucksvollen bunten Bilder werden jedoch von den allermeisten Lesern wohl nicht richtig verstanden. Das liegt zum einen an der Komplexität der technischen und statistischen Methoden, die der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zugrunde liegen, und zum anderen an der oft sehr verkürzten Darstellung in den Feuilletons und anderen Medien. So wurde kürzlich in einer Studie über die Beschreibung von fMRT-Befunden in den US-amerikanischen Printmedien nachgewiesen, dass deswegen meistens ein sehr vereinfachtes – und damit falsches – Bild der Ergebnisse präsentiert wird.
Daher ist es erfreulich, dass der Autor sich ausführlich mit den methodischen Aspekten der bildgebenden Verfahren auseinandersetzt und dem Leser eine Grundlage gibt, Forschungsergebnisse einzuschätzen. Der prägnanten Darstellung des Lügendetektors (Polygraphie) sowie der Messung von Hirnströmen und metabolischen Veränderungen während der Hirnaktivierung schließen sich zwei Kapitel an, in denen neuere Ergebnisse zum technischen Gedankenlesen aus der Grundlagenforschung sowie aus der angewandten Forschung vorgestellt werden. Ein abschließendes Kapitel über gesellschaftliche und ethische Aspekte befasst sich mit Teilen der aktuellen Diskussion.
Im Gegensatz zu manchen recht euphorischen Publikationen stellt dieses Buch von Steohan Schleim nicht nur die wissenschaftlichen Erfolge vor, sondern zeigt auch die Probleme bei der Interpretation und Generalisierung von Laborexperimenten auf und illustriert, dass bis zur Anwendung von Hirnscannern im Gerichtssaal ein langer, mit nicht unerheblichen Problemen gepflasterter Weg zurückzulegen sein wird. Gerade das macht dieses Sachbuch lesenswert, denn es bietet fundiertes Grundlagenwissen, ohne das die oft luftigen Diskussionen wohl nicht auskommen werden. WOLFGANG SKRANDIES
Stephan Schleim
Gedankenlesen
Pionierarbeit der Hirnforschung.
Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2008. 169 Seiten, 18 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2007Was geht hinter dieser Stirn bloß vor?
Oft bestätigt die Hirnforschung nur Dinge, die wir aus anderen Wissenschaften oder aus der Alltagserfahrung schon wissen. Beim Gedankenlesen jedoch wird echte Pionierarbeit geleistet.
Wie realistisch ist die Verheißung eines maschinellen "Gedankenlesens"? Ein Phänomen, von dem inzwischen oft zu lesen ist und das bereits einige Unternehmen dazu gebracht hat, Lügendetektoren auf der Basis von Hirnscans in Aussicht zu stellen. Ist es möglich, dass über kurz oder lang die neuronalen Signaturen von Gedanken sich entschlüsseln lassen? Und mit welchen technischen Anwendungen wäre zu rechnen, wenn solches Wissen tatsächlich in Reichweite rückte?
Wer verstehen möchte, welchen neurowissenschaftlichen Techniken und Befunden sich diese Aussichten auf maschinelles Gedankenlesen verdanken, kann nun zu einem vorzüglichen Band greifen. Der Autor Stephan Schleim, in der bildgebenden Hirnforschung arbeitender Psychologe und auch mit philosophischen Debatten auf neurowissenschaftlichem Terrain vertraut, erklärt erst einmal, wie Hirnforscher überhaupt zu ihren Bildern neuronaler Aktivität im Gehirn kommen.
Der Leser erhält auf diese Weise eine ausgezeichnete Einführung in die Methoden, die von den mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gewonnenen Daten zu den errechneten bunten Bildern führen. Bündig und untechnisch wird erläutert, wie oft diese an Versuchspersonen gewonnenen Daten bearbeitet werden, bis sich sorgfältig gemittelte und herausgefilterte Aktivitätserhöhungen von lokalisierten Neuronenclustern - ein Punkt oder "Voxel" des Bildes besteht aus mindestens 500000 Neuronen - plausibel als Korrelate bestimmter mentaler Prozesse darstellen lassen. Vor dem Hintergrund dieser herkömmlichen Verwendung der fMRT, wie sie uns die bunten Gehirnbilder allerorten vor Augen führen, erläutert Schleim die modernen Auswertungsverfahren für Mustererkennung. Sie sind es nämlich, die für den anvisierten Übergang von der statistisch ausgewerteten Gruppe von zehn bis zwanzig Testpersonen zum einzelnen Gehirn und damit für das Projekt "Gedankenlesen" von zentraler Bedeutung sind.
