Das späte Mittelalter ist eine Zeit verwirrender Gegensätze, eine Spätzeit, in der eine seltsam ekstatische, aber auch tief verinnerlichte Frömmigkeit Blüten trieb, in der der Klerus weitgehend verweltlicht war, in der Exzesse in Askese umschlugen und umgekehrt; eine Zeit voller Prophezeiungen,
Ahnungen, Ängste. Als geistliche Reaktion entstanden Reformbewegungen, die eine neue, einfache, demütige…mehrDas späte Mittelalter ist eine Zeit verwirrender Gegensätze, eine Spätzeit, in der eine seltsam ekstatische, aber auch tief verinnerlichte Frömmigkeit Blüten trieb, in der der Klerus weitgehend verweltlicht war, in der Exzesse in Askese umschlugen und umgekehrt; eine Zeit voller Prophezeiungen, Ahnungen, Ängste. Als geistliche Reaktion entstanden Reformbewegungen, die eine neue, einfache, demütige Kirche ersehnten und die dieses christusförmige Ideal vorzuleben versuchten, sozusagen Vorboten der Reformation, die auch an Radikalität ihr in nichts nachstanden.
Zu ihnen gehört die "Devotio moderna" (neue, moderne Frömmigkeit und Gotteshingabe). Sie nannte sich "modern", weil sie sich von der theologischen Rationalität der Scholastik abwandte und eine neue Praxis christusmäßiger Spiritualität verwirklichte. Die Devotio moderna versuchte eine neue christliche Lebensweise zu schaffen, in der einzig die Erfahrung des Gottesglaubens bestimmend war. Sie verband Kirchenkritik, mystische Verinnerlichung, aktive Glaubenspraxis und gelebte Diakonie an allen Mitmenschen miteinander zu einer erneuerten, bewussten Form christlicher Lebensführung zur Ehre Gottes.
Im Zentrum dieser Frömmigkeit stand die Nachfolge Christi, verstanden als wesensmäßiges Gleichförmigwerden mit dem auferstanden Herrn Jesus Christus, ebenso als Vergegenwärtigung des Lebens und Leidens Christi. Mystische Gottesschau und Meditation wurden nicht um ihrer selbst willen geübt, sondern dienten in letzter Konsequenz immer der praktischen Nächstenliebe und dem aktiven, demütigen Dienst an den Mitmenschen. Diese Betonung der 'praxis pietatis' im Alltag des einzelnen -- gegenüber allem bloß theologischen Wissen -- verleiht der Devotio moderna bis heute ungebrochene Gültigkeit und Aktualität.
Der vorliegende Band vereinigt erstmals die wichtigsten Erfahrungen und Schriftzeugnisse dieser christlichen Spiritualität und Lebensweise: Schriften von Geert Groote, dem Begründer und geistigen Vater der Devotio moderna, außerdem von Thomas von Kempen, dessen Buch "Nachfolge Christi" zu einem der meistgelesenen Bücher der Christenheit wurde. Daneben stehen Texte von Florentius Radewijns, Johannes Hos van Heusden und Johannes Busch, die hier zum Teil erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen.