Produktdetails
  • Verlag: Arche
  • ISBN-13: 9783716022931
  • ISBN-10: 3716022934
  • Artikelnr.: 06322552
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.04.2002

Denn Dichter sein und dichten ist zweierlei
„Es war zwar nicht Phrase, doch platzte die Blase”: Beim Verseschmieden war des Malers Paul Klee größte Versuchung der Kalauer
„Die Farbe hat mich... ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.” Das Licht von Kairuan hatte im Frühling 1914 aus dem Zeichner Paul Klee den Schöpfer von Aquamarin und Rosenholz gemacht – so will es die Legende, zu der Klee selbst seine tunesische Aufzeichnung in der Reinschrift verklärte. Es verstaute der Dreifachbegabte Wort und Geige zugunsten von gemalter Musik und getuschten Aperçus. Sein musikalisch- literarischer Genius schrieb sich aber nicht ausschließlich den Bildern ein.
Zeugnis davon sind Klees „Gedichte”, unverändert wieder einmal aufgelegt in einem hübsch borretschblauen Bändchen. In den mitunter wenig beherrschten Strophen gibt das Malerische den Ton an. Tiere, Schiffe, Sterne, Farben und Formen tauchen auf, spielen, gehen unter. Überhaupt ist das Sprachspiel, wie es die großen Lautpoeten dann virtuoser handhaben sollten, ein Lieblingssujet Klees: „Sturm und Wurm / Sang und Drang / Wurm und Sang / Drang und Sturm”.
Ein lyrisches Ich oder Du ist fast immer präsent, das Autobiografische ahnbar. Romantisches Volkslied, Expressionismus und Nonsens-Verse hinterlassen Spuren – „es war zwar nicht Phrase, / doch platzte die Blase”. Beim Genuss der lyrischen Happen stört freilich, dass oft gar keine Originalgedichte Klees vorliegen. Sein Sohn Felix extrahierte sie 1960 aus unveröffentlichten Quellen wie Tagebüchern und Briefen. Dabei stellte er gern die Form erst her, indem er Textpassagen seines Vaters typografisch versifizierte. Lächerlich wirkt es, wenn bloße Reimschemata, wie viele Schriftsteller sie anfangs anfertigen, als Gedichte abgedruckt werden: „Gefastet / Magen lastet // vertragen / gerastet / Wagen // verbieten / kaufen / mieten.” Dass „Magen” und „lastet” nach Klee und Logik in zwei aufeinander folgende Zeilen (und nicht in eine) gehört, übersah der Editor.
Aus Paul Klees Tagebuch-Notiz „Fliehe nicht meine Nähe! Vertraue! Erkenne! Ausgetrocknet hast Du die Sümpfe meiner Seele, nun steckst Du im Gewölk. Dein Sieg wird ganz sein.” schnippelte er das Gedicht: „Fliehe nicht meine Nähe! Vertraue! Erkenne! Ausgetrocknet / hast Du die Sümpfe meiner Seele, nun steckst Du im / Gewölk. Dein Sieg wird ganz sein.” Hier verwechselt man willkürliche Zeilenbrechung mit Lyrik. Das haben die Sätze Paul Klees gar nicht nötig, die genuin poetisch sind, wie sein Tagebuch (ein höchst empfehlenswertes Werk, zumal in der textkritischen Ausgabe) auf jeder Seite beweist. Eine Eintragung vom Sommer 1901 lautet: „Denn Dichter sein und dichten ist zweierlei.”
GUDRUN SCHURY
PAUL KLEE: Gedichte. Zürich / Hamburg, Arche Verlag 2001. 139 Seiten, 14 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gudrun Schury sieht ein großes Risiko von Paul Klees Gedichten in seiner Neigung zum "Kalauer". In den nun wiederaufgelegten Gedichten sind Unsinnsgedichte, Volksliedhaftes und lautmalerische Sprachspiele zu finden, von denen aber, so die Rezensentin kritisch, schon bessere geschrieben worden sind. Richtig verärgert ist sie darüber, dass der Sohn Klees aus Tagebuchnotizen des Vaters erst Gedichte extrahiert hat, wo gar keine "Originalgedichte" vorlagen. Gänzlich "lächerlich" wird das, wenn bloße "Reimschemata", als Lyrik abgedruckt werden, so Schury indigniert.

© Perlentaucher Medien GmbH