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Bereits als Gymnasiast veröffentlichte der spätere Büchner-Preisträger Albert Drach Gedichte in der Zeitung, die nach dem Ersten Weltkrieg unter dem Titel "Kinder der Träume" auch in Buchform herauskamen; für 45 Jahre sollte dies Drachs einziges Buch bleiben. Ehe er 1953 von sich aus seine lyrische Produktion für beendet erklärte, entstanden ganze Gedichtzyklen, an denen er immer wieder arbeitete, um sie, meist vergeblich, für den Druck vorzubereiten. Erst mit dem vorliegenden Band 10 der Werkausgabe, nach den Forschungen von Herausgeber Reinhard Schulte, ist es möglich, die gesamte Breite von…mehr

Produktbeschreibung
Bereits als Gymnasiast veröffentlichte der spätere Büchner-Preisträger Albert Drach Gedichte in der Zeitung, die nach dem Ersten Weltkrieg unter dem Titel "Kinder der Träume" auch in Buchform herauskamen; für 45 Jahre sollte dies Drachs einziges Buch bleiben. Ehe er 1953 von sich aus seine lyrische Produktion für beendet erklärte, entstanden ganze Gedichtzyklen, an denen er immer wieder arbeitete, um sie, meist vergeblich, für den Druck vorzubereiten. Erst mit dem vorliegenden Band 10 der Werkausgabe, nach den Forschungen von Herausgeber Reinhard Schulte, ist es möglich, die gesamte Breite von Drachs Lyrik zu überblicken und diese Lücke in der Literaturgeschichte zu schließen.
Autorenporträt
Albert Drach, 1902 in Wien geboren, promovierte in Rechtswissenschaften. 1988 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Sein Werk umfasst alle literarischen Gattungen. Albert Drach starb 1995 in Mödling. Zuletzt erschienen: Unsentimentale Reise (2004), Das Beileid (2006), Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum (2008), Gedichte (2009), Das Goggelbuch (2011), Amtshandlung gegen einen Unsterblichen (2013), Die Erzählungen (2014), O Catilina / Kudruns Tagebuch (2018), Das Kasperspiel vom Meister Siebentot. Dramen I Band 8/1 und Gottes Tod ein Unfall. Dramen II. Band 8/II (2022).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2009

Elegien des ewig Wandernden
Neusachlicher Spott, allegorisches Welttheater: Die Gedichte Albert Drachs

Als Albert Drach im Jahre 1988, sieben Jahre vor seinem Tod, den Georg-Büchner-Preis erhielt, war sein Name keineswegs in aller Munde. Geehrt wurde er eher seines verhinderten Ruhmes wegen. Der 1902 in Wien geborene jüdische Schriftsteller hatte in Wien Jura studiert und sich in Mödling bei Wien als Rechtsanwalt niedergelassen. Den Unrechtsstaat sah er kommen, und nachdem Hitler in Wien eingezogen war und Himmlers SS begonnen hatte, das Land zu durchkämmen, war für ihn in Österreich kein Bleiben mehr; er floh nach Frankreich. Hier durchlief er nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mehrere Internierungslager und war schon zur Auslieferung an Deutschland ins Lager Rivesaltes gebracht worden, als ihm abermals die Flucht gelang. Er überlebte im Versteck und kehrte endgültig 1948 nach Mödling zurück - als Schriftsteller so gut wie unbekannt.

Doch blieben die Sätze bemerkenswert, mit denen der Rundfunkredakteur Leopold Liegler schon 1937 eine Gedichtlesung des Autors im Wiener Radio kommentiert hatte: "Albert Drach ist ein echtes Kind seiner Zeit, er leidet schwer unter den fast unaufhebbaren Dissonanzen der Epoche und spürt all das Teuflische, Unterirdische, Widersprüchliche, Unnatürliche, das Groteske und Spukhafte unserer Welt."

Nicht an seine Lyrik allerdings heftete sich das Interesse der literarischen Öffentlichkeit nach seiner Rückkehr aus dem Exil. Auch als Theaterautor gelang ihm die Eroberung der Bühne nicht. Zwar brachten es fünf seiner zweiundzwanzig Stücke wenigstens zu Premieren, aber nicht zu Aufführungsreihen. Titel wie "Das Skurrilspiel Sowas" oder "Das Kasperlspiel vom Meister Siebentot" lassen schon die Schwierigkeiten ahnen, die Drach mit der professionellen Bühne hatte. Als seine Domäne galt die Prosa. Neben zwei autobiographischen Berichten hat ihm vor allem der 1964 erschienene, aber schon im Exil geschriebene Roman "Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum" bekannt gemacht, in dem sein Erzählstil markant wird. In zugespitztem schnörkelhaften Kanzleistil des Gerichtsprotokolls entrollt ein Referendar den Fall des ostgalizischen Talmudschülers Zwetschkenbaum, dem man einen Pflaumendiebstahl unterstellt und der hoffnungslos in ein Labyrinth aus Justizirrtum, Gefängnis, Hospital und Irrenanstalt gerät.