In ihnen geht es nicht mehr nur darum, bestimmte Hirnorte auf erhöhte Aktivität zu testen und sich daraus ein Bild zu machen, sondern mit Hilfe von äußerst rechenstarken Algorithmen Muster in der neuronalen Aktivität des Gehirns einer Versuchsperson zu entdecken, die mit einer bestimmten Aufgabe beschäftigt ist. Die maschinell aus den riesigen Datenmengen extrahierten Muster sind dann die Kandidaten für neuronale Signaturen von mentalen Prozessen. Die ersten Befunde, die an solche Möglichkeiten denken ließen, kamen sogar noch ohne Methoden der Mustererkennung aus. Ende der neunziger Jahre konnte gezeigt werden, dass sich die deutlich erhöhte Aktivität von Hirnbereichen beim Erkennen bestimmter Objekte im Umkehrverfahren verwenden ließ. Aus deren Aktivitätsprofil konnte ein nicht am Versuch beteiligter Wissenschaftler mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig erschließen, welche dieser Objekte den Versuchspersonen präsentiert worden waren. Ein nächster Schritt bestand darin, dass sich die nun bereits ins Spiel gebrachten neuronalen Muster tatsächlich zu wahrgenommenen Objektklassen in Beziehung setzen ließen. Man konnte also aus dem Vorliegen eines Musters wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig treffen, welcher Objekttyp gezeigt worden war. Diese "gedanklichen Fingerabdrücke" für bestimmte Gegenstandskategorien ließen sich sogar auf neu wahrgenommene Objekte verallgemeinern und blieben bei den Versuchspersonen auch längere Zeit stabil.
Gleichzeitig näherte man sich in den letzten Jahren mit geschickt konzipierten Experimenten solchen mentalen Prozessen, die nicht durch die Versuchsanordnung kontrolliert und insofern in einem stärkeren Sinn als subjektiv und "verborgen" angesehen werden. Beispiele sind die subjektive Wahrnehmung mehrdeutiger optischer Phänomene oder der stillschweigend gefasste Vorsatz zum Ausführen einer bestimmten Rechenoperation: Auch in diesen experimentellen Settings ließen sich auf der Basis der Unterscheidung von korrelierten neuronalen Mustern hohe Quoten richtiger Treffer erzielen. Mit der Darstellung dieser Experimente ist der Status quo der einschlägigen Forschungen umrissen.
Schleim zeigt beides: die faszinierenden Ergebnisse, die sich mittlerweile erzielen lassen, und die Vielzahl der noch offenen Fragen, vor die sie stellen. Voreilige Interpretationen und halsbrecherische Spekulationen gibt es auf diesem Feld genug. Der Autor hat Sinn für prinzipielle Erwägungen, die sich nicht ganz abdecken lassen durch das bisher experimentell Etablierte. Aber er hat auch einen sehr gut ausgebildeten Sinn dafür, wenn diese Tendenz überzogen und das Terrain begrifflicher und methodischer Solidität verlassen wird. Das zeigt sich auch in seiner Diskussion der ins Auge gefassten technischen Anwendungen des "Gedankenlesens". Dort werden etwa die vorliegenden Versuchsreihen zur Verwendung als Lügendetektor beschrieben und ihre Ergebnisse abgewogen. Selbst wenn die Trefferquoten geringer sind als jene des Polygraphen, also des mit Hautwiderstand, Blutdruck sowie Atem- und Herzfrequenz arbeitenden klassischen "Lügendetektors", und sich vor allem prinzipielle Einwände unschwer finden lassen: Schleim ist realistisch genug, um in dieser Feststellung keine Gewähr dafür zu sehen, dass einschlägige Neurotechnologien nicht in der einen oder anderen Form zum Einsatz gelangen werden. Aber er muss sich nicht einfach mit dieser Prognose bescheiden, wie es der Hirnforscher Hans Markowitsch und sein Koautor Werner Siefer jüngst mit Blick auf Hirnbilder gerade in strafrechtlich relevanten Kontexten getan haben (F.A.Z. vom 17. September): Es geht im Gegenteil darum, Grundsätze des kritischen Umgangs mit möglicherweise zu erwartenden neuen Techniken zu formulieren. Das letzte Kapitel ist der Diskussion gesellschaftlicher und ethischer Aspekte von Neurotechniken gewidmet, die in den mentalen "Innenraum" eindringen. Schleims Buch führt vor, wie Aufklärung über neurowissenschaftliche Entwicklungen und deren mögliche Konsequenzen auszusehen hat. Sie hat vor allem eine verlässliche Darstellung von den Methoden der Forschung zu geben, von der Art und Weise, wie sie zu ihren Daten und ihren Gegenständen kommt und mit ihnen operiert. Damit lässt sich den kursierenden Hochsteigerungen neurowissenschaftlicher Befunde zu Revolutionen unseres Menschenbilds vorbeugen, ohne doch zu unterschlagen, dass die resultierenden Techniken, Therapien und neurowissenchaftlichen Klassifizierungen zweifellos Veränderungen mit sich bringen, über die man rechtzeitig zu diskutieren beginnen sollte. Man muss mittlerweile eine ganze Mythologie des Gehirns beiseiteräumen, um zu sehen, was die Hirnforschung tatsächlich leistet. Mit diesem Buch ist man dazu, im Gegensatz zu vielen Darstellungen auf dem Markt populärer Sachbuchtitel, gut gerüstet.
