Dschalaluddin Rumi (1207 - 1273) ist einer der bedeutendsten Repräsentanten der islamischen Mystik und darüber hinaus neben dem von Goethe so verehrten Hafis einer der größten Meister der persischen Lyrik. Der aus dem Norden des heutigen Afghanistans stammende Rumi war mit seiner Familie nach Konya in der heutigen Türkei geflohen, wo er dem geheimnisvollen Wanderderwisch Schamsuddin begegnete. Dieser Mystiker, in dem sich für ihn Gott selbst manifestierte, inspirierte Rumi zu ekstatischer Liebesdichtung in rauschhaften Bildern und einer mitreißend musikalischen Sprache. Die ganze Welt der Erscheinungen, vor allem blühende Frühlingsgärten, wurde ihm zum Symbol für das "Kommen des Freundes". Aber auch Phänomene des Alltags klammerte Rumi nicht aus, denn alles hatte in seiner hierarchisch geordneten Welt seinen eigenen Platz.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.02.2004Was ich dichte, ist wie Manna
Von Trunkenheit ist allerorts die Rede: Die Lyrik des persischen Mystikers Rumi
Dieses Buch, eine Auswahl von 106 Ghaselen und Vierzeilern aus dem umfangreichen lyrischen Werk des persischen Mystikers Rumi (1207 bis 1273) ist zugleich ein Monument islamwissenschaftlicher Gelehrsamkeit, wie sie heute nur noch wenige Nachfolger findet. Weit entfernt vom Anspruch oder der Einsicht in die Notwendigkeit, ihr Fach als „Kulturwissenschaft” neu zu begründen, haben sich Philologen wie der Berner Emeritus Johann Christoph Bürgel, Herausgeber dieses Bandes, mit Problemen wie „Lautsymbolik und funktionales Wortspiel bei Rumi” oder „Some formal aspects in the ghazal poetry of Rumi” beschäftigt. Ihren praktischen Nutzen stellt die Beschäftigung mit der Formensprache orientalischer Lyrik in Ausgaben wie dieser unter Beweis, nämlich in der nachdichtenden Übersetzung und Erläuterung von Rumis Gedichten.
Das erste Gedicht beginnt in Bürgels Nachdichtung wie folgt: „Was ich dichte, ist wie Manna:/ eine Nacht schon macht es alt./ Kosten soll du’s, wenn es frisch ist,/ eh es Staubes Aufenthalt!” Manchmal wüsste man gern, wie der Text in einer nicht auf Reim und Rhythmus bedachten, sozusagen trockenen Übersetzung aussähe. Und manchmal fragt man sich, ob Rumis Gedichte, so nützlich die Erläuterung ihrer formalen Gegebenheiten ist, nicht kommentarlos bestehen könnten. So fängt Kommentar zum ersten Gedicht mit den Worten an: „Das kleine Gedicht ist trotz des schlichten Tones von tiefgründiger Aussage.” Diese Art kommentierender Eskortierung hat etwas Bevormundendes an sich. Warum wird uns Rumi editorisch so ganz anders angeboten als, sagen wir, Hölderlin? Solche Bedenken mindern indessen nicht das Verdienst dieser Ausgabe. Ohne Bürgels Einführung bliebe der Zugang zu Rumis Gedichten ebenso beschränkt wie ohne seine in aller Regel instruktiven Kommentare.
Beflügelt von populären Nachdichtungen haben die Gedichte des Mystikers in den vergangenen Jahren ein neues Publikum gefunden. Man scheint sie im Abendland auch ohne tieferes Eindringen in das Wesen der islamischen Mystik zu verstehen; aber man versteht sie besser, wenn man der abendländischen Spuren in Rumis Lyrik gewahr wird. Namentlich der Neuplatonismus ist in ihnen gegenwärtig, die von Plotin herkommende Apotheose einer mystischen Liebe, deren fleischliche Erscheinungsformen nur Vorstufen auf dem Weg zu einer geistigen All-Einheit darstellen. Rumis Gedichte prangen in allen Farben einer orientalischen Sinnlichkeit, doch den Mystiker zieht es über die irdischen Verheißungen von Wein und Windröschen hinweg zu Gott. Wenn ein Gedicht hinter dem Bild des Mondes und der Zypresse das Antlitz und den schlanken Wuchs des Geliebten besingt, dann besingt es hinter dem Bild des Geliebten zuletzt IHN.
Von Trunkenheit ist allerorts die Rede bei Rumi, dem Gründer des Ordens der tanzenden Derwische, doch die Trunkenheit des Leibes bedeutet nichts gegen die Trunkenheit der mystischen Seele. „Im Kelch, den ich ergreife, ist Wein von lauterem Lichte.” Trunken vom Lichte Gottes, entdeckt der Sänger auch in den reizvollsten irdischen Erscheinungen kaum mehr als symbolische Surrogate des Überirdischen. Man hat die mystische Tradition gern zum Nachweis einer diesseitigen, daseinsfrohen, ja freizügigen Strömung im Islam herangezogen. Liest man Rumis Gedichte in Bürgels Ausgabe, dann wird diese Vermutung nicht unbedingt bestätigt. Man ist geneigt, das erotische Sehnen oder Verlangen als Deckfigur eines umfassenderen, nämlich religiösen Verlangens aufzufassen. Doch dieser Schein könnte auch trügen.
CHRISTOPH BARTMANN
DSCHLAALUDDIN RUMI: Gedichte aus dem Diwan. Ausgewählt, aus dem Persischen übertragen und erläutert von Johann Christoph Bürgel. Verlag C. H. Beck, München 2003. 144 S., 19, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Von Trunkenheit ist allerorts die Rede: Die Lyrik des persischen Mystikers Rumi
Dieses Buch, eine Auswahl von 106 Ghaselen und Vierzeilern aus dem umfangreichen lyrischen Werk des persischen Mystikers Rumi (1207 bis 1273) ist zugleich ein Monument islamwissenschaftlicher Gelehrsamkeit, wie sie heute nur noch wenige Nachfolger findet. Weit entfernt vom Anspruch oder der Einsicht in die Notwendigkeit, ihr Fach als „Kulturwissenschaft” neu zu begründen, haben sich Philologen wie der Berner Emeritus Johann Christoph Bürgel, Herausgeber dieses Bandes, mit Problemen wie „Lautsymbolik und funktionales Wortspiel bei Rumi” oder „Some formal aspects in the ghazal poetry of Rumi” beschäftigt. Ihren praktischen Nutzen stellt die Beschäftigung mit der Formensprache orientalischer Lyrik in Ausgaben wie dieser unter Beweis, nämlich in der nachdichtenden Übersetzung und Erläuterung von Rumis Gedichten.
Das erste Gedicht beginnt in Bürgels Nachdichtung wie folgt: „Was ich dichte, ist wie Manna:/ eine Nacht schon macht es alt./ Kosten soll du’s, wenn es frisch ist,/ eh es Staubes Aufenthalt!” Manchmal wüsste man gern, wie der Text in einer nicht auf Reim und Rhythmus bedachten, sozusagen trockenen Übersetzung aussähe. Und manchmal fragt man sich, ob Rumis Gedichte, so nützlich die Erläuterung ihrer formalen Gegebenheiten ist, nicht kommentarlos bestehen könnten. So fängt Kommentar zum ersten Gedicht mit den Worten an: „Das kleine Gedicht ist trotz des schlichten Tones von tiefgründiger Aussage.” Diese Art kommentierender Eskortierung hat etwas Bevormundendes an sich. Warum wird uns Rumi editorisch so ganz anders angeboten als, sagen wir, Hölderlin? Solche Bedenken mindern indessen nicht das Verdienst dieser Ausgabe. Ohne Bürgels Einführung bliebe der Zugang zu Rumis Gedichten ebenso beschränkt wie ohne seine in aller Regel instruktiven Kommentare.
Beflügelt von populären Nachdichtungen haben die Gedichte des Mystikers in den vergangenen Jahren ein neues Publikum gefunden. Man scheint sie im Abendland auch ohne tieferes Eindringen in das Wesen der islamischen Mystik zu verstehen; aber man versteht sie besser, wenn man der abendländischen Spuren in Rumis Lyrik gewahr wird. Namentlich der Neuplatonismus ist in ihnen gegenwärtig, die von Plotin herkommende Apotheose einer mystischen Liebe, deren fleischliche Erscheinungsformen nur Vorstufen auf dem Weg zu einer geistigen All-Einheit darstellen. Rumis Gedichte prangen in allen Farben einer orientalischen Sinnlichkeit, doch den Mystiker zieht es über die irdischen Verheißungen von Wein und Windröschen hinweg zu Gott. Wenn ein Gedicht hinter dem Bild des Mondes und der Zypresse das Antlitz und den schlanken Wuchs des Geliebten besingt, dann besingt es hinter dem Bild des Geliebten zuletzt IHN.
Von Trunkenheit ist allerorts die Rede bei Rumi, dem Gründer des Ordens der tanzenden Derwische, doch die Trunkenheit des Leibes bedeutet nichts gegen die Trunkenheit der mystischen Seele. „Im Kelch, den ich ergreife, ist Wein von lauterem Lichte.” Trunken vom Lichte Gottes, entdeckt der Sänger auch in den reizvollsten irdischen Erscheinungen kaum mehr als symbolische Surrogate des Überirdischen. Man hat die mystische Tradition gern zum Nachweis einer diesseitigen, daseinsfrohen, ja freizügigen Strömung im Islam herangezogen. Liest man Rumis Gedichte in Bürgels Ausgabe, dann wird diese Vermutung nicht unbedingt bestätigt. Man ist geneigt, das erotische Sehnen oder Verlangen als Deckfigur eines umfassenderen, nämlich religiösen Verlangens aufzufassen. Doch dieser Schein könnte auch trügen.
CHRISTOPH BARTMANN
DSCHLAALUDDIN RUMI: Gedichte aus dem Diwan. Ausgewählt, aus dem Persischen übertragen und erläutert von Johann Christoph Bürgel. Verlag C. H. Beck, München 2003. 144 S., 19, 90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Lektüre der ins Deutsche übertragenen Gedichte Rumis (1201-1273) des bedeutendsten persischen Mystikers, hat Stefan Weidner vermuten lassen, dass die "Schwierigkeit, den Orient zu verstehen, gar nicht inhaltlicher, sondern ästhetischer Natur" ist. Die verkörperten Ideen seien oft den abendländischen nicht unähnlich, ihre Ausgestaltung und deren Faszination dagegen - in der Lyrik erreicht durch "sprachliche Perfektion" - verschließe sich dem westlichen Menschen zumeist. An dieser Stelle treten die Orientalisten als Vermittler auf - ein großes Glück, aber auch ein Problem, so Weidner. Warum, das zeige dieser Band, der die lange Beschäftigung Johann Christoph Bürgels mit Rumis Werk bündelt und nach Meinung des Rezensenten für Jahrzehnte unerreicht bleiben wird. Bürgel wolle beides - die Gedichte in eine kongeniale sprachliche Form bringen und sie dem deutschsprachigen Leser erklären - und er könne auch beides. Das Problem: Indem er das tue, indem er jedem Gedicht eine Erläuterung beifüge und zugleich die sprachlichen Bilder in kunstvollen deutschen Reimen binde, lege er ihre Bedeutung fest und schotte sie "gegen andere, weitergehende Interpretationen und letztlich gegen die Phantasie des Lesers ab". Ein "typisches Dilemma", das zu einem eigentlich absurden Schluss führt, meint Weidner: Weniger "übersetzerischer Ehrgeiz" und mehr Vertrauen auf die Kraft der bloßen sprachlichen Bilder Rumis hätten dem Text, wenn auch nicht seinem Klang, besser getan.
© Perlentaucher Medien GmbH
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