In die Widersprüche und die antagonistischen Spannungen des Daseins und damit in die Ausweglosigkeit führt auch die Lyrik Drachs, die jetzt als zehnter Band der Werkausgabe im Zsolnay Verlag erschienen ist - als erste Gesamtausgabe der Gedichte überhaupt. Reinhard Schulte hat sie kundig gegliedert und kenntnisreich kommentiert, auch den Mut zu vorsichtiger Auslassung gehabt. Die frühen Gedichte des zwanzigjährigen und jüngeren Drach darf der nicht wissenschaftlich interessierte Leser getrost überfliegen. Reimzwang und Salven von Stabreimen verraten noch den schülerhaften Verseschmied. Aber schon zeichnen sich mit Luzifers Lachen und mit "Teufelchens" Ränken die gegen Gott und die alttestamentlichen Propheten revoltierenden Kräfte ab; Dichten bleibt hier manchmal ein Wortetürmen.

Davon unterscheiden sich auffällig Gedichte der Jahre 1929 bis 1934. Bänkelliedtöne werden vernehmbar, in manchen Gedichten spukt Christian Morgenstern, aus anderen hört man Erich Kästners neusachlichen Spott, parodistisch werden Parolen des Antisemitismus bloßgestellt. Dann aber entschließt sich Drach, in Sonetten der Jahre 1936/37, zur Straffung der Form. Herausragend hier das Sonett "Mein Vater", das der Tod eines Mannes ausgelöst hatte, mit dem der Sohn sonst nicht immer gerecht verfuhr.

Den eigentlich dichterischen Ton aber entbanden erst unmittelbare zeitgeschichtliche Erfahrungen, in der "ahasverischen Elegie" aus den Jahren 1937/38. Der Verzicht auf den Reim befreit von starrem Formzwang, gibt einer dynamischen, ins Epische ausgreifenden Sprache Raum. Sieben Strophen in Kurzversen beschwören die Leidenserfahrungen des "Wandernden", "des Ewigen Juden" und führen beziehungsvoll auf das Gedicht "Ahasver am Kreuz" zu. Dieser Zyklus ist der geschlossenste des Bandes.

Nach der Rückkehr aus dem französischen Exil hat sich Drach mit Gedichten zum Holocaust, mit Gedichten zu Nichterlebtem, zurückgehalten. In den "Gesängen der Drangsal" verspielt das Gedicht "Jüdisches Kind vor der Gaskammer" seine Bannkraft durch eine unglückliche Imitation von Kinderversen. Mehrfach benutzt Drach das Stilmittel, geweckte Erwartungen ins Leere laufen zu lassen. Mit Vorliebe aber versetzt er Politisches auf eine Ebene, von der aus allegorisch auf die Situation der Epoche verwiesen wird. Seine Gedichte errichten eine Weltbühne, auf der Sinnliches immer ins Übersinnliche greift, auf der Gott, Luzifer und die "Teufelchen", die biblischen Propheten, der Antichrist und Gestalten poetischer Mythen gleichermaßen agieren und wo man auch Hexensabbat feiert. So deutet sich ein Weltpanorama an, in dem sich selbst die grotesken Gestalten eines Hieronymus Bosch oder des Höllen-Brueghel vertraut fühlen könnten.

Warum will dennoch der Funke zum Leser nicht recht überspringen? Beurteilt man den Band als Ganzes, so ist in ihm zu viel groß Gedachtes, das die vollkommene poetisch-lyrische Form nicht findet. Doch wohl nicht von ungefähr druckte der Hanser Verlag von 1988 an Neuauflagen und neue Beispiele epischer Prosa Drachs, aber weder seine Stücke noch seine Lyrik. Und gegen alle Schuldzuweisungen von Reinhard Schulte an eine blamable Rezeptionsgeschichte und trotz seiner hingebungsvollen Rettungsversuche bleibt doch ein Ungenügen. Drachs Verskunst ist zu oft nicht auf der Höhe des Gewollten. Es hilft nichts, es muss gesagt werden: Drach war nicht das, was man - im vollen Sinne des Wortes - einen "genuinen" Lyriker nennt.

WALTER HINCK.

Albert Drach: "Gedichte". Werke in zehn Bänden, Band 10. Hrsg. von Reinhard Schulte. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009. 541 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Walter Hinck sagt es nicht gern, aber er kann bei allem Wohlwollen in Albert Drach keinen "genuinen Lyriker" erkennen. Der Rezensent erinnert in seiner Kritik an den Werdegang des 1902 in Wien geborenen jüdischen Autors, der vor den Nazis nach Frankreich floh und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in einem Versteck überlebte. Nach Österreich zurückgekehrt schrieb er Theaterstücke, Prosatexte und Lyrik, brachte es aber nicht zu wirklichem Erfolg, resümiert der Rezensent. Bei der Sichtung der nun als Abschlussband des Gesamtwerks vorliegenden Gedichte, die von Reinhard Schulte hervorragend kommentiert und in eine sinnvolle Gliederung gebracht wurden, wie Hinck lobt, ist ihm wenig Begeisterung anzumerken. Mit den frühen Gedichten soll man sich seinem Rat zufolge gar nicht aufhalten. Wenn sich die Gedichte ab 1937/38 dann von Reim und allzu "starrem" Formgerüst befreien und zeitgeschichtliche Erfahrungen verarbeiten, findet Hinck sie schon eher überzeugend. Dennoch bleibt beim Rezensenten der Eindruck, dass Drach zumindest in den Gedichten seine Form nicht findet, seine Sprache nicht auf die "Höhe des Gewollten" gelangt und der "Funke" seiner Verse deshalb auch nicht auf die Leser "überspringen" kann.

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