HELMUT MAYER
Stephan Schleim: "Gedankenlesen". Pionierarbeit der Hirnforschung. Mit Vorworten von Thomas Metzinger und John-Dylan Haynes. Heise Verlag/Telepolis, Hannover 2007. 169 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oft bestätigt die Hirnforschung nur Dinge, die wir aus anderen Wissenschaften oder aus der Alltagserfahrung schon wissen. Beim Gedankenlesen jedoch wird echte Pionierarbeit geleistet.
Wie realistisch ist die Verheißung eines maschinellen "Gedankenlesens"? Ein Phänomen, von dem inzwischen oft zu lesen ist und das bereits einige Unternehmen dazu gebracht hat, Lügendetektoren auf der Basis von Hirnscans in Aussicht zu stellen. Ist es möglich, dass über kurz oder lang die neuronalen Signaturen von Gedanken sich entschlüsseln lassen? Und mit welchen technischen Anwendungen wäre zu rechnen, wenn solches Wissen tatsächlich in Reichweite rückte?
Wer verstehen möchte, welchen neurowissenschaftlichen Techniken und Befunden sich diese Aussichten auf maschinelles Gedankenlesen verdanken, kann nun zu einem vorzüglichen Band greifen. Der Autor Stephan Schleim, in der bildgebenden Hirnforschung arbeitender Psychologe und auch mit philosophischen Debatten auf neurowissenschaftlichem Terrain vertraut, erklärt erst einmal, wie Hirnforscher überhaupt zu ihren Bildern neuronaler Aktivität im Gehirn kommen.
Der Leser erhält auf diese Weise eine ausgezeichnete Einführung in die Methoden, die von den mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gewonnenen Daten zu den errechneten bunten Bildern führen. Bündig und untechnisch wird erläutert, wie oft diese an Versuchspersonen gewonnenen Daten bearbeitet werden, bis sich sorgfältig gemittelte und herausgefilterte Aktivitätserhöhungen von lokalisierten Neuronenclustern - ein Punkt oder "Voxel" des Bildes besteht aus mindestens 500000 Neuronen - plausibel als Korrelate bestimmter mentaler Prozesse darstellen lassen. Vor dem Hintergrund dieser herkömmlichen Verwendung der fMRT, wie sie uns die bunten Gehirnbilder allerorten vor Augen führen, erläutert Schleim die modernen Auswertungsverfahren für Mustererkennung. Sie sind es nämlich, die für den anvisierten Übergang von der statistisch ausgewerteten Gruppe von zehn bis zwanzig Testpersonen zum einzelnen Gehirn und damit für das Projekt "Gedankenlesen" von zentraler Bedeutung sind.
In ihnen geht es nicht mehr nur darum, bestimmte Hirnorte auf erhöhte Aktivität zu testen und sich daraus ein Bild zu machen, sondern mit Hilfe von äußerst rechenstarken Algorithmen Muster in der neuronalen Aktivität des Gehirns einer Versuchsperson zu entdecken, die mit einer bestimmten Aufgabe beschäftigt ist. Die maschinell aus den riesigen Datenmengen extrahierten Muster sind dann die Kandidaten für neuronale Signaturen von mentalen Prozessen. Die ersten Befunde, die an solche Möglichkeiten denken ließen, kamen sogar noch ohne Methoden der Mustererkennung aus. Ende der neunziger Jahre konnte gezeigt werden, dass sich die deutlich erhöhte Aktivität von Hirnbereichen beim Erkennen bestimmter Objekte im Umkehrverfahren verwenden ließ. Aus deren Aktivitätsprofil konnte ein nicht am Versuch beteiligter Wissenschaftler mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig erschließen, welche dieser Objekte den Versuchspersonen präsentiert worden waren. Ein nächster Schritt bestand darin, dass sich die nun bereits ins Spiel gebrachten neuronalen Muster tatsächlich zu wahrgenommenen Objektklassen in Beziehung setzen ließen. Man konnte also aus dem Vorliegen eines Musters wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig treffen, welcher Objekttyp gezeigt worden war. Diese "gedanklichen Fingerabdrücke" für bestimmte Gegenstandskategorien ließen sich sogar auf neu wahrgenommene Objekte verallgemeinern und blieben bei den Versuchspersonen auch längere Zeit stabil.
Gleichzeitig näherte man sich in den letzten Jahren mit geschickt konzipierten Experimenten solchen mentalen Prozessen, die nicht durch die Versuchsanordnung kontrolliert und insofern in einem stärkeren Sinn als subjektiv und "verborgen" angesehen werden. Beispiele sind die subjektive Wahrnehmung mehrdeutiger optischer Phänomene oder der stillschweigend gefasste Vorsatz zum Ausführen einer bestimmten Rechenoperation: Auch in diesen experimentellen Settings ließen sich auf der Basis der Unterscheidung von korrelierten neuronalen Mustern hohe Quoten richtiger Treffer erzielen. Mit der Darstellung dieser Experimente ist der Status quo der einschlägigen Forschungen umrissen.
Schleim zeigt beides: die faszinierenden Ergebnisse, die sich mittlerweile erzielen lassen, und die Vielzahl der noch offenen Fragen, vor die sie stellen. Voreilige Interpretationen und halsbrecherische Spekulationen gibt es auf diesem Feld genug. Der Autor hat Sinn für prinzipielle Erwägungen, die sich nicht ganz abdecken lassen durch das bisher experimentell Etablierte. Aber er hat auch einen sehr gut ausgebildeten Sinn dafür, wenn diese Tendenz überzogen und das Terrain begrifflicher und methodischer Solidität verlassen wird. Das zeigt sich auch in seiner Diskussion der ins Auge gefassten technischen Anwendungen des "Gedankenlesens". Dort werden etwa die vorliegenden Versuchsreihen zur Verwendung als Lügendetektor beschrieben und ihre Ergebnisse abgewogen. Selbst wenn die Trefferquoten geringer sind als jene des Polygraphen, also des mit Hautwiderstand, Blutdruck sowie Atem- und Herzfrequenz arbeitenden klassischen "Lügendetektors", und sich vor allem prinzipielle Einwände unschwer finden lassen: Schleim ist realistisch genug, um in dieser Feststellung keine Gewähr dafür zu sehen, dass einschlägige Neurotechnologien nicht in der einen oder anderen Form zum Einsatz gelangen werden. Aber er muss sich nicht einfach mit dieser Prognose bescheiden, wie es der Hirnforscher Hans Markowitsch und sein Koautor Werner Siefer jüngst mit Blick auf Hirnbilder gerade in strafrechtlich relevanten Kontexten getan haben (F.A.Z. vom 17. September): Es geht im Gegenteil darum, Grundsätze des kritischen Umgangs mit möglicherweise zu erwartenden neuen Techniken zu formulieren. Das letzte Kapitel ist der Diskussion gesellschaftlicher und ethischer Aspekte von Neurotechniken gewidmet, die in den mentalen "Innenraum" eindringen. Schleims Buch führt vor, wie Aufklärung über neurowissenschaftliche Entwicklungen und deren mögliche Konsequenzen auszusehen hat. Sie hat vor allem eine verlässliche Darstellung von den Methoden der Forschung zu geben, von der Art und Weise, wie sie zu ihren Daten und ihren Gegenständen kommt und mit ihnen operiert. Damit lässt sich den kursierenden Hochsteigerungen neurowissenschaftlicher Befunde zu Revolutionen unseres Menschenbilds vorbeugen, ohne doch zu unterschlagen, dass die resultierenden Techniken, Therapien und neurowissenchaftlichen Klassifizierungen zweifellos Veränderungen mit sich bringen, über die man rechtzeitig zu diskutieren beginnen sollte. Man muss mittlerweile eine ganze Mythologie des Gehirns beiseiteräumen, um zu sehen, was die Hirnforschung tatsächlich leistet. Mit diesem Buch ist man dazu, im Gegensatz zu vielen Darstellungen auf dem Markt populärer Sachbuchtitel, gut gerüstet.
HELMUT MAYER
Stephan Schleim: "Gedankenlesen". Pionierarbeit der Hirnforschung. Mit Vorworten von Thomas Metzinger und John-Dylan Haynes. Heise Verlag/Telepolis, Hannover 2007. 169 S., br., 18,- [Euro].
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